“Zombies” aus den Boxen – SEASURFER im Interview

Fotos: Nocturnal Culture Night 2017 – Amphibühne und Parkbühne – Deutzen, Kulturpark (Samstag, 09.09.2017)
Seasurfer, © Thomas Bunge
Geschätzte Lesezeit: 7 Minute(n)

Seasurfer melden sich zurück! Dirk Knights Projekt zwischen Dream Pop, Shoegaze, Wave und Rock veröffentlichte just sein drittes Album Zombies, auf dem auch die von früheren Veröffentlichungen bereits bekannte Stimme von Sängerin Apolonia wieder zu hören ist. Zudem gibt es auch ein Feature von Kirlian-Camera-Frontfrau Elena Fossi (siehe Video unten). Zum Release von Zombies standen Dirk und Apolonia unserem Autor Sven Erichsen Rede und Antwort.

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

Zu Beginn: Kannst Du uns einmal die Gruppe vorstellen? Wie kam es zu der Gründung, welche Einflüsse gab es, woher kommt der Bandname und wie bist Du damals in der heimischen Musikszene und in der Hamburger Dark-Wave-Gegend gestartet?

Dirk: Ich bin in Hamburg geboren und spiele seit meiner Schulzeit in Bands. Angefangen mit Punkzeugs, dann eher düster, danach schon mehr “ethereal” mit Dark Orange und jetzt mehr “Wall of Sound” mit Seasurfer. Ich kann mich noch erinnern, dass 1980 ein Mädel meiner Schule mit Lederjacke und toupierten Haaren aus England zurückkam und sie Robert Smith persönlich kannte. Das fand ich alles cool und dann war es um mich geschehen. Musik gehört seitdem zum Leben einfach dazu und ich definiere mich und mein Leben auch stark hierüber. Und dann rutscht man eben so rein … Noch heute habe ich Kontakt zu Clemens Grün, der damals als erster die Cocteau Twins und The Sisters of Mercy nach Hamburg und ins KIR (oder hieß das damals noch Zitrone?) brachte. Oder zu den Leuten von Girls Under Glass und Cancer Barrack, die neben uns ihren Proberaum hatten. Musikalisch habe ich immer eher nach England geschaut und London-Besuche mit der alten HH-Harwich-Fähre waren Pflichtprogramm. Hier habe ich aber auch schon x-Mal Deutschland oder Pink Turns Blue lieben gelernt. Und natürlich haben Helden wie My Bloody Valentine und die Cocteau Twins oder später Slowdive Spuren hinterlassen. Seasurfer habe ich Mitte 2013 gegründet, weil ich nach vielen Jahren Dark Orange mal einen Punkt und etwas Neues machen musste. Neue Leute, dreckigerer Sound. Mal ganz neu starten, bei einem US-Label Saint Marie “beworben” und drei Tage später hatten wir einen US-Deal. Das war schon cool und hat nochmal einen Schub gegeben und wir haben in den USA in der Szene eine Menge Fans gefunden.
Was den Bandnamen angeht …häufig erzählen mir Leute, wir seien wohl eine Strandsurferband (haha). Für mich war es eher das Surfen auf der Wall of Sound und zudem eben die Freiheit der See, dort sind wir oft und ja auch ziemlich dicht dran.

Es ist schon die dritte Seasurfer-Platte und die klingt für mich diesmal schwerer und elektronischer. Inwiefern habt Ihr Euch weiterentwickelt?

Dirk: Es ist das dritte Album mit der dritten Sängerin und inklusive dem Extra-Album mit Elena Alice Fossi von Kirlian Camera als Gastsängerin im Grunde sogar schon das vierte. Ein Album entsteht ja in einer bestimmten Zeit und Stimmung. Die finalen Mixe habe ich während der ersten Covid-19-Welle im Frühjahr gemacht und dazu auch noch die ganzen Game-of-Thrones-Staffeln geschaut. Die ganze Situation war irgendwie surreal und hatte etwas von Parallelwelten, doch für das Mixen selbst war das schon inspirierend. Elektronischer … das stimmt. Ich habe einfach auch mal Synthies durch meine FX-Pedals gejagt und Beats aus alten Drummachines gebaut.

