Ort: Rockhal, Esch-sur-Alzette, Luxemburg
Datum: 05.06.2009
Zuschauer: 800 (knapp ausverkauft)
Dauer: Morrissey 75 min, Doll and the Kicks 35 min
Die beste Nachricht der letzten Tage war Morrisseys Blogeintag auf myspace, in dem er ankündigte, daß in Luxemburg die wegen einer Krankheit abgebrochene Tour weitergehen werde. Nach seinem 50. Geburtstag hatte der Übervater der englischen Musik Konzerte in England und alle Frankreich-Daten absagen müssen. Auch vorher hatte die Tournee einen eher stotterigen Charakter. Schon beim Auftakt in den USA hagelte es Absagen. Dabei war meine Lust, meinen musikalischen Helden wieder live zu sehen, in den letzten Wochen stetig gewachsen, im gleichen Maße, in dem ich sein aktuelles Album liebgewonnen hatte.
Wir machten uns also optimistisch auf den Weg nach Luxemburg – das Land, denn das Konzert fand nicht in der Hauptstadt, sondern in Esch statt, der zweitgrößten Stadt des Großherzogtums, die mit knapp 30.000 Einwohnern aber überschaubar groß ist. Esch ist eine ehemalige Stahl-Stadt und liegt unmittelbar an der Grenze zu Frankreich. Den Schildern zur Rockhal folgend (wie alles in Luxemburg, ist auch die Ausschilderung perfekt organisiert), hatte ich plötzlich eine kurze Panikattacke, mich auf dem Melt! zu befinden, denn der Veranstaltungsort liegt mitten zwischen Stahlruinen und Fördertürmen der Eisenerzindustrie. Der Industriepark Esch wird enorm aufwendig und chic in einen Ort für Einkauf und Kultur umgewandelt. Die Rockhal liegt neben einem Einkaufszentrum und ist in einem architektonisch schönen Gebäude untergebracht.
Morrissey hat musikalisch bekanntlich zwei Gesichter. Das, was er schreibt und spielt, ist großartig, das, was er selbst mag (oder das zumindest behauptet), allerdings meist genau das Gegenteil. Weder mit den New York Dolls, noch mit den von ihm selbst ausgesuchten Vorgruppen, die ich bisher erlebt habe, konnte ich etwas anfangen. Wir hatten also weder Eile noch Lust, uns in die Schlange vor der Tür einzureihen und versuchten stattdessen, noch etwas Essbares aufzutreiben (fast erfolglos, die Restaurants waren knallvoll, die Bäckerei hatte nur Süßes und der Kiosk Lion-Riegel als herzhaftestes Angebot). Die Schlange vor der Tür wurde länger, blieb aber vollkommen gesittet. Es scheint wirklich nur in Deutschland unmöglich zu sein, sich anzustellen, ohne zu schubsen und schnell noch zu dem Freund ganz vorne zu drängeln, der dann aber plötzlich doch gar nicht da ist.
Als dann kaum noch Leute vor der Tür standen, gingen wir auch rein, passierten sehr flott alle Kontrollen und betraten zu den ersten Takten der Vorgruppe den Saal, ein durchaus angenehmes Erlebnis. Zum einen waren Doll And The Kicks nämlich alles andere als schlecht und damit ganz anders als gedacht. Zum anderen standen wir in einem zwar irre hohen, aber für Morrissey viel zu kleinen Saal! 800 bis 1.000 Leute passen in den Saal, schätze ich. Aber auch während Mozza spielte, war es am Rand selbst vorne enorm luftig. Da aber mehrfach verkündet worden war, daß es ausverkauft sei (es aber an der Abendkasse doch Restkarten gab – [Tschuldigung, Frank!]), ließ man offenbar nicht zu, daß der Saal überfüllt sein würde.
