Vom Suchen und/
“Was bedeutet denn Heimat für dich?” Ich fühle mich wie ein Reporter auf der Suche nach dem Kern der uninteressanten Dinge. Diese uninteressanten Dinge interessieren mich.
“Heimat ist was Haltbares. Meine Kinder, mein Mann, meine Arbeit, das ist alles hier. Ich bin glücklich hier. Es gibt doch alles, was man braucht.”
Ich suche nach Worten, nach Antworten. “Aber ist das nicht eine freiwillige Begrenzung?”
Bernemann (2021) S. 151 f.
Dirk Bernemann erlaubt uns anhand seines neuen Schriftstücks eine Reise in Gedanken und Gartenzäune:
Ab in die dörfliche Heimat! Ich bin da nicht, aber lass mich wenigstens vom Lesefluss mitreißen. Gunnar Bäumer, der Protagonist des am 13.9. erscheinenden Werkes Schützenfest, würde uns an die Hand nehmen, wenn ihm nur daran gelegen wäre. Stattdessen taumelt er zwischen Provinz und Problemen und fühlt sein kleines Drama mit dem großen Thema, dem ausgenudelten Begriff, dem kaputten Diskurs (jetzt aber ohne Wertung). Er rollt Probleme auf und lässt sie liegen, Dissonanz im Dorf, erfährt die klebrige Sozialisation im Gefühl vom Altern, aber findet immer etwas. Um die Suche geht es: Man entkommt der Heimat ja nicht (oder?). Daher drängt sich die Auseinandersetzung auf, wie hier, in sprachlicher Ausgefeiltheit, mit schrägen Anekdoten und ausufernden inneren und äußeren Monologen und vereinnahmenden Volksfestklassikern. Urlaubslektüre für alle, die schon immer Zeit auf dem Dorf verbringen wollten.
Gut, dass Dirk spontan Zeit hatte und mich der Bahnstreik ungeplant nach Berlin verfrachtete, denn so konnten wir uns an einem herbstliche Montagnachmittag auf einen Kaffee treffen und zwischen den kleinen und großen Themen treiben. Natürlich wäre es besser gewesen, hätte ich den Roman im Vorhinein gelesen und eine Idee von abzuarbeitenden Fragen gehabt, aber so berufe ich mich auf Dirks Erzählfreude und meine spontane Neugier. Diese Interviewidee hat funktioniert und über zwei Stunden hinweg, haben wir Erwägungen von überbetonter gesellschaftspolitischer Einordnung getroffen, verworfen, Popkultur anklingen und verhallen lassen und den Heimatbegriff weiter abgegriffen, um bessere Alternativen zu suchen.
Weil es so schön und ausschweifend war, wird das Gespräch in zwei Teilen erscheinen.
Interview Teil 1 : Mehr wühlen
Claudia: Was ist Heimat für Dich? Und warum sich jetzt wieder mit der Heimat auseinandersetzen?
Dirk: Gedrängt hat mich dazu eigentlich nichts. Ein Ansatz war vielleicht, dass Heimat als Begrifflichkeit für mich missbraucht worden ist. Heimat ist ein zu Hause, ein Ort, an dem ich mich wohlfühle, wo ich, ich selbst sein kann. Heimat, nicht gebunden an einen geografischen Ort, sondern eher an das eine Gefühl. Es gibt Menschen, die für mich Heimat sind, es gibt Orte, die für mich Heimat sind. Dabei muss ich dort nicht aufgewachsen sein oder länger Zeit verbracht haben. Das Gefühl trägt der Protagonist, der im Buch Gunnar Bäumer heißt, die ganze Zeit vor sich her. Er versucht einen Platz zu finden, den er bis jetzt nicht gefunden hat. Er ist im Sinne von Hesse ein Suchender, wie viele Protagonisten meiner anderen Bücher auch, schätze ich. Er hat den Platz der ultimativen Megawellness nicht gefunden, kennt eine gewisse Verzweiflung, dass sich an keinem der Orte, an denen er gewesen ist, eine grundlegende Zufriedenheit einstellt. Das könnte daran liegen, so vermutet er am Anfang des Romans, dass er aus einem Ort kommt, der vorheuchelt, dass alles okay sei. Wie so ein bisschen in The Lego Movie mit dem Song „Hier ist alles super“. Echte Empfehlung, ohne Scheiß! Bei dem Song wird „hier ist alles super, hier ist alles schön“ gesungen, mit super bunten Bildern, wo alles schön ist. Guckt man dann hinter die Fassade – auch bei The LegoMovie – fault die Tapete.
