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L’Âme Immortelle – Unsterblich Tour 2016

L'Âme Immortelle – Unsterblich Tour 2016

L'Âme Immortelle © Elmar "Ritti" Herrmann

Es war um 1996 und es war in Wien...

Zwei Konzertberichte zum Jubiläum und ein Rückblick auf 20 Jahre LAI

Gastbeitrag von Elmar “Ritti” Herrmann

Es war um 1996 und es war in Wien… Mit diesen Worten möchte ich heute beginnen, euch von einer Band zu erzählen, die dieser Tage unter dem Leitmotto Unsterblich ihr 20-jähriges Jubiläum feiert: L’Âme Immortelle.

Die Österreicher tragen den Nimbus des Unsterblichkeit jedoch nicht nur offen in ihrem Namen, vielmehr erlebten, erliebten, erlitten Sonja Kraushofer und Thomas Rainer in den vergangenen zwei Dekaden die Höhen aber auch (Un)-Tiefen des Musikbusiness. Feierten gemeinsam Erfolge, gingen zeitweilig ihrer Wege und fanden letzten Endes doch jedes Mal zusammen. So schnell 20 Jahre vergangen sind, es bleibt ein verdammt langer Ast. Ganz besonders in der Musikbranche, wo sich Spatz und Nachtigall nur allzu oft des morgens Guten Tag und abends auf immer Lebe wohl! zwitschern. Ein Blick in das Vorwort des aktuellen Jubiläumsalbums Unsterblich genügt, um zu erahnen, dass auch LAI mehr als einmal vor der Frage Should I stay or should I go? standen, während aus dem Äther Joe Strummer sein Lied spielte. Nein, Musik — vor allem ihr Business — ist kein Ponyhof, auf dem silberne Elefanten trompeten oder rosa Einhörner gedeihen. Es ist ein knallhartes Geschäft, das sich von Kreativität ernährt und das Einzigartige zerstört. Moderner Vampirismus, an dem der Mensch hinter dem Musiker zerbricht oder eben nicht. Passend dazu empfiehlt sich die Lektüre John Nivens’ Kill Your Friends, das mit launig-frivolen Zeilen gleichsam genüsslich die Messer wetzt. Aber halt, ich schweife ab…

*** ERSTE SCHRITTE ***

L’Âme Immortelle sind immer noch da und bevor wir uns, verehrter Leser, später auf die Reise nach Hamburg und Leipzig begeben, nehmen wir uns doch den Moment für eine kleine Zeitreise durch das bisherige Schaffen der Österreicher und die Erinnerungen eines Einzelnen, der eines verregneten Tages auf diese besondere Band traf:

Unvergessen sind sie, die wilden Anfänge, mit denen sich die Gründungsväter Thomas Rainer und Hannes Medwenitsch eins unverblümt zwischen düsterem Industrial-Electro und morbidem Gothic-Tonus Gehör verschafften. Lieder die wie Wunden bluten (1997) und In einer Zukunft aus Tränen und Stahl gerieten zur Sturm-und-Drang-Phase L’Âme Immortelles und gelten heute zurecht als Klassiker der späten 90er. Vermutlich war es exakt jene räudige, nach verquarztem Probenkeller klingende Produktion, der Schranz schwarzen Metalls in Thomas Rainers Stimme und die verhallten, noch etwas zaghaften Auftritte von Sonja Kraushofer als Engelchen in all dem Teufelswerk, die den beiden Frühwerken ihren besonderen Flair verliehen. Ganz sicher aber waren es jene drei Evergreens, die bis heute in keiner anständig sortierten DJ-Sammlung fehlen dürfen, die das Tor in eine neue Welt aufstießen: Life will never be the same again, Love is lost und natürlich Bitterkeit. Drei Volltreffer, die den weiteren Weg für LAI schon damals vorzeichneten und gleichsam zum Symbol für eine wichtige Eigenschaft des Trios werden sollten: musikalische Wandlungsfähigkeit! Ein Merkmal, das ihnen im Laufe der Zeit viele Anhänger, aber auch eine gehörige Portion Neider bescheren sollte.

Mit Wenn der letzte Schatten fällt und Dann habe ich umsonst gelebt von 1999 und 2001 rückte schließlich jenes Wechselspiel zwischen Sonja Kraushofer und Thomas Rainer in den Fokus, mit dem sich LAI in der Gothicszene endgültig einen Namen machten. Damals wurde eben noch nicht so streng nach Schubladen sortiert, in die die Wiener ohnehin nicht mehr gepasst hätten. Die harten Klänge wichen nun einer wohldosierten Melange aus Electropop und düsterer Romantik, die den Österreichern bis zum heutigen Tage in wechselnden stilistischen Ausprägungen zum Markenzeichen werden sollte. Der Übergang vom Underground-Geheimtipp zum Hoffnungsträger war vollzogen.

In dieser Zeit wurde auch ich auf die Band aufmerksam. Ich erinnere mich noch gut… Zillo Festival 1999… Mein erstes Festival überhaupt und dann noch eines in dieser Szene, die mir zuvor kaum geläufig war. Wo bis dato Scooter, Blümchen und das Rödelheim Hartreim Projekt ihre Beats kickten, standen nach der Rammstein-Revolution der späten 90er nun Joachim Witt, Wolfsheim, Deine Lakaien, Project Pitchfork und Paradise Lost auf dem Programm. In etwa mit diesem Grundstock wagte ich mich mit Bluejeans und Turnschuhen auf den Flugplatz zu Hildesheim, nicht ahnend, welches Paralleluniversum mich dort verschlucken und nicht wieder Preis geben würde. Wenn ich heute daran zurück denke, wie ich damals die Bandliste des Flyers durchging, auf der all diese fremdartigen Namen standen… The Inchtabokatables (!)… Ok, ausgerechnet die sagten mir schon was, durch den Kontakt mit Subway to Sally… Aber Apoptygma Berzerk, Kirlian Camera, In Extremo (bestimmt ein paar ganz Harte) und dann noch irgend so eine beknackte Mortadella da – Gott musste verrückte Menschen lieben, er machte so viele davon! Und ich hatte ja KEINE Ahnung!

Nachdem man Festival- und Grenzwellenmoderator Ecki Stieg vorgeschickt hatte, mit einem politisch gefärbten Dementi Kirlian Camera aus dem Hut zu zaubern und Angelo Bergamini, beglitten von zwei mysteriösen Damen, direkt mit Sturmhaube auf dem Kopf, irgend ein Pamphlet herunter zu wimmern begannen (wirkte auf mich schon ziemlich krass damals), war ich erst einmal geschockt und fasste den Entschluss, fortan alles, was vom Namen her komisch klang, in großem Bogen zu umkurven. Doch schon als im Anschluss die eingängigen Harmonien Apoptygma Berzerks zum entlegenen Parkplatz herüber wehten, dämmerte es mir, dass da möglicherweise noch mehr sein könnte als ein komischer Kauz mit dem weinerlichem Gejammer. Die Neugierde war geweckt und als dann auch noch In Extremo am Sonntagmittag in mein Leben traten (what a flash), war es endgültig um mich geschehen. Von der Mortadella im Hangar bekam ich an diesem Wochenende vorerst nur die allerletzten Akkorde mit. Die Lunte jedoch war gelegt und wartete begierig darauf entzündet zu werden.

In den Wochen nach dem Zillo Festival packte mich der Forschungsdrang. Man schrieb die Ära von rauschend-quäkenden Einwahltönen, Verbindungsabbrüchen, wenn dich irgend einer telefonisch erreichen wollte, von tatsächlich gelesenen Musikmagazinen und 56K, die zum Portal in eine neue Welt wurden. Und da gab es sie, diese — nennen wir sie mal — musikalische Freihandelszone, die zu meiner damaligen Verwunderung sogar diese Band Namens L’Âme Immortelle kannte, wenngleich mitunter in den abstrusesten Varianten. Aber man war als wissbegieriger Jung-Gote ja froh über alles, was man so fand. Auch bei mir sorgten die drei Eingangs erwähnten Stücke dafür, dass der Groschen fiel. Pfennigweise zunächst, bis ich schließlich im Herbst 1999 mein allererstes Orkus Magazin mit dieser rätselhaften Frau auf dem Cover in den Händen hielt. Es war eine LAI-Titelstory und Sonja Kraushofer (damals noch ohne ihre markant roten Haare), welche mich sogleich dazu bewog, mein kärgliches Azubi-Salär in einen entsprechenden Tonträger umzusetzen. 32 Mark und 99 Pfennige, inklusive 16 % Mehrwertsteuer – so war das damals…

*** LIFE WILL NEVER BE THE SAME AGAIN ***

Ähnlich wie mir musste es auch vielen anderen ergangen sein. Denn neben großen Festivalauftritten, unter anderem beim Chaos-WGT 2000 und gleich den ersten drei (!) Ausgaben des M´era Luna Festivals in Folge, ließen die Österreicher schon bald mit Top 50 Platzierungen in den offiziellen Longplaycharts aufhorchen. Dazu sorgte das Trio mit seinen Nights of storm and silence-Konzerten für Gesprächsstoff. Ich denke noch gerne an diese Zeit zurück, als LAI das Hannoveraner Faust — mit seiner berüchtigten Säule — auf den Kopf stellten, der grün angestrahlte Rig von Vorband Janus das Ding mit seinem brachialen Organ, respektive Orkan, im Lou Ferrigno-Style beinahe in Schutt und Asche hulkte und Thomas Rainer so beherzt zupackte, dass Sonja fast ein Paar Wiener aus dem Dekolleté sprangen. Oder diese merkwürdige Hörspielband Schwarz, die sich aus unerfindlichen Gründen mit ihrer Schwarzlichtbemalung auf die Bühne gemogelt und anschließend den halben Laden auf Jahre hinweg mit ihren Stickern verschönert hatten… Sweet memories… Auch wenn der Langspieler dieser Rabauken im Vergleich zum passablen Auftritt wirklich der allerletzte Scheiß war und mir bis heute als Inbegriff des absoluten Dilettantismus gilt. Immer wenn ich glaube, es geht nicht schlimmer, höre ich SCHWARZ — dann geht’s mir wieder gut! 😉

Dass Thomas und Hannes in dieser Zeit mit immer ausgefeilteren Arrangements aufwarteten, live sogar mit Streichern experimentierten und sich zusehends dem Tatbestand des Gothic-Pops annäherten, gab Sonja Gelegenheit, ihre Musicalwurzeln in dem Gefüge zu kultivieren. Heilige Madonna! Ein Schelm, der Böses dabei dachte, als L’Âme Immortelles Femme Frontal zum ersten Mal in ihren charakteristischen Columbiarot erstrahlte. Vergleiche mit Nell Campbell aus der Rocky Horror Picture Show erschienen mir durchaus legitim – nur um diesen Bogen mal zu konkretisieren. Allerdings eilte die Wienerin nun mit Siebenmeilenstiefeln zur ausdrucksstarken First Lady des Goth, was noch wieder ein ganz anderer Stiefel darstellte.