Kannst Du den Lesern etwas zur Umsetzung Eures Albums Zombies – z.B. welche Konzepte / Texte und Produzenten stecken dahinter – erklären? Und wieviel Arbeitszeit habt ihr in die Produktion investiert?
Dirk: Ich habe mein eigenes kleines Haus hier in Hamburg, 100 Jahre alt und ein altes Backsteinstallgebäude, dieses habe ich zu einem kleinen Studio umgebaut. Dort kann ich Musik machen, wann immer ich Lust habe, alles steht bereit, Schalter an und alle Pedals und Instrumente sind bereit. Das ist mega. Ich habe auf Zombies alle selbst gespielt, alles selbst gemischt. Das Doppelalbum hat von ersten Ideen bis zu den finalen Mixen schon rund zwei Jahre gebraucht, aber wir haben zwischendurch ja auch immer mal Singles veröffentlicht.
Apolonia: Dirk schickte mir seine ersten Songdemos und ich hatte zu manchen sofort Gesangsmelodien im Kopf. Meistens sang ich die dann mit Worten ein, die mir spontan einfielen und danach entwickelte ich Texte daraus. Mit Geschichten aus vergangenen Liebesbeziehungen oder aktuellen Themen, die mich/uns beschäftigten. Auch der Lockdown und die ganzen ‘Corona-Themen’ hatten einen gewissen Einfluss. In manchen Songs beließ ich es sogar bei den ersten intuitiven Ideen, z.B. in Too Wild. In anderen Songs hatte Dirk schon Gesangsmelodie und Text im Kopf, ich bat ihn, seine Ideen einzusingen und überredete ihn dann, seine Vocals mit drin zu lassen.

Wer war für das Artwork von Zombies zuständig?
Dirk: Die Ideen für die Cover kamen eigentlich von Anfang an von mir. Beim ersten Album war es eine von mir fotografierte Fischerflagge eines dänischen Fischers, beim zweiten meine Gitarre in Kombi mit einem Bild unseres Fotografenfreunds Christian Klepp. Danach sind wir mit den Singles und dem aktuellen Album dann zu Fotos von den Musikern selbst übergegangen.

SEASURFER - SOS (Official Video)

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Die Texte auf Zombies sind durchgehend auf Englisch – wie wäre es denn mal mit deutschen Lyrics?
Deutsche Texte …nope, mal einen Satz, das haben wir auch schon gemacht, aber ich mag grundsätzliche deutsche Texte nicht so sehr, mir fehlt dann die Mystik und der …ich nenne es mal “Weltenklang”.

Habt Ihr eine musikalische Ausbildung genossen und mit welchen Instrumenten und Programmen arbeitet Ihr?
Dirk: Ich bin Autodidakt, bis auf den Musikunterricht in der Schule. Finde ich auch nicht schlimm, deswegen hänge ich wenig an konventionellen Harmonien und Strukturen. Ich kenne auch noch die analogen 24-Spur-Bandstudios, finde aber die heutigen digitalen Möglichkeiten mega. Ich bin auch Fan von Effektpedals, ich habe eine Menge davon, und von Amps, sowie den immer noch heiß geliebten Roland Jazz Chorus. Viele Instrumente werden da durchgejagt, und dann entsteht eben auch der noisige Sound.
Apolonia: Ich habe Schauspiel und Gesang in NY studiert. Meine Vocals nehme ich von zu Hause auf mit verschiedenen Mikrofonen, passend zum Song. Meistens in Garage Band oder Logic. Danach schicke ich die Vocal-Files an Dirk und er zaubert dann alles zusammen.

