Hin und wieder tut es ganz gut, über den Tellerrand hinauszuschauen und sich einmal auf weitgehend unbekanntes Terrain zu begeben. Wenn man sich in der Schwarzen Szene bewegt, ist man in dieser Bubble ziemlich isoliert und wenn man es sich dann in der mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Schublade bequem gemacht und darin einige Jahre verbracht hat, merkt man gar nicht mehr, dass man sich im Grunde im Kreis bewegt, was Denkmuster und Gewohnheiten angeht. Grundsätzlich ist daran auch nichts auszusetzen. Der permanente, von der Gesellschaft verordnete Weiterentwicklungsdrang war mir schon immer suspekt und viel zu hektisch. Es tut ja ganz gut, wenn man seine Nische gefunden und sich darin häuslich eingerichtet hat. Aber ich habe dann mit der Zeit doch den Drang entwickelt, ab und zu rauszugehen und mich in anderen Welten umzusehen, dort eine kleine “Shopping-Tour” einzulegen und sich sogar kleine, dekorative Souvenirs zur Erweiterung der geistigen Wohn-Bubble mitzunehmen. Durch das Selbst-Studium der norwegischen Sprache und meine Vorbereitungen, in einiger Zeit in dieses wunderbare Land umzusiedeln, war ich auch auf die dortigen Musikhelden Röyksopp gestoßen. Ein interessantes, vielseitiges Electro-Projekt, das man im Grunde nicht als alternativ ansehen kann. Röyksopp sind, ähnlich wie Depeche Mode, im Mainstream erfolgreich, werden aber auch in der Schwarzen Szene gehört.
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Ich verliebte mich vor allem in die “strukturierten” Songs mit Gastsängerinnen wie die unvergleichliche Susanne Sundfør oder auch Robyn. Und als sich nun die Gelegenheit ergab, diese Formation einmal live zu lerben, zögerte ich keine Sekunde. Ähnlich wie damals beim Depeche Mode-Konzert in Hamburg fand ich mich vor Ort als nahezu einziger (äußerlich erkennbarer) Alternativer im Mainstream-Publikum wieder. Auch die Altersstruktur reichte von Teenagern bis hin zu Greisen, es war eine völlig chaotische, bunte Mischung. Was sagt das über die Band aus? Scheinbar führt sie die unterschiedlichsten Menschen zusammen, und das ist in unserer Zeit, wo die Gräben immer tiefer und die Ressentiments gegen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen größer werden, eine verdammt gute Nachricht! Ich fand mich, ohne das aktiv durch Frühanreise geplant zu haben, sogar in der ersten Reihe wieder.
Doch zunächst gab es die Vorband… äh Moment, ich muss meine gewohnten Denkmuster ablegen. Zunächst gab es zum Aufwärmen eine DJ-Performance von Mickael Karkousse. Der Belgier hat mit der Synth-Rock-Band Goose einige Alben veröffentlicht, lebt aber bei seinem Soloprojekt die Liebe zu synthetischer Musik noch intensiver aus. Was Karkousse im Kölner Palladium auflegte, klang sehr nach French House/Disco House. Viel Interaktion mit dem Publikum gab es nicht und auch kaum erkennbare Übergänge zwischen den Stücken. Der Bass setzte erst irgendwann während des zweiten Tracks ein und brachte einige Zuhörenden bereits an die Belastungsgrenze. Manche wechselten die Position aus dem Epizentrum der Vibration hinaus nach weiter hinten. Am Ende des Sets stand der Track Music Sounds Better With You, dem größten und nahezu einzigen Hit der House-Formation Stardust. Dieser Klassiker war dem Publikum natürlich bestens bekannt und so gab es hier eine deutliche Zunahme der Tanzbewegungen. Michael Karkousse verbeugte sich zum Schluss und winkte dem Publikum zu.
Die beiden Röyksopp-Soundmagier Svein Berge und Torbjørn Brundtland betraten die Bühne in orangefarbenen Kutten mit dem Röyksopp-Ringlogo darauf und mit getönten Visieren im Gesicht, die drei TänzerInnen waren anfangs ebenfalls so gewandet. So wurde das Intro und der Eröffnungssong Press R performt. Doch die Kutten wurden dann relativ schnell wieder abgeworfen. Berge und Brundtland wechselten zu Hüten, die TänzerInnen waren dagegen in weiß gewandet. “Guten Abend Köln, wir sind Röyksopp!”, begrüßte Svein die jubelnde Menge. Die beiden Masterminds blieben fast durchgängig im Hintergrund an den Synthesizern und verschwanden sogar die meiste Zeit des Sets im Bühnennebel, was es den Fotografen unmöglich machte, die beiden Musiker gut zu erwischen. Der visuelle Fokus lag stattdessen mehr auf den drei begnadeten TänzerInnen, die eine großartige Performance im Vordergrund hinlegten und die meisten Songs begleiteten. Der erste Teil des Sets stand ganz im Zeichen der aktuellen Trilogie Profound Mysteries. Leider kamen wir, anders als die Fans bei den drei norwegischen Auftritten der Band, nicht in den Genuss von Livegesang.