Unter tatkräftiger Schützenhilfe der Herren Janus schuf Sonja zu Beginn des neuen Jahrtausends ihr bis heute aktives Seitenprojekt Persephone, welches sich fernab von L’Âme Immortelle im neoklassischen Segment ansiedelte. Doch auch Thomas Rainer blieb neben seinem Engagement für LAI nicht untätig. Unter dem Namen Siechtum zog er zusammen mit Joachim Sobczak (Schattenschlag) unverblümt den Industrialknüppel aus dem Sack und ließ mit dem Debüt Gesellschaft: Mord kräftig die Starkstrompeitsche knallen. Dazu darf man die militaristische Schagseite, u.a. in Waffenschwur, aus heutiger Sicht gerne als erste Vorboten des 2007 von Rainer ins Leben gerufenen Nachtmahr begreifen. Harte Kost! Brachiale Randale!

L’Âme Immortelle gingen derweil weiter ihren Weg, wobei der zunehmende Erfolg letztlich seinen Tribut forderte. 2002 scherte Mitbegründer und Rainers musikalischer Wingman Hannes Medwenitsch nach 6 Jahren überraschend aus der Formation aus. Gesundheitliche Gründen, wie später verlautbart wurde. Es ging einfach nicht mehr! Ein herber Schlag für viele Fans, der auch in den damals aktiven Fanclubforen kontrovers diskutiert wurde, begleitet von der Frage nach der Zukunft von L’Âme Immortelle.

*** REARRANGING ***

Eine Frage, der die Wiener mit einer musikalischen Neuausrichtung begegneten. In den Jahren 2003—2006 wandten sich LAI, ausgehend vom Elektrofundament der frühen Jahre, zunehmend rockigeren Einflüssen zu. Mit Gitarrist Ashley Dayour (Whispers In The Shadow / Near Earth Orbit / The Devil & The Universe), Martin Parzer (Keyboards) sowie später auch Francis Lirsch (Bass) und Markus Adamer (Drums) scharten Thomas und Sonja Stück für Stück eine Live-Band um sich, was nicht nur auf der Bühne neue Möglichkeiten eröffnete, sondern auch mit jeder weiteren Veröffentlichung größeren Einfluss auf das Songwriting gewann.

Als die Liebe starb von 2003 schraubte zunächst den bis dahin nur rudimentär eingestreuten Gitarreneinsatz spürbar nach oben. Auch organische Drumsounds mischten sich mit den gewohnten elektronischen Klängen und dem zur Perfektion gereiften Wechselspiel Kraushofer/Rainer. Mit Songs wie Tiefster Winter, Aus den Ruinen oder Letting Go legten LAI für viele Fans ihr Meisterstück ab. Die dazugehörige Tour gilt heute als wegweisend, was unter anderem auch an dem aus heutiger Betrachtung denkwürdigen Vorprogramm lag, spielten doch keine geringeren als der heutige King of Gothlett ASP und ein gewisser, damals noch léger im Tank-Top auflaufender, Graf UNHEILIG Nebenrollen in dem opulenten Liebesdrama. Klick-Klack, hörst du die Maschinen in der Nacht?! Unvergessen die Eröffnung der Konzerte, in der Thomas, vom Nebel umschlungen, seine Gedanken in einem Tagebuch festhielt oder Sonja, wie sie es sich auf Alexander Frank Sprengs Schoß gemütlich machte, um dem bereits ziemlich ramponiert dreinschauenden schwarzen Schmetterfinken zu Betrayal nach allen regeln der Kunst die Leviten zu lesen. Frankie The White Nose Sofa – war der vorher auch schon so blass im Gesicht? Irgendwie herrlich! In ähnlicher Form konserviert und für die Nachwelt festgehalten wurde dieser Moment im Rahmen der Live-DVD Disharmony aus der Darmstädter Centralstation. Eine Örtlichkeit, die unter LAI-Kennern unfreiwilligen Kultstatus erlangte, nachdem Sonja während eines Interviews jener verhängnisvolle Versprecher über die Lippen gerutscht war, der den Club vor laufender Kamera zur Darmstation machte.

Mir blieb jene Konzertreihe im Winter 2003 darüber hinaus lebhaft in Erinnerung, weil sie a) meine erste Bekanntschaft mit der Magdeburger Factory bedeutete, b) mein damaliger Kumpel Maik es im angeheiterten Zustand als statthaft erachtete, sich der Angehimmelten beim Autogramme schreiben vor die Füße schmeißen zu müssen und c) irgend ein Raubritter die Dreistigkeit besessen hatte, meinem Ritti-Mobil ein Wischerblatt zu stibitzen, was auf der verschneiten Heimfahrt noch für rege Anteilnahme sorgte.

Im gleichen Jahr gingen L’Âme Immortelle ein weiteres Mal auf Reisen. Kaschte von Samsas Traum durfte dieses mal als Couch herhalten. Das betreffende Konzert in Hannover wurde dabei zur letzten LAI Show im FAUST (der Laden ging später insolvent), wo ein kleines Mädchen an die Bühne trat, um Sonja ein Schokoladenherz zu schenken, Herr Dayour mit rotem Schopf danach trachtete der Kraushofer den Pumuckel Award abzugraben und Thomas Rainer für die Live-Premiere des Songs 5 Jahre zum einzigen Mal (das ich bezeugen durfte) mit einer Bassgitarre auf der Bühne stand.

Das Jahr 2004 ging für L’Âme Immortelle mit einschneidenden Veränderungen hinter den Kulissen einher. Von den stetig wachsenden Erfolgen beflügelt, wagten die Österreicher schließlich den Wechsel zum Major Label Sony, wenn auch nicht ohne ihrem langjährigen Labelboss Alex Storm (Trisol) weiter als Berater die Treue zu halten. Wie so viele Szenebands denen die Zusammenarbeit mit einem Major vergönnt war, sahen sich auch L’Âme Immortelle schnell mit Anfeindungen der Szenepolizei und Ausverkaufsvorwürfen konfrontiert, noch bevor der erste Ton des 2004 erschienenen Albums Gezeiten veröffentlicht war.

*** NEUE GEZEITEN ***

Obwohl Thomas in dieser Zeit nicht müde wurde, den Fans gegenüber zu betonen, das Album schon vor dem Wechsel geschrieben zu haben, blieben die Vorurteile. Zugegeben, es wirkte schon etwas aus der Art geschlagen, Sonja Kraushofer auf der Couch des Viva Interaktiv-Studios einfältige Fragen beantworten zu sehen oder bei ihrem späteren Gastauftritt mit den damaligen Labelkollegen Oomph! (Brennende Liebe) auf der Top Of The Pops-Bühne. Dennoch markiert Gezeiten, allen Unkenrufen zum Trotz, bis heute den kommerziellen und möglicherweise auch kreativen Zenith im Schaffen von L’Âme Immortelle, zumindest was den Einklang der unzähligen Einflüsse anbelangt, die den Weg auf dieses Werk fanden. Von effektvollen Streicher-Arrangements über avantgardistische Elektrospielereien bis hin zu den deftigen Rockhits à la 5 Jahre und Stumme Schreie brannten die Wiener, unter der Produktion von John A. Rivers (u.a. Sopor Aeternus / Dead Can Dance) und Rhys Fulber (Front Line Assembly / Paradise Lost) ein Feuerwerk der Extraklasse ab. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich nach dem ersten Durchlauf damals Minutenlang da saß und nicht in Worte fassen konnte, was ich da gerade gehört hatte. Too much input! Gezeiten schaffte es auf Platz 16 der Media Control Charts — ein Meilenstein für LAI.

Auf Tour ging es dieses Mal mit Chamber (heute in abgewandelter Form unterwegs als DIE KAMMER). 2004, wieder Magdeburg, es war Tourabschluss — Fool’s Day, wie die Engländer sagen. Kleine Späße über falsch parkende Transporter und Musiker, die im Kinderparadies abgeholt werden wollten, machten die Runde… Schaufensterpuppen dienten zur Deko… La Kraushofer im edelstahlfarbenen Kleid samt Gitterspeichen und ein Kommandant Rainer, dem nach der Konzert ganz allein der Lackstift ging, weil Sonja bereits für einen Auftritt mit Persephone am Folgetag ausgeflogen war. Memories… All alone in the moonlight…! Meinem Gezeiten-Booklet fehlt übrigens bis heute noch die zweite Unterschrift, nur um das mal festzuhalten! 😉

*** LOVE IS LOST ***

Wie in den meisten guten Geschichten kommt allerdings irgendwann der Punkt, an dem die Woge des Erfolges sich zur dramatischen Wendung aufbäumt. Diesen Wendepunkt markierte Auf deinen Schwingen von 2006. Die Fähigkeit, sich selbst immer neu zu erfinden, die LAI stets verlässlich zu neuen Höhen verholfen hatte, wendete sich gegen sie. Einen Schritt zu weit nach vorn gewagt, fiel das Album bei vielen Fans in Bausch und Bogen durch. Vergleiche mit Austropop-Queen Christina Stürmer machten die Runde. “Schlagermist”, ätzten die einen — “Evanescence für Arme” spotteten andere. Auch die Fachpresse zog schon vorsorglich den Dolch aus dem Schaft. Denn Freude macht, was Quote schafft. Die Glaubwürdigkeit innerhalb der Szene war fürs Erste dahin – speziell bei jenen, denen die Österreicher schon mit den letzten beiden Alben zu wenig der gewohnten Elektronik geboten hatten. Auch ich reihte mich schließlich, wenn auch nicht so extrem, in den Chor der Kritiker ein. Weniger aus mangelndem Respekt vor dem Mut zu stetigen Veränderung. Nein! Der war immer das Salz in der Suppe. Stattdessen wirkte die Scheibe für mich verunsichert, auf eine schwer zu beschreibende Art hölzern, ja geradezu gehemmt. Selbstbewusst klang vorher deutlich anders und wenn ich ehrlich bin, gibt mir Auf Deinen Schwingen trotz seiner vorhandenen Momente noch Rätsel auf. Was war nur Geschehen?