Welche musikalischen Einflüsse gibt es, hast Du Vorbilder und wer sind die ewigen Helden im Plattenschrank?
Dirk: Den einen Einfluss gibt es nicht, eher eine große Gesamtstimmung. Das fängt bei mir an mit den Ramones oder The Damned, dann natürlich das Shoegaze-/Dreampopzeugs von My Bloody Valentine und den Cocteau Twins, Slowdive und zudem The Cure, aber auch Portishead und elektronisches Zeug wie Goldfrapp und Crystal Castles. Wobei mein ewiger Held schon Robert Smith ist. Ich bewundere, wie der das alles über die Jahre durchgezogen hat, sich treu geblieben und was für ein toller Gitarrist er eben auch ist.

Mit welchen Künstlern aus der aktuellen Szene verstehst Du Dich am besten und gibt es eine(n), mit dem Du mal gerne auftreten würdest?
Dirk: Ich habe mich immer sehr gut mit Axel Ermes von Girls Under Glass verstanden, mit ihm lange Jahre in Altona gekickt und beispielsweise das erste Seasurfer-Album gemischt. Volker Zacharias von den Girls Under Glass und Cassandra Complex hat lange bei mir Bass gespielt. Und eben Harald Löwy von Chandeen, mit dem ich …ich nenne es mal Kreativwochen, in Weimar in seinem Studio mit Musikmachen und Drinks verbracht habe. Das sind schon echte alte Freunde. Auftreten würde ich gerne mal mit Robin Guthrie von den Cocteau Twins, der hat ja auch mal was von mir remixt und gemastert. Sehr cooler Typ übrigens, und hat den für mich besten Gitarrensound ever kreiert.

Wie ist Deine Meinung zu Radioeinsätzen – ist das ein Thema, was mit Eurer Ausrichtung nur rein Online stattfinden kann – obwohl z.b. Wolfsheim/Heppner auch schon im Formatradio lief?
Dirk: Auch wir werden weltweit ja durchaus von College-Radio-Stationen und Szeneradios gespielt. Ich schaue da nicht auf bestimmte Formate und betrachte uns eh eher als Nischenmusik. Ich selbst höre aber auch immer mal Formatradio, auch dort gibt es ja ganz coole Musik. Peter Heppner …wir suchen bis heute eine alte Kassette, denn er hat mal zu Songs von meiner Dark-Orange-Sängerin Katrin und mir Backings auf Demos eingesungen, noch mit alten Vier-Spur-Aufnahmegeräten gemacht. Leider nie wiedergefunden.

Wie steh(s)t Du/Ihr zum Thema Videos, sind solche Clips (wie mit Elena zum Song “Blue Days”) wichtig, um diese in Social-Media-Kanälen, Youtube, Facebook usw. laufen zu lassen?
Dirk: Ist ja eine Diskussion von wegen digitalisierte Welt und fast alles “for free” und das Sterben der kleinen Bands. Das sehe ich nicht so. Man kann heute Musik weltweit ohne großen Aufwand platzieren, Videos selbst machen. Und ist dann auch über Spotify & Co. zu finden. Auch uns entdecken viele neue Fans über Social Media. Und wenn man Geld verdienen möchte, dann muss man eben live spielen und dort Zeug verticken. Ich kaufe auch immer noch CDs und mal live ein Shirt, wenn mir etwas gefällt, und das landet dann ja bei den Bands. Ich habe übrigens zum ersten Mal ein Video selbst gemacht, zu unserem Song Zombies. Alles mit dem Smartphone gefilmt und geschnitten. Das ist schon Selbstverwirklichung.
Apolonia: Persönlich finde ich Musikvideos sehr wichtig und habe mich zum ersten Mal getraut, selbst ein Video mit Freunden für Too Wild zu drehen. Ein guter Freund und Videokünstler aus Paris hat für uns noch weitere Videos aus eigenem, aber auch Material, welches wir selbst in unserer Umgebung gedreht hatten, für SOS zusammengeschnitten. Ein weiteres Patchwork-Art-Video zum Song Pretend von ihm folgt bald …

