Wie lange haben wir darauf gewartet? Auch wenn die letzte IAMX-Tour „erst“ eineinhalb Jahre her ist und emotional gesehen auch sehr nachhaltig war, ist der Hunger auf eine Live-Begegnung mit dem Ausnahmekünstler Chris Corner bei seiner treuen Fangemeinde gerade in diesem Jahr riesengroß. Nach der erfolgreichen Pledge-Kampagne und der Veröffentlichung des neuen Albums The Unified Field, das uns wohlige Schauer über die Haut jagt, ist dies aber auch nicht verwunderlich. Der Konzerttermin am 29. März im Apeldoorner Gigant wird daher nicht nur von Landsleuten, sondern auch von einigen Deutschen wahrgenommen. Immerhin ist die erste Jahreshälfte der Tour mit nur einem Zwischenstopp in Corners Wahlheimat Berlin für seine eingefleischte deutsche Fanbase auch etwas mager ausgestattet. Und das, wo doch IAMX-Fans von ihrem Chris nie genug bekommen können…
Bevor sich der umworbene Herr Corner mit seiner begnadeten Live-Band uns jedoch an diesem Abend zeigt, wärmen wir uns mit einem äußerst sympathischen, jungen Schweden auf. Moto Boy braucht nicht viel, um auf der Bühne seine Wirkung zu versprühen. Er selbst und seine E-Gitarre reichen aus, um das Apeldoorner Publikum für sich zu gewinnen. Und wer kann so einem Sunnyboy, der lässig und verstohlen aus den Tiefen seiner Kapuzenjacke strahlt, schon widerstehen? Sein blondes Haar trägt er einseitig tief ins Gesicht und ist sich seiner Wirkung auf die Menge wohl voll und ganz bewusst. Musikalisch bekommen wir eine betörende Singer-Songwriter-Show geboten, bei der Alleinunterhalter Oskar Humlebo sowohl die lauten und leisen als auch die hohen und tieferen Töne perfekt beherrscht. „I’m here to make you horny, so IAMX can make you cum…“. So ein Schelm! Wir sind hin und weg und genießen alles, was der Schönling von sich gibt, egal ob es ein If only your bed could cry, seine erste Single Blue Motorbike oder ein fast schon gehauchtes Ave Maria ist. Eine schöne Einstimmung in das, was heute Abend noch alles passieren mag!
Setlist Moto Boy:
01. The heart is a rebel
02. Keep your darkness secret
03. If only your bed could cry
04. Beat Heart
05. Blue Motorbike
06. Ave Maria
In der nicht enden wollenden Pause wird es dann schon langsam sehr kuschelig vor der Bühne. Geschminkte Fans verteidigen ihre Plätze in der ersten Reihe und animieren bereits jetzt mehr und mehr auch andere Fans, bei der Show ordentlich abzugehen. Dass das gemeinsame Ausflippen bei IAMX logischerweise ohnehin auf der Tagesordnung steht, ist Ehrensache. Und damit wird auch direkt begonnen, als das Licht auf der Bühne erlischt und Chris Corners Schatten hinter einer Leinwand auftaucht. Eine ganze Flasche Wein entleert dieser in ein viel zu kleines Glas und heizt uns damit schon mal ordentlich ein. Als er sich der Menge dann zeigt, kennt diese kein Halten mehr und lässt sich fallen in die unsichtbaren Arme dieser unfassbaren Formation, die bereits mit Animal Impulses beweist, dass sie ihren Status zu Recht verdient. Ist IAMX doch eigentlich ein Soloprojekt von Chris Corner, scheinen sich seine begabten Livemusiker doch perfekt in das verrückte Raster ihres Anführers einzupassen. Als würden sie nie etwas anderes tun gehen sie bereits bei den ersten Tönen zusammen mit Chris, der wie im Video zu I come with knives mit Federn an den Händen und Hut auf dem Kopf geschmückt ist. Ein wunderbares Bild, das sich einem auf der Bühne bietet und sofort dafür sorgt, dass auch die Fans heute Abend ein Teil von IAMX werden. Und genau das ist es, was IAMX ausmacht. Es ist nicht nur der extravagante Charakter Chris Corners, sondern es ist zu großen Teilen auch die Reaktion der Fans, die IAMX zu dem machen, was es ist: ein unbegreifliches Phänomen, das jenseits von räumlichen und zeitlichen Grenzen seine Vollendung wieder und wieder erfährt.
Musikalisch bekommen wir alles geboten, was das Herz begehrt: von Sorrow, The Unified Field, Walk With The Noise oder I Come With Knives vom aktuellen Album über Cold Red Light und Tear Garden, die vor allem live sehr überzeugen, bis hin zu Größen wie Spit It Out, Kiss & Swallow, Music People oder The Alternative. Untermalt werden diese vor allem durch die Eigenwirkung der einzelnen Persönlichkeiten. Denn nicht nur Chris Corner, der besonders aktiv ist, sich wild im Takt bewegt, von Zeit zu Zeit seine Künste am Hand-Piano, Synthis oder Trommeln beweist und uns einfach die Sprache verschlägt, sondern auch das weibliche Aushängeschild Janine Gezang schafft es immer wieder, die Blicke auf sich zu ziehen, wenn sie Mund und Augen weit aufreißt und sich voller Energie in ihrer Schwarz-Weiß-Maskerade bewegt. Auch Neuzugang Sammi Doll weiß sich gut in das eingespielte Team einzufügen. Jeder Song ist an diesem Abend ein Selbstläufer und jeder Ton, jede Regung und alles, was wir von der Bühne in uns aufsaugen können, entfacht ein Feuer, das noch Wochen und Monate nach dem Konzert in uns lodern wird. Es gibt nicht viele Künstler, die auf Nachhaltigkeit setzen und so erfolgreich damit sind, wie es Chris Corner ist… Auch die ausgeklügelte Leinwandshow tut ihr Übriges, um das Erlebte in unsere Köpfe zu zementieren: ein blutiges schlagendes Herz, schmerzverzerrte Gesichter, eine Balletttänzerin aus vergangener Zeit, ein Regen aus Tränen, zwei ausdruckslose Gesichter, die uns anstarren, uns auffressen, an unsere Seele wollen. IAMX schaffen es zweifelsohne, direkt an unser Inneres zu dringen und uns nicht nur ein Lächeln aufs Gesicht, sondern auch aufs Herz zu zaubern. Eine geniale Show, die satt und hungrig zugleich macht!
Setlist IAMX:
01. Animal Impulses
02. Sorrow
03. Kiss + Swallow
04. Kingdom Of Welcome Addiction
05. Spit It Out
06. Tear Garden
07. My Secret Friend
08. Trials
09. The Unified Field
10. Cold Red Light
11. Walk With the Noise
12. Music People
13. The Alternative
14. I Come With Knives (Z)
15. Nightlife (Z)
Bilder des Konzerts befinden sich in unserer Konzertfotos Sektion (Bildkommentare sind durch Anklicken der Sprechblase möglich) oder direkt durch Anklicken der Fotos
Autorin: Tanja Pannwitz
Fotos: Michael Gamon