Wave-Gotik-Treffen (kurz WGT) in Leipzig statt und selten war das Wetter
so perfekt wie in diesem Jahr, denn Sonnenschein war angesagt, von
Niederschlägen keine Spur. Das WGT ist neben dem M’era Luna in
Hildesheim das größte Musikfestival für "schwarze" Musik Deutschlands,
unterscheidet sich in seiner Organisation und Durchführung allerdings
gehörig von den üblichen Festivals. Denn hier steht die schwarze
Community im Vordergrund und so versammeln sich Jahr für Jahr bis zu
20.000 Menschen aus aller Welt, um Leipzig schwarz zu färben und an den
verschiedensten Locations ihrer Szene zu huldigen. An den vier Tagen des
Festivals wird dem Besucher -neben zahlreichen Konzerten- ein
vielfältiges kulturelles Rahmenangebot angeboten. Dazu gehören spezielle Filmvorführungen, Club-Partys, Autorenlesungen, Ausstellungen,
Live-Rollenspiel, Kirchenkonzerte, Mittelaltermärkte und Workshops zu
verschiedenen Themen. Das Treiben ist auf das gesamte Stadtgebiet
Leipzigs verteilt und so kann man sich überall mit Gleichgesinnten der
musikalischen Leidenschaft hingeben. Nirgends sonst ist das "Wir-Gefühl"
innerhalb der Szene wohl – auch auf solche Massen- ausgeprägter und so
kommen die meisten der Anwesenden auch in jedem Jahr wieder zurück nach
Leipzig.
Für uns war es das erste Mal, dass wir diesem Festival beiwohnten, doch
leider stand das diesjährige WGT für uns zu Beginn unter keinem guten
Stern, sondern ganz im Zeichen von Murphys Gesetz: "Alles, was schief
gehen kann, wird auch schief gehen". Erst fiel die
Eröffnungsveranstaltung mit Destroid am Donnerstag in der Moritzbastei
aus beruflichen Gründen für uns aus und dann sorgte der extreme
Pfingstferienverkehr am Freitag dafür, dass auch dieser Tag für uns
flach fiel. Bei unserer Ankunft um 22:30 Uhr war die Pressestelle für
Photoakkreditierungen zwar noch besetzt, nicht aber die für Künstler,
von denen ich einen "im Gepäck" hatte. Wir ließen daher nur das Treiben
rund um die Agra auf uns wirken und suchten dann unsere Unterkunft auf.
Tag zwei begann mit einem Rundgang durch Leipzig, dem Mittelaltermarkt
"Wonnemond" an der Moritzbastei und dann ging es zur Autogrammstunde von
Skeletal Family im Cinestar. Diese war wegen des großen Zuspruchs bei
Unheilig etwas verschoben worden und der Zuspruch leider nur
gering. Danach setzte sich das Unglück vom Vortag fort und der Auftritt
von In The Nursery in der Kuppelhalle des Volkspalasts fiel für uns
wegen Anreiseproblemen aus, wir schafften es aber noch halbwegs
rechtzeitig zur Parkbühne zu Escape With Romeo [GALLERY].
Escape With Romeo
existieren schon ebenso lang wie das WGT selbst und wurden 1989 von
Sänger Thomas Elbern gegründet, der zuvor bei Pink Turns Blue gesungen
und Gitarre spielte. Stilistisch sind sie dem Post Punk verschrieben,
würzen diesen aber immer wieder geschickt mit elektronischen Elementen.
Natürlich durfte beim WGT-Auftritt ihr größter Hit "Somebody" nicht
fehlen, aber auch sonst verfügen Escape With Romeo über ein großes
Repertoire an starken Songs und so wurde das Publikum mehr als
Zufriedengestellt. Die Band verabschiedete sich mit "Helicopters In The
Falling Rain" von ihren Fans, leider viel zu schnell.