Der Sound im Kølner Palladium war allerdings durchgängig großartig. Was aber auch bedeutete, dass der Bass uns allumfassend durchrüttelte und die Lautstärke das Gehör generell an seine Grenzen brachte. Für mich war das eine neue Erfahrung. Ich besuche zwar regelmäßig Electro-Konzerte in der Schwarzen Szene, aber selbst Acts wie Projekt Pitchfork, Front 242 oder The Prodigy schaffen es nicht, dermaßen massive Soundwände zu erzeugen wie Röyksopp. Ohne meinen Gehörschutz wäre ich vermutlich verloren und meine Bemühungen, die norwegische Sprache zu erlernen, obsolet gewesen. Ich hätte direkt nach dem Konzert zu norwegischer Gebärdensprache wechseln müssen. Aber natürlich hat es auch etwas Aufregendes, der Musik dermaßen unmittelbar ausgesetzt zu sein und einfach mitgerissen zu werden von diesem Mahlstrom aus purer Agonie. “Meine” Röyksopp-Hits fanden sich glücklicherweise auch im Set wieder, auch wenn die Gesangspassagen bei Monument (Robyn), Running To The Sea (Sundfør) oder What Else Is There? (Karin Dreijer) sämtlich vom Band kamen. Lichttechnisch gab es auch eine Menge Abwechslung. Während die “Arme” der langen “Lichtroboter” auf der Bühne selbst in verschiedenen Farben leuchteten, wurde das Publikum ebenfalls mit mehreren Stufen von Blitzlichtgewitter beschossen und sogar mit grünen Laserstrahlen.
Ich muss noch die TänzerInnen besonders hervorheben. Die Tanzperformance war absolut harmonisch und fließend. Mal tanzten die drei in Formation und praktisch miteinander, mal wechselten sie sich ab und standen jeweils alleine im Mittelpunkt. Die pure Freude an der Bewegung und der Spaß ihrer Gesichtsausdrücke sprang unweigerlich auf das Publikum über. Auch Berge und Brundtland hinter ihrem Pult wurden hin und wieder von einer der drei Grazien “heimgesucht” und sie alberten zwischendurch auch miteinander herum und vermittelten einfach die pure Lebensfreude. Der männliche Tänzer klaute sich schließlich sogar einen Hut von Brundtland. Das war ein Fest für die Augen und Ohren. Es passte einfach alles zusammen. Was für eine wundervolle Erfahrung! Gegen Ende des Sets verließ Svein Berge auch hin und wieder seine “Festung” und kam an den Bühnenrand, um nochmal alles aus dem Kölner Publikum herauszukitzeln. Er interagierte mit den TänzerInnen und mit der Menge. “Köln! Viel Liebe!”, sagte er kurz und knackig Da er auch für die hin und wieder eingestreuten Electro-Drums zuständig war, fuchtelte er bei seinen kurzen Bühnenrand-Ausflügen mit seinen Sticks herum und warf einen davon in den Graben. Die Security war allerdings auf der Hut, begutachtete das Objekt der Begierde der ausgestreckten Hände der Frontrowler und entschied dann, es zu konfiszieren, denn der Stick war auf ganzer Linie gesplittert, so energisch hatte Berge seine E-Drum-Pads bearbeitet.
What Else Is There? zählt sicherlich zu den bekanntesten Hits der Norweger und wurde unzählige Male gecovered. In Köln bekamen wir den Song in der Version des Trentemøller-Remixes auf die Ohren und die Stimmung erreichte hier, am Ende des regulären Sets, noch einmal einen Siedepunkt. Röyksopp rollte über uns hinweg wie eine Naturgewalt und Tanzen wurde praktisch zur Selbstverteidigung gegen das süße Gift, was unerbittlich in den Körper einsickerte. Wer aufhörte, sich zu bewegen, musste unweigerlich am geballten Sound sterben, also tanzte man einfach um sein Leben. Da der Suchtfaktor sehr hoch war, kam es natürlich auch gar nicht in Frage, die famosen Norweger bereits gehen zu lassen. Das Publikum war lange mit der Soundmagie von Röyksopp aufgeladen worden und emittierte diese gespeicherte Energie jetzt in donnerndem Lärm, um in masochistischer Manier eine Verlängerung der ekstatischen Qual zu verlangen. Svein und Torbjørn taten uns zum Glück den Gefallen und ergänzten des vortreffliche Set um ganze vier weiteren Songs, darunter Sordid Affair von The Inevitable End. Der Profound Mysteries-Kreis schloss sich allerdings mit dem allerletzten Song Like An Old Dog in der Remix-Version von Enrico Sangiuliano.
Das Publikum ahnte natürlich, dass der geliebte Fiebertraum im Palladium unweigerlich dem Ende zuneigte, also wurden noch einmal alle Register gezogen und frenetisch gejubelt sowie ausgelassen getanzt. Röyksopp hatten uns einem fast schmerzhaften, aber auch befriedigenden Power-Charge unterzogen, was man daran erkennen konnte, dass auch draußen vor dem Palladium noch weitergefeiert wurde. Als ein Güterzug durch das Schanzenviertel unmittelbar neben der Location fuhr und der Fahrer verwundert das Fenster im Führerstand herunterkurbelte, wurde ihm zugewunken und laut gejubelt. Ob er wohl ahnte, dass er diese Begrüßung einem norwegischen Elektroprojekt zu verdanken hat? Die besten Konzerte sind die, die noch lange nachhallen. In diesem Sinne können wir nur sagen: Tusen takk, Röyksopp. Kom snart tilbake! (Leksjoner begynne a lønne seg!)
Setlist RÖYKSOPP – Köln, Palladium (23.10.2023):
01. Press «R»
02. The Ladder
03. Impossible
04. This Time, This Place…
05. The Girl And The Robot
06. Here She Comes Again
07. Monument
08. Oh Lover
09. Unity
10. You Don´t Have A Clue
11. The “R”
12. Breathe
13. Running To The Sea
14. What Else Is There? (Trentemoller Remix)
Zugaben:
15. Never Ever
16. Sordid Affair
17. Do It Again
18. Like An Old Dog (Enrico Sangiuliano Remix)
Weblinks Röyksopp:
Webseite: royksopp.com/home/
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Instagram: instagram.com/royksopp