Insgesamt 73.000 Besucher waren es in diesem Jahr. Ein neuer
Besucherrekord für das Hurricane-Festival, das trotz kleinerer Ungereimtheiten,
zweier Bandabsagen und dem Wetter am Festival-Sonntag auch sonst in jeglicher
Hinsicht als voller Erfolg gewertet werden kann. Mit Highlights wie The Cure
oder auch Noel Gallagher’s High Flying Birds, aber auch Überraschungen wie M83
oder Die Antwoord, war für jeden Musikfreund etwas dabei. Aber eins nach dem
anderen, begonnen mit Festival-Tag Nummer 1 – Freitag, dem 22.06.2012.
Bei der Ankunft in Scheeßel machte sich zunächst
Verwunderung ob der seltsamen Bändchen breit. Tatsächlich: Nachdem der an sich hervorragende
Plan der RFID-Bändchen in letzter Sekunde scheiterte, sah man viele Besucher
mit grünen und orangenen Plastik- und Papierbändchen, da die Festivalbändchen
ausgegangen waren. Dann also Bändchen ohne Aufdruck, dachte man sich, und ging
auf das Gelände. Zum Beispiel, um sich 16:25 Uhr Jennifer Rostock anzuschauen, die auf der Blue Stage spielte, eine
Art „Alternative Stage“, wenn man so will. Dass die Auftritte der Band um
Jennifer Weist stets ein ambivalentes Vergnügen sind, konnte man auch hier bei
bestem Sonnenwetter wieder sehen. Ansprechende deutschsprachige Rockmusik mit
gelegentlichem Hang zum Punk, eröffnet mit Meine
bessere Hälfte, konnte das textsichere, zahlreiche und überwiegend recht
junge Publikum von den ersten Tönen an begeistern. Es bedarf allerdings keiner
großen Prüdheit, um von den ständigen, längst nicht mehr provokationsfähigen
Ansagen über Schamlippen, Titten und sonst was, etwas genervt zu sein. Ob die
Band dies nötig hat, sei dahingestellt, aber dem Publikum wurde das geboten,
was es wollte. Ein insgesamt solider Auftritt!
Es blieb voll an der Blue Stage und ein bewährter Plan ging
auf: Spielte er schon 2009 am Freitagnachmittag der Blue Stage, so tat er es
auch 2012 wieder. Zwei Tage nach der mehr als ausverkauften Festival WarmUp
Show im Hamburger Knust, nur rund 80 Kilometer entfernt, enterte Axel Bosse mit seiner Band um 17:30 Uhr die
Bühne und konnte von Anfang bis Ende begeistern. Druckvolle deutschsprachige
Rockmusik, die genau den Nerv der Zeit trifft und dabei zu Recht begeistern
konnte. Eröffnet mit Metropole zeigte
er gleich sein Erfolgsrezept: Es sind eben nicht nur gelungene Rock-Klänge,
sondern es steckt auch viel Gefühl darin. Dargeboten von einem Typen, dem man
das hundertprozentig abnimmt, was er da singt. Gänsehautmomente bei Stücken wie
3 Millionen waren da vorprogrammiert
und kamen folglich auch. Bosse suchte die Nähe zum Publikum und fand sie, sein
Set kam gänzlich ohne Schwachstelle aus. Wenn er dann auf einem Sommer-Festival
mit entsprechendem Wetter in Alter Strand
auch noch vom Strand mit dem besten Bier der Welt singt, ist die ganze Nummer
ein Selbstläufer. Das abschließende Frankfurt/Oder
setzte auch ohne Anna Loos den gelungenen Schluss einer Show, die man schon als
ein erstes frühes Highlight des Festivals ansehen kann.
Eindeutig: Es war der Tag der Blue Stage. Also gleich dort
geblieben, denn: Casper spielte auf.