Es kam, wie es kommen musste. Kommerziell konnte das Album nicht an seinen Vorgänger anknüpfen. Es landete irgendwo in den 40ern und später auf dem Wühltisch. Zudem schien auch die Zusammenarbeit mit Sony gerüchteweise zunehmend schwieriger geworden zu sein. Als erster Vorbote des Albums ward Phönix auserkoren (bis heute einer der stärksten Songs der Band), welcher jedoch nach kurzer Zeit zugunsten der fluffigen Alternative-Single Nur Du verschwand. Dieser seltsame Cartoon-Look ohne einen Auftritt der beiden. Hatten sich LAI künstlerisch in eine Ecke manövrieren lassen, in der sie sich, man möge mich da gerne eines besseren belehren, nicht 100%ig wohl fühlten? Wo kamen sie her, wo wollten sie hin. Ergab das alles noch einen Sinn? Oder hatten die Asse ihr Blatt am Ende selbst überreizt? Das Herz war ins Stocken geraten.

Ende 2006 ging es erst einmal wieder auf Tour. Zumindest live hielt der Name LAI, was er versprach. Stattliche Häuser, wie das Capitol in Hannover, mischten sich in den Spielplan, die Bühnenshow arbeitete mit Projektionen, das Bandkonzept wurde endgültig vollendet und die Performance der beiden Hautptakteure zu Der Letzte Akt hätte dem viel zu früh verstorbenen Hans Hölzl ganz sicher einen anerkennenden Griff durch die Pomade abgetrotzt – stark!

*** THE CLEANSING ***

Was bleibt von uns übrig, wenn der letzte Ton verklingt… (aus Requiem) lautete Ende 2007/Anfang 2008 der Slogan jener frappierend an eine Traueranzeige erinnernden PR-Kampagne zum Album Namenlos. Ein provokanter Schachzug, angesichts der schwierigen Phase und sich mehrenden Gerüchten über das vorzeitige Ende der Major-Ära, den längst nicht alle Anhänger der Wiener durchschauten, geschweige denn mit dem entsprechenden Humor nahmen. Wieder einmal wurde kontrovers debattiert. War es das jetzt?, wie viel Provokation ist eigentlich erlaubt? und ist es nicht geschmacklos seinen Fans einen solchen Schrecken einzujagen?. Dabei gab es an L’Âme Immortelles Rückkehr zum Indie-Label Trisol wenig zu deuteln. Thematisch um den Wiener Friedhof der Namenlosen geflochten, jener geschichtsträchtigen Ruhestätte, die seit dem frühen 20. Jahrhundert unzählige anonyme Flussleichen aus der angrenzenden Donau begraben hält, fanden LAI musikalisch zu ihren Stärken zurück. So entpuppte sich auch der doppelbödige PR-Tango nachträglich als cleveres Menetekel des inhaltlichen Konzepts, während sich musikalisch mit 1000 Voices und Lost offen Einflüsse aus Thomas Rainers inzwischen gegründetem Seitenprojekt Nachtmahr und Sonjas Persephone ins Klangbild mischten und der Titelsong Namenlos gar mit Darkfolk-Elementen überraschte.

Es folgten zwei umfangreiche Tourneen im Laufe des Jahres 2008. Dayour und Lirsch waren wieder mit dabei, sowie auf der ersten der beiden Adamer on Drums und Autor Thomas Manegold, der als clownigen Erzähler das poetisches Element zwischen den Akten beisteuerte. Ermutigt durch die gefeierten Konzerten im Frühjahr folgte Teil 2 der Reise im Herbst. Hierfür hatte man sich noch einige Songs des Namenlos-.Albums aufgespart. Doch aus heutiger Sicht zeichnete sich hier bereits jener Zäsur ab, die schließlich Ende 2009 eintreten sollte. Nach verflixten 13 Jahren kam das Herz von L´Âme Immortelle — so erweckte es den Anschein — zum Stillstand. Sollte es das wirklich gewesen sein?

Während Thomas sich provokativ die Uniform überstriff und mit Nachtmahr (man möge mir die Spitze Bemerkung verzeihen) darin aufging, das Genre des musikalischen Verkehrsunfalls salonfähig zu machen, zementierte Sonja im neoklassischen Gewand der Persephone weiter ihren Ruf als Ausnahmesängerin. Dazu hob sie gemeinsam mit Ashley Dayour, den es seinerseits mit Whispers In The Shadow in die Gefilde des Okkulten zog, Martin Höfert und Francis Lirsch das Rockprojekt Coma Divine, aus der *räusper* Taufe (Stichwort M’era Luna 2011). Dazu arbeitete sie am Theater, gab Musical Kurse an einer Schule und tauchte nach der Zusammenarbeit mit Oswald Henke schließlich in das aktuelle Ensemble von Goethes Erben ein.

Wie ihr aus diesen Zeilen herauslest, habe ich mich während dieser Zeit schwer auf die Seite der Lady geschlagen. Insbesondere die Konzerte in der Wernigeroder Schlosskapelle waren stets ein Traum. Mit Electrogeknüppel, speziell dem Uniformierten, ist das dagegen immer so eine Sache — schmal der Grat an Visualität, den Tanzdiktator Rainer in seinem Bonker für Nachtmahr ersonnen hatte. Ein Spiel mit dem Feuer, das polarisiert, das aufwühlt und gerade deshalb funktioniert?! Einerseits war es ja recht faszinierend zu sehen, wie derselbe Kerl, der eben noch in düsterer Romantik schwelgte, im nächsten Augenblick mit dem Panzer um die Ecke gerollt kam. Jekyll & Hyde?! Nur ein Sith kennt nichts als Extreme und die Macht war stark in ihm! Für meinen Geschmack bekam der Spaß aber spätestens nach dem Videoclip zu Can you feel the beat irgendwo ein Loch. Frauen verhauen (lassen), foltern und anschließend ganz erlegen? Darth Rainer war ein böser Junge! Ob sich jene künstlerische Kluft, die hier zwischen den beiden L’Âme Immortelle-Köpfen zu Tage trat, jemals wieder auf einen Nenner bringen ließe?

*** OHNE DICH ***

Doch wie so oft im Leben zogen sich die Gegensätze eines Tages wieder magisch an. Womöglich mussten die zwei erst auf Distanz gehen, sich ausleben, um zu erkennen, was sie aneinander hatten. Zu weit waren sie zuvor gemeinsam gelangt, um LAI auf derart klanglose Art beendet zu wissen. Aus den Ruinen ihrer Träume geriet die Auferstehung von L’Âme Immortelle 2012 zur Rückkehr auf Raten. Momente sowie viele Interviews aus jener Zeit zeugten von der Zerbrechlichkeit, in der sich der Bund der beiden Akteure befunden haben musste. Produziert von Patrick Damiani (Rome) haftete dem Werk zudem ein eigentümlicher Limbus-Charakter an, irgendwo zwischen Vergangenheitsbewältigung, Tod und ewigem Leben. Momente wirkte, gewollt oder unbewusst wie der Lost Chapter eines unvollendeten Buchs, ein Übergangsritual auf dem Weg zu Unendlichkeit oder, noch besser, der Unsterblichkeit!? Gemeinsame Konzerte gab es vorerst keine. Stattdessen unterstrichen Sonja und Thomas mit dem in zwei separate Tonträger geteilten Remixalbum Fragmente weiters ihre individuellen musikalischen Stile. Rainer-Style vs. Sonja-Style. Schlussstrich oder Neuanfang? Die Zeit würde es zeigen!

Wie ein Phönix aus der Asche, läutete das Jahr 2014 tatsächlich die Wiedergeburt von L’Âme Immortelle ein. Dass die Wiener diesen Moment schon 8 Jahre zuvor mit Phönix vertont hatten, dürfen feinsinnige Naturen gerne als Ironie des Schicksals verbuchen. Elektronisch – Episch – Ewig kehrte mit Drahtseilakt der Einklang zurück. Unter der Ägide von Produzent Krischan Jan-Eric Wesenberg (Rotersand) nordeten Sonja und Thomas den Kompass auf Devolution ein. Ein Schritt vor, drei zurück, flogen kurzerhand die Gitarrenwände über Bord, um einer elektronischen Frischzellenkur zu weichen, versetzt mit einem großzügigen Schuss Theatralik. Unverkennbar LAI, nah an der Jahrtausendwende wie lange nicht, und doch zweifelsfrei eine Art Synthie-Pop, wie man ihn bisher aus Wien noch nicht zu hören bekam. Zumal Thomas Rainer hier nebenbei seine bislang überzeugendste (und auch meiste) Gesangsleistung an der Seite von Frau Kraushofer ablieferte.

