Fremdvertrautes Europa
Archangelsk liegt so ziemlich am nordöstlichsten Zipfel Europas. In der nordrussischen Hafenstadt, die übersetzt Erzengelstadt heißt und die schon im 16. Jahrhundert Handel mit England trieb, also immer ein Tor zu westlichen Welt offen hielt, wird es selbst im Sommer selten über 15 Grad warm und im Winter bleibt es lange dunkel. Die Region um Archangelsk ist geprägt von Seen und großen Weiten. Und auch kulturell betrachtet, ist der “freie” Norden Russlands spannend, der sich in Hinblick auf Poesie, Bildende Kunst, die charakteristische Holzarchitektur und Musik von großen Teilen Zentralrusslands unterscheidet. Schon der Eröffnungstrack The Song Of The Five Lakes Watermill entführt uns ohne Worte in diese kühle ruhige Landschaft.
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Count Ash, der Vordenker des Quartetts um Moon Far Away hat es sich zur Aufgabe gemacht, Andenken und zentrale Elemente seiner Heimatkultur zu erhalten. Und er hat sich dafür einen eher unorthodoxen Weg gewählt, denn er möchte nicht, dass dieses musikalische Konzept in einem Einmachglas aus Formaldehyd erstarrt, schrumpft und sich über die Zeit durch diese Reduktion selbst entstellt. Was sich nicht verändert, muss sterben, ist sein Verständnis beim Umgang mit seinem kulturellen Erbe. “Etwas in seiner Form Neues zu schaffen, ohne alte spirituelle Bräuche abzustoßen, ist das einzige Mittel gegen das Aussterben einer Kultur. Es handelt sich um einen alchemistischen Schaffensprozess, der unter Verwendung nur der reinsten und dennoch deutlich gegensätzlichen Zutaten Innovation bewirkt. Und die Flamme im Schmelzofen, der weiterhin bedeutungsvolle Schatten gleich Symbolen wirft, brennt immer noch…”, beschreibt er selbst seine Annäherung an Athanor Eurasia.
Moon Far Away versuchen auf Athanor Eurasia, dem fünften Studioalbum des Projektes, eine Vereinigung zu schaffen zwischen dem Folk östlicher und westlicher Prägung. Auf dem Album finden sich zwar Songs die frappierend an Sol Invictus erinnern – vor allem The Blank Flag Of The Europe könnte von einem frühen Album der Neo-Folk Legenden stammen. Das liegt zum einen daran, dass Count Ash selbst ein großer Freund der britischen Spötter ist, zum anderen, dass Tony Wakeford himself Celebrate!, einen der beiden Songs, für das Album eingesungen hat. Auch The Blueberry Song steht in der Tradition westlichen Neo-Folk Songwritings und könnte aus der Feder von Forseti oder Sonne Hagal stammen. Hier liegt auch die Gefahr, denn man neigt dazu, auf der Vertrautheit dieser Songs hängenzubleiben und die Übrigen ob ihrer Fremdheit auszublenden. So sehr unterscheidet sich der Rest vom Album davon. Daran ändert auch Intersymbolism nichts, der gewissermaßen einen Bogen zwischen den beiden Welten spannen möchte.
Die Verschmelzung zwischen den musikalischen Folktraditionen scheitert auf Athanor Eurasia. Vielmehr bringt das Album beide Traditionen zusammen. Aber ist es denn deswegen ein schlechtes Album? Nein, tatsächlich nicht und da komme ich auf den zweiten den essentiellen und wesentlichen Teil zu sprechen. Moon Far Away sichern hier traditionelles Liedgut, das musikalische Vermächtnis einer Region am geographischen Schlüsselpunkt zwischen Europa und Asien. Der kulturelle Hintergrund ist vielfältig, reichhaltig und einzigartig. Da mögen auch einfache Instrumentierung, simple, repetitive Liedstrukturen und der seltsam leiernde, schiefe Gesang junger Frauen, alter Weiber und Kinder in Landessprache erst einmal fordernd sein und enervierend wirken. Es braucht ein paar mehr Hördurchgänge, um sich die weite Sehnsucht von Polia Vy, Polia, die tiefe Geborgenheit von Dva Lazyrja oder die einfache Unschuld von Ostavaisja Bely, Knjaz zu erschließen. Das Wesen alter Volksweisen liegt in ihrer Einfachheit, in ihren Wiederholungen. So prägten sie sich ein, so konnten sie rezipiert werden, so konnten sie überleben. Das war und ist überall so. Athanor Eurasia ist kein einfaches Album, es ist fremd und wird vertraut, wenn man sich darauf einlässt.
Athanor Eurasia ist am 28. Juni bei Auerbach Tonträger (Prophecy Productions) in unterschiedlichen Formaten erschienen. Zusammen mit dem Album ist Zhito Zhala: The Early Harvest 1997-2010 erschienen. Das Artbook umfasst fünf CDs mit allen in dieser Zeit erschienenen Alben von Moon Far Away.
Anspieltipps: The Blank Flag Of The Europe, Dva Lazyrja, Lubila Menja Mat, Obozhala, The Blueberry Song
Tracklist MOON FAR AWAY – Athanor Eurasia:
01. The Song Of The Five Lakes Watermill
02. The Blank Flag Of The Europe
03. Napadi, Rosa
04. Polia Vy, Polia
05. Lubila Menja Mat, Obozhala
06. Dva Lazyrja
07. The Blueberry Song
08. Intersymbolism
09. Ostavaisja Bely, Knjaz
10. Celebrate!
Weblinks MOON FAR AWAY:
Official: http://www.moonfaraway.ru
Facebook: https://www.facebook.com/MoonFarAwayOfficial
Bandcamp: https://moon-far-away.bandcamp.com
Label: https://de.prophecy.de/kuenstler/moon-far-away