Dass es eine gute Idee war, ihn zu diesem Festival einzuladen, zeigten die
riesigen Menschenmassen vor der Bühne. Dass es aber keine so gute Idee war, ihn
auf der Blue Stage spielen zu lassen, zeigten – ebenso – die riesigen
Menschenmassen vor der Bühne. Dass der Auftritt diese Menschenmassen aber
verdient hatte, steht außer Frage. Casper, der hier vor allem sein Nummer
1-Album XOXO präsentierte, trat den
erfreulichen Beweis an, dass man es auch mit Rap mit intelligenten und
durchdachten Texten nach ganz oben schaffen kann. Mit Band-Besetzung inklusive
neuem Gitarristen, die für Indie-Einschlag in der Musik sorgte, vermochte er
es, die Zuschauer bis in die letzte Reihe zum Mitspringen zu animieren,
vertonte ein großes Gefühlsspektrum und war so etwas wie der Soundtrack einer
heranwachsenden Generation. Bei Mittelfinger
hoch zeigte er seine aggressivere Seite und sorgte für zehntausende
hochgetreckte Mittelfinger am Eichenring, mit So perfekt hingegen sorgte er für einen harmonischen Ausklang.
Nach Casper aus der Menschenmenge zu kommen, gestaltete sich
schwierig – gute 20 Minuten dauerte es, bis man rausgetrieben war, ohne dabei
wirklich selbst zu entscheiden, wo es hingehen soll. Daher wäre für Casper die
Green Stage die richtige Lösung gewesen. Dafür ist es nun zu spät. Die folgende
Geländerunde diente schon einmal der Suche nach einem Stand mit Fernseher, um
zwischenzeitlich mal bei Deutschland gegen Griechenland reinschauen zu können.
Und siehe da: Der Stand eines Fußballvereins bietet auch die
Fußballübertragung. Fernab persönlicher Fußball-Club-Präferenzen konnte man dem
Stand des FC St. Pauli hier nur dankbar sein.
Viel Zeit für die freitägliche Geländerunde war aber nicht,
denn – wo auch sonst? – auf der Blue Stage brachte sich die nächste Band in
Position, um den bayerischen Teil des Abends in die Wege zu leiten. LaBrassBanda traten zur besten
Sendezeit, um 20:15 Uhr, an, um die Meute… Ja, was eigentlich? Zu rocken? Zu
punken? Denn eins ist klar: LaBrassBanda machen einfach das, was sie wollen –
mit Blasmusik auf einem großen Rock-Festival zu punkten, ist schon eine große
Kunst. Erfreulich: Stefan Dettl und seine Mannen schafften es mit Bravour,
sorgten für grandiose Stimmung und brachten die Menge zum Tanzen. Denn neben
Rock- und Punk-Einflüssen fühlt man sich gelegentlich gar wie auf einer
Techno-Party. Mit nebenher noch sympathischen Ansagen, original auf Bayerisch
gehalten, konnte man hier überzeugen.
Obgleich gerade Deutschland gegen Griechenland das
Viertelfinale ausspielten: Auf den Bühnen ging es munter weiter. Während
LaBrassBanda spielten, hatten auch All
Shall Perish auf der Red Stage, die in diesem Jahr erfreulicherweise
ebenfalls open air war und nicht mehr als Zirkuszelt auf dem Gelände stand,
eine beachtliche Zuschauerschar versammelt, um diese mit ihrem Deathcore zu
rocken. Druckvolle Sounds, die auch begeistern konnten, wenn man mit dem
anderen Auge gerade das Viertelfinalspiel verfolgte.
Dass dann ausgerechnet die Sportfreunde Stiller um 22:00 Uhr, während des noch laufenden
Fußballspiels, die Bühne betreten mussten, ließ sie vermutlich ihren eigenen
Vertrag verfluchen, gewährleistete aber auch für die anwesenden – und sehr
zahlreichen – Zuschauer vor der Bühne, stets auf dem Laufenden zu sein, was den
Spielstand betrifft (bis zum Endstand von 4:2, den es bald zu feiern gab).
Haben sie vor einem guten Monat noch im sehr kleinen Rahmen das Hamburger
Molotow im Kampf gegen den Abriss unterstützt, so war heute wieder die große
Bühne auf dem Programm. Passend zum Rahmen eröffneten sie mit 54, 74, 90, 2010, allerdings umgemünzt
auf „2012 werden wir Europameister sein“. Wie die Realität aussieht, wissen wir
alle inzwischen, aber für die Stimmung war es ein Glücksgriff. Was folgte, war
ein Best Of-Set durch die inzwischen lange Bandgeschichte der Sporties, die mit
Stücken wie Wunderbaren Jahren, Fast wie von selbst und wie sie alle
heißen, brillieren konnten. Trotz der mächtigen Konkurrenz auf der Green Stage
blieben die Fans zahlreich vor der Blue Stage und bescherten den zweiten
bayerischen Vertretern des Abends einen gelungenen Abend.
