Wenn ein Tree in einem Wald umfällt und niemand ist da, macht er ein Geräusch? Als einer der vielen Bäume im Wald kann ich bestätigen: Ja, er macht sogar gewaltigen Lärm!
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
Oliver Tree ist bekannt dafür, viel Unsinn zu verzapfen und als Fan ist es schwer auseinander zu halten, wo die Lüge aufhört und wo die Wahrheit beginnt. Ganz bewusst verschwimmt vieles mit der Kunstfigur von Oliver Tree Nick, wie er mit vollem Namen heißt. Von daher war es von Seiten des Publikums mehr als gerechtfertigt, die großartige Promotion seiner aktuellen Tour, nach dem gleichnamigen Album Alone In A Crowd, infrage zu stellen. Denn großmäulig hat das alberne Großmaul angekündigt, seine letzte Tour sei eine sieben Jahre in Produktion gewesene, Millionen von Dollar verschluckende Multimedia-Installation, zum Teil Film, zum Teil Theater, zum Teil Konzert, mit Sketchen, live Scooter-Tricks, haufenweise Gästen und so weiter. Nun, wenngleich das auch bestimmt nicht seine letzte Tour war – so wie seine letzten zwei letzten Touren es auch nicht waren – der Rest war tatsächlich komplett korrekt: Dieses Konzert beinhaltete all diese Dinge! Und wir hatten lange nicht mehr so viel Spaß bei einem Live-Konzert.
Eingeleitet wurde der Abend vom Estländer Tommy Cash, der eine Mischung aus Rap und Rave auf die Bühne haut, als wären wir auf einer Elektro-Party in den 90ern. Lediglich unterstützt von einer Videoleinwand, auf der seine Clips liefen, wirkte Tommy zwar sehr allein auf der großen, leeren Bühne, aber er nahm den gesamten Platz mit seinem wuchtigen ost-europäischen Charme dennoch ein. Dies gekleidet in ein Shirt vom Label der Nigerianerin Mowalola Ogunlesi, in Corporate-Rot und mit dem goldenen M der Marke McDonald’s, aber statt des Namens der Fastfoodkette trug das Stück den Schriftzug “MOWALOLA” – ein perfektes Sinnbild für die Money-Cash-Glitter-Vibes, den die coolen Kids armer post-sowjetischer Länder ausstrahlen wollen, trotz gähnender Armut. Und ganz im Kontrast dazu trug der Rapper zudem ein Kostüm, das ihn aussehen ließ, als wenn er einen Schwarzbären reiten würde. Was er musikalisch lieferte, lässt sich ungefähr beschreiben als irgendwas zwischen Die Antwoord und 100 gecs: Viel stumpfer Rap über Bitches und Money, getoppt auf schranzigem Hardstyle-Techno, der bereits ein Vierteljahrhundert alt ist, mit viel modernen Breakdowns und digitalem Wirrwarr, wie wir es heutzutage aus dem Hyperpop-Genre kennen. Zur Performance gehörten mächtig Proll-Attitüde, böse Blicke und eine I-Don’t-Give-A-Fuck-Attitüde. Da holt der Künstler auch mal eine Chipstüte hervor und kaut dem Publikum mächtig einen vor für zwei Songs, oder legt sich mal eben eine Minute hin – ist ihm auch egal. Und weil es so schön keinen Sinn macht, wird das gefolgt von dem Aufruf, einen Moshpit zu bilden und so richtig fett abzugehen. Und das ist auch, was passiert ist, das Publikum ging voll drauf ab. Eins kann ich euch sagen: Wenn die Vorband bereits einen Moshpit wert ist, dann ist der restliche Abend in sicheren Händen!