*** VOICELESS IN LEIPZIG ***

All revved up and ready to go, stand dem Bühnencomeback, bis auf einen Arsch voll Arbeit, nichts mehr im Wege. Das aktuelle musikalische Gewand glaubwürdig auf die Bretter zu tragen, machte ein Umdenken erforderlich. Kurzerhand wurde zugleich gesamte Backkatalog durchforstet und die bekanntesten Stücke aufwändigen an das aktuelle Live-Set angeglichen. Ein donnerndes Gitarrenriff hätte ja auch reichlich komisch geklungen, während Gregor Beyerle, als der Neue am Keyboard bzw. Chris Fuxal Fox sich an den Drums abgearbeitet hätten.

Meine letzte Live-Begegnung mit L’Âme Immortelle datierte zu diesem Zeitpunkt zurück auf das WGT 2009. Also kurz vor der Pause. Es war damals eine merkwürdige Show im Angesicht Messer wetzender Combichrist-Fans, denen der Sinn nach harter Elektronik stand, denn nach verzerrten Gitarren. Es wurde also höchste Eisenbahn, das Bild gerade zu rücken und nach fünf Jahren Abstinenz ein Ding rauszufeuern, das sich gewaschen hatte. Leider fand ich Ende 2014 nicht den Weg auf eine Show zum Drahtseilakt-Album. Daher freute ich mich zu Pfingsten 2015 umso mehr darauf, an jenem Ort den Faden wieder aufzunehmen, wo ich die Band zuletzt erlebt hatte: dem Wave Gotik Treffen in Leipzig.

Selbe Stelle, selbe Welle klappte es dieses Mal auch mit dem Publikum – zumindest zahlenmäßig gab es da nichts zu deuteln. Die Halle war picke packe voll und die Leute hatten eben solchen Bock auf LAI wie umgekehrt. Was man jedoch hätte bedenken sollen: Durch die lange Live-Pause waren doch viele der anwesenden Publikümmer, vor allem jene, die es, wie ich, nicht auf die Tour geschafft hatten, regelrecht eingerostet. Eine ziemlich vertrackte Situation für eine Band, die sich gerade, heiß wie Frittenfett, anschickte, die Bühne zu stürmen, um die vielleicht wichtigste Show ihres Lebens zu spielen. Ich weiß noch wie ich da stand und überlegte: Mensch, der Thomas hat aber heute einen zackigen Schritt drauf, und der guckt auch noch so schneidig, während mir — verdammte Axt – irgendwelches Gemurmel aus dem Bart nuschelte. Wie ein Dröhnix aus der Tasche… mmhhhh… mhhhh… mhhh…. werd ich aufer… mmh… stehen!? Ja, mein lieber Herr Gesangsverein, SO ging das doch nicht!

Zusammen mit etlichen anderen stand ich krass auf der Leitung. Woraufhin Commandante Rainer, der sich einiges vorgenommen hatte, für den Auftritt, irgendwann energisch und am Ende gar ein bisschen verunsichert wirkte. Denn bis auf seltsam verzögerten Zwischenapplaus gab es aus dem Auditorium wenig verwertbares Feedback. Dabei machten die vier da oben ihre Sache wirklich gut. Es half also nichts, eine neue Tour musste her. Eine Tour, die erloschenen Seelen unter den Konzertdächern der Nation zu entzünden.

*** DER EWIGE KREIS ***

Anlässlich des 20-jährigen Bestehens und zum Eingrooven auf die große Jubiläumsreise hieß es Ende Februar 2016 endlich wieder Vienna Calling mit dem Jubiläumsalbum Unsterblich. Eine willkommene Gelegenheit, Vergangenes aufzuarbeiten und in Erinnerung zu rufen, durfte sich der geneigte Fan entweder lustvoll über die 13 komplett neu eingespielten Hits, ganz nach dem Vorbild der aktuellen Live-Shows, her machen oder wahlweise über vollständig remasterte Versionen der Klassiker freuen. Das ganze opulent im schicken Einband, hatte man sich auf Seiten der Österreicher nicht lumpen lassen, 18 Jahre unter Aufwendung zweier weiterer Jahre harter Arbeit in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Man stellt sich das ja immer so einfach vor: Best of, fertig, gut… Tatsächlich ist es jedoch oft schwieriger und aufwändiger, etwas Bestehendes respektvoll zu überarbeiten, als etwas Neues zu erschaffen. Das Ergebnis kann man in diesem Fall daher als sehr gelungen betrachten, handelt es sich doch ausnahmslos um die Kronjuwelen der LAI-schen Diskographie – der musikalische Hochsicherheitstrakt.

Mit gebührender Vorfreude auf das Konzert in Hamburg sattelte ich gegen 16:00 Uhr die Pferde. Endlich war es soweit, meine erste LAI-Tourshow seit Herbst 2008… Verdammt, wie hatte es nur so weit kommen können?! Schon auf der Piste ging es hoch her. Lebhafte Einstimmung zu kühlem Muntermacher aus der Dose. Klar, ist ungesund, schmeckt beschissen, macht aber Laune. Was ich im Eifer außer Acht gelassen hatte, war die allgemeine Anspannung, nach langer Abstinenz mal wieder reporterisch tätig zu sein. Als Landei vom Dienst jagt mir zudem der Moloch Großstadt noch immer Schauer über den Rücken. Folglich ging mir kurz vor dem Ziel in einem Ausmaß die Pumpe, dass ich vor lauter Aufregung die Zufahrt zur Markthalle verfehlte und schnurstracks durch den Tunnel Richtung Glockengießerwall abrauschte. Bingo! Die nächstbeste Wendemöglichkeit herbei sehnend, schlug mir das Herz bis zum Hals. Verfickte Energyplörre, jetzt halt doch mal den Rappel!

Hamburch meine Peeehrle! Schweißgeperlt am Parkplatz angelangt, galt es zunächst eine moralische Entscheidung zu fällen. Die ersten 2,50 € hatten schon ihren Weg in den Schlitz des Automaten (an der Burchardstraße) gefunden, als mir diese kleine unschuldige Notiz ins Auge fiel. Maximalparkdauer: 1 Stunde, Gebührenpflichtig bis 20:00 Uhr. Ein Blick auf den Chronographen der Maschine verriet: 18:14 Uhr, dann machte es *klick* als sich auch schon das kleine Fach am unteren Ende mit einem weißlich-roten Zettelchen füllte. Ja leck die Tanne! So kam ich doch nie hin bis 20:00 Uhr! Es half nichts. Als braver Erdenbürger mit wenig Bock auf Knöllchen zog ich mich ins Gefährt zurück, um mir die Feier des Tages nicht von einem Bußgeldbescheid vermiesen zu lassen. Außerdem zog es in den Straße wie Hechtsuppe, was die Entscheidung um einiges leichter machte. Im Auto vertrieb ich mir die Zeit mit Schabernack. Selfie-Videos drehen und so’n Zeug, das Übliche halt. Schlag 18:58 Uhr unternahm ich einen zweiten Versuch den Parkschein zu verlängern, nur um um festzustellen dass die Uhr am Automaten 6 Minuten nach ging. Tolle Wurst! Mich weiter in Geduld übend meldete sich nun erneut der Koffeingehalt aus der Dose zu Wort — dieses Mal eine Etage tiefer. Wieder Perlen auf der Stirn, dazu unruhiges Wippeln von links nach rechts. Mensch schalt um, du elende Drisskiste, nörgelte ich den Automaten an, als hätte er das hören können. Dann endlich *bing*: 19:00 Uhr! Erlösung! Eilig die Parkgebühr entrichtet, dem Radio den Hahn abgedreht und Kameras geschnappt, hastete ich zum Ort des Geschehens. Fest entschlossen wenn mir jetzt hier einer ein Knöllchen verpasst, dann kotz ich auf die Straße und komm hier nie wieder hin! 😉

Der Schleier der Dunkelheit hatte sich inzwischen über die fröstelnden Straßen gelegt. Für die Crew der Markthalle kein Grund zu übertriebener Eile. Mit 15-minütiger Verzögerung begann sich die Menschenkette vor dem Eingang allmählich vorwärts zu schieben. Umgebaut hatten sie hier. Ein stattliches U wie Umleitung ward in den Einlassbereich integriert und die Abendkasse zusammen mit der Garderobe in einen Raum links des Treppenaufgangs vorgelagert. Etwas knubbelig bisweilen, doch dankenswerter Weise ging der Einlass ins gemütliche Nest relativ zügig von Statten. Notgedrungen suchte euer Tippelbruder Ritti auf direktem Wege die lokalen Örtlichkeiten auf. Wat mot das mot, and it mot a lot!

Meine nächste Station war der Merchandise Stand, hinter dem der umtriebige Chris Kavanaugh bereits eifrig Devotionalien an zahlungskräftige Kunden absetzte. Der Plattenhändler aus Leidenschaft hatte so einiges am Start. Neben obligatorischen Fanshirts und verschiedenen L’Âme Immortelle-Artikeln fanden sich dort auch ausgewählte Exponate der Kollektionen von Nachtmahr, Persephone und Coma Divine. Der Rundumschlag für den geneigten Fan, nebst interessanten Geschichten als gratis Beigabe. So erfuhr ich an diesem Abend, dass das jüngst zu neuem Leben erweckte Rainer-Projekt Siechtum wohl inzwischen der letzte Schrei im Langhaarlager sei und demnächst nun die ersten Termine auf Metalfestivals angepeilt würden. Etwas ungläubig schauend wechselte ich das Thema, da mir noch eine organisatorische Feinheit auf der Seele lag, die es zu klären galt. Auf dem kurzen Dienstweg ließ ich mir von Tourbegleiter Marcel – ein netter Kerl mit Kappe – kurzerhand den Fotopass auf Konzertlänge erweitern und ab gings durch den Tunnel of Love in die Halle.

Während meines letzten Besuches bei L’Âme Immortelle in der Markthalle, es war Montag der 20. Oktober 2008, waren die Reihen vor der Bühne relativ luftig besetzt gewesen. Damals hatten vielleicht 250 Fans den Weg zum Konzert gefunden. Gut, es war bereits die Rückrunde der Namenlos-Phase und unter der Woche. Am heutigen Samstag lag der obere Teil des Zuschauerraumes trotzdem vorsorglich von einem Vorhang verdeckt und der FOH-Platz stand ein Stück vorgelagert, um das Geschehen zu komprimieren und insgesamt stimmungsvoller erscheinen zu lassen.

