AMPHI FESTIVAL 2025: Samstag – Köln, Tanzbrunnen (19.07.2025)

Fotos: AMPHI FESTIVAL 2025 – Bands Samstag (19.07.2025 ab 16:00 Uhr) Fotos: AMPHI FESTIVAL 2025 – Bands Samstag (19.07.2025 ab 16:00 Uhr)
Rein, © Peter Bernsmann
Lesedauer: 6 Minuten

Amphi Nummer 19 – diesmal ein Wochenende früher als gewohnt. Doch auch sieben Tage später wäre Ronan Harris sicher noch nicht fit gewesen. Ein dicker Wermutstropfen für viele der knapp 12.500 Fans beim Kölner Goth-Festival war die recht kurzfristige Absage des Iren aus gesundheitlichen Gründen. Eine fiese Infektion mit „Symptomen, die ich niemandem wünsche“ (Zitat Harris) zwang ihn ins Krankenhaus. Gute Besserung weiterhin an dieser Stelle! VNV Nation dürften 2026 auf die große Bühne am Tanzbrunnen zurückkehren, nun standen die Veranstalter vor dem großen Problem, zwei Tage vor Festivalbeginn irgendwie noch einen würdigen Headliner aus dem Hut zu zaubern. Wie gut, dass es Project Pitchfork gibt. Peter Spilles & Co. waren bereits am Freitag für das Call the Ship to Port-Event auf der MSRheinMagie zugegen und verlängerten ihren Aufenthalt kurzerhand um einen Tag – mit dem Versprechen, zwei völlig verschiedene Sets zu spielen. Spoiler: Sie hielten Wort.

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Doch zunächst standen noch ganz viele andere Acts auf dem Programm. Für den Schreiber dieser Zeilen begann der Samstag mit einem Ärgernis. „Sehr geehrte Fahrgäste, jemand hat im ICE vor uns die Notentriegelung gezogen, die Strecke nach Köln Messe/Deutz ist aktuell gesperrt …“ – sorry, Vlad In Tears, aber so konnte ich es daher nicht mehr rechtzeitig zu eurem Opener-Auftritt schaffen. Mark Benecke aus dem Amphi-Moderatorenteam flog allerdings nach einigen Angaben „die Tofuscheibe vom Vollkornbrot„. War also wohl ganz gut. 😉

Als Zweites stand der Auftritt von Hell Boulevard an. Matteo „vDiva“ Fabbiani stach wie immer optisch aus der breiten Masse heraus – die Wenigsten treten in der Schwarze Szene mit Basketball-Trikot auf die Bühne. Coolness-Punkte gibt’s für den 90er-Jahre-Chicago-Bulls-Lappen von Dennis Rodman aber allemal! Musikalisch lieferten die Dark-Rocker um den italienischen Frontmann genau das, was man seit dem Debüt „Inferno“ 2016 gewohnt ist. Schmissige Riffs, eingängige Refrains, hier und da ein wenig Pathos. Auffällig: Fünf Stücke vom aktuellen Werk „Requiem“ sowie vier bewährte Hits von „In Black We Trust“ wurden dargeboten. Auf ihre anderen beiden Alben „Inferno“ und „Not Sorry“ gaben Hell Boulevard also „zero fucks“ … ok, der musste jetzt sein, ist der gleichnamige Hit doch immer ein Garant für Top-Stimmung, wie auch das abschließende „In Black We Trust“ – eine Szene-Hymne der angenehm unpeinlichen Art.

Es folgte die Eisfabrik mit gewohnt aufwendiger Bühnendeko und Future-Pop-Hits, die vielleicht so manchen VNV-Fan-Schmerz lindern konnten. Zu „White Storm“ gab es den ersten großen „Kölner Scheibenwischer“ des Wochenendes (siehe Social Media der Band) und generell war die Stimmung bei der eiskalten Konzeptband wirklich gut – trotz stetig steigender Temperatur, die kurz darauf auch die magische 30-Grad-Marke knacken sollte. Zur kurzen Hitzeflucht eignet sich im Regelfall ein Ausflug auf die Orbit Stage, das für gewöhnlich gut klimatisierte Schiff MSRheinmagie. Leider sorgten ausbleibende Regenfälle in den Wochen vor dem Festival für Niedrigwasser, was bedeutete: Der Kahn konnte nicht an der Seite des Tanzbrunnens anlegen, sondern musste auf die andere Rheinseite verlegt werden. Denn nur dort gibt es bei tiefem Pegel (dieser lag am Samstag gerade mal bei 1,63 Meter, zum Vergleich: der Normalwasserstand liegt bei 3,21 Meter) die Voraussetzungen, alle Fans über die Rampe sicher ein- und aussteigen zu lassen. So ging es entweder zwei Kilometer zu Fuß oder knappe 20 Minuten mit dem Shuttlebus durchs von unfassbar vielen Baustellen und knapp geschalteten Ampeln geplagte Kölner Zentrum.

