Pünktlich um 20:00 Uhr fing dann auch das vom Band laufende Intro False Awakening Suite an und die Band handelte in einem passenden Video ihre Albengeschichte einmal ab um dann, genau wie auf CD, mit The Enemy Inside dem Publikum schnell und hart zu zeigen, dass hier keine alten gebrechlichen Männer auf der Bühne stehen, sondern die Ikonen des Progressive Metals. Eine Verbindung zum Publikum konnte die Band sofort herstellen und so startete man ohne große Pause direkt in den zweiten Song The Shattered Fortress. Der Sound war sehr klar und ausgewogen, und so ließ sich das Publikum auch problemlos zum anfeuern animieren. Als dritter Track kam mit On the Back of Angels der Opener des vorletzten, doch etwas schwächeren, Albums, welcher vom Publikum gewohnt gut angenommen wurde. Generell fiel einmal mehr auf, dass Dream Theater ein sehr durchwachsenes Publikum, durch alle Altersklassen hindurch, hat. Nach einer kurzen Fahrt mit einem digitalen Taxi führte uns Dream Theater auch hin zum vierten Song: The Looking Glass. Ein durchweg guter Song, welcher auf dem Album direkt hinter The Enemy Inside noch etwas deplatziert wirkte. Live und nach On the Back of Angels kam er aber genau richtig. Es groovte schön und soundmäßig erinnerte es mehr an frühere DT-Tage. Passend zu alten Sounds kam daraufhin dann auch mit Trial of Tears das letzte Stück von Falling into Infinity, dem einzigen Album welches mit Derek Sherinian an den Keyboards entstand. Nach dieser ersten, kurzen Hommage an die alten Tage wurde es wieder sehr modern – mit Enigma Machine spielten Dream Theater das Instrumentalstück ihres aktuellen Albums. Es gab schon lange kein neues Instrumentalstück mehr auf einem DT-Album, zuletzt war es Stream of Consciousness auf Train of Thought. Enigma Machine, wie der Name schon vermuten lässt, warf einige Fragen auf, besonders durch das humoristisch animierte Video im Hintergrund. Sind Keyboarder spielsüchtig? Sind Sänger Verräter? Und was ist mit den Augen von John Myung los? Fragen, auf die uns DT wohl nie eine Antwort geben wird. Im Song selbst war ein kurzes Schlagzeugsolo von Mike Mangini eingebaut, welches technisch einwandfrei und durchweg zum Song gut passend gespielt wurde, aber irgendwie etwas unspektakulär war. Ein kleiner Wermutstropfen bleibt also in dem bis dahin sehr genialen Konzert. Im Anschluss an dieses Stück spielten sie mit Along for the Ride das namensgebende Stück der Tour, welches ohne große Mühen dem Publikum sehr schmackhaft serviert wurde. Abgeschlossen wurde der Konzertblock vor der Pause daraufhin mit Breaking All Illusions, dem, zumindest für mich, einzigen anderen guten Stück von A Dramatic Turn of Events. Insofern also bis dahin eine gelungene Songauswahl, die vor allen dingen eines gezeigt hat: Dream Theater ist viel. Viel Abwechslung, viele Alben und viel Spielfreude.
Die Pause kam dann auch genau richtig, man konnte die Ohren nochmal etwas entspannen und wieder aufnahmefähig für neue wunderbare Stücke werden. In der ersten Hälfte hatte Labrie angekündigt, dass man nach der Pause besonders den 20. Geburtstag des Awake-Albums und den 15. Geburtstag des Metropolis Pt. 2: Scenes from a Memory-Albums feiern würde – in genau dieser Reihenfolge. Angenehm für die Zuschauer: Eine große Uhr zählte die 15 Minuten runter bis die Band wieder auf die Bühne kommen würde – sowas wünsche ich mir ab sofort bei jedem Konzert mit Pause! Um die Wartezeit dann doch etwas zu verkürzen lief nach einigen Minuten dann auch für den Rest der Pause ein Zusammenschnitt der lustigsten und eindrucksvollsten Youtube-Videos über Dream Theater. Ein buntes Potpourri aus Menschen die DT covern, Menschen die DT-Dokumentationen humoristisch angehaucht nachspielen („this one goes to you, triangle-guy“) und Menschen, welche DT- Dokumentationen interessant neu vertonen. Insgesamt war es eine der unterhaltsamsten Konzertpausen meines Lebens.