Angesichts des tollen Wetters entschlossen wir uns, die nächsten Stunden
durchweg im Bereich der Parkbühne zu verbringen und daher standen als
nächstes "End Of Green" [GALLERY] für uns auf dem Programm. Dabei bezeichnet der
Name das Ende der Hoffnung, welche durch die Farbe Grün gemeinhin
symbolisiert wird. Auch diese Band stammt aus Deutschland (Stuttgart)
und existiert bereits seit 16 Jahren. In dieser Zeit erschienen bisher 5
Alben, das nächste Werk mit dem Titel "The Sick’s Sense" soll im Sommer
veröffentlicht werden. Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere war das
2005er Album "Dead End Dreaming", welches ihnen 2006 auch die Tore zum
Wacken Openair und erstmals zum WGT 2006 einbrachte, offensichtlich mit
gutem Erfolg, denn nur zwei Jahre später traten sie heuer wieder in
Leipzig auf. Ihren Stil bezeichnen die fünf selbst als "Depressed
Subcore" und es ging bei ihrem Auftritt gleich ordentlich zur Sache. Es
wurde ordentlich gerockt auf der Bühne und es war mehr als deutlich,
dass ihre Songs vielen der Anwesenden bekannt waren, denn es wurde im
gesamten Rund begeistert mitgesungen und ordentlich Applaus klatscht.
Danach war es Zeit für die Szenenewcomer des letzten Jahres: Jesus on
Extasy [GALLERY]. Und die gaben ihren Fans von Beginn an was sie sehen wollten:
melodischen Waverock einer stylischen Band. Seit dem letzten Jahr
schwimmen die Jungs und Mädels auf einer Szenewelle des Erfolgs und sind
Vorreiter einer neuen Garde Bands, die durch ihr Auftreten der Jugend
aus der Seele sprechen und Waverock auf den Schulhöfen salonfähig
machen. Das ist gefällig, was die Fans natürlich auch anerkannten, aber
ich frage mich wie schon im letzten Jahr beim Bochum Total, warum
niemand Sänger Dorian Deveraux sagt, dass er die hohen Töne am Ende der
Chameleons Coverversion "Second Skin" einfach nicht trifft. Auch beim
B-Movie Cover "Nowhere Girl" war der Gesang wieder einmal vorsichtig
ausgedrückt gewöhnungsbedürftig. Die eigenen Songs hingegen waren aber
in Ordnung, wobei ein Kommentar wie "jetzt kommen nur noch Hits" nach
"Nowhere Girl" schon wie Satire anmutet. Besonders positiv aufgenommen
wurde insbesondere der Song "Assasinate Me" ihrer ersten in Eigenregie
aufgenommenen EP.
Nächste Band auf der Parkbühne waren Gothminister [GALLERY], die ich eigentlich
bisher hauptsächlich durch ihre Kooperation mit Rico Darum (Apoptygma
Berzerk) zur Kenntnis genommen hatte, der das Debutalbum "Gothic
Electronic Anthems" mitproduziert hatte. Angefangen hatte seinerzeit
alles als Soloprojekt von Sänger und Frontman Björn Alexander Brem, ist
mittlerweile aber zu einer kompletten Band angewachsen. Und was diese
Combo auf der Bühne ablieferte, war schon sehr ansehnlich und wirkte
aufgrund der langsam einsetzenden Dunkelheit natürlich auch optisch sehr
gut. Soundtechnisch ist bei den Norwegern Metal angesagt, doch brachte
der Sound genug dunkle Einflüsse mit sich, um bei diesem Festival gut
aufgehoben zu sein. Das belegen auch vorherige Auftritte bei solchen
illustren Szenefestivals wie dem M’era Luna, dem Summer Darkness, oder
die Tatsache, dass es sich 2008 bereits um den dritten Auftritt der Band
beim WGT handelt. Die Publikumsreaktionen waren dementsprechend auch
sehr positiv.
Beim Auftritt von Skeletal Family [GALLERY] brach dann endgültig die Nacht über
Leipzig herein und Sängerin Claire nutzte beim Betreten der Bühne die
letzten Lichtstrahlen, um den Beginn des eigenen Gigs zu filmen. Skeletal
Family sind eine Gothic-Rockband der alten Schule und sind schon seit
1982 in der Szene aktiv. Der Name geht auf den David Bowie Song "Chant
Of The Ever Circling Skeletal Family" zurück. Schon zu Beginn ihrer
Karriere tourte die Band mit den Sisters Of Mercy und machte sich mit
ihrem Song "Promised Land" vom Album "Futile Combat" in der Szene
unsterblich. Nach einer längeren Pause reformierten sich Skeletal Family
im Jahre 2002 und 2005 erschien ihr Album "Sakura". Für dieses Jahr ist
ein neues Album angekündigt.
