Mit Depeche Mode-Partys ist es ja so eine Sache. Irgendwann Ende der 80er oder Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrtausends kamen sie mit einem Mal auf und keiner weiß so richtig, wer wann und wo damit angefangen hat. Aber, sie waren schon immer ein Phänomen. Anfangs noch in kleinen Partykellern, Eckkneipen oder kleinen Vorstadt-Discos sind sie plötzlich explodiert. Das muss so irgendwann im Fahrwasser des Erfolges des 1990er Albums Violator passiert sein. In den 80ern wurden die Fans noch belächelt, ebenso wie Depeche Mode, waren sie ab ‘90 dann hip. Die Fans zeigten öffentlich, dass sie Dave- oder Martin-Fan waren und liefen auch so im Alltag rum. Die Städte füllten sich mit weißen Jeans, schwarzen Lederjacken und Bürstenhaarschnitt. Natürlich braucht es dann auch das passende Event dazu.
Eine Party an historischer Stätte für Depeche-Fans
Im Sommer 1992 hatte sich Frank Kottysch, Abiturient aus Hamburg, seinen wahnwitzigen Traum erfüllt und mit viel Mut und Ehrgeiz seine eigene DM-Party aus der Taufe gehoben. Er war mit seiner „Party for the Masses“, angelehnt an das 1987er DM-Album Music For The Masses, nicht der erste, aber bestimmt der erfolgreichste Partyveranstalter, der diese Party dann auch noch an einem historischen Ort veranstalten konnte. Die Hamburger Markthalle war schließlich die Location, in der Depeche Mode am 25.September 1981 ihr Livedebüt auf dem europäischen Festland gaben. Und wie es der Zufall will, findet alljährlich am dritten Septemberwochenende die „Masses“, wie sie liebevoll genannt wird, an dieser Stätte statt. „Das ist irgendwie Zufall gewesen, dass es mit dem Konzert von damals so passte, aber natürlich ist es schon eine tolle Sache und wir haben auch das eine Jahr genutzt, um dieses Jubiläum zu feiern“ erzählt frank Kottysch. „Eigentlich wollte ich in der Markthalle damals mit einigen Freunden eine Party für alle Freunde und Bekannte aufziehen als einmaliges Event. Wir hatten knapp über 400 Gäste und waren relativ erfolgreich. Dann haben wir es im Oktober 1992 nochmal versucht und hatten schon über 800 Gäste. Und so haben wir uns immer wieder gesteigert und haben bemerkt, dass wir hier etwas Großes schaffen“.
„Wir sind das Methadon für die Depechies“
Aber was spricht denn überhaupt für den langjährigen Erfolg der „Masses“? In frühen Tagen hat Frank Kottysch es immer wieder geschafft, Szenebands in die Markthalle einzuladen, die ein kurzes Alternativprogramm geboten haben. De/Vision, S.P.O.C.K., Blind Passengers, Syntec, Mesh, um nur einige zu nennen. Letztere haben sogar hier ihre erste Live-CD mit begleitendem Video in dem Rahmen aufgenommen. Einige Bands, welche zu Gast waren, gibt es wohl heute schon lange nicht mehr. Die „Masses“ aber ist bis heute geblieben. Drogen, Krisen und Trennungen bei Depeche Mode? Die Party lebt weiter. „Die Masses ist quasi das Methadon für die Depechies“ sagt Frank lächelnd. „Kommt eine neue Platte von Depeche Mode wird es während der Tour schwieriger, die Halle zu füllen aber in der Zeit nach der Tour und vor dem nächsten Album brauchen die Leute eine Ersatzdroge“. Wo er recht hat, hat er recht. Wenn aus den Boxen Never Let Me Down Again ballert, wird jede andere Band neidisch, wie enthusiastisch die Gäste mit den Armen wedeln und beim Refrain von Enjoy the Silence kann man kaum noch die Musik hören, weil die Leute so laut mitsingen!
„Es ist eine Art Familientreffen“
„Es ist im Laufe der Jahre eine tolle Gelegenheit geworden, bei der Musik die ich liebe, alte Bekannte endlich wieder zu treffen“ erklärt mir Eddy auf der letzten Party, welche Frank Kottysch auf der Cap San Diego im Hamburger Hafen veranstaltet hat. Dabei fällt mir auf, dass ich Eddy seit dreißig Jahren quasi auf jeder Party gesehen habe, aber noch nie mit ihm gesprochen habe. „Früher war alles noch etwas anders. Da kamen ganz viele Fans nicht nur aus Deutschland, sondern aus ganz Europa zur „Masses“. Aber wir werden ja alle älter und es gibt ja mittlerweile so viele Partys, dass man nicht mehr unbedingt nach Hamburg reisen muss. Aber trotzdem ist es immer wieder schön. Es ist eine Art Familientreffen“.