Nach diesen 15 Minuten Pause erklang mit dem Stakkato-Riffing von The Mirror dann auch das erste Lebenszeichen des Awake-Albums. Mit einem unglaublich klaren und druckvollen Klang durfte daraufhin The Mirror fließend in Lie übergehen, einem der düstersten Lieder die DT je schrieb. Die Vermutung legte nun nahe, dass DT die zweite Hälfte von Awake durchspielen würde, und mit Lifting Shadows of a Dream schien diese Vermutung nur umso berechtigter. Obwohl von den damaligen Mitgliedern, welche Awake schreiben und einspielten, zwei inzwischen nicht mehr in der Band sind und sich auch gerade was Keyboards angeht entwicklungstechnisch in den letzten Jahren eine Menge getan hat, so hat man gar nicht erst versucht diesen Liedern einen neuen Stempel aufzudrücken. Es hätten genauso gut Mike Portnoy und Kevin Moore in der Band sein können, sie hätten wohl kaum anders geklungen. Damit ein großes Lob an den Fünfer, der sich nicht neu erfinden muss, nur weil er es könnte. Die Songreihenfolge war klar, der Song stand, nun kam Scarred. Traumhaftes Intro vom Bass, die Gitarre blendet langsam die langen Töne ein und dann geht es auch los. Die Perfektion und Spielfreude auf der Bühne war kaum zu bremsen, und so ging dieser Song schnell zu ende – und dann kam der große Moment. Würden sich Dream Theater tatsächlich dazu durchringen können das geniale Space-Dye Vest, einst von Kevin Moore geschrieben, live zu spielen? Nun, so viel sei verraten: Allein für dieses eine Lied musste man unbedingt auf dieser Tour dabei sein. Sinnvoll zentral im Programm gehalten war es doch das Highlight des ganzen Konzertes, kaum fing Rudess die ersten Töne an schon brach eine Stimmung in der Masse aus, welche man selten, selbst bei so herausragenden Konzerten, vorfinden konnte. 20 Jahre ließen sich Dream Theater Zeit diesen Song live zu spielen, obschon er stets einer der Favoriten der Zuschauer war. 20 Jahre warten haben sich gelohnt – sie spielten Space-Dye Vest und feierten mit dem Publikum zusammen damit den absoluten Höhepunkt des Konzertes. Unsteigerbar war er als letztes Lied auf Awake enthalten – und somit auch das letzte Lied was sie von Awake spielten. Kam nun die Hoffnung auf, dass sie direkt zur Metropolis-Scheibe übergehen würden, so hat Dream Theater das Publikum mit Illumination Theory nochmal daran erinnert, dass diese eigentlich eine Tour zum selbstbetitelten Album war. Für einige ein wunderschöner Song, so wirkte gerade live der Song an ein paar Stellen, besonders im Mittelteil The Embracing Circle, etwas zusammenhangslos, dennoch kam er beim Publikum durchweg gut an. Nun aber endlich Metropolis. Zuerst jedoch verschwand das Quintett hinter der Bühne und ließ sich zur Zugabe herausklatschen. Bediente man sich bei Awake noch der hinteren Hälfte des Albums, so fing man hier mit Overture 1928 und einem zur passenden Zahl laufenden Ticker quasi am Anfang des Albums an. Unmittelbar auf das instrumentale Intro, welches nochmal durch die Hauptthemen des Albums musikalisch führte, knüpfte man mit Strange Déjà Vu und dem Aufruf ans Publikum mitzusingen albumtechnisch unmittelbar daran an und zeigte sich sehr spielfreudig. Und nun kam ein Sprung. Mit The Dance of Eternity lieferten Dream Theater ihr bekanntes Spektakel aus waghalsigen Taktwechseln, atemberaubenden Hochgeschwindigkeitsmelodieläufen und in sich stimmigen Songwritings auf allerhöchstem Niveau noch einmal ab bevor es mit Finally Free als letztes Lied des Auftritts noch einmal quasi besinnlich wurde. Womit man 1999 Alben beenden kann, kann man 2014 immer noch gut Konzerte beenden.
Am Ende blieb ein wunderbares Gefühl endlich Space-Dye Vest live gehört zu haben, ein wunderbares Konzert erlebt zu haben und zu sehen, dass Dream Theater trotz allem was die letzten Jahre war und trotz der langen Bestehensdauer ihrer Band kein bisschen an Biss verloren haben. Auf ein neues Album, auf ein neues Konzert – denn beides wird sicherlich kommen.
Setlist Dream Theater:
01. False Awakening Suite (Intro)
02. The Enemy Inside
03. The Shattered Fortress
04. On the Backs of Angels
05. The Looking Glass
06. Trial of Tears
07. Enigma Machine (Mit Schlagzeugsolo)
08. Along for the Ride
09. Breaking All Illusions
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10. The Mirror
11. Lie
12. Lifting Shadows Off a Dream
13. Scarred
14. Space Dye-Vest
15. Illumination Theory
16. Overture 1928 (Z)
17. Strange Déjà Vù (Z)
18. The Dance of Eternity (Z)
19. Finally Free (Z)
Autor: Matthias Heinrichs
Fotos: Markus Hillgärtner