Als erster aus dem Gebüsch sprang *tamtaratam* heute Abend allerdings nicht Jan Delay, sondern JanRevolution – mit bürgerlichem Namen Jan Christian Borkowski, still beglitten von seinem Partner in Crime Thomas Rumpelt an allem, was Tasten hatte. Als kleiner Supportact tut man sich ja gerne mal schwer dem angestammten Publikum beizukommen. Unter dem Motto Return to Sender — so der Titel der jüngst vollendeten und von Gregor Beyerle (Nachtmahr / L’Âme Immortelle) gemasterten Veröffentlichung — stapelte das Duo allerdings unnötig tief. Klar, der schunkelige Futurepop, den die Kronacher servierten klang alles andere als revolutionär, dafür aber potent ansteckend. Dat ies de’ Riehtmus wo de miet muss’, wie man auf Schalke sacht. Nach Hause geschickt wurde an diesem Abend folglich niemand. Man muss das System eben unauffällig unterwandern bevor man die Revolte zünden kann.

Um die 150 Hamburger und kurzfristig Zugereiste hatten aktuell im Saal Platz gefunden — manche auch genommen. Überwiegend im hinteren Teil der Markthalle aalten sich noch einige Versprengte auf den einladenden Stufen des Rocktempels. Andere wiederum wollten ES frontal an der Bühne und ließen sich vom munteren 4/4 Takt in Schwingung versetzen. Man without return schmückte den Auftakt des auf ein halbes Dutzend Songs ausgelegten Sets. Aufhorchen ließ im Speziellen das deutschsprachige Freier Fall an Startnummer Drei. Jepp, dieser Stampfer ging direkt ins Ohr. Damit konnte man arbeiten. Ein paar Damen im Auditorium hatte es der mit schmalen Oberlippenbärtchen entfernt an Ronan Harris erinnernde Jan offenbar ganz besonders angetan. Vergnügt wie ein Becher Zitronensaft quittierten sie jeden Song mit lautstarkem Schlachtengebummel. Joah, da war dann mal Stimmung in der Hose – sehr zur Freude des ausführenden Personals, das sich überrascht gab, was in der Hansestadt an diesem Abend so alles möglich war. Einsatz und Ertrag standen zweifellos in ausgeglichenem Verhältnis.

Our Time, Reminiscence und eine Amnesia später reichten JanRevolution den Staffelstab an die Metallspürhunde weiter. Das Trio la Toblerone zog direkt mal andere Saiten auf. Von wegen die tun nix, die wollen nur spielen! Vollkontakt im Rockertrakt war angesagt, als Maid Marion das Theremin ersummen ließ, Sebastian Hausmann an der Gitarre auf die Bühne huschte und last but not least Michel Frasse im Zentrum die Rampensau von der Kette ließ. Ein dankbarer Umstand, eröffnet er dem geneigten Rezensenten doch die Möglichkeit seine Beobachtungen effizient mit nur einem Wort zu umschreiben: völligdurchgeknallt.

Ok, das waren zwar eigentlich zwei Worte, aber jetzt ging wirklich die Luzie ab. Zwischen springendem Punk und hüpfendem Koma setzte es das volle Programm Gesichterfasching. Da Frontmann Michel entsprechend mit Gesang beschäftigt war, zog vor allem Gitarrist Sebastian, entfernt an Heath Ledgers Joker erinnernd, eine kranke Schau ab. Doch auch der Fronter gab sich entsprechend exaltiert und volksnah. Disharmonie und Blut und Spiele komplettierten just die erste Hälfte des Programm, als Frasse auf dem Gitterpodest am Bühnenrand in Position ging, wie Graf Koks ein Bündel Geldscheine hervor kramte und sich mit den Worten Huldigt eurem neuen Gott, den ersten Lappen an die Stirn klatschte, während er mit dem Rest genüsslich seinen Poppes shampoonierte. Tja, erst wenn der letzte Wald gerodet und das letzte Öl gefördert ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht ficken kann…! Obszöne Neue Welt!

Deutlich Worte gab es auch in Richtung der politisch-religiösen Fanatisten. In Kalaschnikow-Liebe erhoben die Schweizer das Wort gegen den Mist, der Momentan auf der Welt so abgeht — ein gestreckter Mittelfinger an alle, denen aus Hass und Verblendung das Leben Unschuldiger keinen Pfifferling wert ist. Moloch aus dem gleichnamigen Album setzte danach bereits den Schlusspunkt unter das halbstündige, höchst lebhafte Treiben.

Erstaunt darüber wie schnell der Abend bisher verlaufen war, galt es nach dem aufwühlenden Performance, erstmal wieder etwas Anstand in den Puff zu bringen. Im Saal hatten sich mittlerweile gut 350—400 LAI-Fans versammelt, um der zu erwartenden Jubiläums-Werkschau der Österreicher beizuwohnen. Es dauert nicht lange, bis das Bühnenbild von überflüssigem Gerät befreit und die Crew bereit war, den Startschuss zu erteilen. Über dem Schlagzeug in der Bühnenmitte prangte bereits das kreisrunde L’Âme Immortelle-Logo, flankiert von gebundenen roten Vorhängen und den Keyboard-Stationen zu beiden Seiten. Nahe der Kante harrte besagtes Podest samt eines noch verwaisten Mikrostativs auf seinen Einsatz. Dann erlosch das Licht, das Logo erstrahlte in tiefen Blau. Die Luft begann zu knistern…

Umhüllt vom Schummer des Aufbruchs huschte eine Gestalt in Position. Herr Beyerle an die Synthies bitte, Herr Gregor Beyerle. Sanft setzte das Klavier ein, während von der Seite ein weiterer Schatten in die Mitte trat, das Podest erklomm und anhob: On snow covered mountains, my soul lies to sleep... Licht flammte auf und fiel auf Sonja Kraushofer im wallenden Schwarzen. Erhaben thronte sie über dem Geschehen und zog das Publikum direkt in ihren Bann, als auch Chris Fox von der Menge unbemerkt an den Drums Platz nahm und mit wuchtigen Schlägen die Trommeln erbeben ließ. Life will never be the same again — ein eleganter Einstieg in ein Konzert, welches schnell Tempo aufnehmen sollte, als Thomas — heuer der Letzte im Bunde — auf der Bildfläche erschien. Auf Stumme Schreie folgte Phönix und dieses Mal hat die Hütte gebrannt. Auffallend druckvoll zeigten sich die Wiener in höchster Spiellaune. Die Musiker im Hintergrund überließen Thomas und Sonja an vorderster Front das Feld zu hundert Prozent. Energie füllte den Raum — wie in alten Zeiten. Ich finde es zudem jedes Mal wieder erstaunlich, wie die Sängerin es schafft, sich bei ihren wilden Schlenkern nicht den Rücken zu verdrehen. Liebe Kinder: Diese Moves sind das Produkt jahrelanger Forschung und nicht zur häuslichen Nachahmung empfohlen. 😉

Apropos Sonja: Jene postierte sich nun erneut auf dem Podest, um das Wort zu erheben. Moment… Sonja Kraushofer spricht? Während des Konzertes?! Ist ja ein Ding! Als Einleitung zu Drown Them erzählte sie ein Minimärchen vom Struwwelpeter, dem Rotkäppchen und einem Kätzchen, die gemeinsam auszogen (…nicht sich, du Ferkel!…), die Welt zu erobern. Doch eines Tages ging ein Teil des Kätzchens für immer den Fluten des Meeres verloren. Da ließ sich eine Menge hinein interpretieren. Ich musste in dem Moment unwillkürlich an LAI-Mitbegründer Hannes denken, der vor rund 14 Jahren abhanden gekommen und nahezu vollständig von der musikalischen Landkarte verschwunden war. Ein kleiner, wenn auch versteckter Nachruf anlässlich des Jubiläums durfte schon sein, weshalb ich mich irgendwie mit dieser Deutung ganz gerne anfreunden würde.

Aus den Ruinen und Tiefster Winter setzten die Werkschau kraftvoll fort. Show auf den Punkt, Publikum voll bei der Sache… Es war Happy Hour in Hamburg, als Thomas mit seinem ersten Solopart zu Ich fang dich auf die große Hafenrundfahrt perfekt machte. Rasant ging es Schlag auf Schlag und schon folgte mit Judgement ein weiterer maritimer Kracher, gejagt von jenem unsinkbaren Gassenhauer, welcher L’Âme Immortelle nun schon seit fast 20 Jahren auf Schritt und Tritt verfolgt: Bitterkeit. Ihr ahnt es: Für diesen Abend hatten sich Sonja und Thomas nur die absoluten Rosinen herausgepickt und das Tafelsilber auf Hochglanz gewienert.

Generell zeigten sich die Wiener extrem darauf bedacht, die Jubiläumsschatzkiste nicht in eine prollige Bumm-Bumm-Schau ausarten zu lassen. “Episch – Elektronik — ewig”, haftete allem ein gewisse Stilhaftigkeit an. Selbst der sonst manchmal etwas zappelige Thomas warf sich gediegen, aber energisch, in die Riemen. Everything Changes, wenn man so will — sein zweiter Solopart an diesem Abend. Und weiter im Text. Keine Müdigkeit vorschützen!

Auf halben Wege durch das Set kehrte die zwischenzeitlich enthuschte Sonja in frischer Schale zurück. Die Graue durfte es nun sein – wie getragen auf der 2008er Tour – und Fallen Angel als Paradenummer für ihre Ausnahmestimme. Tatsächlich war ich ein wenig überrascht, dass es dieser Song nicht auf Unsterblich geschafft hatte. Möglicherweise lag es ja an der Single-Version des Titels, die schon sehr nah am aktuellen Outfit der Band ist und ein Remake daher nicht zwingend erforderlich war? Unter Greatest Hits-Gesichtspunkten vermisse ich ihn dennoch, ebenso wie Voiceless, einen wichtigen Markstein der frühen Jahre.

