Es gibt Momente für Musikenthusiat*innen, die sind schon sehr herausfordernd. Ich will ehrlich sein, ich bin wirklich zornig. Lange habe ich überlegt, wie ich mit Deus Vult, dem neuen Album von Orplid verfahren soll (erschien am 25.09. bei Prophecy Productions). Als sich der Zorn darüber auch nach einigen Wochen nicht legte, sich im Gegenteil zu einem manifesten Gefühl verdichtete, wusste ich, dass ich in diesem Fall nicht einfach nichts sagen könnte. Viel zu sehr ist dieses Ignorieren, Relativieren, das Besprechen ohne Einordnung bzw. das Besprechen mit unzureichender Einordnung zu einer merkwürdigen allgemeinen Verfahrensweise geworden. Aus einem seltsamen Kunstverständnis heraus oder dem schlichten Bedürfnis, bei bloß keinem anzuecken oder möglicherweise aus purer Ignoranz geschehen diese Dinge und verkennen, dass man als Kritiker*in, Enthusiast*in, Musikliebhaber*in immer das Recht hat zusagen: Nein, das möchte ich nicht. Ich empfinde Unbehagen, ja Ekel. Es gibt nichts Richtiges im Falschen.
Aber was ist eigentlich los?
Die Band Orplid (Mitglieder: Uwe Nolte und Frank Machau, gegründet 1996) gilt zusammen mit der Band Forseti als Gründungsheilige des deutschsprachigen Neofolks. Nun ist das Genre nicht nur in Deutschland umstritten. Dies liegt im Großen und Ganzen an seiner Machart und den verarbeiteten Thematiken. Es ist nicht zuletzt auch seinen Protagonisten geschuldet, die sich durch Auftreten und Äußerungen eben nicht nur durch eine sehr mystische, teilweise militär-fetischistische, nihilistische, oft anti-moderne, manchmal anti-westliche, mythologisch-historisch geneigte, vielmals melancholisch misanthropische Art auszeichnen, sondern auch dazu neigen nicht eben sehr gesprächig zu sein und sich mit einer Aura des Martialisch-Nebulösen zum umfangen. Und man merkt es ja an dieser Aufzählung: Neofolk ist nicht gleich Neofolk. Einige Bands sind schon um die 40 Jahre alt und haben teilweise erstaunliche Entwicklungen durchgemacht. Wer hier mehr erfahren möchte, lese den spannenden Band Looking For Europe (ebenfalls: Prophecy Productions, 2007) und höre sich dabei wachen Ohres einmal durch die großartigen Diskographien von Current 93 oder Sol Invictus.
Der deutschsprachige Neofolk allerdings ist noch einmal eine ganz eigene Kategorie, denn seit seinem Bestehen zeichnet sich diese Richtung (mal ganz abgesehen von ein paar wohltuenden Ausnahmeerscheinungen) durch eine seltsame, wie offenkundige Ungleichzeitigkeit aus. Die kann sich nun wieder ganz vielgestaltig und in verschiedenen Konzentrationen offenbaren. Je nachdem, wie die dann ausfallen, werden Kritiker*innen auf den Plan gerufen. Aber auch auf der Gegenseite passierte gerade in den letzten Jahren Einiges: Vermehrt sah man prominente Vertreter*innen der neuen Rechten auf Konzerten und Festivals von Neofolk Künstler*innen. Das fällt vor allem immer gerade deswegen auf, da die “Masse” an Publikum dort eher überschaubar ist.
Ja, Neofolk ist was für den speziellen Geschmack. Eigentlich könnte man das Thema auch wegen mangelnder Relevanz in puncto Quantität abtun. Das geht aber nicht, weil sich hier nun mal wirklich gefährliche Menschen tummeln. Und die haben sich nun aber scheinbar entschlossen, dieses Genre zum Genre ihrer Bewegung zu machen. Und wer kann es ihnen verdenken? Kernige Mannsbilder mit militärischen 30iger Jahre-Gedächtnis-Haarschnitten, Trommeln, Wandergitarre und sehr oft, sehr schwarzen Hemden singen Lieder. Die berichten vom Niedergang unserer Kultur, dass es damals irgendwie schöner war, dass sie eins werden wollen mit der Natur, wie schön es doch im Wald ist und was unsere Ahnen noch wussten. Und sie tun es in einer Sprache, wie es einst Novalis oder Hölderlin taten oder eben in einer Sprache, die sie dafür halten. Meist sucht man Wörter, die alt und nach Krieg und/oder Landwirtschaft klingen, akzentuiert sie artig, lutscht sie kräftig ab, bevor man sie raussingt. Wäre ich ein selbsternannter “Rechtsintellektueller”, würde ich auch denken: “Mei, da steht ja die musikalische Verkörperung meiner gesamten Agenda. Es ist ja Sommer- und Wintersonnenwende an einem Tag!”.