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Das ist oft so: Wo eine Idylle gezeigt wird, sollte man ein Stück von der Tapete abkratzen und dahinter gucken. Gerade wenn es um Bürgerlichkeit geht.
Heimat ist natürlich ein Begriff, der verrutscht ist. Verrutscht deshalb, weil ihn die falschen Menschen für die falschen Dinge benutzen und ich benutze ihn aus Reflex eher selten, aber hier war es unvermeidbar, weil es um so ein Zuhause geht. Wobei Heimat nicht gleich zu Hause ist. Ein zu Hause kannst Du überall haben und eine Heimat zwar auch, aber es geht um Herkunft: Woher stammst Du und was hat das im Laufe der Zeit mit Dir gemacht? Dadurch ist für mich die provinzielle Heimatprägung entstanden. Ich glaube, es sind beides nicht wirklich füllbare Worte. Man könnte auf Wikipedia nachlesen und das dann als ultimative Definition gelten zu lassen, aber das habe ich mir ein bisschen abgewöhnt.
C: Du hattest den Wikipediaeintrag zum Schützenfest für Deine Buchbeschreibung verwendet!
D: Ja, um meine eigene Definition entgegenzustellen. Es gibt eine allgemeine Definition und meine eigene Definition. In vielen meiner Bücher geht es um meine Definition von den Dingen, ich versuche mich dann auch von dem allgemeinen Status etwas abzuheben und zu sagen, dass nicht alles, was da Allgemeingültig steht, so in Beton gegossen ist. Ich habe keine so konkrete Definition von Schützenfest. Klar war ich auf einem. In dem ganzen Buch geht es darum, dass ich in meiner Kindheit und Jugend dieses Volksfest, was wirklich einmal im Jahr in meinem Dorf stattgefunden hat, besuchte. Das war das Partyhighlight des Jahres! Das ganze Dorf kam da zusammen und egal wo du herkommst, das Dorf hat sich beim Schützenfest zusammengefunden. Das ist gleichzusetzen mit einer Kirmes, also einem Volksfest mit Fahrgeschäften, Autoscooter, Musikexpress, Karussells…
C: Und frühshoppen!
D: Alkohol spielt auch eine große Rolle, aber da kann ich später nochmal gesondert zu kommen. Für mich war die Region sehr wichtig. Die Region ist eine emotional, wie ich es wahrgenommen habe, abgestumpfte Region, wo es eher um das Bäuerliche geht, also Ackerbau und Viehzucht. Die Personen sind deswegen eher praktischer, als emotionaler Natur. Das ist der Menschenschlag, den man dort begegnet und auch der Menschenschlag vor dem ich da geflohen bin.
C: Was meint dann genau abgestumpft? Werteabgestumpft? Reflexionsabgestumpft?
D: Abgestumpft ist lustfeindlich, intelligenz- und kunstfeindlich. Das klingt zu hart, wenn ich es so ausspreche. Ich würde es nie generalisieren, aber das sind Dinge, denen man häufiger begegnet. Es wäre zu einfach gewesen, die ganze Region als dumm zu bezeichnen oder zu sagen, es sei dumm, wo ich herkomme, jetzt hätte ich mich weiterentwickelt und sei jetzt klüger als alle zusammen, hahaha. Das will ich gar nicht sagen. Es gibt garantiert gute Gründe, warum man da lebt und leben möchte. Es gibt auch gute Gründe, warum man den Volksfesttrubel toll findet. Ich musste da allerdings irgendwann raus und habe gesehen, dass es mir persönlich nicht mehr ausreicht. Aber das sind ganz individuelle Gründe. Es wäre zu einfach, zu sagen, es sei alles Scheiße. Ich habe in dem Buch nicht ohne Grund auch Personen beschrieben, die da glücklich sind. In dem Buch gibt es natürlich Parallelen zu meinem Leben, aber ich distanziere mich von meinen Kunstwerken gern. Sie sind von mir, der Ort, die handelnde Person sind erfunden. Es gibt bestimmt noch andere erdachte Dinge, aber auch Dinge, die identisch zu mir sind. Da würde ich den Leserinnen und Lesern auch keinen Gefallen mit tun, wenn ich das preisgeben würde, was erfunden und was biografisch sei. Das ist ja die Magie der Kunst, das selbst zu erforschen.
