Es war eine der interessantesten Reinkarnationen der Synthiepop-Szene in den letzten Jahren als sich Boytronic im Sommer 2016 gut 10 Jahre nach dem letzten Studioalbum Dependence mit der neuen Single Time After Midnight und –da der bisherige Sänger Holger derzeit nicht zur Verfügung steht- einem neuen Sänger zurückmeldeten. Der Neue ist James Knights, einigen vielleicht von seinen Arbeiten mit Scarlet Soho und Knight$ bekannt, und passt wie die Faust aufs Auge zum Sound der deutschen Synthiepopper. Überzeugen konnte man sich davon bereits im Frühjahr, als Boytronic im Rahmen des New Waves Day in der Turbinenhalle Oberhausen live spielten (Review). Dort wusste nicht nur der neue Song zu überzeugen, sondern auch die alten Klassiker wie Luna Square oder natürlich You klangen genau so, wie sie sein sollten und James merkte man an, dass er die Songs, unabhängig von ihrem Entstehungszeitpunkt, mit ganzer Seele lebt. Es war also eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis auch ein neuer Longplayer anstehen würde und den gibt es nun in Form von Jewel, das auch gleich mit der Vorabsingle eröffnet wird. Der Song klingt modern, verleugnet aber auch den alten Sound der Band nicht und ist durchaus als moderner Richtungsweiser für das neue Album anzusehen. Und mit Mad Love hat man sogar eine kleine Reminiszenz an You eingebaut, besitzt der Song doch eine ähnliche Rhythmik wie der Ur-Hit Boytronics. Überhaupt wirkt es, als habe man den für die Band so charakteristischen Sound versucht ins neue Jahrtausend zu transferieren, zu modernisieren, aber ihn nicht untergehen zu lassen. Stattdessen gibt es weiterhin tolle Synthiebeats, die zum Tanzen einladen und bei einem Ohrwurm wie My Baby’s Lost Her Way ertappt man sich, wie man inbrünstig mitsingen möchte. Doch auch die dunkle, melancholische Seite wird hier bedient und so ist der Titeltrack eine düstere Ballade, die auch gesanglich an die ruhigeren, flehenden Stücke Depeche Modes aus der Feder von Martin Gore erinnert.
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Es bleibt etwas düsterer und das steht Boytronic auch mit neuem Sänger sehr gut zu Gesicht, denn Dark Passion ist mit seinem Fade To Grey ähnlichen Flair ein echter Kandidat für die schwarzen Tanzflächen der Republik. Auch Free To Love schlägt danach wieder eine klangliche Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, vermag James es doch bestens, den gesanglichen Spirit alter Tracks bis ins Heute hinein zu bewahren und den Hörer mitzureißen; ein interessantes Break im Song sorgt zudem für zusätzliche Spannung. Big Hands For The Dreamers lässt uns danach weiter tänzeln und beim Refrain stimmen wir alle mit ein und lassen uns vom Achtziger Jahre Feeling verzaubern, welches kurzzeitig sogar durch Futurepop-Elemente verziert wird. Zeit die Tanzschuhe noch einmal etwas fester zu schnüren, denn der Titel des nächsten Tracks ist dank Shuffle Beat und Computerstimme Programm: Disco City. Und Computersound steht auch stellvertretend für den krönenden Abschluss des Albums, denn hier bekommt U2s New Year’s Day einen kompletten Synthieanzug übergestülpt, der dem Track recht gut steht, zumal James’ Stimme der Bonos hier durchaus ähnelt und nicht als Fremdkörper wahrgenommen wird. Eine schöne Version des Klassikers, auch wenn sie als Teil von Jewel nicht notwendig gewesen wäre, denn die eigenen Songs sprechen durchaus für sich und machen Jewel zu einem gelungenen Comeback-Album. Hoffentlich kommen Boytronic gemeinsam mit dem sympathischen Fronter dann auch bald wieder live zurück nach Deutschland.
Tracklist BOYTRONIC – Jewel:
01. Time After Midnight
02. The Universe
03. Mad Love
04. Share
05. My Baby Lost Its Way
06. Jewel
07. Dark Passion
08. Free To Love
09. Big Hands For The Dreamers
10. Disco City
11. New Year‘s Day (U2 Cover)
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