Weblinks TOMMY CASH
Soundcloud: https://soundcloud.com/iamtommycash
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Nach einer kurzen Atempause ging es dann endlich mit dem Hauptact los. Nun, nicht ganz, aber die folgenden 130 Minuten sind schwer in Worten wiederzugeben, denn es folgte eine lange Narrative an Events mit vielen Twists, Sketchen, Chaos, Quatsch und guter Laune:
Die ersten 20 Minuten durften wir den Gastauftritt des Elektroduos Daft Punk Supercomputer genießen, die ein Mega-Medley auf die Turntables hauten, das bereits mächtig auf die Ohren ging! Die zwei lebenden Windows-95-Computer, einer mit schwarzem, einer mit weißem Bildschirm als Kopf, hauten ordentlich in die Tasten, nachdem das langsame Betriebssystem endlich fertig gebootet hatte und die Treiber erfolgreich installiert wurden – das konnte man von nahem sehr gut sehen, aber auch in groß auf der Leinwand im Hintergrund. Und trotz einiger Crashes und Bluescreens (gekoppelt mit Breakdowns in den Songs) hatte man das Gefühl, Mitte der 2000er in einem französischem Electronic-Konzert zu sein. Trotz der nicht ganz so ernst gemeinten Parodie war dies ein sehr guter Einstieg in die Performance. (Inwiefern Supercomputer Teil von Oliver Tree sind, konnte bis zum Redaktionsschluss nicht geklärt werden.)
Nach dem zweiten, secret Support Act wurde Oliver Tree auf die Bühne geschoben: Auf einer Couch sitzend, mit dem Rücken zum Publikum, hielt er eine große Rede, dass das Konzert heute leider ausfallen müsse, weil er keinen Bock mehr hat. Das zog sich einige Minuten und wurde mit Buhrufen von Seiten des Publikums kommentiert. Darauf hin holte er eine Cartoon-artige, große Fernbedienung heraus und schaltete den Screen ein und schaute mit uns einige Sketche und Fake-TV-Werbung und -Nachrichten – eine wilde Mischung aus alten und neuen Dingen, die er und seine Crew in den letzten 7 Jahren so produziert haben. Keine Musik, kein Konzert, und das Ganze dauerte absurd lange. An einer Stelle war der Schriftzug “Act 1” groß auf dem Bildschirm zu lesen und die Narrative für den Rest des Abends wurde umrahmt. Cornelius Cummings, seine aktuelle Persona in grellem, blau-pinken Anzug und hässlicher, schmaler Sonnenbrille, hält ein Interview in dem er erzählt, wie er sich als Kind den Kopf so stark stieß, dass er begann, mentale Schwierigkeiten zu entwickeln und gelegentlich zu halluzinieren. “Main Character Syndrom” sei die Diagnose, und seit dem hält er sich für einen großen Musiker, der Hallen füllt und geile Live-Auftritte mit einem Millionen-Budget auf die Beine stellt. Und wer denkt, das ist der Übergang zum Konzert, wird enttäuscht, denn im Video-Interview holt Cornelius eine Fernbedienung raus, dreht sich um und schaltet seinen TV im Hintergrund ein, und wir gucken nun über seine Schulter (und über die Schulter des echten Oliver) nun noch ein paar Minuten Sketche.
Und dann, ohne Erklärung oder weitere Einführung, dreht Real-Life-Oliver sich um und das Konzert geht sofort in vollen Gang! Direkt eingestiegen in das Best Of seines neusten Albums jumpt Tree über die Bühne für eine halbe Stunde, gelegentlich unterbrochen von seinem Konterfei auf dem Screen im Hintergrund, und macht uns mächtig Laune.
Act 2: Wieder mal unterbrochen durch eine längere Pause mit Clip-Show und einem Film(?), und einem Überraschungs-Auftritt von Little Ricky ZR3 – dem außerirdischen Freund und Rapper, den Fans schon seit dem ersten Album kennen (ist die Geschichte aus Tree’s Comic eigentlich Canon?). Auch wenn Ricky über sehr terrestrische Themen rappt (Bitches und Money, hauptsächlich) war seine außerweltliche Erscheinung doch schon sehr merkwürdig anzusehen, aber: Fun!
