MINUIT MACHINE im Interview: “Die totale Freiheit ist aufregend, aber stressig” (English Version below!)

MINUIT MACHINE im Interview: "Die totale Freiheit ist aufregend, aber stressig" (English Version below!)
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Ein Dutzend Jahre ist es nun her, dass Amandine Stioui und Hélène de Thoury Minuit Machine gründeten. Mit dunklem Electro zwischen sphärischen und höchst tanzbaren Sounds verzückte das Duo aus Frankreich im Laufe der Jahre immer mehr Fans. Und dies nicht nur in der Gothic-Szene, auch Auftritte und DJ-Sets in Techno-Clubs sind längst keine Rarität mehr. Die Corona-Pandemie brachte allerdings eine einschneidende Änderung mit sich. Hélène entwickelte nach einer Infektion einen starken Tinnitus und vollständige Taubheit im linken Ohr. An eine weitere Musikkarriere war nach der Veröffentlichung des Albums “24” im Jahr 2022 nicht mehr zu denken. So führt Amandine Minuit Machine nun als Soloprojekt weiter. Im März erschien die LP “Queendom” mit zahlreichen potenziellen Clubhits. Zur neuen Musik und ihrer frischen Rolle als Solo-Artist stellten wir ihr einige Fragen.

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

1) Bonjour Amandine! Zum Einstieg: Wenn du die Königin in einem “Queendom” wärst, welche drei Gesetze würdest du im Vergleich zu der Welt, in der wir nun leben, ändern?

Bonjour! Schwierige Frage, es gibt so viel zu ändern. 1. Ich würde das Geld gleichermaßen zwischen jedem einzelnen Individuum verteilen, damit niemand mehr Macht über irgendwen hat. 2. Wenn das erledigt wäre, würde ich jedem Menschen erlauben, ohne irgendwelchen Rechtfertigungsgrund in irgendeinem Land wohnen zu dürfen. 3. Ich würde extreme Maßnahmen einführen, um die globale Erwärmung zu stoppen … ich meine, die Reichen sind dafür verantwortlich. Wenn die dann nicht mehr reich sind, sind wir ohnehin schon besser dran! Und: Mein “Queendom” wäre sehr queer!

2) Es ist das erste Minuit-Machine-Album ohne Hélène. Worin lag für dich die größte Herausforderung im alleinigen Komponieren und Produzieren?

Ich denke, das Schwierigste war, zu 100 Prozent die DNA von Minuit Machine zu bewahren und dem Ganzen gleichzeitig zu erlauben, dass es zu etwas mutiert, was mich persönlich zu 100 Prozent repräsentiert.

3) Gibt es etwas auf “Queendom”, das du auf früheren Alben nicht hättest veröffentlichen können, weil es dann doch Meinungsverschiedenheiten zwischen dir und Hélène gab?

Wir hatten immer eine großartige Kommunikation untereinander. Meine Einflüsse waren allerdings immer schon mehr Pop, mehr Mainstream. Da Hélène den instrumentalen Part produzierte, war es manchmal schwer, meine Visionen durchzusetzen. Dass ich nun die totale Freiheit habe, ist aufregend, aber auch stressig.

Minuit Machine - Cent fois (Official Visualizer)

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4) Viele Songs auf “Queendom” sind sehr tanzbar. Bei manchen höre ich gar Einflüsse des sogenannten Future Pop-Genres heraus, insbesondere “Cent Fois” und “Créatures”. Waren Bands wie VNV Nation, Covenant oder Solar Fake für dich ein Einfluss?

Tatsächlich habe ich diese Bands nie gehört. Ich bin mir aber sicher, dass sie gute Musik machen 🙂 Meine Einflüsse kommen aus dem Pop wie auch aus der Dark Disco, aber ich höre auch Folk und Post-Punk.

5) Es gibt eine Kollaboration mit Rebeka Warrior auf dem Album, die kürzlich mit Vitalic und dem Projekt Kompromat tourte, mit dir als Support. Ist sie für dich eine Art “Schwester im Geiste”? Und wie kam Euer Kontakt zustande?

Ich traf sie vor einigen Jahren erstmals und sie spielt eine große Rolle in der Entwicklung von Minuit Machine. Wir haben eine starke persönliche und künstlerische Bindung zueinander und es war eine Freude, mit ihr auf “Mes souvenirs” zu kollaborieren. Ich denke, es ist wichtig, Vorbilder zu haben, wenn du im Musikgeschäft bist, um deine Ziele zu erreichen. Und ich bewundere sie, weil sie sehr talentiert ist und dieselben Werte wie ich vertritt.