Ich selbst hatte die Fünf letztes Jahr in Bochum zum ersten Mal live
gesehen und dort hatten sie mich voll überzeugt. Heute präsentierten sie
einen gemischten Set aus alten Stücken und Tracks des kommenden Albums.
Claire wirbelte zum Teil wie ein Derwisch über die Bühne und beim
dritten Song "Promised Land" gab es für sie, ihre Band und das Publikum
kein Halten mehr – Promised Land ist einfach ein grandioser Song. In der
Folgezeit wurde heftig Gas gegeben und Claires Gesang ging zum Teil
schon ins shouten über. Tanzbar wurde es wieder bei "She Cries",
allerdings wies der Sound hier einige Schwächen auf und die Stimme
wirkte etwas dröhnend, was aber zum Glück schnell gerichtet wurde. Kurz
vor Auftrittsende machten wir uns schnell -und vor dem Aufbrechen aller
anderen Parkbühnenbesucher- auf den Weg zur Agra, wo Covenant als
Headliner auftraten.
Leider hatte das Konzert bereits begonnen, doch entschädigte die lange
Konzertdauer von ca. 95 Minuten dafür und Covenant [Mini-GALLERY] bewiesen
Wieder einmal, dass sie eine ausgezeichnete Liveband sind und
Partystimmung mit ihnen garantiert ist. Sie zündeten wie gewohnt ein
Feuerwerk aus Hits und mit "Come" wurde sogar ein neuer, bisher
unveröffentlichter Titel gespielt. Ich hätte mir natürlich wieder einmal
ein paar Hits aus ihren Anfangstagen gewünscht, doch schien es zunächst,
als würde man darauf bei Covenant noch länger warten müssen. Auf der
anderen Seite, wenn man sieht, wie das Publikum in der Agra mitging,
tanzte und feierte, dann muss man wohl sagen, dass es nicht wirklich
einen Grund für ein Ändern dieser Strategie gibt. Das Publikum war
durchweg begeistert und erhielt zunächst auch drei Zugabesongs ehe "Dead
Stars" das Konzert scheinbar beendete. So dachte man zumindest, denn es
ging noch einmal ein Stück weiter und zwar mit einem von Eskil accapella
performten schwedischen Song und danach dem Highlight des Abends:
"Thermin" vom Debutalbum "Dreams Of A Cryotank" aus dem Jahre 1995 und
auch ich war nun endgültig begeistert. Den endgültigen Schlußpunkt unter
einen begeisternden Auftritt setzte um kurz nach Mitternacht "One
World, One Sky".
Doch damit war der Samstag noch nicht abgeschlossen, denn die
Veranstalter hatten Northern Lite [GALLERY] als Midnight-Special für die Agra
verpflichten können, deren Auftritt für halb zwei angekündigt war, da
die Band am gleichen Tag bereits einen Auftritt bei Sputnik Springbreak
Festival absolviert hatte und direkt danach nach Leipzig fuhr. Und so
vertrieben wir uns die Zeit in der Agra 4.2, wo Peter Spilles von
Projekt Pitchfork zum Tanz lud, einer Aufforderung der auch viele
Tanzwütige folgten. Mit knapp 15 Minuten Verspätung ging es in der Haupthalle endlich mit den Erfurter Neopop-Rockern von Northern Lite weiter, die mit "Super Black" gerade ihr fünftes Album veröffentlicht haben und sich damit einen Spitzenplatz in der deutschen Führungsriege dieses Genres sicherten. Trotz eines wirklich guten Auftritts erklärten wir den Abend für uns nach einigen Songs erschöpft als beendet … morgen ist ein neuer Tag.