Der zweite Akt hatte als Thema Tree’s zweites Album, Cowboy Tears. Und passend dazu tauchte er in seiner Persona als Shawney Bravo auf, in seinem bekannten blauen Outfit mit dem albernen Cowboyhut und alberner blonden Frisur. Und natürlich flossen Tränen. Cowboy-Tränen. Besonders lustig die Fake-Werbeclips, die zwischen den Songs im Hintergrund liefen: Whiskey ohne Altersfreigabe, der vielleicht oder vielleicht auch nicht Alkohol enthält (kommt drauf an, wer fragt), einfach nur Gurken, oder seine eigene Marke an Energy-Drinks, “Slime” – mit einem Ausschnitt aus Logan Paul’s Podcast, dessen eigene Marke er damit parodiert (an dieser Stelle Shoutout an die Family! Papa Bless! Die Teddy-Fresh-Klamotten in der Crowd sind mir nicht entgangen <3).
Der dritte Akt war demnach logischerweise dem ersten Album gewidmet und Oliver kam in seiner Persona als Turbo (aka OG Oliver) auf die Bühne (Woah Nelly!). Das letzte Drittel war nochmal besonders energiegeladen und gefüllt mit physischen Gags sowie besonders viel Crowd-Handling. Es gab diverse Moshpits, Crowd-Surfing und viele Sprung-Einlagen – bei einer verlor Oliver seine Perücke und spielte einen Song mit Glatze (Foto-Beweis ist beigefügt). An einer Stelle prügelte er sich mit dem Großteil seiner Stagehand-Crew über eine Bürste für seine Glatze. Den Running Gag, ob wir noch einen letzten Song hören wollen, hat er gnadenlos, weit über die Grenze der Lebzeit seiner Lustigkeit, über die letzten sieben Songs gezogen.
Sein größtes Seemannsgarn allerdings kam gegen Ende, als der kalifornische Entertainer gnadenlos behauptete, in Köln geboren worden zu sein, er nannte Krankenhaus und Grundschule und alles, die Receipts waren da! Ach, und natürlich waren seine Eltern anwesend, und natürlich auch seine deutschen Großeltern, und natürlich hatte seine Großmutter ihren 98sten Geburtstag und ob wir ihr nicht ein Ständchen singen würden, weil das könnte ja ihr letzter Geburtstag sein? Okay, wir singen Happy Birthd– “Nein, nein, auf deutsch“, befiehlt Oliver. Also singen wir der nicht anwesenden, fiktiven deutschen Großmutter halt ihr Geburtstagständchen: Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag viel Glück … …nur damit Tree dann direkt Werbung für seinen Auftritt bei Jan Böhmermann’s ZDF Magazin Royale macht, der am selben Abend ausgestrahlt wurde.
Und falls sich ein Fan, der das hier liest, aber nicht anwesend sein konnte, fragt, ob es denn wagemutige Scooter-Tricks gab, dann kann ich das mit Freude bejahen: Als krönenden Abschluss hat der Guinness-Buch-der-Weltrekorde-Halter auch einen halsbrechenden 360° hingelegt. Die Crowd war noch am jubeln, als der siebenminütige Abspann über den Screen lief, der sämtliche Medien, die gezeigt wurden, abdeckte und demnach Jahre an Personal namentlich nennen musste. Ein Großteil dieser Namen war niemand anderes als Oliver Tree. Denn auch wenn in seinem multimedialen Gesamtwerk, welches von Videos und Dokumentationen über Klamotten und Comics bis hin zu anderen Bands und Collabs, Comedy und Podcasts reicht, es viele Menschen braucht, um das alles zu stemmen: Ein kreativer Kopf spinnt den Garn zusammen, und das ist Multitalent und Künstler Oliver Tree. Und das ist der Grund, warum all das Chaos dann letztlich doch wie aus einem Faden gewoben scheint, in dem alles stimmt und seinen Platz hat. Ein Riesenspaß, den ich dringend weiterempfehlen kann!
Weblinks OLIVER TREE
Homepage: https://www.olivertreemusic.com/
YouTube: https://www.youtube.com/@OliverTree
Facebook: https://www.facebook.com/OliverTreemusic/
Instagram: https://www.instagram.com/olivertree/