Interview : Christian PURWIEN

Interview : Christian PURWIEN
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Was wäre die deutsche Synthi-Pop-Landschaft heute ohne Second Decay? Ganz sicher um einen langjährigen Vorreiter ärmer! Aber auch viele der heute noch aktiven Bands wurden gerade von Second Decay beeinflusst oder gar zum musizieren in dieser Richtung motiviert. Doch in den letzten Jahren wurde es still um das Duo Purwien/Sippel bis seit dem Jahre 2005 immer mal wieder vereinzelt der Name PURWIEN auf Konzertankündigungen auftauchte (u.a. im Vorprogramm von Melotron oder im Rahmen der Elektrisch! Festivalreihe zusammen mit Mesh) und nun im Jahre 2007 erstrahlt von eben diesem Christian PURWIEN als Solokünstler auch wieder ein Silberling im Glanze der Sonne mit dem gleichwegs einfachen wie mysteriösen Titel "E.I.N.S". Sparklingphotos sprach mit PURWIEN über die Vergangenheit, die Gegenwart aber auch über das noch von ihm zu Erwartende:



 

Text?
Purwien ist zurück – Deutschland ist um eine Pop-Ikone reicher. Aber was
war nach 13 Jahren Second Decay ausschlaggebend, eine neue Herausforderung
anzunehmen und den Weg alleine weiterzugehen?

Nachdem sich die Arbeiten am Second Decay Album nahezu endlos in die Länge zogen und wir irgendwie nicht weiterkamen, habe ich irgendwann beschlossen die Sache abzubrechen und es alleine zu versuchen. Das gestaltete sich am Anfang etwas schwierig, da ich eigentlich noch nie alleine Musik und Text für einen Song gemacht hatte. Wir hatten hierzu bei Second Decay eigentlich immer eine klare Trennung, Andreas machte die Musik und ich die Texte. Als ich mich erst mal ein wenig eingearbeitet und jemanden gefunden habe der meine Songs dann zu Ende programmiert, hatte ich schnell genug Songs für das Album zusammen. Der ausschlaggebende Punkt war wahrscheinlich, dass mir ohne Musik irgendwas fehlte und ich mir selbst beweisen wollte, dass ich so eine Sache auch alleine auf die Beine stellen kann.

Am 18.11.2005 konnte man dich und bereits einige der neuen Stücke in
Krefeld im Vorprogramm von Melotron bewundern. Seither sind jedoch gut 1 1/2
Jahre vergangen. Woran lag es, dass die Veröffentlichung des Albums doch
noch solange auf sich warten ließ?

Ja das stimmt, auch die Fertigstellung dieses Albums sollte sich dann noch 1½  Jahre in die Länge ziehen. Wenn ich vorher gewusst hätte wie viele Nerven mich das noch kosten wird, hätte ich mir das bestimmt nochmal überlegt. Das ist wie bei einer Fußballmannschaft, in der alle Positionen neu besetzt werden müssen. Ich habe eine neue Band, ein neues Label und noch einige andere Leute in die Arbeiten zum Album einbezogen und so was dauert. Jetzt steht das Team und ist bereit die Session zu eröffnen.

Dein aktuelles Album E.I.N.S wurde bei Major Records veröffentlicht. Was
waren die Beweggründe, sich wieder einem anderen Label anzuvertrauen,
nachdem das letzte Second Decay Album "Hotels" in Eigenregie erschien?

Für mich war eigentlich von Anfang an klar, dass ich diesmal in Sachen Veröffentlichung nicht wieder alles alleine machen möchte. Major Records hatte sofort Interesse an der Veröffentlichung des Albums bekundet und mich bei der Umsetzung vieler Ideen unterstützt.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Andreas Fröhlich, bekannt als die
Stimme von Bob Andrews von den drei Fragezeichen?

Ich bin und war immer ein großer Drei Fragezeichen Fan und habe über einen Bekannten bei Andreas anfragen lassen ob Interesse an einer Zusammenarbeit besteht. Er hat sich dann sehr schnell zurück gemeldet und zugesagt. Ich finde, dass er einen wirklich sehr guten Job gemacht hat und dass seine Stimme perfekt zu meinen Texten passt. Außerdem hatten wir bei den Aufnahmen in Berlin sehr viel Spaß.