Comeback des Vergessenen
C: Erwägt der Protagonist, lieber in der Provinz zu bleiben?
D: Ich sage mal so: Er hat einen Moment, an dem er darüber nachdenkt, ob es nicht besser sei, wieder zurückzukommen. Da sein Leben ein bisschen weird verlaufen ist und sich an bestimmten Stellen verknotet hat, geht das nicht einfach so. Ich stelle die Vor- und Nachteile von Provinz und Urbanität gegenüber, aber ohne zu urteilen. Das ist bei Kunst und Literatur auch wichtig – keine Urteile zu fällen. Ich stelle dar, wie es ist, wie sich die Menschen bewegen, was sie essen, welche Kleidung sie tragen, ohne zu sagen, was gut oder schlecht sei. In einer Passage denkt der Protagonist über urbane Kunst nach, während er in einem Gespräch mit einem Typen ist, der im Landmaschinenbau arbeitet – das lässt sich an den großen mit Wunden übersäten Händen der Person erkennen. Er ist krasser Handwerker. Und die beiden stehen sich gegenüber – was ist jetzt das bessere Leben? Das fragt sich der Protagonist die ganze Zeit. Ich urteile auch nicht darüber und gestehe dem Protagonisten auch nicht zu, darüber zu urteilen. Ich finde, die Leserschaft kann sich selbst ein Urteil darüber bilden, was der bessere Aufbewahrungsort für Menschen sei – die Großstadt oder ist es das Dorf?
Sein Grundproblem ist, dass er aus diesem Dorf kommt und sich nicht dagegen wehren kann. Niemand kann sich gegen seine Herkunft wehren. Alle haben einen Ursprung und der hat etwas mit einem gemacht, durch Erfahrungen, durch nicht vorhandene Erfahrungen. Der Ort unserer Geburt, an dem wir als Kind die meiste Zeit verbracht haben, ist prägend. Wenn man dorthin zurückgeht, hat man das Gefühl, man sei irgendwie zu Hause – daher auch der Untertitel Zu Hause ist da, wo es weh tut. Diese Erfahrung macht er ein paar Mal bei verschiedenen Arten von zu Hause, aber an dem Ort seiner Kindheit und Jugend fällt es ihm besonders auf, weil da ein paar Baustellen sind, die er hat und nicht bearbeiten kann.
C: Wer gibt denn die Maßstäbe für ein gutes Leben vor?
D: Wo fängt Deine Zufriedenheit überhaupt an? Auch so eine Frage der Lebensqualität.
C: Wo fängt für den Protagonisten das gute Leben an?
D: Ich glaube, er ist sehr unsicher. Er ist unsicher über Entscheidungen, die er in seinem Leben getroffen hat. Er wird mit den Konsequenzen konfrontiert und ihm fällt es noch immer schwer zu sagen, was ein gutes Leben ist. Wer kann das schon wirklich hundertprozentig sagen? Wir wollen alle unsere Bedürfnisse befriedigt sehen, die basalen Bedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlafen und so weiter. Aber es geht ja ein bisschen weiter als das. Damit beschäftigt er sich auch. Er spielt alles in Gedanken durch und denkt an ein Leben, in dem er nie aus der Provinz weggegangen wäre: Mit wem hätte ich rumgehangen? Was hätte ich an? Wie würde meine Familiensituation aussehen? Wäre ich zufriedener? Den meisten Menschen, welche die Provinz nie verlassen haben, fehlen die Vergleiche!
Gunnar hat versucht dort Fuß zu fassen, es hat aber nie funktioniert oder es hat funktioniert, aber mit einer krassen Unzufriedenheit. Das zeichnet ihn aus, er ist ein unzufriedener Mensch. Mir persönlich ist er beim Schreiben aber nie unsympathisch geworden. Es gibt Hauptfiguren von Roman, die durchaus unsympathisch sind! Ich mag auf jeden Fall Romane mit unsympathischen Personal. Er ist dazwischen und urteilt auch ein bisschen, aber nicht zu sehr. Er ist bei einigen Inhalten meinungsstark, aber bei den großen Dingen seines Lebens hat er keine Meinung, die sucht er und das ist das Spannende an dem Buch: Er kommt nicht darauf, bietet aber viele Sachen an. Beispielsweise, was gut daran sei im Dorf zu leben, im gesicherten Rahmen mit 8000 Menschen von denen du so 100 magst, aber alle anderen sind friedlich und du hast nichts zu befürchten, hast einen sicheren Job, kannst die Kinder herumlaufen lassen und wenn du in die Kneipe gehst, musst du dein Fahrrad nicht abschließen, Natur ist da, kein Stress durch Lärm, viel Ruhe, das sind die Vorteile. Nachteile sind, dass es höchstens zwei Bäckereien gibt mit maximaler Kuchenauswahl von acht Stück oder so. Der Protagonist besucht zwischendurch auch eine Bäckerei und unterhält sich mit der Frau, die bedient und seine Mutter gut kennt. Diese Frau weiß etwas über ihn, durch den Mund seiner Mutter. Das kommt ihm ganz strange vor, dass die Leute das so normal finden.
