Endlich wieder Festival, endlich wieder Konzerte… So dürfte es vielen gegangen sein, die am zweiten September-Wochenende in Deutzen das Special der Nocturnal Culture Night besucht haben. Auch Die Kammer war sehr erfreut, spielen zu können und am Freitagnachmittag bei bestem Spätsommerwetter auf der Amphibühne aufzutreten. Wir haben die Chance genutzt, uns vor der Show mit Matthias Ambré und Marcus Testory, den Köpfen hinter der Band, zusammenzusetzen und ein Gespräch über das Festival, die Zeit ohne Konzerte, Pläne für die nächste Zeit und vieles mehr zu führen.
Wir sitzen hier nun Mitte September beim NCN. Wie ist es für euch, tatsächlich mal wieder auf einem Festival zu spielen? Es ist ja schon recht selten geworden, überhaupt mal live spielen zu können.
– Matthias Ambré: Ich fand, als wir vorhin auf das Gelände gefahren gekommen sind, dieser Moment war total magisch. Vertraut und doch so weit weg. Das war fantastisch. Wir sind empfangen worden, alle haben gestrahlt. Eine gute Energie, die sich auch überall auf dem Gelände fortsetzt. Alle haben Bock, man merkt das richtig.
– Marcus Testory: Was sicher auch daran liegt, dass das ein kleines gallisches Dorf ist, das hier seit Jahren schon sein eigenes Ding durchzieht. Das macht es mit Charme und auf jeden Fall echt gut.
Eigentlich kennt man das ja so, dass Konzerte inzwischen immer früher geplant werden. Letztes Jahr konnten teilweise bereits Karten für 2022 gekauft werden. Hier ist wiederum alles sehr kurzfristig gelaufen. Wann habt ihr denn eigentlich erfahren, dass ihr spielen könnt?
– Matthias: Wir waren ursprünglich schon für 2020 eingeplant, letztes Jahr hat es dann aber nicht funktioniert, aber es hieß, nächstes Jahr sind wir dabei. Da sind wir dann auch fest von ausgegangen, haben zwischendurch noch einmal nachgefragt, da sah auch alles gut aus, da gab es keinen Grund zum Zweifeln. Wir wussten es eigentlich schon lange und waren mental vorbereitet. Ich hatte bis heute Morgen noch Angst, dass aus irgendeinem Grund das Festival ausfällt, aus bekannten Gründen.
– Marcus: Das NCN selbst hat tatsächlich erst relativ spät die Informationen rausgegeben.
– Matthias: Vermutlich auch aus diesen Gründen.
Wie war das für euch zu wissen, ihr spielt hier, aber es nicht bekanntgeben zu können?
– Marcus: Das ist immer dasselbe: Du scharrst mit den Hufen und denkst „Man, komm in die Pötte“, und willst eigentlich zumindest schon ein paar Kumpels mit einladen…
– Matthias: Ich glaube, für die Fans ist das ein bisschen schwierig, wenn das so kurzfristig ist. Die Tickets sind ja nicht günstig und es ist fast ausverkauft. Ein kleines Kontingent gab es noch. Das ist natürlich fies, dann zu sagen, wir spielen da, aber ihr könnt keine Tickets kaufen. Und für uns ist es blöd, weil die Hardcore-Fans nicht da sind, die sich sicherlich auch sehr gefreut hätten. Aber die Umstände sind so, da ist niemand schuld. Das muss man so hinnehmen.
Ihr habt es selbst schon gesagt: So hart das auch ist, es sind nicht alle unbedingt wegen euch hier. Wie bereitet man da so ein Set vor, wenn man weiß, dass das ein Publikum ist, das vielleicht gar nicht wegen euch da ist? Zudem habt ihr auch ein bisschen mehr Material als Spielzeit.
– Marcus: Das verändert sich mit der Zeit. Früher, zu Beginn der Kammer, haben wir uns da viel mehr den Kopf drum gemacht, viel mehr Sorgen, dass wir jetzt auf die große Bühne müssen. Wie kriegen wir das Publikum dazu, das so mitzutragen? Aber mittlerweile ist es eher so, dass wir uns denken: Unser Stiefel, unsere Bühne, wir ziehen es durch und machen das, was wir für richtig halten.
– Matthias: Das sind zwei Dinge. Das eine ist, dass wir tatsächlich heute in einer Besetzung spielen, die noch relativ jung ist. Man kennt uns in Achterbesetzung und manchmal in ganz kleiner Zweier- oder Dreierkonstellation. Heute spielen wir mit Bass und Cello und Loops dazu. Der Sound ist noch nicht so richtig bekannt. Das ist spannend, da wir auch ältere Songs in diesen Sound gebracht haben. Das andere ist glaube ich tatsächlich auch, dass – zumindest nach meiner Erfahrung – das Publikum aus der schwarzen Szene relativ dankbar für alles ist, was mit Leidenschaft gemacht ist. Auch, wenn wir nicht unbedingt die Klischees erfüllen, das tut der Sache keinen Abbruch. Zumindest habe ich diese Erfahrung nicht gemacht. Es ist manchmal schwierig mit den Lautstärken. Wenn es ein bisschen filigraner wird, wird es schwieriger, wenn vor einem und nach einem da ein lautes Gewitter kommt. Da wird es mal schwieriger, sich zu behaupten, aber wir sind jetzt ja auch etwas länger dabei und stehen, wie Max es gesagt hat, zu unserem Stiefel. Wir machen das einfach und ich glaube, dass die Leute das auch so sehen. Ich hab da keine Sorgen.
