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30. Wave Gotik Treffen (WGT 2023) – Leipzig, Montag (29.05.2023)

30 Wave Gotik Treffen - Monntag, 29.05.2023 © Monkeypress

30 Wave Gotik Treffen - Monntag, 29.05.2023 © Monkeypress

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Fusion! Ein Ritt auf der Schneeflocke und Abtauen im Felsenkeller

Gestern keine Aftershow-Party mehr? So könnte eure Frage lauten. Nun, man wird älter, Freunde der Nacht. Und man braucht seine Energie schließlich für viele wundervolle Programmpunkte, die es auch am Montag noch einzusammeln galt. Auch für diesen Tag gibt es einen rituellen, widerkehrenden Programmpunkt: den Kinobesuch. Dark Shadows, Crimson Peak, A Cure for Wellness… Oft schon hatte der Film, den die Passage-Kinos sorgfältig für das WGT-Publikum ausgesucht hatten, mich nachhaltig begeistert. Im letzten Jahr gab es dann einen Bruch mit dem sehr kruden Werk Luzifer von Peter Brunner, das mir überhaupt nicht gefallen hatte. Aber kein Grund, mit der langjährigen Tradition zu brechen! An dieser Stelle einmal ein Lob an diejenigen, die für die Texte im Pfingstboten verantwortlich zeichnen. Im Text zum diesjährigen Film Bones and all ist die Rede von einem Roadmovie zwischen zwei „Außenseitern“, die vor der Frage stehen, ob sie ihr „Anderssein“ überwinden können. So weit, so harmlos. Dass diese Außenseiterrolle davon herbeigeführt wird, dass die Protagonisten Maren und Lee Kannibalen sind, wird nur weiter unten in einem Nebensatz erwähnt. Dementsprechend überrascht und erschrocken waren viele Kinobesucher. Man merkte ganz genau, wo diejenigen saßen, die den Texte eher überflogen hatten, als im Film zum ersten Mal hingebungsvoll abgebissen und gekaut wurde. Ich würde Bones and all fast als Meisterwerk bezeichnen. So beklemmend, so verstörend und so bedeutungsschwer aufgeladen mit ethisch-moralischen und philosophischen Fragen, dass es eine Freude ist. Sobald man es nach Ende des Films mühsam geschafft hatte, den Knoten der Beklemmung in der eigenen Brust wieder zu lösen, konnte man ausgiebig darüber nachdenken, was man da gerade gesehen und mitgenommen hat.

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Eines ist mir bei der WGT-Planung immer besonders wichtig: Hochkultur und Klassik zu integrieren! Das Wave-Gotik-Treffen-Bändchen bietet den Besuchern die einmalige Möglichkeit, ohne Zuzahlung Oper und Theater aufzusuchen und so klassische Werke der Hochkultur zu erleben. Das sollte man in jedem Fall auch tun, denn das bietet kein anderes Festival. Auch die zahlreichen Museen können besichtigt werden, hier sei besonders das Museum der bildenden Künste ans Herz gelegt. Klar ist aber auch – wie jedes Jahr – , dass nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen einer Vorführung für WGT-Besucher zur Verfügung steht und dass man in Ermangelung einer Reservierungsmöglichkeit lieber rechtzeitig in der Schlange stehen sollte. Ich erinnerte mich nur allzu gut an mein Scheitern, als ich für Wagners Die Feen keines der begehrten Tickets mehr ergattern konnte. In diesem Jahr stand aber keine der klassischen Opern auf dem Programm, sondern etwas vollkommen Neues. Das Ballett Fusion von Mario Schröder und Harry Yeff-Reeps100 feierte im Opernhaus Premiere. Das Problem an der Sache: Man kann mit Worten unmöglich beschreiben, was wir bei dieser Uraufführung zu sehen und hören bekommen haben. Die Plakatwerbungen für „Fusion“, die im Leipziger Stadtgebiet verteilt waren, bezeichneten das Stück als „Ritt auf einer Schneeflocke“ und beschreiben damit ebenfalls das Unbeschreibbare. Was man sagen kann ist: Harry Yeff-Reeps100 (so sein Künstlername) ist ein fantastischer Künstler und ruft einfach nur Staunen hervor. Er beherrscht seine Stimme auf einem unfassbar hohen Niveau und erzeugt in schneller Folge eine Vielzahl von Geräuschen damit. Diese „auditive Energie“ wiederum wurde in „Fusion“ auf die TänzerInnen des Leipziger Balletts übertragen, die diese wiederum in Bewegungsenergie umwandelten, bis beides zu einem audiovisuellen Gesamtkunstwerk verschmolz, ergo fusionierte. Yeff-Reeps100 wendet vor allem verschiedene „Seufzer” und mit viel Luft in der Stimme angereicherte Zisch- und Rauschlaute an, was an die üblichen „Beatboxer“ erinnert, nur tausendmal professioneller. Es war ein Fest für alle Sinne, diese Performance zu erleben. Der Tonkünstler und Multiinstrumentalist Gadi Sassoon steuerte aus dem Graben verschiedene Klangkomponenten bei, unter anderem durch sein wundervolles Violinenspiel. Die Tänzer und Tänzerinnen des Leipziger Balletts wirbelten dermaßen formvollendet über die Bühne, dass man aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam. Ich habe mir Mühe gegeben, aber ich merke meine Hilflosigkeit beim Schreiben. Man muss das einfach live erlebt haben! Punkt.