Ab 22:30 Uhr dann auf der Green Stage einer der absoluten
Headliner des Festivals: The Cure.
Während das jüngere Publikum (soll heißen: unter oder Anfang 20) hier nicht
ganz so zahlreich vertreten war, fanden sich große Menschenmengen ein, die
ihren Idolen (oder teilweise auch: Jugendidolen) um Robert Smith huldigen
wollten. Und er gab ihnen in seinem mit zwei Stunden sehr großzügig ausgelegten
Set auch allen Grund dazu. Spielte man zuletzt im Jahr 2004 auf derselben Bühne
und sorgte teilweise für Verstörung, weil nicht gerade viele Hits enthalten
waren, ging man die Sache anno 2012 dann ganz anders an: Sehr zur Freude des
Publikums spielte man ein Best Of-Set, das auf ganzer Linie überzeugen konnte
und sich durch sämtliche Schaffensphasen der Band zog. Spätestens als an
zweiter Stelle Pictures Of You
gespielt wurde, hatte Robert Smith, an diesem Abend außerordentlich gut
gelaunt, das Publikum voll im Griff. The Cure verbreiteten an diesem Abend eben
genau die Atmosphäre, die zu verbreiten ganz allein The Cure in der Lage sind.
Nummern wie Just Like Heaven sorgten
für viel Bewegung und Gänsehäute. Gar zu Friday
I’m In Love ließ er sich hinreißen, was naturgemäß auf einem Festival wie
dem Hurricane gnadenlos gefeiert wird. Aber auch die verzweifelten Momente
fehlten nicht: Kurz vor Schluss beispielsweise mit One Hundred Years, einem der verzweifeltsten Stücke, die je
geschrieben wurden. Dass mit Disintegration
Schluss sein sollte, wollte folglich keiner glauben. Auch Robert Smith selbst
nicht, sodass es mit The Same Deep Water
As You und dem finalen Boys Don’t Cry
noch einmal Nachschlag gab. Was für ein Auftritt!
Inzwischen 00:30 Uhr war aber dennoch kein Ende in Sicht.
Die wiedervereinten Stone Roses
enterten zu später Stunde noch die Blue Stage. Dass der Name Stone Roses
inzwischen leicht verblasst ist, zeigte die überschaubare Menschenmenge dann
deutlich. Bei ihrem Auftritt boten die Mannen um Ian Brown ein Best Of-Set,
bei dem sie gleich zu Beginn I Wanna Be
Adored zum Besten gaben, aber leider auch zeigten, dass ihr Sänger mit Band
genauso wenig tonsicher ist wie auf seinen Solo-Touren. Wie man nachfolgenden Generationen
nach diesem Auftritt erklären sollte, dass da gerade Legenden auf der Bühne
sind, blieb schleierhaft. Schade zudem auch, dass sie mit einem Fotovertrag aufwarteten, der nicht akzeptabel war und somit von den Fotografen durchweg ignoriert wurde. Anders machten es indes Pennywise, die um 01:00 Uhr noch einmal die „kleine“ Red Stage aus allen
Nähten platzen ließen und mit ihren bewährten Punk-Klängen dafür sorgten, dass
die Zuschauer die letzten Akku-Reste für den Freitag entleerten und glückselig
ins eigene Zelt, ins Partyzelt oder auch zum bierseligen Resümee des Tages zu
schicken.
Wir haben für euch schon einmal eine Galerie mit Bildern des ersten Tages zusammengestellt, die ihr hier oder durch Anklicken der Bilder erreichen könnt:
Galerie Hurricane Festival Tag 1 (Freitag, den 22.06.2012)
Die Berichte und Fotos von Tag zwei und drei folgen kurzfristig!
Autor: Marius Meyer
Fotos: Michael Gamon
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Galerie Hurricane Festival Tag 1 (Freitag, den 22.06.2012)