Aufrichtigkeit als Maßstab, Pop ist Klang, Politik mentaler Sound
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Wir trafen uns in weit auseinanderliegenden Zimmern, verbunden durch eine stabile Internetverbindung und sprachen über das neue Album von PeterLicht, Beton und Ibuprofen, das am 05.03. bei Tapete Records erscheinen wird.
Groß, größer, Wortgebilde als Symphonien. Vor einigen Tagen hatte ich das Glück Dirk Bernemann und PeterLicht für ein Interview zu begeistern. Ersterer ist Wahlberliner und als Autor versiert im Umgang mit den Wortakrobatiken und insbesondere dadurch in meine Erinnerungen gerückt, dass er langjährig von den Musiken PeterLichts angetan ist. Er konnte sich die neue Platte einverleiben und richtete einige Fragen zu Beton & Ibprofen, zum künsterlischen Schaffensprozessen an den Musiker. Mit dem Indiekünstler, der ebenso in Berlin lebt, ergab sich ein wohlwollendes, rundes Gespräch: Zu Beginn drehte sich die Konversation um die Feststellung, wir seien uns Abhanden gekommen, bis zum Schluss die Sprache der Kunst die Zusammenhänge der Dinge erkennen und vermitteln solle. Die Luft unter den Flügeln, auf denen man durch das Leben treibt. Wir bestimmen uns über Leistung, warum nicht Diskursfähigkeit als Lösung vorschlagen? Aber wir beobachten nur. Dirk fragte nach Texten und wie sie entstehen, Depression als Kollektivgefühl, Spiritualität und nach Hoffnung und Trost in pandemischen Zeiten.
Dirk Bernemann (DB): Die erste Single E-Scooter Deine Liebe wurde ja bereits im Mai 2020 veröffentlicht. War es eine bewusste Entscheidung dieses doch eher fröhliche Lied in Zeiten der Pandemie herauszubringen?
PeterLicht (PL): Ja, ich habe das mit dem Label besprochen. Was soll man funken in diesen Zeiten, worum soll es gehen? Wir haben uns dann entschlossen, genau dieses Lied herauszubringen, weil das wahrscheinlich der positivste Song auf der Platte ist. Es beinhaltet das eigentlich unsingbare Wort “Depression”. Die Zeile ” … sei immer einen Schritt schneller als die Depression” ist für mich ein super Satz. Es war dann eine klare Entscheidung, das in der Situation genau so zu machen. Ich muss auch dazu sagen, das war das allererste Stück, die Platte gab es da noch gar nicht. Also, das Lied Verloren gab es auch schon, was für mich auch der Soundtrack dieser Zeit ist. Ein Lied mit dem ich lange durch die Gegend gefahren bin, das das alternativlose Gefühl des Verlorenseins komplett wiederspiegelt.
DB: Also ist die ganze Platte erst während der Pandemie so richtig entstanden?
PL: Ja, irgendwie schon, aber die Songs und das Konzept waren schon vorher da. Es war eine frappierende Erkenntnis, dass ich schon vorher etwas machen wollte mit der Grundstimmung “Society of Depression”. Immer war diese Fragestellung offen: In welchen Zuständen ist man so unterwegs? Das alles verbunden mit der Behauptung: Diese Gesellschaft hat eine Depression! Und die ganze Pandemie und der Lockdown haben sich dann darüber gestülpt. Und dann kam diese Kontaktsperre, was die Leute komplett rausgeholt hat aus ihren normalen Zusammenhängen und das ist ja schon fast eine klinische Therapie für Depression.
DB: Aber ich höre auf der Platte eine Menge Trost und Hoffnung neben all dieser Leere, Einsamkeit und dieser Kraftlosigkeit.
PL: Für mich ist es absoluter Trost, über diese ganzen Zustände zu schreiben und zu singen. Dadurch, dass es besungen wird, erhebt es sich und wird leichter. Für mich sind das alles Rettungslieder, vor allem auch durch ihre Klang. Mit diesen Texten hätte man auch eine sehr kleine, stille, intime Platte machen können. Genau das wollte ich aber nicht.
