Inwiefern unterscheidet sich die Ego:X Albumproduktion von den Vorgängern?
Eigentlich gleich keine unserer Albumproduktionen der anderen. Wir haben stets versucht, uns neu zu entdecken, um dem gewählten Thema des jeweiligen Albums vollends gerecht zu werden. Manchmal verlangte das eine eher zurückgezogene und isolierte Arbeitsweise, manchmal war es aber auch nötig, das musikalische Team zu erweitern, um die musikalischen Visionen erfüllen zu können. Ego:X entstand in mühevoller Kleinstarbeit. Jeder hat seinen persönlichen Beitrag geleistet und diverse Gäste haben das Album mit ihrer Darbietung bereichert. Noch nie waren so viele Personen an einem unserer Alben beteiligt und noch nie haben wir mit so vielen akustischen Instrumenten gearbeitet. Wahrscheinlich ist Ego:X deswegen das Album, bei dem ich am meisten gelernt habe … für mich und für DOD.
Was war die Ursache für die Verzögerungen und Verschiebungen des Veröffentlichungszeitraums?
Immer wieder durchlebte ich in dieser Produktion den Moment, in dem ich entscheiden musste, ob ich das Album so belassen möchte, wie es zu dem Zeitpunkt klang, oder eben das umsetze, was mir gerade als neue Vision durch den Kopf schoss … So entschied ich mehrfach, das gesamte Album vollkommen neu zu überarbeiten und den Gesang, die Gitarren, das Schlagzeug und den Bass noch einmal komplett neu aufzunehmen. Natürlich kostete das Unmengen an Zeit, aber in meinen und unseren Augen war und ist es eben das, was das Album uns abverlangt hat und heute auch ausmacht. Das größte Ego bei dieser Produktion hatte jedenfalls kein Mensch, sondern das Album selbst!
Ganz pragmatisch gesehen hat natürlich auch gerade die Tatsache, dass so viele Menschen an diesem Album beteiligt waren, dafür gesorgt, dass im Punkto Planung und Produktion weit mehr Zeit investiert werden musste als gewohnt und daher auch als erwartet.
Ego:X ist ja ein Konzeptalbum. Welche Geschichte steckt hinter all dem?
Das Album handelt von unserem Protagonisten X, der sich auf eine Reise der Verwandlung begibt. Langsam nimmt er Abschied von seinem alten Leben und verwandelt sich in etwas Neues. Er schaut wehmütig zurück und hoffnungsvoll nach vorn, er ist enttäuscht und verletzt, hilflos und orientierungslos. Am meisten aber verabscheut er seinen Zustand und begehrt das Gefühl der Stärke. Der Schritt, den er macht, liegt nahe, und doch ist es ein schwerer, großer Schritt, der ihn durch seine eigenen erinnerungs- und angstgeprägten Gefühlswelten taumeln lässt. Ein Kampf zweier Ichs entsteht, ein Streben nach Veränderung, ein letztes Aufbäumen vor der Kapitulation.
Ist die Geschichte rein fiktional oder auch autobiografisch zu verstehen?
Eigentlich ist es bei unseren Alben schon immer so gewesen, dass eine Vermengung von Realität und Fiktion und von Wahrheit und Phantasie stattfindet. Auf diese Weise verschleiere ich natürlich meinen autobiographischen Anteil und ermögliche es dem Hörer/Leser sich selbst in unseren Worten wiederzufinden. Ich mag zudem keine eindeutige Literatur. Ich liebe es, wenn auf diese ungewöhnliche Art und Weise Kommunikation stattfinden kann zwischen dem, der schreibt, und dem, der liest oder hört. Das Leben verändert den Menschen, und die Menschen verändern das Leben. Eben dieser Zyklus ist etwas, dem X entfliehen möchte. Er will ausbrechen aus seiner Umlaufbahn und sich selbst eine neue Welt erschaffen. Durchaus ein Wunsch, den viele Menschen in sich tragen; wirklich ausleben werden ihn aber wohl die wenigsten. Diese seine Reise haben wir sozusagen begleitet. Ein spannender Prozess der Veränderung, eine Reise durch Reue, Erinnerung, Angst, Wut, Glück, Zuversicht, Hoffnung und Isolation.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Amelia Brightman, und wie war es, Dein erstes Duett zu singen?