Ihr habt gerade schon die Dankbarkeit erwähnt. Mein Eindruck ist, dass die Leute während der Pandemie dankbarer sind, wenn sie überhaupt auf Konzerte gehen können. Ist das etwas, das ihr auch auf der Bühne so empfunden habt?
– Matthias: Dazu haben wir noch zu wenig gemacht, das ist schwer zu beurteilen. Was ich sagen kann ist, dass es – wie in allen Bereichen – auch ein bisschen Spaltungen gab. Auf der einen Seite sind da die Leute, die ihre Bands während der Pandemie supporten wollen, auf der anderen Seite sind diejenigen, die meinen „stellt euch nicht so an, dann geht ihr halt mal was anderes arbeiten“. Das kommt auch. Das ist so halb halb, dieses Verständnis dafür, dass die Pandemie viele Künstler in eine Notlage bringt. Jetzt, wo es wieder losging mit den Konzerten, haben wir ein Konzert gemacht, da saßen die Leute in Liegestühlen vor uns. Da fehlt irgendwie die Energie.
– Marcus: Da muss man noch dazu sagen, dass es an dem Tag irgendwie 45° oder so gehabt hat. Sowohl Publikum als auch wir waren in den Zement geprügelt.
– Matthias: Das war nicht so wirklich repräsentativ für diese Frage.
– Marcus: Das war wirklich ein Irrsinn. Dass es uns vor lauter Hitze nicht auf der Bühne umgekegelt hat… Die Leute unten waren auch einfach gegrillt.
Das hat schon ein paar skurrile Blüten getrieben. Ich war z.B. bei Suicide Commando und es durfte nicht aufgestanden werden.
– Marcus: Das war bei uns auch so. Das war vom Gesundheitsamt Frankfurt vorgegeben, dass die Leute in den Liegestühlen bleiben sollen.
– Matthias: Wobei wir noch einen großen Zuhörfaktor haben. Wenn du Body Music machst oder so, was sollen die Leute da in Liegestühlen sitzen? Das funktioniert nicht recht, die Musik ist auf den Körper geschrieben.
Wie habt ihr das denn im letzten Jahr empfunden? Ich habe den Eindruck, dass ihr eine recht Fan-nahe Band seid, auch wenn ich das auf Facebook und so verfolge. Wie war das für euch, dass es eine ganze Weile ja eigentlich nur noch digital ablief?
– Marcus: Auch ziemlich verschieden. Ich muss gestehen, dass bei mir persönlich mit dem Lockdown auch eine Art Brain-Lockdown stattgefunden hat und ich lange Zeit etwas desorientiert war. Ich hab es gar nicht so gecheckt, was da eigentlich passiert.
– Matthias: Aber das hat schon funktioniert. Wir haben relativ früh uns bei mir im Keller zusammengehockt, haben noch Späße gemacht zum Thema „slipping around Corona“ und so, weil wir davon ausgegangen sind, dass das zwei drei Monate lang ein Problem sein wird und der Laden danach wieder läuft. Da haben wir unser „Kammerfeuer“ auch digital gemacht. Die Stamm-Fanbase ist echt treu gewesen. Die war da, hat uns auch finanziell unterstützt, das war mega.
– Marcus: Was wir aber beispielsweise bleiben lassen haben letztes Jahr war das Fantreffen „Kammerfeuer“. Da ist es im Wesen des Treffens, dass man beieinander ist und sich nahe kommt, dass man beieinander sitzt und miteinander rumblödelt. Das wäre nicht gegeben gewesen. Das machen wir dieses Jahr zwar wieder, aber da wird auch wieder Nähe entstehen. Ich glaube, das bedingt sich so gegenseitig. Der Musiker braucht das genauso wie das Publikum.
Wenn wir wieder mehr auf das Musikalische schauen: Wie sieht es da aus? Das aktuelle Album ist immer noch die Season IV.
– Matthias: Es gibt eine Schublade, die ist ziemlich vollgestopft mit vielen vielen Ideen und die Zeit ist total rar.
– Marcus: Das Interessante ist: Seine Schublade ist total voll und meine ist total leer. (lachen) Es ist tatsächlich so, dass bei mir in der Zeit keine Idee kam.
Unterscheidet sich das sehr, was aus den beiden unterschiedlichen Schubladen kommt?
