Ach, es ist dieser Tage schon manchmal schwer, „schwarz“ zu sein. Nein, ich gehöre nicht zu den Leuten, für die früher alles besser war – ich weiß dann meist sowieso nie, wann dieses „früher“ gewesen sein soll, noch was eigentlich mit „besser“ gemeint ist. Mal ganz abgesehen davon stimmt es auch nicht. Was ich aber meine, ist dieses beklommene Gefühl, das einen beschleicht, wenn man sich durch die diffuse Zugehörigkeit zu einer „Szene“ ebenso unfreiwillig wie unwillig auch einer bestimmten Art von Musik zugeordnet sieht. Und das passiert nur deshalb, weil sich deren Protagonisten durch das Tragen eindeutiger Labels ebenfalls eben jener schwer greifbaren – und doch von außen so klar zu umreisbaren – „Szene“ zuordnen. Ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Ich will auch keine Namen nennen. Bestimmt fallen bei diesen Ausführungen jedem selbst so ein paar Kandidaten ein, die er oder sie als Symptom (oder gar als Ursache?) benennen kann, warum es bergab geht mit dem Dunkel (oder warum das Dunkel schon längst unrettbar verloren ist?). Ich will viel lieber über dieses andere, viel wichtigere Gefühl schreiben. Und dieses Gefühl lösen bei mir The Beauty Of Gemina aus. Es ist weniger ein „Götter, es ist doch noch nicht alles verloren!“, eher ein „Ja, genau sollte es sein, sich anhören und vor allem anfühlen – das Dunkel!“.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
The Beauty of Gemina schreiben Songs, die todtraurig, schwarz und abgrundtief elegisch sind, ohne dass es auch nur eine Sekunde aufgesetzt oder auch nur im Ansatz lächerlich wirkt. Die Band schafft es seit beinahe 12 Jahren wie kaum eine Band, die man der sogenannten schwarzen Szene zuordnet, dunkles Lebensgefühl heraufzubeschwören. Und das gelingt ihnen ganz ohne kilometerlange Bahnen violetten Pannesamt aufzutürmen, sich falsche Vampirzähne anzukleben um dann mit blutigen amourösen Abenteuern zu prahlen oder sich mit vermeintlich sinn-stiftenden Pseudo-Hymnen (bei den Kindern der Dunkelheit) anzubiedern.
Fast scheint es, als seien The Beauty Of Gemina nur sich selbst verpflichtet, ja, und der Qualität, einem hohen musikalischen und textlichen Niveau und der Authentizität. Mit ihren Fans teilen sie letztlich vor allem eins: Hingabe. Die Veröffentlichung des Albums Minor Sun im letzten Jahr markierte den Anbruch einer neuen Schaffensperiode von The Beauty Of Gemina, das genau diesen Tenor aufgreift und innovativ auf ein neues Level hebt. Minor Sun beseelt den Hörer, führt ihn an Abgründe, lässt ihn dort aber niemals allein zurück und schenkt Hoffnung. Das Album wurde von den Kritikern fast ausnahmslos gefeiert: so wurde Komponist und Sänger Michael Sele musikalisch sogar mit David Bowie verglichen, der mit der Minor Sun über den Kummer von Black Star hinweghelfe. Seine Stimme brauche sich hinter dem Timbre eines Nick Cave oder der Fülle eines Alexander Veljanov nicht zu verstecken.
An die Veröffentlichung schloss sich eine erfolgreiche Europatournee an, in deren Zusammenhang auch Minor Sun – Live In Zurich entstand. Aufgezeichnet wurde das Doppelalbum während der spektakulären Jubiläumsshow vom 19. November 2016 im X-TRA Limmathaus in Zürich. Der Veranstaltungsort liegt Michael Sele besonders am Herzen, weswegen das Konzert zu einem für alle Anwesenden unvergesslichen Highlight wurde.
Konzert und Live-Album sind selbstverständlich von Minor Sun dominiert, fast jeder Titel des Albums schaffte es auch auf die Live-Veröffentlichung. Das Design des Albumcovers wurde ebenfalls an Minor Sun angelehnt. So ist Michael Sele bei der Studio-Version vor dem weißen Hintergrund kaum zu sehen, auf dem Live-Cover scheint er ebenfalls zu verschwinden, jedoch hinter scharf kontrastierenden dunklen Schatten. Im Regal dürften beide Versionen ein hübsches, monochromes Pärchen abgeben.