Aufrichtigkeit als Maßstab
DB: War das denn mal eine Idee zwischendurch, ein grundlegend melancholisches Album zu machen? Oder war die doch mitunter fröhliche Stimmung auf der Platte geplant?
PL: Das ergibt sich so. Es ist ein sehr physischer und emotionaler Angang, so ein Album zu machen. Da weiß man nie genau, wohin man damit kommt. Ich stelle mir auch immer die Frage, was man singen kann. Also zum Beispiel bei einem Satz wie “ … sein immer einen Schritt schneller als die Depression …” ist mir wichtig, dass es konterkariert wird und dabei kraftvoll fröhlich nach vorne geht. Besser, als wenn sich die Sachen dann doppeln, also trauriger Text zu trauriger Musik. In manchen Fällen ist aber auch genau d a s das Richtige. Wichtig ist es, sich da reinzuspüren und zu gucken, was passt jetzt hier am besten.
DB: Beim Hören von Beton und Ibuprofen sind mir zwei Wörter im Kopf umhergegangen. Weltflucht und Weltkonfrontation.
PL: Es ist viel weniger Flucht als die Alben zuvor. Ich finde die Platte ziemlich präsent, sehr offen und direkt. Es ist viel weniger in einer betrachtenden Perspektive. Die Inhalte von Liedern wie Lost Lost Lost World oder Die Sprache der Augen sind ja schon sehr gegenwärtig.
Politik als mentaler Sound
DB: Und das Konfrontative ragt natürlich immer ins Politische.
PL: Mein Album ist voller politscher Bilder und Metaphern und ich würde meine Arbeit auf jeden Fall als politisch bezeichnen. Ein Beispiel ist der Begriff “Mauern”, der immer wieder vorkommt. Es scheint ja ein absolutes Bedürfnis nach Mauern zu geben und wir, also die Erste Welt, steht oben auf der Mauer und grüßt den Rest der Welt, aber es grüßt gar nicht. Ein großes Symbol der letzten fünf Jahre in Amerika war eben der Bau dieser perversen Mauer. Und sowas findet eben auch hier statt. Für mich sind das auch alles politische Lieder.
DB: Apropos Mauern. Wenn man jetzt Beton als physische Metapher heranzöge, was ist derzeit der härteste Beton?
PL: Ich glaube, wir kommen uns alle selber abhanden. Die Abschaffung des Prinzips, dass es einen Gott gibt, wird dadurch ersetzt, dass es jetzt individuelle, 80 Jahre laufende Biographien gibt, die zum Ziel haben, das meiste aus ihrem persönlichen Kontext rauszuholen. Das scheint der sinnstiftende Auftrag für jeden Teilnehmenden an diesem System zu sein. Die Ausbeutung der eigenen Biographie ist dabei grenzenlos. Mittlerweile haben wir das selber in uns. Nur wenn du in permanenter Leistung befindlich bist, hast du das Recht zu existieren. Das alles ist schon eine sehr krasse Ansage.
DB: Das Album heißt ja Beton und Ibuprofen. Beton ist für mich, metaphorisch gesprochen, die uns umgebende Manifestation der langzeithaltbaren Umstände des Kapitalismus. Denkst du, man kann nichts tun, als den uns umgebenen Verhältnissen, das von dir zitierte Ibuprofenchen entgegenzusetzen?
PL: Absolut nicht. Mit Liedern wie Beton oder Ibuprofen stelle ich ja nur dar, dass es diese Umstände gibt. Ich finde es absolut großartig, was für Bewegungen derzeit in der Welt unterwegs sind mit Fridays for Future oder Black Lives Matter. Das System der Perversion von Trump ist mittlerweile abgewählt worden. Von daher würde ich nicht sagen, dass nichts dagegen hilft.