Nach einer Stärkung in der Moritzbastei waren Days Of Fate [GALLERY] das erste
Highlight des dritten Tages. Electronic Rock’n Roll nennen die fünf
ihren Sound und das trifft es auch sehr gut. Mal etwas gemächlicher, wenn
Sänger Torsten und seine Mannen wie in ihren Anfangstagen Anfang der
Neunziger Jahre in den Synthpop abdriften, dann aber auch wieder mit
energischem Elektrorock mit André als zweiter Gesangsstimme, ganz im
Stile von Nitzer Ebb und umso mehr von And One, wenn Chris Ruiz dort
Steve Naghavi gesanglich unterstützt. Doch enden hier auch schon
weitestgehend die Ähnlichkeiten Days Of Fates’ mit den genannten Bands.
Überzeugen kann man sich davon auch auf ihren drei bisher
veröffentlichten Alben, von denen sich das aktuelle Album "Traffic",
welches im März 2007 erschien, immerhin drei Wochen lang in der Top Ten
der Deutschen Alternative Charts (DAC) behaupten konnte. Mich haben die
Jungs aus Dresden live jedenfalls voll überzeugt und das nicht nur
durch ihr sympathisches Auftreten, sondern auch ihre Songs mit Tiefgang.
Dazu -quasi zur Abrundung- noch eine gelungene Coverversion des Placebo
Hits "Bitter End", der das Auftrittsende alles andere als bitter
erscheinen lies.
Mit technischen Problemen hatten danach Marsheaux [GALLERY] zu kämpfen, doch
nachdem urplötzlich nichts mehr ging, konnte der Auftritt nach gut zwei
Minuten fortgesetzt werden. Marsheaux kommen entgegen dem französisch
anmutenden Namen aus Thessaloniki in Griechenland und haben sich dem
Synthpop der 80er Jahre verschrieben und Einflüsse solch bekannter Acts
wie Depeche Mode, OMD, Yazoo oder Human League lassen sich sicher nicht
von der Hand weisen. Aber natürlich kommt einem bei einem solchen
Synthpop-Duo auch gleich ein Name wie Client in den Sinn und ganz falsch
liegt man damit ganz sicher auch nicht, denn ähnlich den Mädels von
Client, sind die Songs der beiden Griechinnen recht monotone Synthstücke
mit Erotikfaktor. Letzterer wird auch durch die Videoshow im Hintergrund
noch weiter untermauert, ansonsten ist die Show recht einfach gehalten.
Für mich stach vor allem die Human League Coverversion "Empire State
Human" hervor, die meisten anderen Songs ähnelten sich leider zum Teil
doch sehr.
Wenig Zeit blieb uns danach für Onetwo [GALLERY], da wir kurzfristig zur Agra
wechseln wollten. Zum Glück hatte ich Onetwo im letzten Jahr zweimal
(gemeinsam mit Psyche und als Opener für The Human League) live sehen
können, so dass dies zu verschmerzen war. Die Band wurde im Jahre 2004
von Propaganda-Sängerin Claudia Brücken und Paul Humphreys, einem Teil
von OMD gegründet und wie diese Wurzeln schon vermuten lassen, ist die
Gruppe im weitesten Sinne dem Synthpop verschrieben. Live wird die Band
durch weitere Musiker verstärkt und bietet Songs ihrer gemeinsamen
Arbeiten auf, aber auch für das ein oder andere Relikt aus den
Vorgängerbands ist noch Platz. Auch Onetwo hatten im Kohlrabizirkus mit
technischen Problemen zu kämpfen, doch ist die Band natürlich abgeklärt
genug, um mit solchen Unwegsamkeiten umgehen zu können.