Minor Sun – Live In Zurich beginnt klassisch: Das Intro wird gefüllt mit Eingangstakten des Kyrie aus der Großen Messe in C-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart, das langsam von The End ersetzt wird. Auf dem Videomitschnitt sind lichte Projektionen des Minor Sun Artworks zu sehen, bevor die Band dahinter selbst zum Vorschein kommt. Neben Michael Sele, der wie immer den Gesang allein bestreitet und darüber hinaus an Gitarre und Klavier zu sehen ist, sind Gründungsmitglied Mac Vinzens (selbstverständlich an den Drums), Andi Zuber (am Bass) und Ariel Rossi (Gitarre) mit dabei. Zusätzliche Unterstützung erhielt die Band durch den Cellisten Raphael J. Zweifel.
Die Aufzeichnung des Live-Acts ist von der Konzeption bis zum Schnitt durchdacht. So werden die Künstler aus verschiedenen Kameraperspektiven aufgenommen, die für das Video den einzelnen Songs perfekt auf den Leib geschneidert werden (sehr schön zu sehen, vor allem bei Another Death). Auch das Publikum wird immer wieder stimmungsvoll durch Kamerafahrten und Einzelperspektiven eingefangen. The Beauty Of Gemina sind eine exzellente Live-Band. Das liegt mehr an der dargebotenen musikalischen Qualität, als an einer ausgefeilten Performance, knalligen Kostümen oder Effekten. Hier setzt die Band eher auf Understatement. Die Künstler wirken verinnerlicht und scheinen völlig in dem aufzugehen, was sie tun. Nur Michael Sele hält Kontakt zum Publikum und wirkt dabei mal ätherisch unnahbar, mal zurückhaltend, schüchtern und beinahe linkisch, wenn er versucht aus sich herauszugehen. Musik bleibt bei The Beauty Of Gemina stets Mittelpunkt, weswegen auch Fans, die sich „nur“ für die Doppel-CD entscheiden, ebenfalls mehr als auf ihre Kosten kommen.
Krönende Highlights auf der Live-Aufnahme gibt es viele: Another Death gehört hier zu meinen besonderen Lieblingsstücken. Zum treibenden Schlagwerk drängt sich Seles dunkle Stimme und jagt Schauer über den Rücken. Bald darauf rührt eine zerbrechliche Piano-Version von Darkness zu Tränen und führt den Zuhörer durch die ausgefeilten Arrangements von tiefer Verzweiflung, herzbrechender Traurigkeit zu leiser Hoffnung. Natürlich darf auch Suicide Landscapes nicht fehlen, das ich dank der instrumentellen Unterstützung von Raphael Zweifel noch nie besser gehört habe. Allein dafür lohnt sich die Anschaffung der Live-Aufnahme bereits. Crossroads beweist, wie unaufgeregt sich The Beauty Of Gemina nicht durch musikalische Grenzen einengen lassen. The Lonsesome Death Of A Goth DJ zeigt, mit welcher Leichtigkeit die Band einen Saal zu kochen bringen kann. Sechs Songs als Zugabe machen deutlich, wie sehr The Beauty Of Gemina ihre Fans schätzen. „All this time all I feel is love”.
Minor Sun – Live in Zurich erscheint am 17. März auf dem band-eigenen Label tBoG Music. Man hat die Qual der Wahl zwischen einer 2-CD Audio-Version, dem Videomitschnitt auf DVD oder ganz brillant auf BluRay. DVD und BluRay beinhalten zusätzlich ein 10-minütiges Behind The Scenes, welches alle am Konzert Beteiligten speziell würdigt und Impressionen des Konzertabends vom Aufbau, über den Soundcheck, bis hin zur Autogrammstunde nach dem Konzert zeigt.
Anspieltipp: Another Death
Tracklist THE BEAUTY OF GEMINA – Minor Sun – Live in Zurich:
01. End
02. Bitter Sweet Good-bye
03. Haddon Hall
04. Another Death
05. King’s Men Come
06. Hunters
07. Darkness
08. Suicide Landscape
09. Kingdoms Of Cancer
10. Crossroads
11. Wonders
12. A Thousand Lakes
13. Rumours
14. Seven-Day Wonder
15. Dark Rain
16. Endless Time To See
17. Waiting In The Forest (Z)
18. All Those Days (Z)
19. This Time (Z)
20. The Lonesome Death Of A Goth DJ (Z)
21. Close To The Fire (Z)
22. Down On The Lane (Z)
Behind the Scenes-Feature (DVD/BluRay)
Weblinks THE BEAUTY OF GEMINA:
Homepage: www.thebeautyofgemina.com
Facebook: www.facebook.com/TheBeautyOfGemina