Es gibt zweierlei, woran sich in der Musikwelt die Geister scheiden: Jochen Distelmeyer – das war schon zu Zeiten von Blumfeld so – und Coverversionen. Und was haben wir nun hier mit Songs From The Bottom Vol. 1 vorliegen? Ja, ein Cover-Album von Jochen Distelmeyer. Ob das wohl gut gehen kann? Nehmen wir es gleich vorweg: Ja, das kann es! Das Erfolgsrezept baut dabei darauf auf, dass die Instrumentierung nur aus Gitarre, hin und wieder Tasten und Stimme besteht und eben darauf, dass Jochen Distelmeyer es seit je her versteht, auch dahin zu gehen, wo es weh tut. Das wurde schon beim ersten Vorboten zum Album deutlich, bei dem sich Distelmeyer mal eben Toxic von Britney Spears vornahm. In einer „Stripped down“-Version nimmt man es Jochen Distelmeyer tatsächlich als melancholische Akustik-Nummer ab.
Dass all das natürlich auch von seiner markanten Stimme lebt, zeigte auch der zweite Vorbote in Form von Video Games, das der Version von Lana del Ray durchaus ebenwürdig wird. Überhaupt ist es stark, wie Distelmeyer es schafft, zeitgenössischen Klängen seinen Stempel aufzudrücken. Selbst ein I Could Be The One von Avicii vs. Nicky Romero wird da zur Distelmeyer-Nummer, die mit perkussiven Elementen, melancholischem Piano und einem bewusst im Hintergrund gehaltenen Gesang fernab vom Original wirkt. Somit ist es die große Kunst auf diesem Album, auch abwegig erscheinenden Stücken eine faszinierende musikalische Quintessenz zu entlocken und mit anderen Mitteln einer neuen Hörerschaft zugänglich zu machen.
Jochen Distelmeyer verbindet Britney Spears, The Verve, Avicii, Radiohead und Co. zu einem großen Ganzen
Aber es sind gar nicht nur immer die abwegig wirkenden Nummern, die faszinieren können. The Verves Bitter Sweet Symphony zum Beispiel wirkt da schon deutlich näher am –zumindest vom geneigten Hörer angenommenen– Distelmeyer-Kosmos. Rein instrumental könnte auch ein Richard Ashcroft die Nummer auf der Akustik-Gitarre spielen. Hört man aber die Stimme auf diesem Album und dazu teils gepfiffene Refrains, so nimmt man dem Künstler die Huldigung ab. Der Blick auf die Insel gelingt auch in der dramatisch wirkenden Radiohead-Interpretation zu Pyramid Song, die abermals beweist, dass Jochen Distelmeyer auch die lautmalerische Komponente der Musik ohne Peinlichkeit beherrscht.
Natürlich: Auch dieses Album wird – wie man es vom Künstler gewohnt ist – polarisieren. Ein Album, das nicht jedem gefallen wird, was bereits am Zusammenwirken der beiden einstiegs genannten Komponenten liegt. Aber wenn einer es schafft, dass sich auf ein und derselben Scheibe Britney Spears, The Verve, Avicii, Radiohead und viele andere friedlich einander begegnen, dann hat er sich allen Respekt verdient. In diesem Sinne: Respekt, Herr Distelmeyer! Das ist großes Kino! Und wer weiß, vielleicht erscheint ja eines Tages mal Songs From The Bottom Vol. 2. Die Bezeichnung als Vol. 1 lässt auf jeden Fall hoffen.
Tracklist JOCHEN DISTELMEYER – Songs From The Bottom Vol. 1
01. Just Like This Train
02. On The Avenue
03. Video Games
04. I Read A Lot
05. Toxic
06. Pyramid Song
07. Let’s Stay Together
08. I Could Be The One
09. Turn Turn Turn
10. Bitter Sweet Symphony
11. This Old Road
12. Beautiful Cosmos