Ist da etwa einer altersmilde geworden? Man könnte es beinah annehmen, wenn Konstantin Wecker auf seinem neuen Album im eröffnenden Prolog: Faust quasi mit sich selbst abrechnet. Oder auch dann, wenn man auf der Titelliste etwas wie Ich liebe es, den Tieren zuzusehen liest. Aber das sind Momente, die täuschen, denn schon der Albumtitel legt den Weg offen: Wer sein Album Utopia nennt, zeigt schon an dieser Stelle, dass der Wunsch nach einer besseren Welt nach wie vor existiert. Auch mit seinen 74 Jahren hat Wecker sich das Rebellische erhalten und legt auch – trotz reflektierender Momente – weiterhin den Finger in die Wunde und geht dahin, wo es weh tut.
Wenn zu ruhigen Klavierklängen die Frage Bin ich endlich angekommen? gestellt wird, wirkt das zwar auf der einen Seite irgendwie zurückblickend, lässt aber auf der anderen Seite auch denken: Wecker ist längst angekommen und verbreitet Botschaften, hinter denen er voll und ganz steht – und das eben nicht erst seit gestern. Beinah folgerichtig erklingt dahinter als Spoken Word Was mich wütend macht und mit den Herrschenden abrechnet. Gemerkt hat man an dieser Stelle natürlich auch schon länger: Ein Konstantin Wecker ist nach wie vor einer, bei dem man zuhören muss. Stücke wie Es gibt kein Recht auf Gehorsam sind keine Musik, die man mal ebenso nebenher hört. Mit Marsch-artigen Klängen in den Strophen wechselt er in einen harmonisch wirkenden Chorus, dessen Harmonie aber täuscht, zu entschlossen sind die Botschaften.
Es wird immer wieder klar: Der Mann ist wütend. Das kann ihm keiner übelnehmen, wenn man Stücken wie dem nahezu rockigen Schäm dich Europa folgt, in dem Wecker Themen wie neu aufkeimendem Rassismus in der Folge der Flüchtlingskrise aufgreift und die Frage stellt, wie es soweit kommen konnte. Auch der Willy – hier als Willy 2021 – nennt die Dinge noch einmal klar beim Namen, wenn Wecker die Morde von Hanau im Jahr 2020 noch einmal thematisiert und dabei auch politische Versäumnisse anprangert. Leichte Kost ist dies beileibe nicht – und doch ist es wichtig, dass es Künstler wie Konstantin Wecker gibt, die sich nicht davor schauen, Klartext zu sprechen.
Um also noch einmal die Eingangsfrage aufzugreifen: Nein, Utopia ist wahrlich kein Alterswerk geworden. Es ist ein Album, das man sicherlich nicht in jeder Stimmung hören mag und das dem Hörer etwas abverlangt, aber eben auch eines, für das es sich lohnt, sich die knappe Stunde Zeit zu nehmen.
Tracklist KONSTANTIN WECKER – Utopia:
01. Prolog: Faust
02. An die Musen
03. Was einem der Regen raunend erzählt
04. Warum Sonette?
05. Bin ich endlich angekommen?
06. Was mich wütend macht
07. Es gibt kein Recht auf Gehorsam
08. Das wird eine schöne Zeit
09. Was uns am Leben hält
10. Die Tage grau
11. Es lebe die Zerbrechlichkeit
12. Wir werden weiter träumen
13. Schäm dich Europa
14. Utopia
15. Wie lieb ich es, den Tieren zuzusehen
16. Anstatt zu siegen
17. Willy 2021
Weblinks KONSTANTIN WECKER:
Homepage: www.wecker.de
Facebook: www.facebook.com/konstantinweckeroffiziell
Twitter: www.twitter.com/Weckerswelt