Über eine gemeinsame Bekannte lernte ich Amelia vor ein paar Jahren kennen. Wir blieben in Kontakt, trafen uns, wenn wir in der Nähe unserer Heimatstädte Konzerte gaben und redeten dann viel über Musik und philosophierten über das, was wir gern noch musikalisch ausleben und verwirklichen möchten. Schon bald entstand die Idee, auf dem neuen Diary of Dreams-Album einen Song gemeinsam zu singen. "Push me" bot sich in meinen Augen dafür am besten an, weil es ohnehin schon ein sehr ungewöhnlicher Track ist, der sehr atmosphärisch ausgelegt ist und daher gerade Amelias Stimme viel Platz zum Leben lässt. Amelia besuchte Gaun:A und mich dann für die Gesangsaufnahmen im White Room, und so verbrachten wir ein paar Tage damit, die Gesangsparts zu planen und schließlich die Aufnahmen zu machen. Die Zusammenarbeit hat uns sehr viel Freude bereitet. Amelia ist eine unglaublich talentierte und kreative Künstlerin und Sängerin und ein unglaublich interessanter Mensch.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Martin Kessler (deutsche Synchronisationsstimme von z. B. Vin Diesel oder Nicolas Cage) und welche Rolle spielt seine Stimme auf dem Album?
Ein sehr ungewöhnlicher Zufall sorgte dafür, dass ich Martin Kessler kennen lernen durfte. Leider kann ich nicht erzählen wie, da Herr Kessler sonst Nachahmer befürchtet! Seine Stimme jedenfalls hat exakt das Timbre und die Vielseitigkeit und Wandlungsfähigkeit, die wir uns für X wünschten. Martin war interessiert und einverstanden, uns seine Stimme zu leihen, und so begann das eigentliche Problem: die Terminwahl. Monate zogen an uns vorbei und fast schon hatten wir aus Zeitmangel aller Beteiligten die Hoffnung aufgegeben, dass wir seine Stimme auf Ego:X erleben würden, da kam dann doch ein kurzfristiger Recording-Termin zustande. Nun spricht Martin Kessler das Intro und Outro der CD, sowie insgesamt 7 Interludes/Elemente (die Anzahl variiert je nach CD-Edition), die das thematische Konzept zusammenhalten und die Geschichte von X näher erläutern und verständlicher machen. Für uns jedenfalls ist es eine Ehre und ein Meilenstein, diese Stimme für X ermöglicht zu haben.
Wie kam es bei Ego:X zum höheren Anteil der deutschen Sprache als auf bisherigen Alben?
Das war ein rein künstlerischer Automatismus, denke ich. Einerseits ist die Präsenz der deutschen Sprache natürlich ohnehin schon durch Martin Kesslers Monologe gegeben, andererseits gab es einfach eine Hand voll Stücke, die für uns eben nur die deutsche Sprache als Klangfarbe zuließen. Sprache ist im Endeffekt auch nur ein Instrument. Bei einigen Produktionen erscheint einem dieses Instrument einfach mal besser und häufiger geeignet, auf anderen Alben dann eben weniger gut einsetzbar.
Wie sind die Grafiken entstanden und wer hat die Bilder gemalt?
Die gesamte graphische Gestaltung des neuen Albums basiert auf Gemälden von Gaun:A. Über Monate entstanden diese Arbeiten zum Teil basierend auf unsere textliche Arbeit, zum Teil begleitet von der Musik des neuen Albums. Erneut ein Zyklus also. Wir haben uns in unserer kreativen Arbeit sozusagen gegenseitig inspiriert. Die Bilder sind auf unterschiedlichste Art und Weise und in den verschiedensten Größen von Gaun:A erstellt worden. Es war uns sehr wichtig, ganz ähnlich wie bei Nigredo, ein in sich schlüssiges und homogenes graphisches Gesamtkonzept zu erschaffen. Alles hat einen Sinn. Alles eine Bedeutung. Es gibt Querverweise zu früheren Werken und Themen, aber natürlich auch völlig neue Impulse und Ideen. Die Bilder haben eine unglaubliche Tiefe und erzählen von einer Reise, die wir begleiten durften und mit unseren Mitteln festgehalten haben.