Anschließend führte Thomas erneut das Wort. Es drehte sich um Anbiederung bis hin Selbstaufgabe. Man sollte sich eben nicht endlich für andere verbiegen, bis man sich selbst im Spiegel nicht mehr erkennen kann. Passend dazu: Gefallen. Wie Tränen im Regen stand hernach stellvertretend für besagtes verlorene Kapitel der LAI-Konzert-Geschichte — das unbesungene Album, wenn man so will. Ein Umstand, der Sonja einst dazu veranlasst hatte, jenes Stück in einer Gänsehaut-trächtigen Akustikversion für zwei exklusive Solo-Konzerte aufzubereiten, die sie zwischenzeitlich auf der MS RheinFantasie und später dem Amphi Festival in Köln gegeben hatte. Heute indes ward die elektronische Variante ausgegeben – genauer gesagt die Fassung aus dem Remix-Album Fragmente, samt der eindringlichen Worte Roy Battys aus dem Film Blade Runner, welche dem Song irgendwie einen interessanten Twist verliehen – ähnlich einem Einhorn aus Staniol, das alles, was man bisher glaubte, auf den Kopf zu stellen vermag.

Das Konzert verging wahrlich wie im Fluge. Ich gab dir Alles, Love is lost, Requiem rauschten wie das heiße Messer durch die Butter, bis Einsamkeit bereits jenen Schlusspunkt des regulären Sets einläutete, den, im Gegensatz zur erhabenen Ouvertüre, eine Aura der Zerbrechlichkeit umgab. “Going out with a Bang”, hielten LAI für die obligatorische Zugabe noch eine Überraschung parat. Es hätte einen schon stutzig machen müssen, als Thomas mit Eye of the storm alleine auf die Bildfläche zurückkehrte – die Dame des Hauses derweil dezent durch Abwesenheit glänzte. Eben schnell den LAI-ni getanzt, brach in Hamburg auf einmal der Vesuv aus.  Es tut mit leid… dass ich sie warten ließ, aber dafür muss ich jetzt mal ein bisschen eskalieren — rauschte von der Seite ein schwarz-rot gemiederter Vulkan herein! “Volle Granate Renate” verteilten Sonja und Thomas Saures, bis die Trommelfelle glühten. Entschlossen traten die beiden vor die Menge – stemmten sich mit Inbrunst auf das Podest und warfen alles nach vorn, was drin war! Mit von der Partie war jenes spektakuläres neue Kleid, das Lady Sonja kurzerhand in eine singende Lavabombe verwandelte. L’Âme Immortelle sind am Start – und jetzt knallt’s!

Ihren erfolgreichsten Hit 5 Jahre hoben sich die Wiener indes für den Abschluss auf. Sich kunstvoll auffächernd, erstrahlte der Lichterbogen der Markthalle in schillernden Farben, als Sonja Kraushofer ihre Stimme zu einem letzten Crescendo erhob. Dann senkte sich der imaginäre Vorhang und die Akteure traten ein letztes mal vor die Menge um, begleitet von stehenden Ovationen, in den wohlverdienten Sonnenuntergang zu reiten. Ein sehr berührender Moment angesichts der langen Reise, die L’Âme Immortelle in 20 Jahren Bandgeschichte hinter sich gebracht hatten.

Erleuchtet und durchgegart vom Dunst der Leiber schliff ich meine biologisch abbaubaren Reste sogleich in die Eingangshalle. Dass diese Konzerte aber auch immer so auf die Knochen gehen müssen… Faszinierend das! Man wird doch nicht etwa alt? Daher nun schnell einen Sitzplatz gesucht — vorzugsweise mit Tisch – wo ich in gewohnter Tetris-Manier meine Kameratasche zu befüllen sann. Dabei leistet mir meine freundliche Fotografen-Kollegin Cécile Gesellschaft, für die auf dieser Tour ein Traum in Erfüllung gegangen war. An Bord des LAI-Nightliners hatten Sonja und Thomas die Französin auserkoren, tagtäglich die schönsten Impressionen der Shows einzufangen und in den sozialen Netzwerken darzubieten. Schön, dass es auch heute noch Bands gibt, die auf ein solches Detail Wert legen. Und eins muss ich als Kamera-Senior der jungen Kollegin mitgeben: Sie macht das wirklich ausgezeichnet!

Wenig später trat überraschend Young-Revoluzzer Borkowski an mich heran. Jemand hatte ihm wohl gesteckt, was ich beruflich so mache, woraufhin er mir ein Gratisexemplar seiner aktuellen Platte zusteckte. Sehr nett von ihm, wofür ich mich an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken möchte. Die Markthalle leerte sich derweil spürbar. Der Übergang zur Return of the living dead – a.k.a. Return-Party verlief nicht ganz ohne einen gewissen Publikumswechsel. Zwar verweilte ich noch ein ganzes Stück vor Ort in der Hoffnung, die Jubilare persönlich zu ihrem gelungenen Auftritt beglückwünschen zu dürfen, doch die nachmittägliche Autogrammstunde im Saturn-Markt sollte heute die einzige Gelegenheit bleiben, die Wiener Sängerfrauknaben persönlich treffen zu können. Dafür kam ich in den seltenen Genuss, Faderhead Sami Mark Yahya dabei zu beobachten, wie er festen Schrittes auf eine Tür zutrat, an der sein Konterfei prangte und dahinter verschwand. Wer hat der kann, möchte man meinen! 😉

Reichlich unter Strom durch das Konzerterlebnis gepaart mit den Tiefausläufern des erlittenen Koffeinschocks stand mir der Sinn nach ungesunder Nahrung. Von Fleischeslust getrieben, musste ein Fastfood-Tempel her – UN-BE-DINGT! Ansonsten hätte ich mich dazu gezwungen gesehen, den Werwolf rauszuholen und wahllos ein Kitz von der Straße zu reißen. In der Anfahrt auf die Drive-In-Schleife kam mir plötzlich die Erleuchtung und die Nacht des 13. März wurde zur Geburtsstunde einer ganz besonderen Version von Bitterkeit – die da geht: Überall sind Fleischbrötchen! Scheiße, kein Salat! Brot und totes Fleisch bringen mich noch mal ins Grab! Zur Erbauung meiner Umwelt dachte ich mir den Klamauk nicht nur, ich summte ihn auch noch vor mich hin, was der verdutzte Drive-In-Mitarbeiter mit pikiert-verstörtem Blick quittierte. Ab sofort wird er wohl immer an diesen dicken Mann denken müssen, der mitten in der Nacht eine Anti-Hymne auf die Fast-Food-Kultur anstimmte, um sich danach zwei dicke fette Burger zu bestellen… Groovy Shit! Fear and Loathing in St. Georg.

Frisch gestärkt und von derlei Schabernack beflügelt, trat ich also die Heimreise an. In zugegebenermaßen nicht ganz so stiller Vorfreude auf ein weiteres und unerwartet denkwürdiges Konzert in der Wave-Hauptstadt des Goten, dem unvergleichlichen Leipzig!

Die Tage nach der Hamburger Triumphfahrt zogen rasch ins Land. Da Band-Fotografin Cécile schon erste Impressionen vom Berliner Konzert im K17 kredenzt hatte und wenig später weitere Bilder von der Ankunft in Leipzig die Runde machten, juckte es mir schon kräftig in den Fingern, die Sachsentour anzutreten. Jedoch entpuppte sich das Unterfangen, sehr zu meinem Leidwesen, vorerst als Ochsentour. Den Blitzermarathon der B214 und A2 noch heile überstanden, ging auf der A14 Richtung Halle/Leipzig schlagartig nichts mehr. Stau um Stau stellte meine Geduld auf die Probe, sodass ich nach knapp vier Stunden (normal wären zweieinhalb) schimpfend wie ein Rohrspatz vor dem Täubchenthal einbog. Es war der blanke Hass!

Herr im Himmel, lass es ein Friedenstäubchen sein – ging es mir durch den Schädel, während ich den Wagen unweit des Eingangs an der Straße parkte. Wie bereits die Hanseaten, nahmen es auch die Leipziger mit der 19:00 Uhr-Marke nicht ganz so genau. Eine akademische Viertelstunde in der Stadt der Dichter und Denker und eine gute Gelegenheit, der vorzeitigen Kernschmelze mit ein wenig frischer Abendluft entgegen zu wirken. Wuuzaaahhh, meine Damen und Herren!

Leicht fröstelnd, doch unverzagt harrten bereits 100 frühe Vögel wie der Werwurm vor dem Einlass. Schauet da, ein Spalt! Das war es also, dieses Täubchenthal, über das sie alle sprechen, des Wave Gotik Treffens Ausweichrevier für das altgediente Werk II. Man muss schon sagen, der Laden hatte irgendwie Gesicht. Neugierig passierte ich das Kassenhäuschen, eine eigentümliche Kreuzung aus Grillbüdchen und Gartenlaube, während mir, den Eingangsbereich entlang schreitend, zur rechten eine massive Steintreppe auffiel. Man kam sich ein wenig vor wie in einem dieser alten Dracula-Filme. Die Treppe schien auf einen Balkon zu führen – war aber leider für Besucher gesperrt! Vor mir erstreckte stattdessen eine Menschenschlange entlang des gesamten Korridors. Du meine Güte, standen all diese Menschen etwa an der Garderobe an?! Harter Shit! Kurzerhand am Werwurm vorbei gemogelt, begab ich mir auf die Suche nach dem Klosett (ihr wisst schon, lange Fahrt und so). Ein kurzer Knick und zehn Schritt weiter wurde ich fündig. Nicht ganz ersichtlich, wo denn hier für kleine Männ- bzw. Weiblein war, huschte ich — one sex fits all — kurzerhand in eine nahe Kabine. Immerhin ging es hier bloß ums Geschäft. Man wollte ja keine Ehe schließen. 😉

Der Konzertsaal selbst offenbarte sich mir, vorsichtigen Schätzungen zufolge, als schnuckeliger 800er mit entsprechender Bühne sowie besagtem Balkon, der heuer aber den ausführenden Personen vorbehalten blieb. Von der Decke hingen zwei wuchtige Neon-Luster und eine neckische Discokugel. An der Bühne rotteten sich peu à peu die Schlachtenbummler zusammen. Allgemein zeigte sich der Laden für die Uhrzeit, es muss ungefähr 19:30 Uhr gewesen sein, bereits gut gefüllt. Sicherlich auch, weil Merchandise und Theke ebenfalls dort untergebracht waren. Die Zeichen standen nun doch auf einen schönen Abend, speziell da sich, wie von Geisterhand zusammengeführt, plötzlich immer mehr Mitglieder des einstigen L’Âme Immortelle-Fanclubs Voiceless versammelten.