Nun könnte man aber sagen: Ok, das sind Merkmale, die dem Neofolk künstlerisch inhärent sind. Wer das für seine Zwecke instrumentalisiert, hat das einfach nicht verstanden, hat die Kunst einfach nicht verstanden. Die Künstler*innen können dafür erst einmal nichts. Das stimmt schon und über Jahre wurde das auch immer wieder vorgebracht. Man kann sich die Leute, die auf einen abfahren nun mal nicht raussuchen. Warum sollte ich mein Werk durch Distanzierungen und Erklärungen selbst dekonstruieren? Stimmt.
Aber nun kommt der Haken und nun kommen wir zum Beispiel auch zu Orplid. Und nun kommt der Punkt, an dem das Ganze eben nicht mehr funktioniert. Zwölf Jahre liegt das letzte Album Greifenherz zurück. Mit der Bemusterung von Deus Vult, musste ich mich erst einmal wieder informieren, was eigentlich mit und um Orplid die letzte Zeit so los war. Meine Recherche förderte recht flott zwei Interviews zu Tage, die meine Aufmerksamkeit erweckten. In einem Interview (mit dem Kanal Heiden TV) gibt sich Uwe Nolte verwundert, als er auf eine mögliche Vereinnahmung von rechts angesprochen wird. Er könne sich das nicht erklären, tut es erst mit Äußerlichkeiten ab und schiebt es vage auf Publikationen, in denen er zitiert wird (alles etwas ab Minute neun). Zu diesem Zeitpunkt (Das Video wurde November 2019 hoch geladen) ist Nolte z. B. Autor bei dem als rechts eingestuften Arnshaugk Verlag, gab dem der neuen Rechten zugeordneten Magazin Blaue Narzisse ein Interview (September 2019) und veranstaltete einen Vortrag seiner Kunst im Flamberg (Februar 2019), das als Zentrum der Identitären Bewegung in Halle bis Ende 2019 unterhalten wurde. Weiterhin räumt er ein, selbst einmal ein Punk gewesen zu sein und dass er erst kürzlich auf der Trauerfeier eines Freundes aus diesen Tagen singen sollte. Das scheiterte dann doch wie so oft am linken Widerstand. Wie das zustande käme, könne er sich nicht erklären, was die Unvereinbarkeit all dieser Aussagen mit der Wirklichkeit auf die Spitze treibt. Empfehlen kann ich hierzu den Band Völkische Landnahme: Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019). Denn zitiert und erwähnt wird Nolte/werden Orplid tatsächlich in Büchern wie diesem, aber auch z. B. in der Sezession (ein Beispiel) oder der Jungen Freiheit (ein Beispiel).
Im anderen Interview (Oktober 2019) sitzt Nolte zusammen mit dem AfD Landtagsabgeordneten für Sachsen-Anhalt Hans-Thomas Tillschneider auf dem Sofa. Dieser gilt als Rechtsaußen in der Partei, was schon einiges zu sagen hat, war Gründungsmitglied des nun aufgelösten Flügels und wird seit diesem Jahr vom Verfassungsschutz beobachtet. Thema des Gesprächs: Der Feind der Kunstfreiheit steht links! Zu einer ausgewogenen Auseinandersetzung kann Nolte nichts beitragen, vielmehr beklagt er wieder und wieder, Ziel von Boykotten zu sein, was der versierte Politiker Tillschneider selbstverständlich als kostenlose Propaganda für sein Programm (u. a. Kürzungen im Kultur- und Bildungssektor für Personen, die der AfD nicht passen) willkommen annimmt. Ich muss sagen, es sieht für mich wirklich nicht so aus, als ob die neue Rechte Orplid vereinnahmt oder unterwandert. Es scheint eher, als bräuchte sie das gar nicht. Wer sich nach rechts so weit aufmacht …
Nun könnte man immerhin noch sagen: Es ist wichtig Künstler*in und Werk zu trennen. Von mir aus, dann werfen wir mal einen Blick auf Deus Vult bzw. exemplarisch auf die Texte zweier Songs. Denn musikalisch werde ich mich mit dem Album nach dieser Erfahrung nicht weiter auseinander setzen. Es handelt sich um Deutschland 2016 und Bald kommt der Krieg in dein Haus. Beide Songs wurden bislang nicht ausgekoppelt und auch bei der Bemusterung gab es keine beiliegenden Texte. Aber wozu gibt es denn Internet und das Sendungsbewusstsein des Künstlers? Denn beide Texte erschienen bereits als Gedichte, beide im Band Falke Heime (2016, Arnshaugk Verlag), selbstverständlich verfasst von Uwe Nolte. Ich stelle die Gedichte einfach mal hier ein. Auf Deus Vult wurden einige wenige Dinge geändert, die ich kenntlich gemacht habe.
