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EVANESCENCE im Interview (Teil 2): “Ich könnte besser mit meiner Stimme umgehen”

EVANESCENCE im Interview (Teil 2): "Ich könnte besser mit meiner Stimme umgehen"

Amy Lee - Copyright: Nick Fancher

Zehn Jahre musste die Anhängerschaft von Evanescence auf ein neues Studioalbum warten, dazwischen lag das erfolgreiche Orchester-Experiment Synthesis. Nun erscheint The Bitter Truth mit zwölf Stücken zwischen kraftvollem Rock, emotionalen Balladen und dem bandtypischen Pathos. Vorab standen Sängerin Amy Lee und Gitarristin Jen Majura internationalen Journalisten Rede und Antwort. In Teil 1 unseres Interview-Doppelpacks sprach Monkeypress.de mit der gebürtigen Stuttgarterin Majura – nun kommt im zweiten Teil Bandchefin Amy Lee zu Wort und gab Einblicke in den Aufnahmeprozess und ihr Privatleben.

Amy, was ist „The Bitter Truth“ ?

Das Leben ist kurz. Ob du das magst oder nicht. Daraus lässt sich viel Positives ziehen. Denn du musst das akzeptieren, um an einen besseren Ort zu kommen. Und deswegen will ich keine kostbare Lebenszeit mehr verschwenden. Deshalb kommt auch das Album jetzt raus, obwohl wir nicht touren können. Wir wollten es nicht noch weiter schieben.

Große Teile des Albums klingen sehr emotional, so, als ob du den Fans deine Seele ausschütten und Frust rauslassen musstest.

Amy: Ja. Es war hart für mich, sich an diese dunklen Plätze in meinem Herzen und meiner Seele zu bewegen, aber es hat mich auch geheilt. Ich habe wieder gemerkt, dass es wichtig ist, das Beste aus der Situation zu machen, in der ich gerade drinstecke. Hürden überwinden und daraus etwas Positives machen, für sich selbst und andere, in dem Fall unsere Fans, ist so wichtig und tut gut. Wichtig war auch bei den Aufnahmen, mal den Lockdown-Frust rausschreien zu können. Das war wie eine Therapie-Session für mich.

In den Lyrics, vor allem bei Yeah Right, klingen auch politische Noten an …

Ja, es fühlte sich für mich zu wichtig an, um das Politische, was uns alle bewegt, wegzulassen. Ich bin aber vorsichtig, mit dem, was ich genau formuliere und wie ich meine Gefühle und Meinungen nach außen trage. Ich bin ja auch keine, die ständig in den Sozialen Medien rumhängt und dort unzählige Sachen postet.

Wie problematisch war es, dieses Album fertigzustellen?

Es war herausfordernd für uns alle. Nach dem Synthesis-Projekt mussten wir erstmal herausfinden, was wir eigentlich wollen, mögen und wer wir sind. Schließlich war die Bandbesetzung bei der letzten Platte noch eine ganz andere. Wir wollten in eine sehr „Band driven“-Richtung. Wir nahmen vier Songs vor Ausbruch der Pandemie auf und mussten dann erstmal einen Weg finden, voranzukommen. Dazu die Problematik, Tim (McCord, Bassist, Anm. d. Red.) aus Kalifornien nach Nashville zu bekommen, weswegen wir die Aufnahmen nach seiner Ankunft schnell am Stück durchgezogen haben. Dass Jen bis auf die ersten vier Lieder nicht dabei sein konnten, war natürlich ärgerlich. Ich denke auch, dass es für sie sehr schwer war, ihre Parts selbst fertigzumachen.

Hätte die Platte anders geklungen, wenn es keine Pandemie geben würde?

Da bin ich mir nicht sicher. Der generelle Vibe wäre wohl derselbe gewesen. Aber ich merkte, dass in mir durch die Pandemie und ihre Einschränkungen ein Feuer entfachte. Sie wuchs an Bedeutung, ich steckte immer mehr Leidenschaft in sie.

Wie bewertest du die Zusammenarbeit mit Produzent Nick Raskulinecz?

Er ist verdammt gut. Mit jeder Band erschuf er etwas Besonderes. Er pushte uns dahin, dass wir unser volles Potenzial ausnutzten. Was bemerkenswert ist: Er sieht vieles aus der Perspektive eines Fans. Er arbeitet auch nur mit Bands zusammen, die er mag und deren Katalog und Geschichte er kennt. So fühlte es auch ein wenig so an, als ob wir in der Bandgeschichte ein wenig zurückgehen konnte, um zu sehen, wie wir uns in der langen Zeit entwickelt haben. Und: Ich hasse es, mit Produzenten zusammenzuarbeiten, die mir immer nur sagen, wie toll und perfekt diese und jene Aufnahme ist. Nein – es ist nie perfekt. Bei Nick ist es so: Selbst wenn ich mal mit mir zufrieden bin, will er immer noch mehr rausholen.

Ihr habt eine sehr treue und enthusiastische Fanbase. Gibt es spezielle Erinnerungen, die du mit ihnen verbindest?

Ich muss immer an diese eine Sache denken, die in Athen passiert ist, als die Band noch recht neu und in ihren ersten Jahren war. Da spielten wir eine Show in einer Location, die aussah wie eine Kraterlandschaft mit hohen Steinbauten drumherum. Dann performten wir My Immortal, im Publikum erschienen massig Feuerzuge – ja, damals waren das noch Feuerzeuge – und durch das Licht sah ich dann viele, die keine Karte für das Konzert hatten, auf den Steinen über der Location sitzen. Die kletterten da wohl irgendwie rauf. Und alle sangen mit. Da ging es auch nicht mehr um mich, ich war einfach nur Teil einer Sache, die viel größer war als ich oder die Band.

Die privaten Umstände bei dir haben sich seit der letzten Albumproduktion verändert …

Wir zogen von Brooklyn nach Nashville, einige Monate vor der Pandemie. Ich wollte näher am Rest meiner Familie sein. Im neuen Haus habe ich eine eigene „Kreativ-Wohnung“, schallisoliert. Hier kann ich so laut schreien, wie ich will (lacht). Und dann gehe ich ins Haus zurück und bin wieder die coole Mama. Das hilft sehr. Selbst wenn alles sonst fürchterlich läuft – mein Sohn Jack ist die größte Freude in meinem Leben und macht mich glücklich.

Wie schaffst du es eigentlich, dass deine Stimme nach all den Jahren immer noch so klingt wie zu Fallen-Zeiten?

Um ehrlich zu sein, könnte ich wesentlich besser mit meiner Stimme umgehen. Ich denke auch nicht, dass sie noch klingt wie damals. Als ob ich damals Helium genommen hätte (lacht), die Stimme klingt viel jünger. Ich mag sie jetzt jedenfalls mehr als damals. Was fies ist, sind die Aftershowpartys backstage. Ich muss mich da jedes Mal beherrschen, nicht lautstark über die laufende Musik zu schreien. Dann verziehe ich mich und lese ein Buch – weil ich weiß, dass ich sonst die nächste Show vergeige.

Teil 1 unseres Evanescence-Interview-Doppelpack findet ihr hier.

Weblinks EVANESCENCE

Homepage: www.evanescence.com
Facebook: www.facebook.com/Evanescence
Instagram: www.instagram.com/evanescenceofficial

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