Bei unserer Stichprobe konnte die Organisation absolut überzeugen. Lediglich vier Minuten Wartezeit auf den Bus am Tanzbrunnen, und nicht einmal zwei Minuten Wartezeit auf der Rückreise – das ging erfreulich fix! Und der Weg lohnte sich. Ductape konnten in diesem Kalenderjahr bereits als Support von IAMX und She Past Away überzeugen, füllten den Bereich vor der Bühne im Innendeck sicher auch deswegen. Bände sprach die Anmoderation von Oliver Klein, der sich über „frisches Blut und Nachwuchs“ freute und im Zuge dessen erwähnte, „sonst immer so oft Bands anzusagen, die schon 30 oder mehr Jahre auf dem Buckel haben.“ Ja, das ist wahrlich ein Szene-Problem. Doch gerade im klassischen Dark-Wave-/Batcave-Bereich kommt mittlerweile einiges nach, darunter eben auch Çağla und Furkan Güleray aus Ankara. Ihr drittes Album „Echo Drama“ von 2024 ist gespickt mit Hits, die auch durch die Bank weg gespielt wurden. „Closer“, „The Unknown“, „Anafor“, „Veil of Lies“ und am Ende „Red Scar“ – alle drin. Die treibenden Beats, die schnittig-verhallten Gitarren, die mitreißende Performance von Çağla, die trotz allem Schwermut in Sound und Lyrics kräftigen Bewegungsdrang verspürte – wahrlich mitreißend. Zudem brachten Ductape das definitiv witzigste Shirt des gesamten Festivals mit sich: In Anlehnung an die Ähnlichkeit des Bandnamens mit einer legendären Zeichentrickserie gab es ein Tee mit beiden Bandmitgliedern in Comic-Optik mit Entenschnabel. Kein Wunder, dass die Teile ruckzuck in mehreren Größen ausverkauft waren. Was übrigens auch für die allgemeinen Festival-Shirts galt. Insbesondere das Katzen-Motiv erfreute sich wie schon im Vorjahr großer Beliebtheit.

Jung, dynamisch und mit weiblichen Vocals ging es weiter, im Theater. Joanna Reinikainen, kurz Rein, gab ihr Amphi-Debüt. Wer in der jüngeren Vergangenheit schon mal auf dem WGT, E-Only oder dem Out Of Line Weekender zugegen war oder einige der letzten Front-242-Konzerte verfolgte, konnte sich bereits von der Energie der Schwedin überzeugen. Das gelang wahrlich auch am Tanzbrunnen. Los ging es mit einigen Stücke der Debüt-LP „Reincarnated“, die überwiegend im Oldschool-EBM-Genre zu verordnen sind. Passend dazu stand Joanna zunächst im Douglas-McCarthy-Gedächtnis-Outfit (schwarzes Sakko plus Sonnenbrille) auf der Bühne. Zumindest das Sakko sollte irgendwann aber in die Ecke fliegen, weil es im Theater immer heißer wurde. Woran die treibenden Beats, Basslines und variablen Vocals einen gehörigen Anteil hatten. Dass Reins Musik nicht nur im Alte-Schule-Stampf zuhause ist, bewiesen Pop-lastigere Songs wie „How It’s Gonna Be“ oder „Refuse The Pressure“ von der aktuellen Platte „God Is A Woman“. Kurz vor dem Ende versprach sie eine bald erscheinende Remix-EP, von der es bereits erste, sehr technoide Klänge zu hören gab. Spätestens zum pumpenden „C.A.P.I.T.A.L.I.S.M.“ gab es kein Halten mehr, lauter Jubel erfüllte den Raum und die Stockholmerin ließ sich gar zu dem Kommentar „the best crowd I ever had“ hinreißen. Auch in den Kommentaren zum Festival auf Facebook fiel der Name Rein des Öfteren in Kombination mit dem Begriff „Neuentdeckung des Wochenendes“. Klare Sache: Das war einer der besten Auftritte des diesjährigen Festivals!

Für die allermeisten Anwesenden ging es dann in Richtung Hauptbühne, wo das exakte Gegenteil von „jung und weiblich“ wartete. Dynamisch sind Die Krupps und vor allem ihr Frontmann Jürgen Engler aber allemal noch. Nur sehr wenige Recken aus den frühen Jahren der Punk-, Wave- und ersten EBM-Bewegung der späten 70er und frühen 80er sind noch so fit wie der Wahl-Texaner. Im August startet die Kultband eine umfangreiche Europatour mit zahlreichen Deutschland-Terminen, bei der auch neue Songs präsentiert werden sollten. Beim Amphi gab es allerdings nur Altbewährtes und Funktionales. Ein Garant für Spaß sind „Schmutzfabrik“, „Der Amboss“, „Crossfire“, „Metal Machine Music“ oder das Douglas McCarthy gewidmete „Machineries Of Joy“ aber immer – kurzweiliger Festivalspaß garantiert! Nur die Gitarre, gespielt von Ex-Sisters-of-Mercy-Mitglied Dylan Smith, war auffallend in den Hintergrund gemischt. Das darf auf der Tour gerne wieder mehr knallen …