Uns verschlug es alsbald aber wie geplant in die Agra, wo Christian
Death 1334 [GALLERY] angekündigt waren, die sich wegen Namensrechtstreitereien
allerdings nur noch CD 1334 nennen. Diese Band mit all der Historie die
dazugehört, war wohl das heißeste Eisen, dass die WGT-Veranstalter in
diesem Jahr angepackt hatten, handelt es sich hierbei doch um die "alte"
Band Christian Death ohne Sänger Valor, der seinerzeit Rozz Williams
ersetzte. Brisant darum, weil Sänger Valor die Rechte am Namen der
Ursprungsband erworben hatte und dieser am Montag unter dem Namen
Christian Death ebenfalls beim WGT auftrat. CD 1334 erblickt 2007 zum
25. Jubiläum der Kultplatte "Only Theatre Of Pain" das Licht der Welt
und besteht aus den ehemaligen Christian Death Mitgliedern Rikk Agnew
(Gitarre), James McGearty (Bass), Christian Omar Madrigal Izzo (Drums),
dem ex-45 Grave Gitarristen Jaime Pina und der Queen Of Goth Eva O. Und
so bestand das Set beim WGT zu weiten Teilen natürlich aus eben jenem
Klassiker. Die Fans, die sich nach Rozz Williams’ Ausstieg bei Christian
Death seit jeher in zwei Lager gespaltet hatten, feierten ihre Heroen
mit großer Begeisterung und Eva O. wurde immer wieder persönlich
angesprochen und weiter motiviert. Natürlich sind die Jahre auch an
Sängerin Eva nicht spurlos vorbeigegangen, doch trotzdem ging der Sound
gut nach vorne und spätestens bei meinem absoluten Christian Death
Lieblingsstück "Romeos Distress" gab es kein Halten mehr. Der Song wurde
live sogar noch einiges rockiger als in der Studioversion gespielt und
klang wie vieles andere dieses Gigs schon fast metallastig. Ein wirklich
guter Auftritt und bis hierher hatten sich die Befürchtungen bezüglich
der "Doppelbuchung" auch nicht als berechtigt erwiesen, denn am
Sonntag blieb es noch ruhig.
Nach diesem Kurzbesuch ging es wieder zurück in den Kohlrabizirkus, wo
wir offensichtlich ein grandioses Konzert der C-64-Elektroniker von
Welle:Erdball verpasst hatten. Hier soll es enorm voll und die Stimmung
zum zerbersten gewesen sein. Zum Glück standen Welle:Erdball für den
Montag noch einmal auf dem Plan und zwar zur 15-jährigen
Geburtstagsparty der Band in der deutlich kleineren Moritzbastei, doch
dazu später mehr. Ebenfalls weitgehend verpasst hatten wir allerdings
auch den Auftritt der schwedischen Synthpop-Band S.P.O.C.K, die mit dem
tollen "Out There" bereits den Endspurt des Gigs einläuteten. Die Band
besteht aus Sänger Android – Alexander Hofman, Keyboarder Krull-E –
Christer Hermodsson und Yo-Haan – Johan Malmgren, der ebenfalls
Keyboards bedient. Um S.P.O.C.K war es in den letzten Jahren still
geworden (ihre letzte Veröffentlichung stammt aus dem Jahr 2001) und
beim WGT feierten sie ihr Comeback. Die Stimmung im Publikum war
entsprechend gut und man sah dem Publikum nicht nur wegen der
vereinzelten Schwedenflaggen an, dass sie diesen Auftritt herbeigesehnt
hatten. Und auch die Band selbst hatte eine Menge Spaß auf der Bühne und
lies sich für die Zugaben gebührend anfeuern, bevor S.P.O.C.K’s größter
Hit "Never Trust A Klingon" ihren Auftritt vollendete.
Nach S.P.O.C.K trat der Headliner des heutigen Kohlrabizirkustages auf
den Plan: Mesh [GALLERY]! Die Engländer begannen mit ihrer Standarderöffnung –
"Firefly" und es folgten Hits am laufenden Band, vornehmlich aber Songs
des letzten Albums "We Collide". An allen Ecken der Halle wurde getanzt
und mitgesungen und der dritte Song des Sets war quasi wieder einmal bei
Mesh Programm: "This Is What You Wanted" schallte es aus den
Lautsprechern und das Publikum konnte dies nur bejahen. Natürlich
durften auch Songs wie "Leave You Nothing" oder "Friends Like These"
nicht fehlen. Den Abschluß besorgte zunächst nach einer knappen Stunde
der Hit "From This Height", doch wollten die Fans natürlich auch von
Mesh noch etwas mehr und so folgten mit "Can You Mend Hearts" und
"Crash" noch zwei weitere Zugaben, womit der Abend im Kohlrabizirkus
würdig beendet wurde. Wieder einmal haben die Jungs aus Bristol einen
überzeugenden Auftritt abgeliefert und bewiesen, dass sie zur
Speerspitze des Genres gehören und Spaß bei und mit ihnen
vorprogrammiert ist.