DB: Lass mich meine Aussage von eben ein wenig korrigieren. Ich habe das ja auch eher so gelesen, dass diejenigen, die die Mauern errichten, uns eher das wohldosierte Ibuprofenchen anbieten, um weitermachen zu können, um weiterhin zu funktionieren.
PL: Ja, das trifft es schon eher. Das Ganze hat ja auch einen grandiosen Humor, über den ich mich kaputtlachen kann. Das Ibuprofenchen ist beispielsweise als Tourgag im Bus entstanden, wo man denkt: Das wichtigste ist jetzt, Checkkarte, Gitarre und genug Ibuprofen dabei zu haben, damit man weiterhin unterwegs sein kann. Das war dann halt so ein Tourschnack. Nimm doch nochn Ibuprofenchen.
DB: Wie entstehen denn sonst diese Lieder? Kannst Du mir einen kleinen Einblick in das Innere des Kompositionsprozesses geben? Vor allem interessiert mich die Schnittstelle, wo Text und Musik zusammentreffen und das große Ganze, der Song, entsteht.
PL: Ja, bei Ibuprofen war das tatsächlich so: Wir saßen im Auto und reihum erzählten wir uns von Ibuprofen, lindernden Schmerzzuständen. Die Dosierung wurde immer höher, während die Verniedlichung immer größer wurde. Das tippte ich dann in mein Handy und irgendwann saß ich da mit der Gitarre, dann wird daraus eine Melodie oder ein Riff und dann ist das erstmal grob da. Benedikt Filleböck, der auch mit produziert hat und mit dem ich auch live unterwegs bin, hat den Beat und die Orgel druntergebaut und so entstand die Grundstruktur für dieses Lied. Dann kamen weitere Medikamente rein, also alles, was gut klingt, zum Beispiel Parazetamölchn oder Diclofenacschn oder Codeinschn.
Pop ist Klang
DB: Wie merkst du beim Texten selbst, dass es das jetzt ist, das du dieses Wort jetzt behalten musst? Oder ändern sich die Lichtschen Qualitätsstandards ab und zu?
PB: (lacht) Darauf würde ich natürlich gerne mit Oscar Wilde drauf reagieren: Ich habe einen sehr einfachen Geschmack, ich wähle nur das Beste. Ich habe ja lustige Lieder wie das Umentscheidungslied oder eben Ibuprofen aber auch viele ernste Lieder … obwohl … ich kann das so genau gar nicht darlegen, wie ich da vorgehe. Ich muss spüren, dass es richtig ist. Es sollte immer so sein, dass ich damit auf einer Bühne stehen kann und es frei singen kann. Ist auch egal, was andere davon halten, ich muss genau diese Konstellation aushalten, also dastehen und singen. Das ist der Maßstab. Und das schwierigste ist Text und Musik zusammenzubringen, dass es passt.
DB: Häufig scheint es ja auch um den Klang von einzelnen Wörtern zu gehen, gar nicht so sehr um die Bedeutung, bzw. oft auch um eine Wechselwirkung von Klang und Bedeutung. Also auch um die Frage: wie harmonisch geht das Wort in das restliche Soundgefüge rein. Oder?
PL: Ehrlich gesagt ist das sogar die Priorität. Es ist Pop, es geht um Sound und es muss einfach gesamtheitlich gut klingen. Und so verstehe ich alle meine Texte, auch wenn ich fürs Theater schreibe. Die Texte als solches müssen schon Soundgebilde sein. Der gelesene Text könnte schon, etwas übertrieben gesprochen, eine Art Symphonie sein. Ich mache ja derzeit eine Gastdozentur in Leipzig beim Literaturinstitut mit dem Titel “Sound und Sprache” und da geht es genau darum. Also um die Fragestellung: Inwiefern ist schon in unserer Sprache Sound und was ist das für ein Phänomen, das da entsteht. Wir leben im Zeitalter der Popkultur und alles ist damit durchtränkt, selbst der Papst ist ein popkulturelles Phänomen in der Art, seiner Präzens und wie zugespitzt er alles formuliert. Auch politische Themen und Überzeugungen haben einen speziellen Klang.