„Ich gehe seit 1993 mit Unterbrechungen immer wieder zur „Masses“. Ich kannte Frank damals schon und bin durch Plakate und Mundpropaganda darauf aufmerksam geworden, dass da in der Markthalle eine außergewöhnliche DM-Party veranstaltet wird. Mittlerweile ist mir das Drumherum auf der Party fast wichtiger geworden, da man immer liebe Menschen trifft. Die Musik von Depeche ist dann noch das Sahnehäubchen“ Erzählt mir Ute aus Hamburg. „Man fühlt sich zwar immer mehr als Oldie, es ist aber großartig zu sehen, dass auch jüngere die Magie von Depeche Mode und der Party spüren“ fügt sie noch an.
„Ich habe seit 1992 vielleicht drei oder vier Partys verpasst, weil ich ein Kind bekommen habe“, erzählt mir Tina aus Neubrandenburg. „Ja es gibt auch in Berlin viele gute Partys aber die Masses ist mein Zuhause“ erzählt sie weiter. „Diese Party hält mir mehr die Treue als viele meiner Freude und hier darf ich sein und meine musikalischen Helden feiern und bin unter Gleichgesinnten“.
Das könnte es natürlich sein. Gleichgesinnte, die zusammen friedlich feiern.
„Ich bin heute das erste Mal mit meiner Tochter auf der „Masses“ und es ist ein tolles Gefühl“
„Es ist schon merkwürdig, wie sich das alles gewandelt hat. Heute gibt es nur noch wenige, die sich evtl. wie Gahan oder Gore kleiden. Die können sich das auch gerne machen, weil sie viel Liebe ins Detail stecken und es sich vom Style her auch leisten können. Eine Zeitlang wurde die „Masses“ ziemlich bunt, da es für viele Hamburger hip war, zum Beispiel im Rahmen eines Junggesellen:innen-Abschieds bei uns vorbei zu kommen. Das hat sich glücklicherweise wieder gelegt und der Black Swarm nimmt wieder Überhand“ erzählt mir Frank Kottysch.
Egal, Frank hat mit der „Party for the Masses“ eine Institution geschaffen wo ich mich frage, wie lange geht das noch gut? Seit dem Tod von Andrew Fletcher ist es fraglich, wie Depeche Mode noch weitermachen. Wie wird das dann sein? Werden DM-Partys zu einer Seniorenveranstaltung verkommen? Wobei ich mich im Sommer auf der Cap San Diego schon gewundert habe, dass auch so viele junge Gäste dort gefeiert haben. „Ich bin heute das erste Mal mit meiner Tochter auf der „Masses“ und es ist ein so tolles Gefühl, dieses alles mit ihr zu teilen“ erzählt Katrin aus Hannover. ,,Man könnte ja meinen, nach dreißig Jahren lockt Kottysch nur die ewig gestrigen hinterm Ofen hervor. Aber nein, Mitzwanziger singen und tanzen neben Grannys in meinem Alter. Und ich bin ja schließlich seit der ersten „Masses“ 1992 auch schon dreißig Jahre älter geworden. ;-)”
„Ich kann mit der „Masses“ nur noch auf Sicht fahren“
Frank Kottysch: „Es ist ja nicht nur so, dass die Gäste älter werden. Viele können bestimmt auch noch feiern, wenn wir alle siebzig sind. Was mir eher Sorgen bereitet ist die Tatsache, dass so eine Veranstaltung auch Geld kostet. Und gerade auch die Markthalle wird leider nicht günstiger. Ich habe in den vergangenen Jahren immer versucht, die Eintrittspreise konstant auf einem Level zu halten. Aber gerade die Pandemie, die uns Veranstaltern so richtig eine reingehauen hat, hat vieles verändert. Im Januar 2020 haben wir die wohl erfolgreichste „Masses“ seit bestimmt zwanzig Jahren gefeiert. Dort sind alleine im Vorverkauf über 800 Tickets weg gegangen. Das war phänomenal. Nach der Pandemie musste ich mit der „Masses“ aus Termingründen ins Hamburger Knust ausweichen. Dort sind gerade mal knapp über hundert Gäste gekommen. Das war für uns, für die Veranstaltung schon hart gewesen, da wir nicht einmal kostendeckend aus dem Abend gegangen sind“. Und doch macht Frank immer noch weiter. „Ja, solange es Spaß macht, und das macht es mir noch, werde ich auch weiter machen. Ich plane aber nicht mehr auf lange Sicht. Die „Masses“ jetzt und die Januar-Masses sind gesetzt. Im Sommer plane ich ein letztes Mal auf die Cap San Diego zu gehen. Was danach kommt, kann keiner sagen. Die Leute haben immer mehr eigene Sorgen. Pandemie, Krieg, jetzt auch noch die Energiekrise. Da ist es fraglich, ob die dann auch noch zwanzig oder dreißig Euro für eine Party ausgeben können oder wollen. Die beiden Veranstaltungen jetzt sind für mich wegweisend. Im Nebel kann man nur so schnell fahren, wie man gucken kann.“ erklärt er nachdenklich.