Der Austausch alter Anekdoten und amüsierte Spekulationen darüber was wäre, wenn Sonja Kraushofer Songs von Helene Fischer singen würde, ließ die übrige Zeit bis zum Auftritt von JanRevolution im Nu vergehen. Heute ohne Cheerleader, dafür locker mit der doppelten Menge an Publikum beschieden, rauschte der bajuwarische Futurepop-Express gegen 20:00 Uhr auf Gleis 1 des Täubchenthals ein. Bezüglich der Songauswahl hatte sich seit Hansetown nichts geändert. Sänger Jan wirkte heute allerdings ein wenig blass um die Nase. Ob das noch irgendwas zu sagen hatte?! Nach etwa zehnminütiger Warmlaufzeit, während derer das Duo ein wenig in ein Vakuum hinein zu spielen schien, zündete der Party-Ballon. Freier Fall fungierte wieder mal als Eisbrecher, der das Fass ins Rollen brachte.


Übrigens hatte Herr Borkowski auf der Tour wohl schon zwei Mal das seltene Kunststück vollbracht, das Publikum mit der falschen Stadt anzusprechen. Nicht dass so ein Fauxpas irgendwie nicht irgendwie sympathisch und auch schon einem großen wie Peter Heppner widerfahren wäre, der mal vor dem ausverkauftem Capitol in Hannover die Wolfsheim-Fans freundlich mit Hallo Bremen begrüßte. Heuer hatte man ihm daher direkt ein Schild auf den Boden gegaffert, auf welchem in großen Lettern das Wort LEIPZIG getintenstrahlert war. Bevor aus “Danke Helsinki” noch “Servus Bornholm” werden mochte. Sicher ist sicher!

Zahlenmäßig den Hamburgern ohnehin haushoch überlegen, machte sich die Stimmung der versammelten Täubchenthaler überwiegend durch körperliche Ertüchtigung, denn durch Lautstärke, bemerkbar. Die Gewaltenteilung brettwärts war derweil fest definiert. Keyboarder Thomas beschränkte sich zumeist darauf, an seinem Instrument die passenden Eingaben zu tätigen, während Jan die Show machte. Aber wie jener da so schwungvoll ausholte, um mit dem kompletten Mikrostativ zu hantieren, hatte ich manchmal schon ein wenig Sorge, er könnte sich das Ding im Eifer irgendwann noch an die Omme hauen. Ein Blick auf die Uhr und in das applausfreudige Auditorium attestierte dem Kronacher Zweier einen kurzweiligen Achtungserfolg. Stolzen Hauptes entschwanden Jan und Thomas daher in Richtung Bühnenabgang, auf direktem Wege in die Backstagegarderobe um von dort, wie angekündigt, zügig den Merchstand aufzusuchen. Ich wisst schon, Eisen schmieden und so…

Next up: Metallspürhunde! Auch die Schweizer traten mit identischem Programm in Leipzig an. Da ich mich zu Beginn des Gigs plötzlich und unerwartet auf dem Balkon des Hauses wiederfand, entging mir der Anfang ihren Auftritts. Da sich die erhöhte Position entgegen der ursprünglichen Hoffnung als überraschend wenig effektiv für eine ausgewogene Fotoreihe herausstellte und es nicht meine Art ist, Menschen auf der Pelle zu hängen, die sicher gerade noch etwas Wichtigeres zu tun hatten, begann ich, mir einen Weg zurück in den Saal zu bahnen. Doch dieser Weg sollte kein Leichter sein. In Gedanken versunken übersah ich flugs eine Treppenstufe und hätte beinahe den Eingang zum Auditorium mit mir als Fettfleck verschönert. Während die Metallspürhunde ihre wilde Schau abzogen, wühlte ich mich einmal im großen Bogen durch das inzwischen gut gefüllte Rund zurück vor die Bühne, wo justamente Sänger Michel ansetzte, Gitarrist Sebastian mit Liebesgrüßen aus der Lederhose zu bedienen. Juhu, Love is in the Air!

Als plötzlich auch noch Marion und Sebastian miteinander zu schäkern anfingen, zog Michel spontan über Land. Schon in Hamburg eng auf Tuchfühlung mit den Rezipienten, nahm er den Mangel an Bühnengraben zum Anlass für einen Schnupperkurs am lebenden Subjekt. Schnell noch die Kimme mit einer Banknote poliert, hüpfte er zum Bad in die Menge. Hatte es der Metallspürhund vielleicht auf Münzgeld abgesehen?! Für eine beträchtliche Weile verschluckte ihn der Moloch vollständig.

Angesichts derartigen Körpereinsatzes fand Leipzig reichlich Vergnügen an dem Treiben. Die Schweizer scheuchten die versammelten Fledermäuschen gehörig auf und lieferten so den rotzigen Gegenpol zur merklich gediegeneren Show L’Âme Immortelles. Von entsprechender Überzeugung begleitet, schossen am Schluss von Kalaschnikow-Liebe folglich die Mittelfinger in die Höhe, als abermals die Geißel unserer Zeit, der globale Terror, zum Feindbild der Schweizer ausgerufen wurde. Allgemein lässt sich über die Helveten berichten, dass sie selten ein Blatt vor den Mund nehmen. Das halbe Dutzend Songs zielte durchweg darauf ab, den Finger in diverse Wunden zu legen — zornige Utopien, gepaart mit unverblümter Gesellschaftskritik. Im Safte des Angesichts empfahl sich das Trio nach einer halben Stunde mit Moloch abgerundet von einer höflichen Verbeugung. Es war geschafft, die Menge tobte – Zeit für eine Pa… Pa… Pause!


Das obligatorische Bühnchen-Wechsel-Dich nutzte ein Großteil der Leipziger dazu, Getränke nachzufassen. Wie beschrieben hatte sich der Club gut gefüllt. Ich würde schätzen, so rund 550—600 Fans mochten es inzwischen gewesen sein. Der Moment des Umbruchs gab mir Gelegenheit, näher an die Bühne heran zu rücken und dem direkten Strahlwinkel der Nearfills (kleine ins vordere Publikum hinein gerichtete Boxen) zu entfliehen. Ohne entsprechende Gehörschutzgnubbsis kann es einem sonst schnell mal ungewollt die Muscheln weg pusten, besonders wenn einem die Stimmgewalt einer Sonja Kraushofer aus den Boxen knallt, die selbst unverstärkt bereits auf kurze Distanz als waffenscheinpflichtig gilt. Man erinnere sich nur an das letzte M’era Luna, wo sage und schreibe drei Mikrofone in Folge vorzeitig den Dienst quittierten…

Schlag 21:30 Uhr nahm das Schicksal heuer seinen Lauf. Die Atmosphäre verdichtete sich, es ward finster im Saal, blauer Schimmer fiel auf den ewigen Kreis im Hintergrund, als das Rotkäppchen ins Licht trat, um die ersten Zeilen von Life will never be the same again anzustimmen. Verglichen mit dem gedrungenen Charme der Hamburger Markthalle, in der eine flache Bühne und seitliche Stufen das Publikum auf Augenhöhe mit den Künstlern bringt, wirkte ihr Auftritt hier noch eine Spur eindrucksvoller. Wie in Marmor gegossen ragte die Wienerin mit ausgebreiteten Armen vor den (noch) völlig sprachlosen Leipzigern auf und schmetterte ihnen ein Brett um die Ohren, das sich gewaschen hatte. Ein Bildhauer hätte daran seine Freude gehabt. Derart entflammt nahm die Stimmung zügig Fahrt auf. So ein Jubiläumsset, das durchgängig aus Hits besteht, gönnt sich eben keine Lutscher. Feuer frei für Stumme Schreie und Phönix — bitte einmal Asche und zurück…

Mensch, die Fältskog ist aber rot geworden, überlegte ich kurz, als Drown Them den obligatorischen Abba-Moment des Abends einleitete. Ein schwedischer Hauch von Glamourdisco zog durchs Täubchenthal, als Thomas am Keyboard den Benny mimte. Das aufgeweckte Publikum mimte munter mit. L’Âme Immortelle auf den Spuren von Agnetha, Björn, Benny und Anni-Fried?! Abba hallo!

Da Thomas und Sonja wie vorige Woche die Show fast vollständig an sich zogen, fiel es zunächst nicht groß auf, dass Gregor Beyerle an diesem Abend vergleichsweise still hinter seinem Instrumentenpark unterwegs war. Er war nun schon der zweite an diesem Abend, der so ein bisschen nach Käsewittchen ausschaute. Merkwürdig, sehr merkwürdig. Was wohl dahinter steckte? Wie auch immer, Show must go on. Mit oder ohne Queen. Und das tat sie mit fliegenden Fahnen. Jetzt wurde es sogar erst so richtig turbulent. Die Ereignisse überschlugen, ja überstürzten sich geradezu. Vom Publikum glücklicherweise unbemerkt wurde Band-Fotografin Cécile, die ich kurz zuvor noch vor der Bühne hatte wuseln sehen, ausgerechnet bei Ich fang dich auf jene Treppe zum Verhängnis, auf der auch ich mich kurz zuvor beinahe lang gelegt hätte. Gute Besserung von dieser Stelle, ich hoffe, die Kamera lässt sich alsbald reparieren!