6) In den vergangenen zwölf Monaten tauchten Eure beide Namen oft in Zusammenhang mit dem Begriff “Rainbow Warriors” auf. Was hat es damit auf sich?

Das ist eine Compilation des Labels Warriorecords. Die Artists darauf sind allesamt queer oder weiblich. 🙂

7) Nicht nur bei Kompromat oder Minuit Machine fällt es auf: Es gibt aktuell aus Frankreich und den Nachbarländern viele weibliche oder zumindest geschlechtergemischte Acts, die Elemente aus Electroclash, Dark Wave, EBM und Artverwandtem kombinieren. Potochkine, Dina Summer oder Rue Oberkampf wären die nächsten Namen, die mir in den Sinn kommen. Es scheint ein Trend zu sein. Hast du dafür eine Erklärung?

Ich glaube, Boy Harsher haben uns das Feld bereitet. Sie haben vielen den Zugang ermöglicht, einen Hype erzeugt. Vielleicht finden Menschen in diesem Genre Emotionen, die sie in der Mainstream-Musik nicht mehr finden. Dark Wave ist ein sehr tiefgründiges, emotionales Genre, das ich in der Welt, in der wir uns befinden, sehr wohltuend finde.

8. Die gerade genannten Bands erhalten auf den Gothic-Szene-Festivals auch immer mehr Bookings, in einer Szene, in der es oft so ist, dass immer nur die gleichen, etablierten, älteren Acts von Jahr zu Jahr hin und her getauscht werden. Wie zufrieden bist du mit der Situation?

Glücklicherweise erhalte ich nicht nur in der Gothic-Szene Bookings. Tatsächlich tendieren viele Veranstalter dazu, die gleichen Bands immer und immer wieder zu buchen, was echt schade ist, weil es so viele tolle Bands in der Szene gibt. Ich werde es nie verstehen, warum es Gewohnheit ist, immer nur auf Nummer sicher zu gehen. Ich finde es langweilig und würde mir wünschen, dass ich auf Goth-Festivals auch mehr neue Bands entdecken könnte.

Minuit Machine - Hold Me (Official Visualizer)

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9) Nach der Corona-Pause hast du international viele Konzerte gespielt. Ich erinnere mich zum Beispiel an deinen Gig beim WGT 2023 im proppevollen Stadtbad vor über 2000 Fans. Welche Erinnerungen stechen für dich heraus?

Ich würde definitiv sagen: Les Vieilles Charrues, ein wundervolles Festival in Frankreich, 2023. Und ich genoss das DevilStone Fest in Litauen besonders, ein sehr toller Ort und ein sehr cooles Publikum.

10) Wer sich Minuit Machine nun live anschaut, was können wir erwarten?

Für mich ist es wichtig, nicht nur die Songs des neuen Albums zu spielen! Ihr könnt euch auf Lieblingslieder wie “Honey” freuen, gemischt mit neuen Sachen. Dazu gibt es eine großartige Szenografie und wesentlich besseren Sound.

11) Einige Lyrics auf “Queendom” wirken auf mich fast schon fatalistisch, sehr emotional und düster. In schwierigen Zeiten wie diesen – was gibt dir Kraft und Hoffnung?

Musik machen gibt mir das Gefühl, in einer gewissen Form Kontrolle zu besitzen. Ich bin dann in meiner kleinen Blase, raus aus dieser verrückten Welt. Ich fühle mich kraftvoll, wenn ich Texte schreibe. Ich stelle mir dabei vor, dass diese Texte anderen Menschen in schweren Zeiten helfen, sich besser zu fühlen. Für mich fühlt es sich so an, dass Kunst einen Weg darstellt, gegen unterdrückende Systeme zu kämpfen. Das ist eine Freiheit, die ich hege und pflege, weil ich nicht weiß, wie lange sie noch andauern wird.

12) Zum Abschluss, weil ganz viele Fans immer wieder danach fragen: Wie geht es Hélène?

Ihr geht es soweit gut. Sie macht jetzt aber etwas ganz anderes …

Weblinks MINUIT MACHINE:

Instagram: www.instagram.com/minuitmachine
Facebook:  www.facebook.com/minuitmachine
Bandcamp: minuitmachine.bandcamp.com/album/queendom

Minuit Machine - Party People (Official Visualizer)

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+++++++++++++++ ENGLISH VERSION ++++++++++++++++

1. Bonjour Amandine! First of all: If you would be the queen of a “queendom” – can you name three things you would change from today’s condition of the world/the place you’re living in?

