“Es knistert, es hallt, es wummert und es dröhnt”
Die amerikanische Singer-Songwriterin Chelsea Wolfe hat es in den letzten Jahren geschafft, zur Ikone des Independent-Undergrounds aufzusteigen. Mit dem großen amerikanischen Markt im Rücken dürfte diese Aussage für die Künstlerin sogar kommerziell einiges an Gewicht haben. Verantwortlich für diesen Erfolg, der Wolfe auch musikalische Beteiligung an Serien wie Game Of Thrones und Fear The Walking Dead einbrachte, sind vor allem die letzten beiden Veröffentlichung Pain Is Beauty (2013) und Abyss (2015).
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Betrachtet man die musikalische Entwicklung der Künstlerin, sieht man ihr stetiges Bestreben, sich immer wieder aufs Neue selbst zu erfinden, musikalische und gestalterische Grenzen auszuloten und das Abseitige zu umarmen. Trug Pain Is Beauty noch deutliche Anleihen aus dem Neo-Folk, entdeckte Chelsea Wolfe auf Abyss ihre Affinität zum Industrial und zum Black- und Doom-Metal. Das Ergebnis fühlte sich an wie ein hypnotischer Schlag in die Magengrube: eine brutale, wie fesselnde Offenbarung, naturalistisch und wunderschön. Ein Album, das einen von den Füßen riss und noch lange nachhallen wird.
Werke wie Abyss, so könnte man sagen, schreibt man nur einmal. Zumindest ist es schwer, etwas zu wiederholen, das eine ähnliche Wirkung entfalten wird. Nach so einem Album kann man sich entweder völlig neu orientieren oder aber versuchen, dem Vorgänger noch eins drauf zu setzen. Letztere Strategie scheint Chelsea Wolfe mit Hiss Spun verfolgt zu haben.
War die Suche nach Schönheit unter der Schale von Chaos, Schmutz und Wahnsinn immer schon Grundthema in ihrem Schaffen gewesen, konzentriert sie sich nun ganz auf sich selbst und lässt sich dabei von Henry Miller leiten. Dieser meinte einmal sinngemäß: ‘Erst wenn du dich dir selbst in Gänze öffnest, deine Hässlichkeit und Verdorbenheit annimmst, wirst du deine Einzigartigkeit sehen und erkennen, wie wunderbar du bist’.
Auf dem Cover kauert Wolfe in einem sterilen, weißen Raum, eine groteske Mischung irgendwo zwischen der Hexe von Blair und bizarren Insekt – in die Ecke gedrängt, lauernd und verstörend. Ja, verstörend ist das Stichwort, das sich auf die Arrangements der meisten auf Hiss Spun enthaltenen Kompositionen anwenden lässt. Schon im Opener Spun schleppen sich in schöner Wolfe-Manier gequälte Doom-Riffs über die gesamte Distanz und werden dann und wann von knatternden Black-Metal Ausbrüchen zerhackt. Darüber hallt Wolfes Stimme, lethargisch gehaucht, in den höheren Lagen gepresst, aber immer (in jedem einzelnen Song) mit Verzerrern verfremdet und mit Schall unterlegt. Die Sängerin inszeniert sich selbst als Banshee, als eine Gespensterfrau, einem schwer fassbaren, ätherischen und beängstigenden, aber trotzdem (versteht sich!) hocherotischen Wesen. Sowas kommt halt dabei raus, wenn man bei der gründlichen Introspektion zu tief schürft. Immer. Echt.
Man merkt es meinem leicht ironischen Tonfall vielleicht an, auf mich wirkt die spooky Selbstzerfleischungs-Attitüde auf Hiss Spun hier und da etwas zu sehr gewollt, dann und wann ein wenig drüber. Beim Anschauen des offiziellen Videos zur vorab veröffentlichten Single 16 Psych stellt man sich unweigerlich die Frage, wie viele junge attraktive Protagonistinnen des Independent-Genres noch in Zwangsjacken vom bösen Pflegepersonal gepiesackt werden müssen, bevor das Bild vollends zum Klischee wird. Wahrscheinlich dauert es noch ein paar Mal.
Man möge mich nicht missverstehen. Hiss Spun ist über weite Strecken ein herausragendes Album. Songs wie Vex, bei dem wie aus dem Nichts das tiefe Grollen von Aaron Turner (Old Man Gloom, SUMAC) zu hören ist oder The Culling, mit seinen zerstörerischen, repetitiven Sequenzen und markerschütternden Drums, sorgen dafür. Produktion, Kooperationen mit Künstlern und technische Aufbereitung sind auf höchstem Niveau und zeugen vom Können und vom Ansehen, dass Chelsea Wolfe in der Musikszene mittlerweile genießt. Trotzdem hätte ich jenseits davon von einer Künstlerin ihres Formats ein Quäntchen mehr Innovation erwartet.
Hiss Spun erscheint am 22. September bei Sargent House.
Anspieltipp: Vex.
Tracklist CHELSEA WOLFE Hiss Spun:
01. Spun
02. 16 Psych
03. Vex
04. Strain
05. The Culling
06. Particle
07. Twin Fawn
08. Offering
09. Static Hum
10. Welt
11. Two Spirit
12. Scrape
Weblinks CHELSEA WOLFE:
Official: http://www.chelseawolfe.net/
Facebook: https://www.facebook.com/cchelseawwolfe/