Dass Andreas Fröhlich ebenso als Synchronstimme für John Cusack aktiv
ist, war womöglich bei der Auswahl der Sprecher nicht relevant, allerdings
brachte mich dies zu der Vermutung, du könntest ein Anhänger des Buchs/Films
"High Fidelity" sein. Sollte ich damit richtig liegen, wie würdest du deine
Person mit dem Hauptcharakter Rob Gordon vergleichen? Sind Parallelen
erkennbar?

Ich mag diesen Film tatsächlich, doch war der Beweggrund doch eher die Hörspielserie. Zu der Figur sehe ich eher wenige Parallelen , es sind eher die 80er und die Stimmung des Films die ich sehr angenehm finde.


Text?

Bei "Alle Fehler" singst du im Duett mit Joachim Witt. Hattest du bei
dieser Zusammenarbeit nicht stets im Hinterkopf, dass es damals für
Wolfsheim, gemeint ist der Song "die Flut" mit Peter Heppner, nicht gerade
unvorteilhaft war, was den kommerziellen Erfolg angeht? Oder warum gerade
diese Konstellation: Purwien – Witt?

Natürlich fand ich diesen Song selber auch sehr gut, aber daran dachte ich eher nicht. Joachim ist genau wie Andreas ein Held meiner Jugend und ich habe seine Arbeit die ganze Zeit verfolgt. Ich halte ihn für eins der wenigen Originale in der deutschen Musiklandschaft. Mir war von Anfang an klar, dass das gut passen würde und dass er diesem Song eine ganz andere Richtung geben würde und genau das ist dann auch passiert. Ich bin sehr froh, dass er das mit mir zusammen gemacht hat.

Kommen wir zum Arrangement der Songs. Second Decay arbeiteten mit
analogen Synthies und eher rustikalen Musikinstrumenten. Wie siehts heute
mit der Instrumentierung aus? Deine Solosachen klingen schließlich schon
etwas moderner, digitaler?

Ja und das ist auch durchaus bewusst so geschehen. Ich war schon immer der Meinung, dass ein guter Song unabhängig von seiner Instrumentierung funktionieren muss. Mann hätte diese Songs auch komplett mit Gitarre, Schlagzeug und Bass einspielen können und sie hätten mir wahrscheinlich trotzdem gefallen.

Ich habe den Eindruck, dass das Album eine Geschichte erzählt. Ihm
scheint ein thematisches Konzept zugrunde zu liegen, welches die Wichtigkeit
des Lebens und der Liebe zu erklären versucht. In welcher Verfassung oder
besser "Stimmung" warst du, als die Texte und die Musik dazu entstanden?

Konzept hört sich immer sehr hochtrabend an. Ich würde es eher als Roten Faden bezeichnen. Ich brauche eigentlich keine bestimmte Stimmung um einen Song zu schreiben, ich beobachte Dinge oder Situationen und dokumentiere sie.

Ich könnte mir vorstellen, dass alle Hörspielsequenzen eine Einleitung
zum besungenen Thema darstellen. Schlussendlich wird unter Andreas
Fröhlicher Stimme eine zum Nachdenken anregende Message vermittelt, die alle
der Themen miteinander verbindet. Angesprochen wird die Allgemeinheit, doch
wie ist deine Meinung dazu? Lebst du dein Leben ohne Sorgen? Gefällt dir die
Zeit die du zwischen Punkt A und Punkt B verbringst? Glaubst du, dass die
Anzahl der Leben die wir zur Verfügung haben nicht nur E.I.N.S ist?

Meine Inspiration ist das Leben und die Ereignisse die uns Tag für Tag begleiten, das Leben manchmal schwer oder auch angenehm machen. Es sind immer nur subjektive Betrachtungen … halt so wie ich die Dinge sehe. Das muss nicht immer politisch korrekt sein und ich will auch niemanden von irgendwas überzeugen. Natürlich plagen auch mich manchmal Sorgen und auch in meiner Natur liegt diese Grundunzufriedenheit. Aber sobald ich damit anfange darüber nachzudenken wie groß oder klein meine Probleme wirklich sind, relativieren und erledigen sich viele Dinge von selbst. Ja, ich glaube wirklich dass die Anzahl der zur Verfügung stehenden Leben eins ist und auch der Glauben an Religion daran nichts ändert. Ich glaube aber auch, dass eins und eins = eins ist und es sich deshalb lohnt das eine zur Verfügung stehende Leben mit einer anderen Person zu teilen.