SEASURFER feat. Elena Alice Fossi - KILLING TEARS OF JOY (Official Video)

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Gab es schon Auftritte im Ausland und auf welchen Festivals in Germany – z.b. WGT – würdet ihr generell gerne spielen (ich hatte Euch in Bremen vor ein paar Jahren in der Lila Eule gesehen)?
Dirk: WGT habe ich mit Dark Orange und auch Seasurfer ja schon gespielt, ebenso das NCN. Und auf dem nächsten Beautiful Noise sind wir mit dabei. Ich mag Festivals und die Atmo.
Apolonia: Wir hatten eine Show in Porto, Portugal in 2019 und haben das sehr genossen. Wunderbare Menschen haben uns dort herzlich empfangen und es war ein unvergessliches Erlebnis. Eventuell werden wir dort im legendären ‚Hard Club‘ erneut spielen.

Was außer Musik bereichert noch Euer Leben, außergewöhnliche Hobbys oder spezielle Filme, Serien, Bücher etc.?
Dirk: Apolonia sagt hier sicherlich nichts, haha. Ich bin seit dem sechsten Lebensjahr Fußballfan, wie so viele Musikerkollegen auch. Mit Axel Ermes bin ich häufig zum HSV gegangen, mit Eintracht-Frankfurt-Fan Harald Löwy gibt es immer witzige Sticheleien. Dazu bin ich begeisterter Fliegenfischer und liebe es, alleine in der See oder im Fluss zu stehen. Ansonsten mag ich alles, was irgendwie eine gewisse Tragik in sich trägt …von Tolstois Krieg und Frieden über GoT bis hin zum HSV. Und natürlich die wöchentliche ZEIT in Papier, haha, die über die aktuellen Tragödien berichtet …so fließen die Stunden nur dahin.

SEASURFER - "Zombies" (Album Video Teaser)

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Wie gefällt Dir die gerade wiederauflebende Vinylkultur. Müssen wir uns an das digitale Streaming, also Bandcamp, Spotify usw. für immer gewöhnen?
Dirk: Ehrlich gesagt interessiert mich das nicht ganz so sehr. Ich habe zwar noch viele alte Vinyls, aber keinen Plattenspieler mehr. Ich finde es auch toll, etwas Haptisches in der Hand zu halten, rau und zum Anfassen. Aber ansonsten geht es mir viel mehr um die Musik selbst, da ist es mir egal, von welchem Medium. Und es ist eigentlich auch merkwürdig, Musik digital zu machen und aufzunehmen und dann wieder auf ein analoges Medium zu packen. Aber wenn Leute dafür eine Passion entwickeln, Daumen hoch!

Reizen Dich noch Neben oder weiterführende Projekte – und gibt es Coversongs, die Du umsetzen würdest – Maid of Orleans oder  Fade to Grey in der schwebenden Seasurfer-Shoegaze-Version könnte ich mir durchaus vorstellen?
Dirk: Naja, Seasurfer war und ist eigentlich ein dauerhaft weiterführendes Projekt …durch die Sängerinnenwechsel entsteht immer etwas Neues. Das werde ich so auch weitermachen. Apolonia und ich sind jetzt sicherlich der Kern der Band, aber es wird weiterhin auch Features geben. Manchmal vielleicht irritierend, aber für mich Ansporn und Inspiration. Über Coversongs habe ich noch nicht weiter nachgedacht, aber wenn Du das so sagst … vielleicht machen wir das mal!

Und zum Schluß: Können wir etwas in 2021 erwarten, was sich Live-Aktivitäten schimpft? Denkst du, ab Herbst könnte da was klappen?
Dirk: Wir peilen immer noch das Beautiful Noise Fesitval im Mai an und denken auch über ein Package mit Gloria de Oliveira von unserem Label Reptile Music nach, die ist cool und das würde passen. Hoffentlich geht das irgendwann in diesem Jahr wieder, drücken wir mal die Daumen!

Weblinks SEASURFER

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