Doll And The Kicks sind eine vierköpfige Band um Frontfrau Doll, die ein wenig wie Heike Makatsch mit blondem Struppelschnitt aussah. Doll (benannt nach einem Foo Fighter Lied) trug einen Badeanzug (dabei war es draußen empfindlich kalt geworden), sorgte aber auch unabhängig davon für gute Stimmung. Denn die Musik der Band aus Brighton war gar nicht verkehrt und über 35 Minuten sogar kurzweilig.
In der Rockhal Musik zu sehen (also in ihrem kleinen Saal, in dem wir waren), ist etwa so, wie im Kölner Stollwerck. Durch die Bühne an einer der langen Seiten des Raums, kann man gar nicht richtig weit weg stehen. Ein toller Ort für Konzerte!
Zwischen Vorgruppe und Morrissey liefen wieder Musikausschnitte und Filmchen auf dem Vorhang, der noch den hinteren Teil der Bühne abdeckte. Zum Inhalt des Films bei einem der nächsten Konzerte mehr, jetzt ist Morrissey wichtiger.
Mit dem schon bekannten kurzen Interview mit David Johansen endete die Pausenunterhaltung, der Blick auf das Bühnenhintergrundbild (einen Pin-Up Matrosen) wurde frei, und Morrissey und Band erschienen. Wie üblich ging der Sänger voran. "Luxembourg, twelve votes", und es ging los.
Auch üblich ist, daß eines seiner Konzerte stets mit einem Lieblingslied beginnt, diesmal mit This charming man vom ersten Smiths Album. Und da waren sie dann alle, die glücklichen Gesichtsausdrücke. Das Publikum war zwar viel weniger britisch und Morrissey-fanatisch als gedacht, es war aber auch Ü30 und ganz sicher in großen Teilen von den Smiths musikalisch sozialisiert. Irish blood komplettierte den Auftakt-Doppelschlag und alles war gut!
Auch Morrisseys Krankheit schien vorbei. Er wirkte zwar schon etwas zurückhaltender als sonst, hatte aber keine Stimmschwankungen, dafür aber scheinbar viel Lust auf große Gesten. Der leidende Gesichtsausdruck macht schon viel Spaß, seine Armbewegungen waren aber auch ganz besonders sehenswert! Die Zeile "The English are sick to death of Labour and Tories" untermalte er mit Arm nach links für Labour und nach rechts für die Tories.
Schnell etwas Abkühlung durch eine Wasserflasche mit Zerstäuberaufsatz, und es ging weiter.
Nach einem neuen Lied (Black cloud) das nächste bemerkenswerte Stück. How soon is now? ist zwar insofern nicht erwähnenswert, da es fester Bestandteil Morrisseys Konzerte ist. Aber die Instrumentierung ist besonders: Schlagzeuger Matt Walker hat hinter seinen Drums einen riesigen Gong und eine kaum kleinere Pauke, auf die er eindrosch, während Morrissey auf den Boden sank und liegenblieb! Spektakulär!
Es folgte u.a. Ask als nächstes Smiths Lied ("Writing frightening verse to a buck toothed girl in Luxembourg"), bevor einer meiner aktuellen Lieblinge mit Motorgeräuschen angstimmt wurde – I’m throwing my arms around Paris, das wundervoll ist und herrlich mitgeschmettert wurde!
Auch die beiden folgenden Stücke waren zu erwarten. Girlfriend in a coma ist glücklicherweise gesetzt! Allerdings war die heutige Version ein wenig verhunzt. When I last spoke to Carol von Years of refusal erschien schon vorher zwingend Teil des Programms sein zu müssen, das Stück ist einfach zu gut!
Und dann folgte das, wofür ich den Sänger aus Manchester auch liebe: er spielte die Titel aus den Tiefen seines Werks, mit denen keiner rechnete. Seasick, yet still docked von Your Arsenal, Why don’t you find out for yourself (Vauxhall and I) und I keep mine hidden, die B-Seite von Girlfriend in a coma. Drei fabelhafte Lieder, die das Leuchten in meinen Augen noch heller machten!