Bonjour 🙂 Thanks! Tough questions, so many things to change:

1. I would distribute the money equally between every single individual so that nobody has power over nobody.

2. This being done, I would allow everybody to be a citizen of any country without any justification.

3. I would put extreme measures in place to stop global warming (but I mean, rich people are the ones responsible for it, so if they’re not rich anymore, we’re much better already!!).

Also, my QUEENDOM would be SO queer ahah.

2. It’s the first MM album without Hélène – what was the biggest challenge for you in comparison to your previous work?

I guess it was to preserve Minuit Machine’s DNA while allowing it to mutate towards something that resembles me 100% :).

3. Is there anything on “Queendom” that you could not have done before as a duo because of different opinions between each other?

We’ve always have a great communication with Helene about the artistic direction of the project. However, my influences being much more pop / mainstream, and as Helene was the one producing the instrumental part, it was sometimes hard to impose my vision. It’s true that I now have total freedom which is very exciting but also stressful.

4. Lots of the tracks are very danceable – sometimes I even hear some influences of the so-called “future pop” genre, especially on “Cent Fois” and “Creátures” – were acts like VNV Nation, Covenant or Solar Fake an influence for you or is this a complete misinterpretation?

Sorry, I’ve never listened to these bands ahah but I’m sure they make good music :). My influences varies from pop music to dark disco, but I also listen to folk music and post-punk.

5. There’s a collaboration with Rebeka Warrior on the album, you recently played shows with Kompromat. Is she a kind of a “sister in mind” for you or where does that connection and collaboration come from?

I met Rebeka Warrior a few years back and she did play a great role in Minuit Machine’s evolution. We connected both on personal and artistic level and it’s been a pleasure to collaborate with her on Mes Souvenirs. I think it’s important to have role models when you’re in the music business, in order to achieve your goals. And I admire Rebeka Warrior because she’s extremely talented and we share the same values.

6. Over the last twelve months I read a lot about “Rainbow Warriors” but I was not able to fully understand what it exactly is (probably due to my poor French 😉 ): a label, a compilation, a party concept? Can you tell me specifics? But do I got it right that it’s a collective of queer artists?

It’s a compilation released by the label Warriorecords. The artists in this compilation are all queer or women :).

7. It’s not only Kompromat or Minuit Machine: There are quite many young (and mostly female or at least mixed-gender) acts from France and surrounding countries having increasing success with music that combines elements of electroclash, Dark Wave, EBM and similar styles. Potochkine, Dina Summer and Rue Oberkampf are the next names that come to my mind. There seems to be a kind of a “trend” in western mainland Europe …do you have any explanation for that?

I think Boy Harsher prepared the field for this kind of music, making it more accessible and more hype also. Also, maybe people find some emotion in this genre that they cannot find in more mainstream music. Dark Wave is very deep and emotional and I find it very soothing mostly in the world we’re living in.

8. Also acts like the ones I named in the previous question get more and more bookings on the goth-scene festivals where bookers usually tend to bring up the same headliners and bigger names over and over again. Are you satisfied with the amount of bookings you get?

Fortunately, I don’t have bookings only in the goth because indeed, they tend to book the same bands over and over again which is a pity considering the number of great bands in this scene! It’s something I’ll never understand, this habit to play safe and book only “big ” names. Personally, I find it boring and I wish I could discover new bands in goth festivals too :).

MINUIT MACHINE – Violent Rains

9. Over the past years after the horrible covid-break you played lots a great venues. E.g. I remember watching your gig at WGT 2023 in Leipzig at the Stadtbad in front of more than 2000 people. What were your greatest live moments and venues in the last three years?

I would definitely say “Les Vieilles Charrues” which is an awesome French festival, in 2023.

But I also enjoyed playing at DevilStone Fest in Lithuania, the place was amazing and the audience really cool.

10. What can we expect at upcoming live concerts?

It’s important for me to play all of Minuit Machine and not just the new album on stage! You can expect your favorite songs such as Honey, mixed with the new ones and a great scenography with a much improved sound.

11. Some lyrics on “Queendom” feel a kind of fatalistic to me, lots of the verses sound very emotional and quite dark – in challenging times like this with lots of war, climate change and increasing success for racist parties in nearly every country: What are the things in life that still give you power and hope?

Creating music makes me feel like I’m in control somehow. It’s like I’m living in my own bubble outside this crazy world. I feel powerful when I write lyrics too, mostly because I imagine they could help some people to feel better, and to go through tough stuff ; I feel like nowadays, making art is a way to fight against all oppressive systems, it’s a freedom I cherish because I don’t know how it will last.

12. The last thing fans regularly want to know (so I have to ask it as well): How’s Hélène doing?

Hélène is doing fine, she’s doing something completely different now.

 

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