Im Vergleich zu dem, was sich klanglich im Theater abspielte, war der zu leise Krupps-Sechssaiter allerdings ein Luxusproblem. Ashbury Heights waren 15 Jahre nicht mehr auf dem Amphi, haben zahlreiche tolle Hits zwischen Synthpop und Synthrock, waren sichtlich motiviert und bekamen vermutlich nicht wirklich mit, dass ihr Auftritt gerade zu Beginn völlig unzureichend abgemischt war, mit viel zu lauten Vocals und ordentlich Instrumental-Matschbrei. Im Verlauf des Auftritts wurde es zum Glück besser und so gingen „Wild Eyes“, „Smaller“ und „Anti-Ordinary“ gegen Ende dann richtig gut rein. Viel Energie, viel Wucht und ein Dankeschön von Sängerin Yasmine Uhlin („Thanks for keeping up with the heat„) in der mittlerweile arg stickigen Venue ließen die allermeisten Fans dann doch versöhnt das Theater verlassen. So sie nicht den ungleich ruhigeren Klängen von Rome lauschen wollten.

Für uns ging es zunächst wieder nach draußen. Camouflage meldeten sich im vergangenen Jahr nach langer Pause mit einer Best-of-3CD und einer bärenstarken Hallentour zurück, 2025 standen und stehen einige Festivals an (z.B. WGT und NCN). Das Motto hier: Hits, Hits, Hits. Quasi jede halbwegs erfolgreiche Single aus fast vier Dekaden stand auf der Setlist, von „The Great Commandment“, „Neighbours“ oder „That Smiling Face“ vom 1988er-Debüt „Voices & Images“ über das Mitt-90er-Stück „Suspicious Love“, das atmosphärisch-hymnische „Me & You“ von 2003 bis hin zum noch vergleichsweise frischen „Shine“. Zu letzterem Stück erinnerte Sänger Marcus Meyn daran, wie Camouflage bei ihrem letzten Amphi-Gastspiel 2014 den prägnanten „Ohohohoho“-Chor aufnahmen, der es dann sogar auf die finale Studio-Version schaffte. Ein stimmiger Auftritt einer routinierten Band mit einem sehr agilen Frontmann und Melodien, die um die Welt gingen. Auch eine kurze Pause wegen technischer Probleme tat der Stimmung keinen Abbruch. Für den Wohlfühl-Moment schlechthin sorgte selbstverständlich „Love is a Shield“ zum Schluss, zehn Jahre nach Release der aktuellen LP „Greyscale“ würde man sich langsam aber mal über neues Material der Bietigheimer freuen.

Für den Headliner-Slot stand die Rückkehr in die Saun… äääh ins Theater an. Skynd, das rätselhafte australische „True Crime trifft Industrial Rock und Avantgarde-Pop“-Projekt, absolvierte nach der triumphalen Performance beim WGT die zweite von drei Deutschland-Shows in diesem Sommer (Wacken steht noch aus). Erneut brillierte die Sängerin, deren Identität geheim ist, mit ihrer stimmlichen Variabilität, erneut polterten die Instrumentals mit viel Wumms, erneut reagierte das Publikum euphorisch. Ein dicker Kritikpunkt muss aber angeführt werden: Wenn ein Headliner-Slot für 70 Minuten angesagt ist, sollte die Performance nicht nur 50 Minuten dauern. Auf der gedruckten Setlist standen lediglich zehn Songs, von „Richard Ramirez“ über „Columbine“ und „Armin Meiwes“ bis „Edmund Kemper“. Dass nach dem um zehn Minuten verspäteten Beginn aber schon nach „Tyler Hadley“ gegen 21.40 Uhr das Licht anging, enttäuschte und verblüffte, bei aller Qualität der Performance.

So blieb sogar noch etwas Zeit für Eindrücke vom Hauptbühnen-Headliner und eine nasse Abkühlung. Draußen regnete es kräftig, passend dazu sang Peter Spilles auf der Mainstage „Rain keeps falling down, down„. Womit wir den Bogen zum eingangs erwähnten Setlist-Versprechen spannen können: Der Riesen-Clubhit „Rain“ war tatsächlich der einzige Song, den Project Pitchfork an beiden Abenden spielten. Chapeau dafür – die genauen Titellisten findet ihr hier. Ein Fest für treue Fans der Hamburger Dark-Wave-Institution, die da war, als man sie brauchte.

Natürlich hielt Tag 1 des 19. Amphi Festivals noch weitere Geschichten parat: Die von Letzte Instanz, die auf ihrer Abschiedstour ein letztes Mal in Köln spielten, insgesamt zum siebten Mal dabei waren. Die von Bloody Dead And Sexy, die ihren im Vorjahr aus unglücklichsten Gründen in letzter Sekunde abgesagten Auftritt nachholen konnten. Die von Xandria, die mit ihrem Symphonic Metal einen deutlichen akustischen Farbtupfer setzen. Und noch viele andere, man kann sich nur eben nicht temporär dreiteilen. Schade. Aber es sollte ja noch einen zweiten Tag geben …

 

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