Hart und weich – Ausklang im Felsenkeller

Es ist ein harter Bruch vom Ballett zu Heldmaschine, aber so ist das Wave Gotik Treffen nun mal, so viele Facetten, so viele harte Übergänge, um all die Spielarten abzudecken, die der geneigte Grufti von heute in seiner Seele unterzubringen weiß. Der Felsenkeller in Plagwitz hat sich in den letzten Jahren als Heimstätte für Gitarrenmusik etabliert, nicht zuletzt auch durch die Metal-Partys im Naumann’s. Wir haben den Weg auf uns genommen, um zum Abschluss des Festivals noch einmal ordentlich die Haare kreisen zu lassen und ein wenig die doch sehr electrolastigen Vortage auszugleichen. Die erwähnte Heldmaschine aus Koblenz begann damals als Rammstein-Coverband Völkerball und entwickelte die zweite Identität, um auch eigene Stücke präsentieren zu können. Dass das Konzept absolut aufgeht, sah man an der Menge an Fans, die sich im Felsenkeller eingefunden hatten und auch daran, dass im Publikum drei Flaggen mit dem „HM“-Logo geschwenkt wurden. Sänger René war auch sichtlich bewegt durch den Support: „Unfassbar, Leipzig! Ihr seid absolut überwältigend. Damit haben wir an einem Montagabend nicht gerechnet“. Das Set startete nach dem Intro mit Luxus und Kein Zurück und dann wurde mit Sucht ein neues Stück präsentiert, das laut René „Die Sucht nach euch beschreibt“. Die Stimmung war jedenfalls großartig im „Keller“ und das Publikum klatschte und armwedelte tadellos mit. Heldmaschine ist dafür bekannt, auch nic30 Wave Gotik Treffenht mit Requisiten zu geizen und bei der nächsten neuen Nummer kam, passend zum Text, ein Megafon zum Einsatz. Natürlich in HM-Manier mit Laserstrahlern bestückt und mit Metallspitzen. Der Klassiker Schwerelos hingegen wurde in kölschem Humor gleich mal in „Schwer wat los“ umgedichtet.

Als die Band nach Radioaktiv verkündete, dass jedes Konzert auch mal zu Ende gehe, war noch einiges an Spielzeit auf der Uhr. Vielleicht wollte René aber nur den Bogen zum Song Das Maß ist voll schlagen. Der Song löste ausgelassene Lebensfreude in der Mitte des Saals aus. Neben und in dem Moshpit wurde kräftig gesprungen und bei einigen Humpenträgern war das Maß danach nicht mehr ganz so voll, dafür aber Nebenstehende gut durchnässt. “Liebes Leipzig, wir wünschen uns, dieser Abend würde nie zu Ende gehen, aber er muss enden, damit ein neuer beginnen kann”, wurde der Fronter noch einmal philosophisch. Der Felsenkeller war jedenfalls noch immer hungrig und bekam neben Auf allen Vieren noch das schweißtreibende Springt! und eine eigenwillige Keyboard-Performance aller Bandmitglieder, die maskiert zurück auf die Bühne kamen. Die Bühnenabstinenz währte nur kurz. Natürlich musste auch noch die wichtige Frage geklärt werden, warum die Band überhaupt das “R” rollt. Und es kommt auch kein Heldmaschine-Konzert ohne das treibende Weiter aus. Zuletzt wurde der Staffelstab noch an Unzucht übergeben, René erinnerte daran, dass die beiden Bands in der Anfangszeit der Heldmaschine gemeinsam auf Tour gewesen sind: “Wir waren in einem Nightliner zusammengepfercht, wir kannten uns noch gar nicht. Und das war so eine wundervolle Tour”. Der letzte Song wurde also den Kollegen aus den Anfangstagen gewidmet. Sehr sympathisch. Sänger René wagte sogar ein kurzes Bad in der Menge und surfte einige wenige Meter auf den Händen der Besucher, musste aber bald wieder umkehren. “Höher, schneller, weiter” ging es hier leider nicht unbegrenzt. Trotzdem erfrischend, dass sich die Heldmaschine nicht an die “Konventionen” eines “gesitteten Gothic-Festivals” hält, sondern einfach ihr Ding durchzieht.