Und Furcht mein Haus umschleicht –
Bin ich im Ring der Ringe,
In bösem Traum vielleicht?
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Ich sehe auf den Straßen
Nur Niedergang, Verfall,
Es platzen Metastasen
Des Krieges überall.
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Ich sehe Glück als Gabe
Entrückter Werte schon,
Als Mode, Marke, Habe,
Als Dreck auf Mammons Thron.
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Ich sehe keine Wärme
Erblühen, Liebe schwand,
Sogar die Krähenschwärme
Verlassen schon das Land.
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Ich sehe blindes Walten
Im Zank* um Judaslohn,
Kein herrliches Gestalten
Zum Ruhme der Nation.
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Ich sehe Ratten nagen,
Begierig, immer geil,
An Galgen, die schon ragen
Zum Himmel, stumm und steil.
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Ich sehe Irre lungern
Bei Drogen-Aderlaß
In Winkeln, Herzen hungern
In Kindern, einsam, blaß.
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Ich sehe: Traditionen
Besudelt Marktes Brunst,
Im Pfuhl der Illusionen
Erstickte schöne Kunst.
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Ich sehe keinen Richter
Im fernen** Morgenrot,
Das Volk der Denker, Dichter –
Mein Volk, mein Volk ist tot.***
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Ich sehe, hoffe, strebe,
Vom Nacht-Wind schon benetzt,
Ich träume nicht, ich lebe
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In Deutschland, hier und jetzt.
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* Im Wahn
** Im nahen
*** Die Denker und die Dichter – Mein Volk ist lang schon tot.
(alle Änderungen nach Gehör und deswegen final ohne Gewähr)
BALD KOMMT DER KRIEG IN DEIN HAUS,
Wirst du ihn freundlich begrüßen,
Wirfst du ihn wieder hinaus,
Müde vom Bangen und Büsen?
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Lädst du zu Tisch, gibst Asyl
Ihm, willst sein Sinnen befächeln,
Wenn er mit krudem Kalkül
Dir winkt mit kindlichem Lächeln?
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Zeigst du ihm erst wer du bist,
Wenn deine Fenster zerklirren,
Wenn dich die Zwietracht zerfrißt,
Swastikas* (sic!) jäh dich umschwirren?
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Längst klingt kein heiteres Lied
Durch deine Flure und Räume,
Was dir dein Gastrecht beschied,
Floh im Wind sterbender Träume…
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Angst huscht mit Mäusen dahin,
Nistet im modrigen Keller,
Kunst ohne Glanz, ohne Sinn,
Macht deine Zimmer nicht heller.
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Kalt ist es, einsam und kalt,**
In deinen rissigen Wänden,
Wuchernden Wahnes Gestalt
Will deine Menschlichkeit pfänden.
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Lade nicht Schwertklanges Brunft
Ein unter berstendem Dache –
Endlich, im Licht der Vernunft,
Deutschland, mein Deutschland, erwache.***
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* Swastiken
** Nun ist es einsam und kalt
*** “Deutschland, mein Deutschland” wird nicht gesungen.
(alle Änderungen nach Gehör und deswegen final ohne Gewähr)
Ich weiß nicht genau, wie fit Ihr so in Gedichtinterpretation oder Textanalyse seid. Ein Genie muss man dafür ganz und gar nicht sein. Und ich unterstelle Menschen, die von sich behaupten sie würden sich sehr gut mit unserer Sprache auskennen, Worte wahrhaft lieben und um deren Bedeutung wissen (also so Leute wie Uwe Nolte, die das gern für sich in Anspruch nehmen), auch sehr gut wissen, was sie da schreiben, wie sie das alles platzieren und welche Wirkung sie damit intendiert bei wem erzielen. Entweder schmälert Nolte seine Haltung oder er schmälert sein Handwerk.
Und genau deswegen bin ich zornig. Zornig, wegen der Bemäntelung des Offensichtlichen und der offenkundigen Feigheit. Von Nolte selbst, aber auch von anderen, die das durch ihr Verhalten oder ihre Nicht-Haltung stützen. Zornig, dass es so möglich ist, mit diesem Dreck durchzukommen und dass dieser dumme Ringelreihen nun schon seit Jahrzehnten so geht. Ich bin zornig, dass sowas die Kreativität eines ganzen Genres lähmt. Zornig, dass es mir und anderen die Freude an dieser Musik nimmt. Vielleicht ist das sogar das Schlimmste.
Keine Wertung.