Mehr als sechs Jahre ist es jetzt her, dass Aeleth Kaven und Dae Widow ihr Debut Cabaret als self-release veröffentlicht haben. Seither können die beiden Banshees aus dem Ruhrgebiet auf eine beachtenswerte Diskografie zurückschauen: 2017 legten sie mit Freakshow ihren ersten Longplayer vor, 2019 folgte mit The Third Eye das zweite Album. Mit Album Nummer eins fanden La Scaltra ihr zu Hause bei Solar Lodge Records, jenem Label, dem man in Sachen hochwertigen, innovativ, wie authentischen Goth-Rock hierzulande wenig vormachen kann.
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Eine beiderseitig gut getroffene Wahl, wie sich sehr schnell herausstellte. Denn die beiden düsteren Damen bestachen nicht nur durch ihre nebelgleichen, zweistimmigen Gesangs-Gespinste, sondern auch durch ihren bisweilen schmissigen Retrosound: Reminiszenzen an den schwarzen Dancefloor, schwarze Spitze, ganz viel Kajal, Spinnenweben, Kippen und Flaschenbier. Viel ist bereits in dieser kurzen Zeit passiert und man konnte die Entwicklung der Band von Veröffentlichung zu Veröffentlichung, Konzert zu Konzert mit ihrer mystisch-mysteriösen Freude an der Kreativität sichtlich und hörbar mitfühlen.
Mit Mater legen die Witches nun ihr drittes Studio-Album vor. Zu behaupten, dass Entwicklungen allgemein einer gewissen Kontinuität folgen, ist überholt. Falls das jemals zutreffend war, widerlegt Mater diese ohnehin wackelige These. La Scaltra haben im Vergleich zu ihren Vorgängeralben mit ihrem neuen Werk einen gewaltigen Sprung nach vorn absolviert. Zunächst drehte man noch einmal an der Besetzungsschraube: Nach Jay Sharpe an der Gitarre kam 2021 Mike York am Bass dazu, wodurch sich Aeleth Kaven nun komplett auf Songwriting und Gesang konzentrieren kann. Weiterhin konnte sich die Band durch die beiden Gastauftritte von Konstantin Michaely (Wisborg) im Song Azazel und Ashen (Ashfall) im Song The Green Light noch mehr Variation sichern. Auch musikalisch werden auf Mater neue Wege beschritten und Sphären erkundet, ohne dass man jedoch auf den bekannten Dark-Wave- und Gothic-Sound verzichten müsste, der hier und da in den Stücken mal mehr, mal weniger hervorblitzt.
“O Mater
Sola monumentum
O Mater
Quare sum vola
We know we will burn and we will drown
The blackend cloak of grief is put on” (Mater)
So meint man sich im Intro und im Titelstück atmosphärisch im Dunkel eines undurchdringlichen Waldes wiederzufinden. Heimlich und still beobachtend, wohnen wir ungläubig und fasziniert zugleich auf einer rot erleuchteten Lichtung einem Hexen-Sabbath bei. Beschwörungsformeln werden gemurmelt und ein Klagelied für die Mutter Erde wird angestimmt. Der Gesang der Vögel verstummt unter Trommeln und einem unheilvollen Dröhnen. Mater folgt nahtlos als doomiger Dark-Rock Song, der trotz der dominanten, schweren Gitarrenspur komplett getragen und bestimmt wird vom Stimmenspiel der beiden Banshees. Zart wie ein leichter Wind und abgründig wie ein grollendes Echo.
Beinahe kommen hier Erinnerungen an das britische Musikprojekt Shakespeare Sisters hoch, die ihre größeren Erfolge am Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger verzeichnen konnten. Beinahe, denn die konnten nicht so schön kreischen und screamen wie Kaven. Eine weitere Neuerung auf Mater, mit der zwar noch etwas zaghaft umgegangen wurde, die aber vor allem diesem Song die notwendige Spur düsterer Verzweiflung beimischt.
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Abgesehen davon beschreibt diese Assoziation schon ziemlich genau eine tragende Säule des Albums. Denn Aeleth Kaven hat sich beim Songwriting vom Gefühl und der Attitüde einiger Vertreter der 90er Düster-Rock Epoche beeinflussen lassen, wie man beispielsweise an Songs wie The Green Light sehen und hören kann. Glühend vor Verehrung vor einem der Hauptprotagonisten dieser Zeit (selbstverständlich Pete Steele, Typ O Negative), schleppt sich das sieben Minuten lange Stück mit vollem satten Sound, langsam und genüsslich angefüllt mit dunkler Erotik einem unheilvollem Ende entgegen.
In eine fast schon gegensätzliche Richtung führt uns Dancing On Debris. Als wollten die Witches die Uhren zurückdrehen, finden wir uns auf dem Dancefloor wieder. Als wollten die Witches mit etwas Spott auf Vergangenes schauen, lassen sie uns auf Trümmern tanzen.
“And I wander in the desert
to dry out my sins” (Azazel)
Auch thematisch führen La Scaltra auf Mater einige Neuerungen ein. Es wird ernster, spiritueller, geheimnisvoller und mystischer. Wir begegnen unterschiedlichen Gottheiten, biblischen Figuren, die je nach mystischer Tradition eine dämonische oder spirituell den Geist erweiternde Lesart enthalten können. Neben Vassago, Delilah und Bacchus begegnen wir Azazel. Wir werden Teil eines Mantras, einem Song, der Trance, Meditation und Öffnung zugleich zu sein scheint, wenn man sich einlassen möchte. Wenn nicht, ist Azazel mit seinem langsam anschwellendem, fern an nahöstliche Klänge erinnerndem Riff und dem komplementär zweistimmigen, drängenden Gesang dann trotzdem noch einer der stärksten Songs auf Mater.
Man könnte es vorsichtig einmal so zusammenfassen: In der musikalischen Entwicklungsgeschichte von La Scaltra markiert Mater einen kreativen Wendepunkt ohne Abkehr und einen musikalischen Entwicklungssprung ohne Amnesie. Mater verbindet sich zu jener Singularität, bei der nach dem Hören der deutliche Eindruck nachhallt, dass sich hier eine Band gefunden hat, die genauso wie sie ist für die nächsten dunklen Taten bereit zu sein scheint.
Anspieltipps: Azazel, Dancing On Debris, Mater
Mater erschien am 24. Februar 2023 bei Solar Lodge Records.
Tracklist LA SCALTRA – Mater:
01. Intro
02. Mater
03. Azazel
04. Dancing On Debris
05. Vassago
06. Delilah
07. The Green Light
08. Rites Of Bacchus
09. Harmageddon
Weblinks LA SCALTRA:
Facebook: https://www.facebook.com/lascaltra
Instagram: https://www.instagram.com/lascaltra_official/
Bandcamp: https://lascaltra.bandcamp.com/