C: Das macht doch die Gemeinschaft im Dorf aus, dass sich alle untereinander austauschen. Das kann creepy sein, aber //
D: Ich persönlich finde das schon sehr creepy!
C: Aber dafür wissen sie auch, wie sie helfen können oder erkennen sofort, wenn es dir nicht gut geht.
D: Aber die Frage ist, ob sie wirklich etwas machen, dir dann helfen? Die erkennen das vielleicht, aber da ist immernoch die Anonymität jemanden anzusprechen, dem es augenscheinlich nicht gut geht – auch im Dorf, glaube ich. Es ist ein gefühltes Miteinander. Das führt wieder zu den Nachteilen im Dorf: Man ist eben unter Beobachtung. Das passiert meinem Protagonisten ebenso, als er da läuft, durch Straßen, die er zehn Jahre lang nicht gelaufen ist und ihn Leute gesehen haben und ihn strange anschauen – du bist als Kind immer dort entlang gelaufen, dann sehen sie dich als Erwachsenen wieder 15 Jahre später und erkennen dich nicht, sehen aber irgendetwas seltsames. Sie waschen ihr Auto und schauen so daher, weil sie dich einfach nicht einordnen können. Als fremder Mensch in ein bestehendes Dorf zu kommen, ist wirklich heftig. Viele Leute aus meinem Bekanntenkreis sind nach Brandenburg in kleinere Dörfer gezogen und berichteten, es sei wirklich ein Problem sich mit der Dorfgemeinschaft zu arrangieren, weil die Personen dort eine ganz andere Geschichte mit dem Ort haben. Das beschreibt ja auch Juli Zeh in Unter Leuten – auch ein typisches Brandenburgding: Da gibt es die Zugezogenen und die, die schon immer da waren und den Ort kennen, ein ganz anderes Gefühl dazu haben. Das beschreibe ich auch: Trotz dass der Protagonist aus dem Dorf kommt, hat er das Gefühl zu Gast zu sein. Das ist so seltsam für ihn, weil er ja alles kennt.
Spielräume für Desinteresse
C: Viele Leute bleiben längerfristig im Dorf, vielleicht sogar für immer und haben das alte Bild, die Persönlichkeit von früher im Kopf, aber er hat sich vielleicht durch sein Leben in der Großstadt auch verändert, zu einer anderen Persönlichkeit geworden. Dann treffen auch die eigenen Vorstellung vom selbst und die Vorstellungen der anderen Leute von früher aufeinander.
D: Genau, er muss sich auch ein paar Mal verstellen. Beispielsweise wird er schnell durch Gespräche mit seinen Nachbarn konfrontiert, die im Alter seiner Eltern sind. Dazu kommt Alkohol und er muss erzählen, was er so gemacht hat und kann sein Leben, besonders das Scheitern, nicht in Worte fassen. Es ist schwierig vor den unbekannten Leuten, von denen man ohnehin schon beurteilt wird, ein Scheitern oder eine emotionale Schwäche zuzugeben. Natürlich fällt es ihm schwer, weil er seine Eltern zu beruhigen versucht. Er muss sich selbst belügen und auch andere Menschen belügen, um in dieses Dorf wieder hineinzupassen. Er verfällt in alte Muster und das waren für ihn keine guten Muster. Beispielsweise trifft er einen alten Freund von dem er sich aus guten Gründen distanziert hat, weil er ihm zu brutal, zu grob, zu rau war. Mein Gunnar ist ein bisschen feinfühliger. Mit dem ehemaligen Freund und seinem Bruder steht er nachher am Bierstand und es kommt zu einem Gewaltexzess. Das habe ich abgeschaut von dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin: Dort gab es ein Brüderpaar – ich glaube nicht, dass sie das Interview hören werden – die hatten folgendes Ritual bei dem Schützenfest, von dem ich eben erzählte: Sie haben angefangen Leute anzumachen und wenn keiner reagiert hat, haben sie angefangen sich untereinander zu prügeln und zwar nicht ein bisschen, sondern bis der Notarzt kam. Und das fucking jedes Jahr! Man kann sich darauf verlassen, dass sich die beiden Brüder derb auf die Fresse hauen und Steine an den Kopf werfen. Da geht es gar nicht um verschiedene Haltungen, sondern eher um dieses komische männliche Behaupten. Niemand will vom Anderen lächerlich gemacht werden, dann kommt Alkohol ins Spiel, die Stimmung ist ausgelassen und Gewalt ist da. Auf jedem Volksfest, so katholisch der Ort auch sein mag, hat Gewalt stets eine große Rolle gespielt.