Rasant ging es weiter mit Judgement, Bitterkeit, Changes… Leipzig, es hat gebrannt! Vielleicht ein bisschen zu sehr an manchen Stellen, denn als Sonja sich etwas später, inzwischen wieder in ihr graues Kleid geschlüpft, zu Wie Tränen im Regen auf das Podest kniete und ein Stück vorzulehnen begann, schob sich klammheimlich ein Arm in Richtung Bühne, stetig suchend, irgendwie ihre Hand zu angeln. Von der Security unbehelligt streckte sich der eine, um von der Dame des Hauses einen Händedruck zu erhaschen. Letztere zögerte kurz, tat ihm aber den Gefallen. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Ja der wird sie doch jetzt nicht etwa… Von der Bühne ziehen? Dann löste sich der Händedruck. Uff! Gut gegangen! Danach war Thomas dran. Hi five bitte! Doch außer einem strengen Blick erntete Mr. Touchy keine Freundschaft und trollte sich schließlich halb beglückt von dannen.

Man möge übrigens bitte nicht den Fehler begehen und ihn für pedantisch halten, doch gleich im nächsten Augenblick sah sich Thomas erneut beflissen, den Sheriff zu machen, als sich eine ganz ähnliche Situation auftat, wie ich sie einmal 2006 in Magdeburg miterlebt hatte. Nein, ich rede jetzt nicht von dem spontanen Heiratsantrag während des Konzerts – das war nett! Nö, damals schafften es ein paar Experten mit ihrem Getuschel an der Bühne, Sonja derart zur Weißglut zu treiben, dass sie mitten in Elegy unterbrach, um die Quasselstrippen eiskalt an den Pranger zu stellen. Ihr wisst schon, Skorpion und so. Dazu ließ es Thomas dieses mal nicht kommen. Auf leisen Sohlen schlich er an die Geräuschquelle heran, schaute sanftmütig, aber bestimmt, den Schnatterinchen in die Augen und legte mit einem gedachten Shhhhh den Zeigefinger auf die Lippen. Endlich Ruhe im Karton! Danke schön!

Angesichts der Geschehnisse fiel es auch zunächst nicht weiter auf, dass sich Sonja mit fortschreitendem Set ein wenig zurück nahm. Gerade was die Balladen betraf, wusste sie die Stücke gekonnt mit ihrer Stimme zu veredeln. Als sie auf einmal zu Love is lost — eigentlich eine Uptempo-Nummer – rittlinks auf dem Podest Platz nahm und seltsam abwesend schien, konnte man stutzig werden. So kannte man das Energiebündel gar nicht. Schließlich mehrten sich die besorgten Blicke, als die Sängerin bei Requiem mitten im Song von der Bühne eilte und den verdutzten Thomas kurzerhand stehen ließ. Was war nur in sie gefahren?

Nun, ohne hier jetzt ins Detail zu gehen, hatte sich nahezu die gesamte Crew auf der Reise derbe etwas eingefangen. JanRevolution und Gregor hatte es bereits zerlegt. Sonja hingegen ereilte das Schicksal kurz vor Ende des Konzerts. Dafür dass sie nach einer kurzen Verschnaufpause vom Off zurück ins Rampenlicht trat und das Konzert noch bravourös zu Ende spielte, als sei nichts gewesen, muss man ihr den allergrößten Respekt zollen – viele andere hätten an der Stelle unlängst das Handtuch geworfen. Chapeau für eine Kämpferin!

Dankbarer Weise stand mit Einsamkeit ein sehr getragenes Solostück auf dem Programm. Zeit, um wieder ein wenig zu Kräften zu kommen. Tatsächlich ließ sich Sonja äußerlich erstmal nichts weiter anmerken. Umschmeichelt von seidigen Farben, postierte sie sich, wie der nicht weniger tapfere Gregor, vor der Menge und durchlitt die bittersüße Melancholie des Songs. Der Moment war da und er war schön! Nicht zuletzt, weil ein perfekt ausgerichteter Lichtstrahl auf die Anfangs erwähnte Discokugel traf. Ein stimmungsvolles Lichtermeer illuminierte den Saal. Alles drehte sich umher… Nur bitte keine hektischen Bewegungen! Das nennt sich dann wohl Method-Acting (oder so ähnlich).

Für die Bewegung zeichnete sich bis auf weiteres Thomas verantwortlich. Im Auge des Sturms erklärte er das Täubchenthal zur Chefsache und versetzte mit gebührender Geste die Welt um sich in Schwingung. Oh Schenke uns Worte, du Zampano Forte, wurde mutwillig gefeiert — der Fan war fit und grölte mit. So solle es sein, so darf es bleiben… Dann tat es ihm plötzlich Leid: Es war Zeit, Lady Lichterloh zurück ins Spiel zu bringen. Los, Endspurt! Merklich erholt erschien Sonja im feuerroten Dress von Kostümdesigner Andreas Ossowski, dessen Entwürfe die Wienerin seit vielen Jahren einkleiden. Es tut mir Leid ging nochmal zünftig ab, bevor mit 5 Jahre ein gleichermaßen gelungenes wie denkwürdiges Konzert seinen Abschluss fand. Erschöpft, aber glücklich, gaben sich die Vier ihren Fans ein letztes Mal hin. An der Erleichterung in den Gesichtern war abzulesen dass es eine Show gewesen sein musste, die an die Grenzen ging. In den Augen funkelte mehr als nur Freude über den wohlverdienten Applaus. Es sind Abende wie diese, an denen sich Spreu vom Weizen trennt, wo sich zeigt, aus welchem Holz eine Band wirklich geschnitzt ist. Im Täubchenthal haben L’Âme Immortelle Heldentaten vollbracht und für das Publikum endgültig UNSTERBLICHKEIT gemacht! Was einen nicht umbringt, macht einen härter. Wenn sie jetzt noch anfangen, über Wasser zu gehen, wird’s langsam unheimlich. 😉

So, nach diesem zugegebenermaßen recht dick aufgetragenen Schlusswort begeben wir uns nun direkt ins After-Show-Treiben. Eine Party in dem dem Sinne gab es zwar nicht, wohl aber keimte die Hoffnung auf eine kleine Autogrammstunde zum Ausklang. Und siehe da: Nach etwa 20 Minuten bezogen Thomas und Sonja hinter dem Merchstand Stellung, um den Foto- und Autogrammwünschen der artig wartenden Fans peu-á-peu nachzukommen. Als der Strom der stolzen Hundertschaft allmählich versiegte, sah ich Thomas auf mich zukommen. “Na, Herr Ritter, wie scheiße waren wir denn heute?”, frotzelte er, offensichtlich auf meine Bemerkungen zum letzten Wave Gotik Treffen anspielend. “Na, super scheiße, ne?”, entgegnete ich mit ansatzloser Selbstverständlichkeit – worauf wir beide uns das Grinsen nicht verkneifen konnten. Ein Insider! Auch Sonja hatte es mittlerweile aus dem Merch-Karrée geschafft und spannte mich postum ein, bei den restlichen Fotowünschen zu assistieren. Kamerakind Ritti am Start. 1, 2 oder 3? Letzte Chance, vorbei! Speziell der letzte Kandidat erwies allerdings als ziemlich ruppiger Vertreter und zog die Sängerin reichlich ungestüm an sich heran. Huoppalla….! Wohl noch etwas wackelig in den Knien von der anstrengenden Show, brachte er sie beinahe zu Fall. Nicht die feine englische Art, aber die Dame blieb tapfer und schwieg.

Kurz darauf verabschiedete ich mich aus dem Täubchenthal, zumal die ansonsten sehr umgängliche Security jetzt wirklich Feierabend machen wollte. Als ich zurück ins Auto stieg, stellte ich erstaunt fest, dass der Zeiger erst kurz vor halb 1 schlug. Zeit für einen kleinen Mitternachtshappen – damit er zählt! Schon nach wenigen Minuten erreichte ich eine schicksalhafte Kreuzung, irgendwo entlang der B181. Zur Linken ein King, zur Rechten ein VonDoof, als das Radio einsetzte, jene Melodie zu spielen: Überall sind Fleischbrötchen! Scheiße, kein Salat! Brot und totes Fleisch bringen mich noch mal ins Grab! Tjaha, ein Gentleman genießt und schweigt!

L'Âme Immortelle – Unsterblich Tour 2016

An jenem Punkt der Geschichte verliert sich die Erinnerung in den Tiefen der Nacht, weichend der Erkenntnis, dass sich auch diese nervenaufreibende Reise wieder einmal gelohnt hatte. Wozu ein zweites Konzert besuchen, wenn man es bereits gesehen hat, mag sich manch einer fragen. Der Abend in Leipzig war jedoch das beste Beispiel für die Überraschungen, die das Leben mitunter bereit hält. Die Songs mochten die gleichen sein. Die Momente, welche sich um sie herum ereigneten jedoch, werden schon bald die guten alten Geschichten von morgen sein. Mit der UNSTERBLICH-Tour haben L’Âme Immortelle ihrer Geschichte ein aufregendes Kapitel hinzugefügt und bewiesen, dass sie, allen Widerständen zum Trotz, die Gabe besitzen, das Publikum auf besondere Weise zu berühren.

So ist nun auch hier am Ende aus ein paar unschuldigen Zeilen, die nur ein Konzertbericht sein wollten, der Blick auf das Schaffen einer Band geworden. Ich bin nur ein Beobachter. Die subjektive Wahrnehmung ist es, die mir bleibt — die mich dazu bewogen hat, dieses mal so viel weiter auszuholen als gewöhnlich. Ich denke, es ist Zeit, DANKE zu sagen. Danke für die Musik, danke für die Erinnerungen, danke auch für die Abenteuer, die ich und viele L’Âme Immortelle-Fans über 20 Jahre hinweg mit ihren Songs und auf den Konzerten erleben durften.

Danke Sonja, danke Thomas und danke allen, die im Laufe der Jahre eure Gefährten waren.
Danke für 20 unsterbliche Jahre! Auf, dass noch viele Weitere folgen!

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