Unzucht hatte die Aufgabe, im Felsenkeller das Licht auszumachen, aber natürlich nicht, ohne ihn vorher noch einmal taghell erstrahlen zu lassen. Man hatte den Eindruck, ein unaufmerksamer Stagehand habe die Setlist falsch herum aufgeklebt, denn die Band begann direkt mit ihren bekanntesten Hits Unzucht und Engel der Vernichtung – ungewöhnlich! Danach rief Daniel Schulz der Menge zu: Es ist Pfingsten, also lasst uns ein bisschen innehalten”. Er legte die Hände zum Gebet zusammen und eingefleischte Fans wussten, was das bedeutet: Kleine, geile Nonne. Der Felsenkeller quotierte diese Hitdichte gleich zu Beginn des Sets mit eindrucksvollem Jubel, was auch dem Schulz sichtlich gefiel. “Leipzig, WGT, es tut so gut, euch alle zu sehen. Lasst uns feiern! Wow!”, gab der sympathische Fronter die generelle Richtung für den Abend vor. Doch nun wurde wieder der Vielfalt im Repertoire Rechnung getragen und diesmal wirklich innegehalten. “Der nächste Song geht raus an alle unsere Freunde, die heute nicht hier sein können. Die nicht mehr da sind, unsere Freunde, die viel zu früh gehen mussten”. Es ist Tradition, den Song Nur die Ewigkeit im Gedenken an die Verstorbenen zu zelebrieren und solch eine Ernsthaftigkeit steht auch einer Dark Rock-Band gut zu Gesicht, wie ich finde. Gitarrist und Harsh Vocals-Monster Daniel de Clercq hatte derweil mit viel zu früh verstorbener Technik zu kämpfen. Immer wieder gab er der Tontechnikerin Nadja zu verstehen, dass sein In-Ear rauschte. Und auch andere Opfer gab es bereits früh im Set zu beklagen: Daniels Setlist hing bereits in Fetzen und musste ersetzt werden. Das ist Rock n’ Roll, Freunde! Als nächstes bekamen die Leipziger die neue Single Wo die Stimmen schweigen zu hören. Mein Eindruck ist, dass der neue Song noch etwas in den Ohren und Herzen der Fans reifen muss. Aber de Clercqs Probleme hielten an, er höre nur Geknarze. “Das sind Störungen,. Ihr müsst alle eure Handys ausmachen”, scherzte der Schulz , während sein Namensvetter Kapitulation andeutete: Ich höre dann jetzt auf, ne?” . Zum Glück tat er das nicht wirklich, denn der besondere Reiz von Unzucht kommt maßgeblich durch den Kontrast der aggressiven Vocals einer- und den gefühlvollen solchen andererseits durch die beiden Daniels zustande. “Der nächste Song heißt Unendlich und den widmen wir sehr gern unseren Nightliner-Brudis Heldmaschine!” spielte der Fronter den Ball an den vorherigen Act zurück. Der letzte Auftritt verflog viel zu schnell. Wir bezeugten, dass ein Wort wie ein Stein fliegen kann, litten mit Nela und ließen unsere Handylichter für Du fehlst erstrahlen. Auch ganz alte “Schätzchen” kamen aufs Tapet, zum Beispiel der Titelsong des Debutwerkes Todsünde 8. Und doch ging auch dieser Auftritt zuende, aber dem “Wir werden uns nie wiedersehen” der Unzucht im Song Deine Zeit läuft ab können wir entschieden widersprechen.

Eine Bildergalerie mit den Bands Harsh Symmetry, Ploho, Forever Grey und A Place To Bury Strangers findet Ihr hier:

Fotos: WAVE GOTIK TREFFEN (WGT) 2023 – Montag (29.05.2023) (Claudia Helmert)

Eine Bildergalerie mit den Bands So Long Until The Seance, Left Hand Black, Der Fluch, The Other und The Mission findet Ihr hier:

Fotos: WAVE GOTIK TREFFEN (WGT) – Montag, 29.05.2023 (Sandro Griesbach)

Eine Bildergalerie mit den Bands Front Line Assembly, Eisfabrik und Forced To Mode findet Ihr hier:

Fotos: WAVE GOTIK TREFFEN (WGT) – Montag, 29.05.2023 (Alex Jung)

Das war die Jubiläumsausgabe “30 Jahre Wave Gotik Treffen Leipzig”. Es war wieder ein schwarzbunter Strauß erlesener und ganz verschiedener Blumen, die wir gemeinsam pflücken durften. Wie immer gilt unser Dank natürlich der hervorragenden Festivalorganisation und dem warmen Willkommen, das uns die Stadt Leipzig wieder beschert hat. Monkeypress hofft, euch mit dem WGT-Planer wieder die Logistik erleichtert zu haben und natürlich werden wir auch nächstes Jahr wieder vom gotischsten aller Festivals ausführlich berichten. Bis dahin gehabt euch wohl!

Weblinks WAVE-GOTIK-TREFFEN:

Homepage: https://www.wave-gotik-treffen.de/
Facebook: https://www.facebook.com/WaveGotikTreffen
Twitter: https://twitter.com/wgt_le
Instagram: https://www.instagram.com/wgt_leipzig/

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