C: Woher kommt das?
D: Ich glaube, es kommt daher, dass im Alltag, also den anderen Tagen an denen eben nicht Schützenfest ist, die Leute durch ein schmales Ventil atmen. Es sind drei Tage, während des Festes, an denen alles herausgelassen werden kann: Jede Liebe, der ganze Hass, alles was an Gefühlen sonst zurückgehalten wird. Das Münsterland ist dafür tatsächlich prädestiniert, weil eher praktisch als emotional gedacht wird. Man merkt bereits an der Sprache – am westphälischen-plattdeutsch – es gibt nicht so krass emotionale Worte. Die meisten sind eher funktional und kommen aus dem Ackerbau und der Viehzucht. Ein Beispiel, das hilft, zu verstehen, ist vielleicht folgendes: Wenn die Bauernhöfe, die vielleicht 5km auseinander liegen, schon komplett anderes platt sprechen, als der Nachbarbauernhof. Das ist der Kontrast von eigener Familie – großer Wert -, Katholizismus und daneben ist die nächste Familie. Es geht um die Bewahrung des Kleinen, dessen, was man für sich hat. Diese Gartenzaundramatik, plus die Tatsache, dass man den eigenen Besitz für sich behalten möchte, nicht teilen, sondern das, was ich für mich habe, einzäunen und für mich behalten. Dafür gibt es in dem Roman viele Beispiele! Ich habe am Anfang auch erfundene 13 Punkte der westphälischen Pädagogik aufgeschrieben.
Ich kann Dir die kurz vortragen, wenn Du möchtest:
C: Gern!
D:
1. Sei haltmäulig.
2. Sei emotionsleise und anweisungslaut.
3. Lebe unauffällig und kardialverhärtet.
4. Sei tiefenskeptisch bei allen Dingen, die versuchen, dein Leben zu ändern.
5. Übe dich in Übellaune.
6. Sei so nachkommenschützend, dass deine Nachkommen kaum bemerken, ein eigenes Leben zu haben.
7. Behalte dein Lächeln (für dich).
8. Sei konfliktfördernd, ohne direkte Teilhabe am Konflikt.
9. Auch wenn du keine Stabilität hast, zeige sie.
10. Schütze Haus, Einkommen und Vertraute (in dieser Reihenfolge) vor den Zugriffen Externer.
11. Hege keine Skepsis an den Wegen deiner Ahnen.
12. Vertraue nur jemandem, der seine Familie liebt (und bestenfalls eine eigene gegründet hat).
13. Eskaliere positiv auf Volksfesten.
Das sind Dinge, die meine Generation noch voll abbekommen hat. Ich habe mit einer Politologin gesprochen, die auch diese Passage gelesen hat. Sie meint, das seien genau die Voraussetzungen, die zum Faschismus geführt haben. Das ist die Pädagogik der Weimarer Republik, die den Faschismus erst ermöglicht haben.
C: Genau, wie bei den neuen Rechten!
D: Genau, obwohl das Buch nicht politisch ist! Aber man könnte es interpretieren, finde ich. Rechtes Wirken ist da auch nicht so sehr unter Beobachtung, da gibt es keine Antifa oder sowas, da gibt es Nachbarn und wenn die keinen Bock darauf haben, sich damit zu beschäftigen, wird das so laufen gelassen.
C: Den vorpolitischen Raum zu durchdringen, haben die Rechten geschafft, das ist das, was darauf passt.
D: Genau, einfach ein System woran man glaubt, Dinge, von denen man vorgibt, sie würden den Leuten guttun…
Für den zweiten Teil lohnt es sich hier vorbeizuschauen.
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