DB: Bei Lost Lost Lost World klingt es so, als wäre dieser vergleichbar lange Text fast schon eine spirituelle Kurzgeschichte. Er erscheint mir wie eine Reise, die aus einem aufgefächerten, langen Eindruck entstanden ist. Wie kommt sowas zustande?
PL: Ja, bei diesem Text ist das tatsächlich so, dass es einer Meditation gleicht. Es ist ein Reinfallenlassen in die Vorstellung von Verlorensein. Was heißt das denn, verloren zu sein? Ich habe einfach abgewartet, welche Bilder mir dazu erscheinen und denke darüber nach, wie ich das der Gesellschaft spiegeln kann, was für Leute kommen da vorbei, was passiert genau, wenn ich immer tiefer in dieses Gefühl des Verlorenseins hineinsteige.
DB: Genau und es ist eine spirituelle Reise, unabhängig davon, was die Augen oder Ohren wahrnehmen.
PL: Ja, Spiritualität ist mir sehr nah. Mein Leben und die Begegnungen darin sind quasi ein spiritueller Gesamtzusammenhang. Ich glaube auch, dass die Aufgabe der Künstler:innen eine spirituelle Aufgabe ist. Man beschäftigt sich mit nicht konkret sichtbaren Zuständen, sondern mit den Zusammenhängen in der Welt und das ist für mich von Bedeutung.
DB: Welche Rolle spielt das Mysterium, also das Spirituelle, nicht ganz ausformulierte im Argen Gelassene, in einer Welt, die nach immer konkreteren Botschaften giert?
PL: Ich setze nicht bewusst ein Mysterium, das habe ich überhaupt nicht beabsichtigt. Und der Text, der dann kommt, der handelt nicht von mir, sondern der handelt von den Hörenden. Jeder Song ist wiederum ein anderer Song in jedem unterschiedlichen Gehör, in jedem anderen mind. Der Song wird erst zu einem Song, sobald eine andere Person ihn hört, vorher existiert er gar nicht. Das ist fast eine konstituierende Bedingung. Weil es eine Reflexion von jemand völlig anderem ist, muss es Freiräume geben. Ich will das offen lassen, obwohl es für mich selbst total konkret ist.
DB: Und weil wir einer immer schwerer zu verstehenden und komplexeren Welt gegenüberstehen, ist es diese Art von Popmusik, die das am besten beschreibt.
PL: Vielen Dank.
Claudia: In Die Technik wird uns retten singst du darüber, dass sowohl technische Innovationen als auch die Liebe uns retten werden. Wie kommt es zu dieser Verknüpfung von Technik und Romantik?
PL: Ich finde es interessant, diese Gegensätze aufeinanderprallen zu lassen. Auch wieder so ein spiritueller Ansatz, dass man von irgendwas gerettet wird, die Technik wird uns retten, die Impfung wird uns retten. Das ist wohl eine tiefliegende menschliche Sehnsucht nach Verlässlichkeit der äußeren Umstände. Wie eine auf Erden stattfindende Heilsversprechnung. Das Angebot, dass es für jedes Problem eine technische Erlösung geben mag, hat eine spirituelle Bedeutung. Dann ist man auch ganz nah bei der Liebe, die einen ja auch im spirituellen Sinne retten soll. Logisch für mich, dass dann zu verbinden, obwohl darin auch eine komische Perversion liegt, weil es ja eigentlich ein Verrat an der Liebe ist, wenn man sagt, dass die Technik uns rettet. Der gute Airbag rettet mich genauso wie deine Liebe und ja, so ist es gedacht.
DB: Danke für dieses Interview.
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Die neue Platte von PeterLicht Beton und Ibuprofen erscheint am 05.03.2021.
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