Chris Corner mag das Experimentelle, so viel ist bekannt. Immer wieder veröffentlichte der Sneaker-Pimps-Frontmann in den vergangenen 25 Jahren Musik, die kommerziell wenig bis gar nicht funktioniert, hier und da auch unter dem Namen seines 2004 gegründeten Projekts IAMX. Fans werden sich unter anderem an die Instrumentalplatte Unfall (2017) erinnern. Im vergangenen November war es dann mal wieder soweit. Unter dem Namen Machinate erschien eine Zusammenstellung von Songs, die in Corners Heimstudio mit modularen Synthesizern kreiert wurde. Ein entsprechendes Live-Programm wollte der gebürtige Engländer dazu ebenfalls auf die Beine stellen.
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Nun war es also soweit. An einigen ausgesuchten Orten in Europa präsentierte Corner seine “orgy with my machines“, ein komplett anderes IAMX-Liveerlebnis. Kein mächtiges Drumming von Jon Siren, keine schmeichelnden Backing Vocals und flirrenden Keys von Sammi Doll und keine Rampensau am Bass namens Janine Gezang – letztere lieferte auf Teilen der Tour allerdings immerhin technische Unterstützung hinter dem Vorhang. Stattdessen Gerätschaften auf der Bühne, die etwa null bis ein Prozent der Anwesenden im Publikum bedienen könnten. So ein modularer Synthesizer ist eben ein verdammt komplexes Teil. Dass das vorgetragene Programm nicht jedermanns Sache ist, war vorhersehbar. Schon vor der Show in Oberhausen machten Geschichten vom Vorabend die Runde, nach denen so manch Gast von der Show beim WGT in Leipzig verstört, verwirrt oder allgemein wenig begeistert war.
Klar, wer hier eine ekstatische Bühnenshow und junge Synth-Pop-Klassiker wie Kiss And Swallow oder Happiness erwartete, wurde enttäuscht – das wurde seitens IAMX vorher aber auch eindeutig angekündigt. Chris Corner, mittlerweile ausgestattet mit einer hellblonden Frisur, die an Prinzessin Zelda aus den Nintendo-Spielen erinnert, startete das Konzert vornehmlich mit Stücken der Machinate-Platte, darunter der “Single” Art Bleeds Money, die mit einem sehenswerten Video ausgestattet wurde. Die Stimmung blieb aber zunächst verhalten, erste Personen steuerten nach den ersten Songs direkt mal den Raucherbereich an. Nun ja, wie gesagt: Es hätte jedem klar sein dürfen/müssen, dass das eben kein “normales” IAMX-Konzert wird.
Wer hingegen bereit war, sich auf das Experiment einzulassen, wurde mit interessanten Sounds und stimmigen Neuinterpretationen bekannter Lieder belohnt. Überwiegend war das vor sehr wenig Licht (lieben Gruß an die anwesenden Fotografen!) und überschaubarer Kulisse Gebotene tanzbar und in der zweiten Hälfte wurde hier und da doch mitgesungen. President, Nightlife, No Maker Made Me – die Stimmung verbesserte sich stetig. Zwischendurch ließ sich Chris zu einigen Ansagen hinreißen, die je nach Empfänger als sehr emotional oder sehr pathosgetränkt gedeutet werden konnten. “Ich liebe Sie alle!“, rief er an einer Stelle laut. Ob er besonders höflich (lies: formal) sein wollte oder das Pronomen “Euch” Jahre nach seinem Umzug aus dem brandenburgischen Woltersdorf bei Berlin nach Los Angeles einfach vergessen hatte? Aber was soll’s: Letztlich ist der Wahl-Kalifornier ohnehin immer noch am besten, wenn er singt – und das gerade bei sehr schwierig zu intonierenden Songs wie dem Metanoia-Heuler Insomnia, in dem seinerzeit seine fürchterliche Schlafentzugserkrankung thematisierte.
Nach 95 Minuten, einer teils auf Deutsch gesungenen Bernadette und einem Rework der The Alternative-Schlussballade This Will Make You Love Again hatte Corner das Publikum aber doch auf seine Seite gezogen. Unter lautstarkem Applaus und Jubel entließ er die Fans in die Nacht – und die konnte dank des Pfingstfeiertags lang werden …
Weblinks IAMX
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