“Unwiderstehlich …”
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Generell hat man in Island ein großes Interesse an Musik. Das steht genauso sogar bei Wikipedia. Es wäre mal interessant für die kleine Insel, ein Musiker-Einwohner-Verhältnis auszurechnen und mit anderen europäischen Ländern zu vergleichen. Isländische Musik der unterschiedlichsten Genres ist weltbekannt. Zu diesen musikalischen Export-Schlagern zählen inzwischen auch Sólstafir.
Und schon hat man den Knackpunkt der Diskussionen über die Band auf den Punkt gebracht: Sólstafir haben es sich erlaubt, sich in immerhin 22-jähriger Bandgeschichte musikalisch weiterzuentwickeln und personell zu verändern und sie sind kommerziell einigermaßen erfolgreich. Damit sind folgende Dinge klar: Die Künstler sind satt und fett vom Erfolg. Das verdirbt selbstverständlich Charakter, Haltung und Musik und man will noch satter und fetter werden. Dazu ist es nötig, sich immer mehr dem Mainstream anzubiedern, was den Sound dann breiiger, seichter und belangloser werden lässt. Klar, denn jenseits des Metals geht es ja bekanntlich nicht anders. Jeder, der was Anderes behauptet, Kritiker zum Bespiel, hat nur Schiss, keine Promos mehr zu bekommen von dem mächtigen Major-Label (Season Of Mist, seriously?). Genau.
Was das alles mit Berdreyminn, dem neuen, sechsten Album oder anders ausgedrückt: dem ersten Album der Band nach Ótta zu tun hat? Ich habe keine Ahnung. Irgendjemand stimmt dieses Lied ja immer an.
Sólstafir sind nun mal keine Band für Genre-Fundamentalisten. Und sind wir doch mal ehrlich: die Querköpfe aus dem hohen Norden waren auch nie die Viking-Metal Band, von der wir behaupten, dass sie die heute nicht mehr sind. Ótta machte den für alle sichtbaren Anfang. Berdreyminn knüpft genau dort an und setzt den Weg fort, von dem nur Aðalbjörn Tryggvason und Kollegen wissen, wo er hingehen soll. Auch Berdreyminn hat diese Momente, für die man den Göttern danken möchte, dass sie einem Ohren geschenkt haben – nur noch mutiger, tiefer und eine Spur wandlungsfähiger.
Los geht es mit Silfur-Refur, dessen Intro mit gespenstischer Orgel und gedehnten, klagenden Verzerrern eine atmosphärische, an Enrico Morricone erinnernde Stimmung verbreitet, die den ruppigen, dröhnenden, doch sehr klassisch für die Band stehende Song wie eine lose Spange bis zum Ende umspannt. Ganz stark werden bereits hier die musikalischen und stilistischen Brüche angekündigt, die den weiteren Verlauf des Albums prägen werden.
Lange muss man darauf auch nicht warten, denn Ísafold ist echt … nun … groovy. 70er Jahre Gitarren, die beinahe poppig melodisch, direkt von Thin Lizzy zu kommen scheinen, treffen auf ein Bass-Solo, das von Fields Of The Nephilim zu ihren besten Elysium-Zeiten stammen könnte. Diese und ähnliche staubige Entlehnungen aus dem Goth-Rock finden sich an einigen Stellen auf Berdreyminn wieder. Wer auf die Suche gehen möchte, der wird bei Hvít Sæng oder bei Bláfjall fündig werden. Würde nicht Aðalbjörn Tryggvason diese ungewöhnliche, wie einfallsreiche Soundlandschaft mit seiner exzentrischen, immer etwas gequälten Stimme dominieren, ein rückversichernder Blick auf die Plattenhülle wäre fast notwendig gewesen. Ísafold, so die Band, sei aus einer spontanen Eingebung heraus entstanden. Es fällt nicht schwer, das zu glauben.
Weit fließend und magisch ist Dýrafjörður, wie das landschaftliche Vorbild, das für diesen unglaublich schönen Song offenbar Pate stand. Es ist eins von den Stücken, das beweist, wie eindringlich und bewegend eine ganz einfache Melodie sein kann. Ein Klavier intoniert diese Passage: glasklar, perlend und kühl, wie das Wasser des Dýrafjörður. Wie Morgennebel hängen diffuse Keyboardsequenzen darüber, bevor sie von schroffen Gitarren und tiefschürfendem Gesang gehoben werden und den Blick auf ein Szenario von so unbeschreibbarer Erhabenheit und Sehnsucht eröffnen, dass einem beim Hören schlicht die Luft wegbleibt.
Bláfjall ist für mich der absolute Höhepunkt auf Berdreyminn – der Berg, der Dämon in uns. Auch hier übersetzen Sólstafir Bilder majestätischer, landschaftlicher Phänomene ihrer Heimat in Bilder menschlicher Innenschau. Im Song überformt sich getragenes Orgelspiel mit rasendem Metal und verdichtet sich zur Virtuosität, der Quintessenz von dem, für das die Band steht: Epic Rock’n Roll.
Absolut empfehlenswert!
Berdreyminn ist am 26.05.2017 bei Season Of Mist erschienen.
Anspieltipps: Bláfjall, Dýrafjörður
Tracklist SÓLSTAFIR – Berdreyminn:
01. Silfur-Refur
02. Ísafold
03. Hula
04. Nárós
05. Hvít Sæng
06. Dýrafjörður
07. Ambátt
08. Bláfjall
09. Svart Blóð (bonus track)
10. Samband i Berlin (bonus track)
Weblinks Sólstafir:
Official: http://www.solstafir.net
Facebook: https://www.facebook.com/solstafirice
Bandcamp: https://solstafir.bandcamp.com