Als es zur nahenden Vorstellung läutete, war das Theater bereits rappelvoll. Der geneigte Besucher war gespannt, was ihn erwarten würde und fieberte dem Beginn entgegen. Doch es tat sich bereits in Bühnennähe schon etwas: ein verwilderter Mann saß am Bühnenrand mit seinem Laptop auf seinem Schoß und sprach per Webcam mit Bekannten in fremden Ländern. Schauspieler Manuel Harder verdeutlicht den Wunsch nach dem wilden Leben, das jedoch gepaart mit der Begeisterung nach technischem Krimskrams einhergeht. Wild und frei- aber ist, wer sich im Internet und in Chatrooms bindet, tatsächlich frei?
Plötzlich verschwindet er und ein zerstreut aussehender Mann in Frack und Zylinder torkelt auf die Bühne. Wie ein Zirkusdompteur erzählt er den Zuschauern mit monotoner Stimme, was sie an jenem Abend erwarten wird. Er spricht langsam und gelangweilt: „Sensationen, fremde Länder, fremde Menschen, Tempo….“ – spätestens bei dem Wort Tempo fängt auch der letzte Zuschauer an zu schmunzeln. Der nächste Lacher naht, als der kleine Klaus-Dieter Werner in Gestalt eines wilden menschenfressenden Etwas auf die Bühne stürmt und dem Ansager mächtig ins Bein beißt.
Nach dieser erfrischenden Einleitung werden nun im Dauerlauf fremde Kulturen vorgestellt. Wir sehen echte Sorben, die uns einen volkstümlichen Tanz darbieten. Schnell geht es in die nächste Szene. Wir reisen nach Grönland, wo zwei Eskimos versuchen, Robben zu jagen, und schlussendlich gerade mit aller Not noch einen Fisch erbeuten können. Ein mahnender Wink, um auf die Folgen der Erderwärmung aufmerksam zu machen? Plötzlich stolpern wir in Indien ein, wo 2 Tänzerinnen vor dem Taj Mahal tanzen. Wir reisen in die Tropen mit dem abschließenden Kommentar des Vorführenden „Wenn ich das hier sehe, dann möchte ich gerne in die Dritte Welt reinbeißen“. Es geht Schlag auf Schlag. Ehe man es sich versieht, befinden wir uns auch schon in Ägypten. Während ein rundlicher Tänzer mit seinen 2 Grazien seinen Tanz darbietet, läuft ein Lybischer Rebell mit einem Schild „Gadaffi out“ über die Bühne. Ein afrikanischer Stamm steht plötzlich ganz nah am Publikum und schreit und tanzt. Wir konnten die „Eingeborenen“ sehen, so „wie sie in freier Wildbahn“ leben.
Eine Völkerschau. Hiermit kratzt Grebe in den Wunden der alten Kolonialherren. In der Kolonialzeit, in der sich der Europäer als Übermensch sah, waren solche Völkerschauen tatsächlich nichts Ungewöhnliches und dienten lediglich dem Zwecke, dass die Vorurteile der ausgestellten Länder und Völker auch tatsächlich bestätigt wurden. Selektive Wahrnehmung und selektive Darstellung. Dann kommt Rainald Grebe himself auf die Bühne. Wie ein Reise-Homeshopping-Moderator begrüßt er zunächst seine Zuschauer und preist dann in einem Affenzahn alle erdenkbaren Regionen unserer Welt an. Dann lässt er den Zuschauer weiter schauen, weiter gaffen. Ein Pinguin mit Kamera hat sich in fremde, warme Länder verirrt und schießt ein paar Fotos, bevor ein Asiate den bekannten Grebe-Kracher „Brandenburg“ anstimmt. Natürlich spricht er das „r“ als „l“ aus, sodass das Lied nun „Blandenbulg“ heißt – das machen Asiaten eben so. Das denkt zumindest der Deutsche! Der asiatische Anzugträger singt opernhaft weiter; im Hintergrund laufen Bilder von Leid, Elend und Tod auf der Leinwand. Das alles wirkt ziemlich grotesk.
Nun sind wir in der Schweiz. Melanie Schmidli, als typische Schweizerin verkleidet, kommt mit ein paar Bergen und einer Kuh mit großer Glocke auf die Bühne gefahren. Sie will endlich aufräumen mit den Vorurteilen, die die Deutschen gegenüber der Schweiz haben und stellt mit ihrer rabiaten Stimme dar, was die Schweiz außer der Schweizer Schokolade und den Banken noch alles zu bieten hat. Sie schaukelt sich immer weiter hoch. Sogar das Publikum wird beschimpft. Dann wird zusammen gesungen „Wenn einer eine Reise macht“, „Titten raus, es ist Sommer“, und so singen Eskimo-Dame, die aggressive Schweizerin, der Wilde… alle singen dieselben Lieder. Im Hintergrund werden uns Urlaubsangebote um die Ohren geschmettert. Und immer wieder wird am Klischee gekratzt.