Nach diesen drei Kleinoden folgte dreimal das aktuelle Album – alle Lieder punkteten bei mir – mit Some girls are bigger than others das nächste Smiths-Lied, das ich noch nicht live gesehen hatte, und eine weitere B-Seite, diesmal seiner Solo-Karriere, die er aber auch 2008 schon gespielt hat (The loop von der Sing your life Single). I’m ok by myself beschloss das Konzert nach knapp 70 Minuten.
Ich spekulierte gerade noch, was wohl die Zugabe sein könnte, als ruckzuck Band und Chef wieder da waren und den Riesenhit über Hectors Tod anstimmten. Grandios! Aber wie alles Schöne zu schnell vorbei. Knapp 74 Minuten hatte dieses Konzert gedauert, das nicht an den weltverändernden Auftritt bei Rock En Seine vor drei Jahren herankam aber jeden Kilometer Fahrt durch die wilde Eifel rechtfertigte!
Die aktuelle Setlist gefällt sicher vielen nicht, weil einige Größen fehlen. Dafür werden genauso viele riesigen Spaß an den besonderen Songs haben. Und zur Not kann man ja noch die vielen kleinen Perlen achten…
Zu Morrisseys Hemdennummer. Wie immer schwitzt er schnell seine etwas zu knappen Hemden durch. Nummer eins wurde nach Some girls are bigger than others getauscht. Dafür ging der Sänger von der Bühne und kam wieder und stimmte The loop an: "I just wanna say I haven’t been away. I am still right here where I always was." Das geht doch nicht besser!
Dann seine Musiker! Boz Boorer steht eh über allem! Der Gitarrist ist ein Original und Garant für die exzellente Livequalität der Band. Am meisten beeindruckt hat mich aber der Keyboarder (Kristopher, glaube ich). Als er bei Carol gleichzeitig Trompete und Keyboard spielte, machte er sich zu einem der coolsten aktuellen Musiker!
Morrissey suchte wieder den Kontakt zum Publikum und gab besonders vielen die Hand, obwohl ich sicher bin, daß ihm das zutiefst zuwider ist. Im Gegensatz zu Lille im vergangenen Jahr wischte er sich aber nicht danach jeweils die Hände angeekelt an der Hose ab – er machte es vorher!
Irgendwann fiel ihm nichts ein, was er dem Publikum sagen könnte. Er gab das Mikro also an einen Franzosen in der ersten Reihe weiter. Der bat ihn, nach Frankreich zu kommen und bedankte sich für den Abend. This charming man! Also Morrissey!
Ein geschenktes und angereichtes Buch kommentierte er mit "Ich nehme dein Buch, ich habe dein Buch gelesen, danke!" und legte es ab.
Wundervoll die Vorstellung der Band. Am Anfang noch durchaus normal – "On the bass Solomon Walker, on the drums Matt Walker", wurde es ihm irgendwann lästig – "Lalalahh Jesse Tobias, lalalalalaaahh Kristopher Pooley." – "And I am a very small detail."
Meine Lieblingsszene – aber auch eine, die beängstigte – war eine klitzekleine bei One day goodbye will be farewell. Bei einem der letzten Goodbyes winkte er zum Abschied ins Publikum. Aber ich bin wohl paranoid…
Setlist:
01. This charming man
02. Irish blood, English heart
03. Black cloud
04. How soon is now
05. All you need is me
06. How can anybody possibly know how I feel?
07. Ask
08. I’m throwing my arms around Paris
09. Girlfriend in a coma
10. When last I spoke to Carol
11. Seasick, yet still docked
12. Why don’t you find out for yourself
13. I keep mine hidden
14. Something is squeezing my skull
15. One day goodbye will be farewell
16. Sorry doesn’t help
17. Some girls are bigger than others
18. The loop
19. I’m ok by myself
20. First of the gang to die (Z)
Bericht : Christoph