Weiter ging es aber noch an anderen Stellen und für mich stieg die
Vorfreude auf alte Bekannte meiner musikalischen Lebensreise ins
Unermessliche, denn nach langer Zeit gaben sich Fields Of the Nephilim
[GALLERY] mal wieder die Ehre und traten als Headliner des diesjährigen WGT in der
Agra auf. Und dass diese Verpflichtung eine Leistung ist, beweist -neben
dem Massenauflauf an Fotografen im Fotograben- die Euphorie mit der der
Veranstalter die Band ansagte und sie als eine der drei größten Bands
der Szenegeschichte bezeichnete. Nicht zu unrecht, denn Fields Of The
Nephilim wurden 1983, also genau 25 Jahre vor ihrem WGT-Auftritt
gegründet und hatten die Musikwelt bis 1991 ordentlich durcheinander
gewirbelt. Ihre Alben, allen voran das Debut "Dawnrazor" und das
folgende Kultalbum "The Nephilim" schlugen damals ein wie eine Bombe und
fortan wurde die Band in einem Atemzug mit Größen wie The Cure, The
Mission oder den Sisters of Mercy genannt. Songs wie "Moonchild", "Love
Under Will" oder "Last Exit For The Lost" sind heute absolute Klassiker
und werden noch immer gerne in Clubs gespielt. Nachdem sich die Band
1991 aufgelöst hatte, machte Sänger Carl McCoy unter dem Namen "Nefilim"
weiter, wobei er eine etwas härtere Gangart einschlug. Seine Mitstreiter
gründeten zunächst die Gruppe "Rubicon", der noch weitere Projekte
folgten. Seit 2005 hat Carl McCoy Fields Of The Nephilim reanimiert und
im gleich Jahr erschien mit "Mourning Sun" auch ein neues Album. Eine
Tour sollte eigentlich Ende 2006 folgen, wurde jedoch abgesagt. Nun
endlich der erste Auftritt in Deutschland seit so langer Zeit.
Und die Fields legten bei "Shroud" vom letzten Album zunächst
instrumental vor, bevor Carl die Bühne betrat und gleich klar wurde,
dass sie nichts verlernt hatten. Ich hatte sie Ende der 80er Jahre ein
paar mal live gesehen und war damals einfach nur begeistert gewesen.
Umso glücklicher war ich, dass ich in diesem Jahr nicht enttäuscht
wurde. Schon als vierten Song präsentierten sie "Dawnrazor" und gleich
danach den wohl größten Hit ihrer Geschichte, der so manchem Kind der
Nacht zu seinem Spitznamen verhalf: "Moonchild". Der Set war ansonsten
hauptsächlich mit Songs des 2005er Albums gespickt, aber der ein oder
andere Song aus den Anfangstagen war auch dabei. Erste Zugabe nach einer
guten Stunde war "Preacher Man", bevor eine grandiose Version von "Last
Exit For The Lost" das Konzert und damit den Abend beendete. Dieser Song
verdeutlicht wie kaum ein zweiter, was Waverock der achtziger Jahre
bedeutet. Langsam baut er sich auf, um am Ende des knapp zehnminütigen
Stücks mehr und mehr zu explodieren. Untermalt wurde das Ganze über die
volle Konzertlänge von einer unglaublich atmosphärischen Show und einem
noch immer vor Charisma strotzendem Carl McCoy, der mit seinen Mannen
das gesamte Publikum in der Agra in den Bann zog. Die Fields sind zurück
und ich warte nun auf einen Nachschlag …
Der Montag stand für uns natürlich ganz im Zeichen unserer Freunde von
den Dead Guitars. Sie kamen am Nachmittag an der Moritzbastei an und
dort gab es naturgemäß einiges zu klären, der Soundcheck musste
absolviert werden usw. Danach ging es noch einmal zum Hotel und nach
einem erneuten Abstecher in die Moritzbastei machte ich mich auf den Weg
zum Kohlrabizirkus wo Spetsnaz auf dem Programm standen.