Rainald Grebe stellt in seinem Song „Oben“ die Klischees der oberen Gesellschaftsschicht dar und bedauert sich selbst als erfolgreicher Promi, der alles hat und das auch genießt. Wer richtig hinhört und die Zwischenzeilen erfasst, merkt aber hier ebenfalls den Mangel an Freiheit. Freiheit kann man sich eben auch nicht erkaufen.
Die Suche nach Freiheit, die Sehnsucht nach der Weite, wird voller Enthusiasmus von den Reisenden mit Lenny Kravitz‘ „Fly away“ verdeutlicht. Und jeder erzählt dann seine kleine eigene Geschichte von Urlaub und fernen Ländern. Doch die Storys, die zum Teil mit Urlaubsfotos untermalt werden, sind nicht außergewöhnlich, nicht exklusiv und schon gar nicht unbekannt. Es sind die typischen Reiseerlebnisse, die jeder kennt oder sich zumindest schon einmal hat erzählen lassen. Und da dämmert es uns – wenn doch jeder dasselbe erlebt, egal ob er in Ägypten, in der Türkei oder in Südamerika Urlaub macht, wenn man dieselben Fratzen, die man aus unseren Landen kennt, überall wiedertrifft, warum fahre ich dann weg? Die Liebe zur Reise. Einfach weg. Pauschalreise. Wenn ich ein Land wirklich kennenlernen will, kann man dann etwas pauschalisieren? Und warum bleibe ich nicht einfach hier, in Deutschland, auf meinem Balkon? Ich könnte doch einfach google anschmeißen und mir Bilder anschauen oder mit dem Finger auf der Landkarte oder auf dem Globus, den Rainald Grebe eine Zeitlang wie ein Wahnsinniger in der Hand hält und dreht, reisen. Auch der Song „T.I.A. This Is Africa“ steht für den typischen deutschen Reisenden, der sich in der Dritten Welt zurücklehnt und eigentlich nur mal „Lucki Lucki“ machen will.
Es gibt keine großen Lacher, aber die gibt es bei Rainald Grebe selten. Vielmehr herrscht im Publikum Bewunderung, wie sehr es Grebe immer wieder schafft, die Dinge auf den Punkt zu bringen und uns immer wieder an unserem wunden Punkt zu treffen. Dabei sticht er nicht nur leicht in die Wunde, sondern stochert regelrecht darin herum.
Das Publikum wird jedoch auch mit einbezogen, denn nun wird eine Reise verlost. Und wieder fällt man ins alte Muster, denn man nimmt nun erstmal an, dass es in fremde Länder geht, in die Sonne, zu fremden Kulturen und an den Strand. Doch weit gefehlt. Es geht in die Oberlausitz. Es geht nach Bautzen. Zaghaft melden sich ein paar Freiwillige, um an der Verlosung teilzunehmen. Meint Herr Grebe das wirklich ernst? , fragt sich ein mancher. Ein großes Ei, das als Verlosungsbox fungiert, wird auf die Bühne gebracht und jeder der drei Teilnehmer zieht eine Kugel. Dem letztendlichen Gewinner ist die Begeisterung mehr oder weniger deutlich ins Gesicht geschrieben. Ob er wirklich nach Bautzen reisen wird oder das Ganze nur ein Gag war, wissen wir natürlich nicht.
Das Ende naht und wird mit „Lonely Planet“ eingeläutet. Grebe steht mittig auf der Bühne und singt in den Sternenhimmel – zumindest diesen haben wir alle gemeinsam. Allmählich füllt sich die Bühne mit Kugeln auf dem Kopf tragenden Personen. Am Bühnenrand sitzt noch ein Zebra vom letzten Afrika-Trip. Dann ist es vorbei. Unter tosendem Applaus werden Grebe und seine Mannen verabschiedet. Ein tolles Spektakel mit intelligentem Witz und dem bekannten Charme Rainald Grebes, toller Musik und einer Message, die es so verpackt nur von Rainald Grebe geben kann. Und es stört auch nicht, dass er selbst gar nicht so oft auf der Bühne präsent war, denn die Schauspielerauswahl hätte besser nicht sein können. Die Rollen waren den einzelnen Personen so gut auf den Leib geschnitten, dass man sich manchmal fragte, ob sie denn nun überhaupt schauspielerten. Auch die Location wurde optimal gewählt. Sie passte zur gesamten Aufmachung des Stücks, zu dieser WildeWeiteWeltSchau; so etwas gehört einfach in ein richtiges Theater.
Prädikat: sehenswert!
Jedem Grebe- und Satire- Fan sei dieses Stück ans Herz gelegt. Die nächsten Vorstellungen finden am 21.5.11 und 29.5.11 um 19:30 Uhr im Leipziger Centraltheater statt.
Autorin: Tanja Pannwitz
Fotos: © R.Arnold/Centraltheater