Wer steckt hinter dem Album und welche Namen verbergen sich aktuell hinter dem Namen Diary of Dreams?
Neben Gaun:A haben Flex und Dejan musikalisch aktiv an diesem Album mitgewirkt. Alle drei sind fester Bestandteil der Band und auch auf der Bühne seit geraumer Zeit an ihren Instrumenten zu bewundern. Außerdem hat Daniel Myer wie gewohnt an der Soundgestaltung mitgewirkt. Seine Arbeit ist mir sehr wichtig, und uns verbinden eine lange Geschichte und viele gemeinsame Projekte. Er weiß einfach, wie ich Diary of Dreams erleben möchte und fügt eben diese musikalischen Faszinationsmomente hinzu, die mir oftmals einfach noch fehlen, um mit einem Song restlos zufrieden sein zu können. Technisch hat uns zudem wie immer Guido Fricke als treuer Berater zur Seite gestanden und bei Schlagzeugaufnahmen und einigen Gesangsaufnahmen die Regie übernommen. Auch Rainer Assmann hat, wie schon seit 1994, im Studio beim Endmix mit uns gemeinsam den Tönen den richtigen Klang verliehen, die anschließend von Guido Fricke die finale Pre-Mastering Politur erhielten.
Wird es in naher Zukunft vermehrt Konzerte geben? Viele Fans im Ausland warten sehnsüchtig auf eine Rückkehr …
Auch wir sind nun wirklich voller Vorfreude und können es kaum erwarten, die neuen Songs auf der Bühne zu präsentieren. Unsere Tournee beginnt bereits in wenigen Wochen und wird sich bis weit in das Jahr 2012 ziehen. Unser Ziel ist es natürlich, so viel Konzerte wie möglich zu spielen, und wir hoffen, endlich auch mal wieder in Territorien zurück kehren zu dürfen, die wir in der nahen Vergangenheit leider nicht mehr so oft besuchen durften.
Anfang letzten Jahres wart ihr für 18 Konzerte auf Tournee mit Unheilig. Wart Ihr mit der Publikumsresonanz zufrieden?
Die Tour hat uns wirklich großen Spaß gemacht. Wir wurden von Unheilig und Crew sehr herzlich und kollegial aufgenommen und verlebten eine vollkommen reibungslose und sehr abwechslungsreiche Tour. Mit dabei waren ja auch die Herren von Zeromancer, mit denen uns heute eine enge Freundschaft verbindet. Musikalisch wie menschlich war diese Tour ein toller Erfolg, und es hat besonders mir großen Spaß gemacht, jeden Abend auf die Bühne zu gehen ohne zu wissen, was mich da draußen erwartet … Ich denke, wir haben es geschafft, das unheilige Publikum zu begeistern und davon zu überzeugen, dass der Besuch eines Diary of Dreams-Konzerts bei der nächsten Tour durchaus in Betracht zu ziehen ist!
Welcher Song auf dem neuen Album bedeutet Dir am meisten?
Sowas ist immer schwer zu sagen, aber ich denke, dass „Weh:Mut“ mich einfach am meisten berührt. In vielerlei Hinsicht ist es ein eher schwieriger und ungewöhnlicher Song, aber gerade das fasziniert mich vielleicht so sehr. Zudem war es der letzte Song, den ich für dieses Album geschrieben habe, und irgendwie war es für mich daher auch schon sowas wie ein erstes Loslassen von Ego:X.
Und welcher Song war am meisten Arbeit?
"Push me", das Duett mit Amelia, war natürlich aufgrund der zwei Gesangsdarbietungen, der echten Streicher, der teils echten Drums und der Bass- und Gitarrenaufnahmen an sich schon sehr viel Arbeit, aber das Mischen des Titels hat meine kühnsten Erwartungen übertroffen und mich ans Limit meiner Kräfte gebracht. Nur die Arbeit an "Undividable" vermochte da noch einen drauf zu setzen. Kein Song des Albums habe ich so oft verändert und erneuert wie diesen. Nur gut, dass ich mich heute zurücklehnen und die fertigen Songs genießen kann.
Vielen Dank an Adrian Hates und Julietta Leingang (Contribe), die dieses interessante Interview führte und uns zur Verfügung stellte.