Spetsnaz [GALLERY] stammen aus Örebro in Schweden und können bisher auf drei Alben
zurückblicken. Ihr aktuelles Album "Deadpan" erschien im letzten Jahr
und setzte den Erfolgskurs der beiden durch die Tanzflächen der Republik
eindrucksvoll fort. Die Band ist seit Jahren ein Garant für
energiegeladene EBM-Shows und Partystimmung pur und genau für diese
sorgten sie von Beginn an. Die Energie breitete sich im Publikum aus wie
ein Tanzvirus. War die Halle zu Beginn gut gefüllt, wurde es von Minute
zu Minute voller und enger. Sänger Pontus Stalberg animierte mit seinen
Shoutings zu Stephan Nilssons’ Old-School-EBM-Klängen die Massen und der
Mob bewegte sich wie gewünscht im Rhythmus. Als dritten Song kündigte
Pontus seinen Lieblingssong an und "Degenerate Ones" vom 2005er Album
"Totalitär" schallte aus den Speakern. Wieder einmal ein überzeugender
Auftritt mit großem Spaßfaktor der beiden Schweden, die stets beweisen,
dass EBM der alten Schule noch lange nicht tot ist.
Im Anschluss ging es aber für uns gleich wieder zurück in die Innenstadt
um rechtzeitig für den Gig der Dead Guitars wieder vor Ort zu sein,
zumal mit einem großen Andrang auf die lediglich 300 Zuschauer fassende
Moritzbastei zu rechnen war. Dies natürlich umso mehr, da nach den Dead
Guitars noch einmal Welle:Erdball auftreten sollten und diese ja einen
Tag zuvor bewiesen hatten, welche Zuschauermassen sie zu mobilisieren in
der Lage sind. Noch vor den Dead Guitars stand aber Necessary Response
[GALLERY] auf dem Programm und das Konzert lief noch als wir an der Moritzbastei
ankamen. Necessary Response ist ein Projekt von Aesthetic Perfection-
Sänger Daniel Graves. Der Österreicher hat im April sein Debutalbum
"Blood Spills Not Far From The Wound" veröffentlicht und trat beim WGT
gemeinsam mit einem Live-Keyboarder auf. Der Electropop mit stampfenden
Clubbeats kam gut beim Publikum an, welches sich schon jetzt
hauptsächlich aus Welle:Erdball Fans rekrutierte.
Nach einer Umbaupause von knapp zwanzig Minuten betraten zunächst Pete
Brough, Ralf Aussem, Sven-Olaf Dirks und Patrick Schmitz die Bühne der
Moritzbastei um die "Gitarrenwände" der Dead Guitars [GALLERY] aufzubauen. Kurz
darauf folgte ihnen ihr Frontman Carlo van Putten. Die Dead Guitars
wurden bereits im Jahre 2003 von Carlo, Pete und Ralf (Sven-Olaf und
Patrick stießen letztes Jahr zur Band) gegründet und hatten schon dort
eine musikalisch bewegte und bewegende Geschichte mit Bands wie den
Twelve Drummers Drumming, Sun oder The Convent hinter sich gebracht. Im
letzten Jahr erschien mit "Airplanes" endlich das lang erwartete
Debutalbum der Band, die sich zuvor bereits einen guten Namen durch ihre
Liveauftritte gemacht hatte. "Airplanes" ist für mich auch heute noch
das beste Stück Musik der letzten Jahre und wie auch auf dem Album
eröffnete "Name Of The Sea" den Gig der fünf beim diesjährigen WGT.
Der Auftritt war an einem Abend mit sonst eher elektronischer
Ausrichtung sicher kein einfaches Unterfangen, doch die Jungs gaben ihr
Bestes und so wuchs der Applaus von Song zu Song weiter an und am Ende
konnte man auch dieses Konzert wohl wieder nur als Erfolg bezeichnen.
