Eine Werkschau der etwas anderen Art auf höchstem Niveau – nicht mehr und nicht weniger liefern Spectres mit der Veröffentlichung Hindsight. Nein, entgegen vieler anderer Texte und Behauptungen, die zuletzt veröffentlicht wurden, handelt es sich hierbei nicht um ein neues, fünftes Studioalbum. Die Postpunker um Sänger Brian Gustavson liefern hier hingegen eine astreine Compilation mit Songs aus verschiedensten Schaffensphasen ab. Fast durchweg chronologisch kombinieren die Kanadier alte Singles, die es damals nicht auf Alben geschafft haben, mit Live-Aufnahmen und zwei neuen Songs. Auffällig dabei wird schnell, wie sich Spectres über die Jahre entwickelt haben.
Man möge dem Quintett unterstellen, sich stellenweise doch sehr an den Werken der Herren Sumner, Morris, Curtis, Hook sowie der Dame Gilbert orientiert zu haben. Was aber gar nicht böse gemeint ist, sind Joy Division und New Order doch bärenstarke Referenzen. An den dreckigen, ungestümen Frühjahrssound aus den kalten und trüben End-70ern in Manchester erinnern vor allem die ersten fünf Stücke auf Hindsight. Gustavson nölt in bester Garage-Punk-Sänger-Manier über polternde, unpolierte Arragements. Melodien sind (noch) Mangelware, die rohe Energie, die einem Songs wie die Debütsingle Cold War (2007 veröffentlicht), Visions Of A New World oder Complications (erschienen ein Jahr später als Doppel-Single) entgegenbringen, reißt aber brutal mit.
Dann ertönt nach gut 20 Minuten Song Nummer sechs, Provincial Wake. Und plötzlich hat man das Gefühl, einer anderen Band zuzuhören. Zwischen dem Lied, das frappierend an Ceremony, die eigentlich noch für Joy Division geschriebene New-Order-Debütsingle erinnert, und dem vorhergehenden Fünferpack liegen zum Teil mehr als zehn Jahre – und das hört man auch. Der Postpunk-Sound von Spectres trieft plötzlich vor Melodien, Gustavson setzt seine Stimme auf eine ganz andere Art und Weise ein, im Instrumentalen steckt mehr Atmosphäre. Gleiches gilt auch für Northern Towns (mit Provincial Wake 2019 als Doppel-Single veröffentlicht) und die drei nachfolgenden Live-Aufnahmen. Diese wurden für die Radioshow “Part-Time Punks” eingespielt, die Songs selber stammen von den Spectres-Studioalben Utopia und Nothing To Nowhere.
Zwei gänzlich neue Lieder runden Hindsight ab. Beim abschließenden Tell Me kommt man leider (oder nicht vielleicht doch eher zum Glück?) wieder nicht drumherum, New Order als Referenz zu nennen. Die Synthies, die Drums, die Harmonien – einfach alles erinnert an die ersten Jahre von “Manchesters Finest” (sorry, Oasis). Das Schöne daran: Spectres schreiben richtig starke Songs und sind ein klarer Fall für die Kategorie “Lieber gut geklaut als schlecht selbst gemacht”. Hindsight, im Übrigen unter anderem über Bandcamp als Clear-Vinyl erhältlich (Link siehe unten), eignet sich insgesamt vor allem für zwei Gruppen von Hörern. Zum einen für langjährige Fans, die nun endlich nicht mehr verzweifelt nach den raren, fast 15 Jahren alten, 7-Zoll-Singles suchen müssen, weil sie sie hier gesammelt bekommen – und zum anderen für diejenigen, die Spectres noch gar nicht kennen. Gleichwohl Hindsight keine Best-of ist, präsentiert die rund 45 Minuten lange Scheibe gesammelt alle Vorzüge dieser wirklich tollen, in Deutschland leider noch recht unbekannten Band. Bleibt die Hoffnung auf ein paar Live-Gigs in 2022.
Tracklist SPECTRES – Hindsight
01. Cold War
02. Message From Above
03. Visions Of A New World
04. Complications
05. Pattern Recognition
06. Provincial Wake
07. Northern Towns
08. Remote Viewing (Live At Part-Time Punks)
09. Vertigo (Live At Part-Time Punks)
10. Crosses And Wreathes (Live At Part-Time Punks)
11. To The Victor
12. Tell Me
Weblinks SPECTRES
Bandcamp: https://spectresvancouver.bandcamp.com
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Instagram: www.instagram.com/spectresvancouver