Der deutschen Sprache wird -gerade bei den auf deinem Album behandelten
Themen- nachgesagt, oft schwerfällig und unelegant zu klingen. Auf der
anderen Seite geht der Trend allerdings wieder verstärkt zu komplett
deutschem Liedgut. Wieviel Mut hat es dich gekostet es ebenfalls auf deutsch
zu versuchen?

Für mich war immer klar das dieses Album ausschließlich deutsche Texte haben würde. Ich habe bereits beim ersten Second Decay Album (1992) damit begonnen deutsche Texte zu schreiben. Heute fällt es mir persönlich wesendlich leichter
das in deutsch als in englisch zu tun. Ich finde den Trend der deutschen Sprache in der Musik sehr positiv.

Text?

Der Erstling einer jeden Band hat zunächst mal die schwierige Aufgabe,
die Käufer zu animieren aus dem Wust an Neuveröffentlichungen eben dieses
Album auszuwählen und später dann auch weiterzuempfehlen um die Popularität
zu steigern und so im Idealfall eine eigene "Marke" entstehen zu lassen. Du hast
dich beim Start deiner Solokarriere für eine eher unübliche Aufmachung
deines Debüts entschieden. Was waren die Gründe für dieses Vorgehen und
erhoffst du dir damit aus der Masse herauszuragen?

Ich gehe da immer von meinem Geschmack aus , mich interessieren Sachen die anders sind. Im Prinzip transportiert das Layout der MCD und des Albums die Geschichte dass eins und eins = eins ist.


2002 standst du zum letzten Mal als Teil von "Second Decay" auf der
Bühne. Was war es für ein Gefühl es einige Jahre später solo erneut zu wagen
und welche Ängste musstest du gegebenenfalls durchleben?

Das war schon etwas komisch , aber ich habe schnell festgestellt, dass das mit meiner neuen Band (bestehend aus Steffen und Marcel) wieder richtig Spass macht. Ich habe eigentlich immer gerne Live gespielt und ich glaube das kann man auch sehen.

Viele Künstler werden dem Spielen ihrer größten Hits auf Konzerten nach
einigen Jahren überdrüssig und nehmen diese dann aus dem Programm. Auch hier
hast du dich für einen anderen Weg entschieden und spielst Hits wie "I Hate
Berlin" nun in einem neuen Gewand, von dir passenderweise als "Neue deutsche
Tanzmusik" bezeichnet. Ist dies als Zeichen einer weiterhin bestehenden
Verbundenheit mit Second Decay zu werten oder was war der Hintergrund?

Klar die Second Decay Songs begleiten mich schon sehr lange und das soll auch so bleiben. Außerdem sind sie meiner Meinung nach auch ein guter Konzerteinstieg um den Menschen die neuen Songs etwas schmackhaft zu machen. Es sind einiger der Second Decay Songs die ich heute noch sehr gut finde und sie passen ja auch durchaus zu den neuen Sachen. Mir macht das absolut nichts wenn Songs wie ?I hate berlin? beim Purwien Konzert vom Publikum gefordert werden … und es macht einfach auch Spaß Songs zu spielen die das Publikum mitsingen kann.

Die letzte Frage soll nun abschließend ganz deinen zukünftigen Plänen
als Purwien gewidmet sein. Was kann man vom Solo-Projekt Christian Purwien
noch erwarten und vorallem, wann startet die langersehnte Deutschland-Tour?

Wir sind gerade dabei einige Konzerte für den späten Herbst vorzubereiten.
Dann werden wir eine zweite Single ?so kalt? aus dem Album veröffentlichen.
Wann, wie und ob überhaupt das nächste Purwien Album erscheinen wird, mache ich ganz klar von Erfolg von ?Eins? abhängig. Wenn das keiner hören / kaufen möchte macht es wenig Sinn diesen Weg weiter zu verfolgen. Ich bin allerdings
Recht optimistisch, dass dieses Album nicht ganz untergehen wird und dann wird
es auch auf keinen Fall länger als ein Jahr bis ?Zwei? dauern…versprochen.

Vielen Dank an Christian Purwien für die kurzfristige und unkomplizierte Realisierung dieses interessanten und sehr ehrlichen Interviews .

Interview: Stephanie Sieler / Michael Gamon & Christian Purwien

Juli 2007 per E-Mail

Internet: www.purwien.net | www.myspace.com/purwien | www.majorrecords.de

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