Bis dahin boten die Dead Guitars aber noch vierzig Minuten Songs
des Albums "Airplanes" garniert mit "Silvercross River" als neuem Song
und gleichzeitig Vorboten auf Album Nummer zwei, das hoffentlich noch in
diesem Jahr erscheinen wird. Wie üblich merkte man der ganzen Band ihre
Spielfreude an und Sänger Carlo sang sich gestenreich wie eh und je
durch die Songs, stimmte während der Songpausen -offensichtlich animiert
durch die besondere WGT-Atmosphäre- Klassiker von Joy Division und Co an
und nahm das Publikum mit in den von Gitarren erzeugten Strudel. Für
mich ist diese Band einfach der Inbegriff musikalischer Fertigkeiten im
aktuellen Wavepop-Genre und immer wieder ein emotionales Bühnenhighlight.
Schon während des Auftritts der Dead Guitars, aber insbesondere danach,
ging dann nichts mehr in der Moritzbastei. Überall bildeten sich
Menschenschlangen, um doch noch bei der Party zum 15. Geburtstag von
Welle:Erdball [GALLERY] seit deren Umbenennung von Feindsender hin zu W:E dabei
sein zu können. Doch da war nichts mehr zu machen, denn wer vorne einmal
drin war, verließ die Halle natürlich auch erst zum Ende der
Veranstaltung wieder. Welle:Erdball stammen aus Niedersachsen und dort
begann 1990 die gemeinsame Arbeit von Honey und A.l.f. als "Honigmond".
Kurz darauf nannte man sich in "Feindsender 64.3" um und seit 1993
firmieren die beiden nun unter dem Namen "Welle:Erdball" und gehören zu
den ganz Großen im deutschen Alternativbereich. Ihr Stil basiert auf
Sounds des legendären Commodore 64 und fällt am ehesten in die
Minimal-Electro-Sparte. Und natürlich hatten sich Honey und A.l.f. etwas
besonderes für diesen Anlass einfallen lassen, denn sie wurden neben
ihren beiden Kolleginnen Frl. Venus und Plastique erstmals auch von
"Marakash" verstärkt, einer ebenfalls aus Niedersachsen stammenden
reinrassigen Rock’n Roll Band.
Und nach zwei Songs im gewohnten Gewand wurde der Grund dafür
offensichtlich, denn dann ging es unplugged weiter, also vollkommen ohne
strombetriebene Instrumente. Zu diesem Teil des Sets gehörten neben
W:E-Songs auch solche Überraschungen wie Spider Murphy Gang’s "Schickeria" oder Carl Perkins’ "Blue Suede Shoes". Gefeiert und
angestoßen wurde nebenbei auch noch. Und da der Schlagzeuger Daniel von
Marakash seinen Geburtstag gleich mitfeierte, sangen die Fans ihm ein
Ständchen bevor Marakash zwei Songs ohne W:E performen durften. Danach
wurde den Instrumenten aber noch einmal Strom zugeführt und es begann
ein kurzes Wunschkonzert mit Stücken ganz nach dem Wunsch der Zuschauer.
Gegen halb zwölf abends endete die Party dann aber auch erstmal bzw.
wurde von einer regulären DJ-Party abgelöst. Ein wirklich einmaliges
Ereignis das mir persönlich -neben dem Kult-Gedanken- auch musikalisch
zusagte, auch wenn ich mich die ganze Zeit fragte, wie viele der anderen
Zuschauer entsetzt den Saal verlassen hätten, wenn nicht Welle:Erdball
für diese Klänge mitverantwortlich gewesen wären … Im Anschluß ließen
wir das Festival in und um die Moritzbastei genüsslich ausklingen.
Es bleibt die Erinnerung an ein interessantes und inspirierendes
Festival bei bestem Wetter in der sächsischen Metropole. Musikalische
Highlights für mich ganz klar Fields Of The Nephilim und die Dead
Guitars, aber natürlich enttäuschten auch andere Bands wie Skeletal
Family, Mesh, Escape With Romeo, Covenant, Spetsnaz und Co
nicht. Positive Überraschung für mich waren Days Of Fate, deren Weg ich
weiter verfolgen werde. Absoluter Höhepunkt des WGT ist aber die
unglaublich atmosphärische Stimmung in der Stadt, die das gesamte Event
so einzigartig macht. Erwähnenswert ebenso die nahezu perfekte
Organisation eines solchen Großevents und die Freundlichkeit der Besucher
und vor allem der Einwohner Leipzigs. Im nächsten Jahr sind wir wieder
dabei, davon kann man ausgehen …