– Matthias: Die besten Sachen entstehen, wenn einer eine Idee hat und wir uns dann zusammen dransetzen. Da ist die Magie drin. Wenn ich eine Gesangsmelodie schreibe, ist das nicht aus seinem Mund. Das muss dabei aber zu seinem Song werden. Das passiert nur, wenn man viel zusammen ist. Das war bisher noch nicht so gegeben. Dadurch, dass man überhaupt keine Konzerte spielt, ist man mit einem Konzert schon sehr beschäftigt, das alles zu organisieren und zu proben. Daher war jetzt schon wieder drei bis vier Wochen nur Vorbereitung aufs NCN. Aber es brennt uns unter den Nägeln. Es passiert. Wir trauen uns aber noch keinen Termin zu nennen.
– Marcus: Sagen wir mal so: Die Season V steht an. Die Ideen werden gerade zusammengetragen. Es ist im Entstehen, aber es wird wahrscheinlich noch eine ganze Weile dauern, bis wir sagen, jetzt wissen wir, wohin der Hase läuft.
Kann man da schon was sagen, in welche Richtung es ungefähr gehen wird? Ob es schon Unterschiede/Neuerungen zum vorherigen Material gibt?
– Matthias: Die jetzige Besetzung, mit der wir heute hier sind, hat einen starken Einfluss darauf. Es wird wahrscheinlich das schwärzeste Album, das wir bisher gemacht haben. Oder das „szenigste“ Album. Wir haben ja vorhin drüber gesprochen, dass Die Kammer eigentlich nicht so eine Klischee-Szene-Band ist. Das fühlt sich im Moment ein bisschen so an, als ginge es in die Richtung. Aber: Wer weiß das schon? Es ist ja noch nicht fertig.
Gerade neues Material will man dann auch immer gerne live spielen, denke ich. Was würdet ihr sagen (vorausgesetzt, es herrschen wieder „normale Bedingungen“): Warum sollte man unbedingt zu euch kommen und euch live sehen?
– Matthias: Weil es pure Leidenschaft ist!
– Marcus: Weil wir wunderschön sind! (lacht)
– Matthias: Weil diese Schönheit auch ansteckend ist…
– Marcus: …und man schöner aus dem Konzert geht, als man reingegangen ist. Man wird auch wesentlich intelligenter. (lacht)
– Matthias: Das, was uns ausmacht, ist glaub ich die Leidenschaft. Wir machen das, weil wir das machen wollen. Wir sind nicht mehr in dem Alter, wo man im Karrieremodus ist, sondern machen, worauf wir Bock haben. Wir biedern uns da nicht irgendwo an. Wenn die Leidenschaft ansteckend ist, dann ist es für diejenigen toll, für die anderen gibt es genug andere Bands, die sie anhören können.
Was es auch bereits zweimal gab, war das Invitation-Festival. Wie kam es eigentlich zu der Idee, das zu starten?
– Matthias: Es hat ein bisschen was damit zu tun, dass es für die Musik, gerade bei den frühen Die Kammer-Sachen, eigentlich auch kein Festival gab, für „dark acoustic“. Für uns war es schwierig. Wir haben dann z.B. mal in Gelsenkirchen nach Ostfront gespielt und solche Sachen, das war irgendwie nichts. Da kam die Idee, dass wir ein Akustik-Festival machen. Es ist auch ein bisschen so gedacht, dass es einen Tag im Jahr gibt, wo sich die große Die Kammer-Familie wiedertrifft. Die kommen ja teilweise aus Berlin oder Dresden… So ungefähr ist das entstanden. Einfach etwas zu machen, wo wir hinpassen.
– Marcus: Genau. Wenn es kein Festival gibt, wo wir hinpassen, dann machen wir halt selber eins.
– Matthias: The Invitation als Songtitel war dann auch sehr passend. Dass man einfach eine Einladung ausspricht. Wir buchen nicht, wir laden ein.
Es ist dementsprechend also auch als Reihe angedacht, in der noch weitere folgen werden…
– Matthias: Auf jeden Fall. Wobei es im nächsten Frühjahr sehr schwer wird, eine Location zu kriegen. Das ist alles sehr voll.
– Marcus: Die sind teilweise schon in 2023. Die Clubs sind so vollgebucht.
Das war es fast mit meinen Fragen. Zum Schluss gefragt: Das Jahr hat zwar noch ein paar Tage, aber die gehen ja immer schneller rum, als man denkt. Daher: Was fällt euch ein zum Thema „Die Kammer 2022“?
– Marcus: Arbeit.
– Matthias: Album.
– Marcus: Videos, Album, neue Songs… Einsperren.
– Matthias: Hoffentlich auch ein paar Konzerte.
– Marcus: Aber eher gegen Jahresende, würde ich sagen. Ans Album denken, reinbuttern, es rausbringen und dann mit überraschendem neuen Zeug vor die Tür treten.
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