Ein kurzes Plädoyer und einige sachdienliche Beweise, warum Archive wahrscheinlich die beste Band der Welt sind:
Archive verbindet elektronische Elemente mit „richtigen“ Instrumenten. Wurde Archive Anfang der Neunziger noch in die Schublade mit dem dicken Aufkleber Trip-Hop gesteckt, es war ja auch die große Zeit von Portishead, Tricky, den Sneaker Pimps und Massive Attack, so wurde im Laufe der Jahre doch deutlich, dass die Schublade nicht mal ansatzweise passte. Beziehungsweise war die Schublade einfach zu eng, zu klein, für das, was die beiden kreativen Köpfe Darius Keeler und Danny Griffiths schaffen wollten.
Archive lebt und hat in Form von Darius gar ein pumpendes Herz, wie er an seinen Keyboards steht und seine Mitstreiter immer wieder anfeuert, dirigiert, eine Faust in der Luft, eine Hand an den Tasten, ein wildes Herz am linken Bühnenrand. Zum Ausgleich sitzt auf der rechten Seite Danny Griffiths, ruhig an seinem Keyboard, das Yin zu Darius´ Yang. Angetrieben wird Archive von Smiley, lächelnd, essend, lachend, scherzend an seinem Schlagzeug. Zusammen mit Steve Davis am Bass bildet er ein sehr festes, dabei ausgesprochen präzises Fundament, auf dem der Rest der Band sich austoben kann. Ein weiterer Held aus der zweiten Reihe, und der dritte Musiker im Schatten, ist Steve Harris an der Gitarre. Stand er auf der letzten Tour noch öfter im Vordergrund, beschränkte er sich diesmal auf einen Platz im hinteren Bereich der Bühne.
Das Gesicht, die Stimme, das Interface von Archive sind, auf dieser Tour, Holly Martin, seit 2012 als Sängerin dabei, Dave Pen und Pollard Berrier. Auch hier liegt die Kraft von Archive in der Möglichkeit, die Stimmung und Stimme von Song zu Song zu variieren.
Dave Pen, kraftvoll, beinahe rockig, ihm gehörte der Opener Feel it vom neuen Album. Er bewegt sich immer so über die Bühne, als wüsste er nicht wohin mit seinen langen Armen und Beinen. Immer in Bewegung, fast etwas spinnenartig lehnt er über seinem Mikrofon, bearbeitet die Trommeln oder greift auch mal zur Gitarre. Pollard Berrier ist hier der ruhige Pol, weniger rockig, aber nicht weniger intensiv, die Augen geschlossen; sein erster großer Auftritt ist das fantastische Dangervisit. Pollard bleibt fast den ganzen Abend über auf der Bühne, wenn er nicht singt, dann spielt er die Gitarre. Und wie Dave Pen ist auch Pollard ein exzellenter Musiker, der sich das Instrument nicht aus Eitelkeit oder als Requisit umhängt, sondern tatsächlich darauf spielt.
Und dann ist da natürlich Holly Martin, in diesem Jahr die einzige weibliche Stimme bei Archive. Sie wirkt immer etwas verloren. Wie ein Kind, das eigentlich nur singen möchte und ganz überrascht ist, woher die ganzen Leute im Publikum kommen und dass diese Leute sie hören wollen. Ihr erster Song ist Kid Corner, ebenfalls vom neuen Album Restriction, direkt gefolgt von You make me feel, bei dem dieses Mal Pollard (statt Maria Q, die in diesem Jahr nicht dabei ist) die zweite Stimme übernimmt.
So bekommt jeder der Sänger seinen Raum, den er füllen kann. All das führt dazu, dass ein Konzert von Archive nur selten langweilig wird. Stimmungen wechseln sich noch viel mehr ab, als dies bei anderen Bands der Fall ist.
Und dann sind da die Songs, die trotz ihrer Komplexität live gespielt werden wollen. An die Stelle von Soli treten bei Archive rhythmische Spannungsmomente, die Spannung baut sich schichtweise auf, um sich dann, oft nach einem rhythmischen Break, zu entladen. Ein Effekt der dafür sorgt, dass selbst der hüftsteifste Besucher irgendwann den Drang in sich verspürt, der Musik nachzugeben und sich zu bewegen.
Überhaupt, die Konzerte von Archive werden immer voller, trotz der Tatsache, dass Archive auf dem hauseigenen Label erscheinen, keine Hits in den Charts haben und „Musik zum Mitdenken“ machen… Vielleicht eine subjektive Beobachtung, aber beim letzten Konzert im Kölner E-Werk war es möglich, locker vor der Bühne zu stehen und sich die Band anzuschauen. Dieses Mal war es dann doch schon um einiges enger vor der Bühne, insgesamt eine sehr erfreuliche Entwicklung, bedeutet es doch nichts weniger, als dass Qualität sich durchsetzen kann. Besondere Höhepunkte waren unter anderem der tolle Doppelpack von With us until we´re dead, bestehend aus Conflict und Violently, das perfekte Paar, direkt gefolgt vom sagenhaften End of our days…
Es gab leider nur eine Zugabe, aber die hatte es in sich. Eine schier endlose Version von Lights, hypnotisch, magisch, kraftvoll. Das gesamte Konzert dauerte an diesem Abend fast zwei Stunden, dazu kann noch der Vorfilm, ein langer, ein spannender, ein toller Abend im Kölner E-Werk.
Am Ende stand der Dank von der Bühne, der Applaus des zufriedenen Publikums und die Erkenntnis, dass ich wieder mal mehrere Konzerte hätte besuchen wollen… Dann halt im nächsten Jahr, auf der nächsten Tour,
Setlist ARCHIVE:
01. Feel It
02. Kid Corner
03. You Make Me Feel
04. Dangervisit
05. Black And Blue
06. Sleep
07. Blood in Numbers
08. Bullets
09. Ruination
10. Crushed
11. Conflict
12. Violently
13. End of Our Days
14. Third Quarter Storm
15. Ride in Squares
16. Bridge Scene
17. Ladders
18. Numb
19. Lights (Z)
Bilder des Konzerts befinden sich in unserer Konzertfotos-Sektion (Bildkommentare sind durch Anklicken der Sprechblase möglich) oder direkt durch Anklicken der Fotos bzw. Galerieverweise.
Fotos: Michael Gamon
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