Dave sagte „And the party starts now!“
In den 90er Jahren war die „Masses“ ein Event, welches seines gleichen gesucht hat. Im Foyer der Markthalle boten diverse Händler aus Deutschland Bootlegs, Poster, T-Shirts und andere Memorabilien an und die Fans verschleuderten ihr Geld ähnlich dem 101-Video zur Single Everything Counts (1989). Im Laufe der Jahre sind jetzt aber die Händler, Dave-Dancer und Livebands kein Bestandteil der Party mehr und doch kann Frank Kottysch sich fast darauf verlassen, dass die Party wieder gut bis sehr gut besucht sein wird. Er hatte immer wieder besondere Highlights für seine Gäste im Köcher. Welcher Partyveranstalter kann schon von sich behaupten, mit dem Segen eines Martin Gore seine Party zu veranstalten? Anlässlich eines Rekordevents 2001, welches unter dem Motto „101 Stunden Party for the Masses“ stand, hat die Band eine persönliche Grußbotschaft geschickt! „Das war ganz groß! Wir haben die Videobotschaft am ersten Abend abgespielt und sie endete damit, dass Dave sagte „And the party starts now!“ und dann haben wir das Intro gespielt. Da hatte ich schon Pippi in den Augen und dieses Event gehört gewiss zu meinen Highlights aus dreißig Jahren“ erzählt Frank mit leuchtenden Augen. „Oder 1993 hatten wir den damaligen Manager der Plattenfirma Intercord zu Gast, der uns die Möglichkeit gab, exklusiv drei Lieder vom kommenden Album Songs of Faith and Devotion zu spielen, fast zwei Monate vorm Release!“
Gerüchteweise hieß es auch einmal, als 1994 oder 95 das erste „Festival for the Masses“ zu Ostern veranstaltet wurde, dass ein gewisser D.A.Pennebaker im Foyer der Markthalle gestanden haben soll und gefragt hat, ob Depeche Mode selbst hier spielen werden.
Dafür greift er heute auf gestandene DJs zurück. Auf der Cap San Diego beispielsweise hat Ruhrpottgröße DJ Niggels das Oberdeck mit Depeche Mode und anderen Szenehits und Klassikern beschallt, während Marco Schwedler aus München den DM-Mainfloor im Schiffsbauch in Stimmung gebracht hat. Dazu kooperiert Frank Kottysch auch mit den Hamburger DJs der DMCP. Die DJs fragen bei ihm an, ob sie auflegen können, nicht umgekehrt. Es macht sich immer noch gut in der Vita, auf der „Masses“ aufzulegen. Ich selber hätte in früheren Jahren auch sehr gerne mal auf der „Masses“ aufgelegt aber das ist vielleicht auch zum Glück nur ein Traum geblieben. 😉
Anyway, die „Masses“ feiert jetzt am 24.September 2022 offiziell ihren 30.Geburtstag und hat sich verdammt gut gehalten. Die Pandemie hat auch sie aus den Fugen geworfen, aber Frank Kottysch hat es geschafft, das Schiff wieder klar zu machen.
„Ich träume davon, Martin Gore würde einmal ein paar Songs bei uns performen“
Wenn man auf dreißig Jahre Party zurückblickt, selbst mal für die Band gearbeitet hat und sie immer wieder persönlich getroffen hat, gibt es da überhaupt noch einen persönlichen Traum, den Frank Kottysch sich mit der „Masses“ erfüllen würde? „Ja, da gibt es tatsächlich was. Ich glaube, mein größter Traum wäre es, wenn Martin Gore tatsächlich mal bei uns auf der Bühne stehen würde und nur mit seiner Gitarre ein oder zwei Songs performen würde! Ich glaube, dann hätte ich alles erreicht und würde sofort aufhören. Denn das könnte keiner mehr toppen.“
Nun wenn es weiter nichts ist, können wir ja beruhigt in die Zukunft schauen und freuen uns auf weitere Partys, oder? Frank, ich drücke dir die Daumen, dass dein Traum irgendwann in Erfüllung geht und danke dir persönlich und auch im Namen der unzähligen Gäste, welche durch dich ihre Lebenspartner gefunden haben, Kinder in die Welt gesetzt haben und vielleicht sogar schon Großeltern geworden sind, danke für die vergangenen dreißig Jahre.
Alles Gute, wir sehen uns am 24.September in der Hamburger Markthalle, mein Freund!
Termine Party For The Masses “Party For The Masses” 2022
24.September 2022 – Hamburg, Markthalle
Tickets gibt es hier.
Weblinks Party For The Masses:
Facebook: www.facebook.com/Party-for-the-Masses-Das-Orginal-seit-1992