Seit einiger Zeit etabliert sich unter dem Namen Schwarzer Tanztee auf dem Cargo Schiff in Lübeck ein Format, das langsam aber sicher zu einer festen Anlaufstelle für die schwarze und Independent-Szene nicht nur in der historischen Hansestadt, sondern auch im Norden wird. So gelingt es den Veranstalter*innen nicht nur Szene-Größen wie Oswald Henke oder eben auch Jerome Reuter auf die ungewöhnliche Location zu locken, sondern auch dem Nachwuchs und noch weitgehend unbekannten Künstler*innen wie Solomensch oder Metamorphonia eine Bühne zu bieten. Neben dem intimen Kontakt zu den Künstler*innen, den man so auch nicht alle Tage auf regulären Konzerten (Was sind heute schon noch reguläre Konzerte?) genießen kann, gibt es beim Schwarzen Tanztee auch weitere Düster-Events. So wird regelmäßig die Gothic-Kneipe geöffnet, es gibt Lesungen oder einen Rammstein-Biergarten. Das alles findet an Deck, also auf dem Dach des Schiffes statt, wo man gemütlich im Ostseesand die Füße ausstrecken und den Blick über den Klughafen schweifen lassen kann.
Entsprechend oft wird trotz des fiesen Gewitters an jenem Freitag Abend, als wir uns auf dem Kahn einfinden, die Kulisse fotografiert. Wir müssen noch etwas unter Deck warten, denn es stürmt ganz schön in Lübeck. Für das heutige Konzert sind die Gäste, was man so hört, aus ganz Deutschland angereist. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, sind zum einen Konzerte an sich zu dieser Zeit noch Mangelware und zum anderen hat sich die Luxemburger Chanson-Noir Institution Rome angekündigt. Reuter tritt zusammen mit dem Lübecker Künstler Solomensch auf. In dieser Konstellation waren die beiden bereits im Oktober an der gleichen Stelle vor ausverkauftem Haus zu bewundern. Klar, das man nun, was sich bewährt, gern wiederholt.
Mit Solomensch hatte ich bisher noch nicht das Vergnügen gehabt. Auch eine kurze Recherche vorab, förderte nicht allzu viel an Information zu Tage, außer vielleicht, dass man es wohl mit einem Zeitgenossen zu tun bekommen würde, der sein Repertoire fast ausschließlich mit schwarzen Buntstiften gestaltet und vor allem bisher in Lübeck und Umgebung zu sehen war. Mit etwas Verspätung stellt sich der Mann mit dem langen, etwas wirren Haar und dem schwarzen Anzug dann auch auf die Vorderseite des Zeltes, um seinen Vortrag zu beginnen. Eine Bühne gibt es nicht. Das Set setzt sich aus einer Melange an Coverversionen der dunkelsten Hymnen von Dark-Rock, Metal und Avantgarde aus den letzten 30 Jahren und beachtlichen Eigenkompositionen zusammen, die sich im Songwriting stark an diesen Vorbildern orientieren. Diese werden allesamt anbetungsvoll durchlitten. Und so werden wir praktisch in die Welt der Herren Steele und Veljanov hineingesogen, mit einer Stimme, die unterstützt von einem gewaltigen Echo mit den beiden und weiteren Größen durchaus mithalten kann. Und obwohl Solomensch sichtlich mit seiner Aufregung kokettiert – obwohl, nein das tut er gar nicht, er scheint wirklich ein wenig Lampenfieber zu haben – gelingen die eigenen Stücke – zum Teil Premieren – ausnahmslos. Ich werde den Künstler in sehr guter Erinnerung behalten und freue mich auf ein nächstes Konzert mit Solomensch. Nach einer Zugabe und einem bangen Blick auf die Uhr, setzt sich der gramgebeugte Mann mit einem Getränk ins Publikum.
Die Zeit drängt an diesem Abend. Es wird die magische 22 anvisiert. Offenbar darf nicht länger musiziert werden, da es sonst Beschwerden aus den umliegenden Wohnhäusern gibt. Also führt uns Jerome Reuter, der aus seinem Soundcheck deswegen auch gleich den ersten Song gemacht hat, in das geplante Prozedere des bevorstehenden Rome Konzerts ein. Also, er wird ein paar Songs spielen, dann schließt sich eine Pause an, in der wir uns reichlich Drinks kaufen und auch den Merch-Stand bitte nicht vernachlässigen sollen. Dann wird er wieder ein paar Songs spielen. Gut, das habe ich abgespeichert. Der Künstler ist heute allein und nur mit seiner Akustik-Gitarre zugegen. Anfangs hatte ich befürchtet, dass mir die Wucht und das Kämpferische der Percussions fehlen würde, aber dem war nicht so. Die sonore, ausdrucksstarke Stimme nimmt sich in dieser reduzierten Konstellation weitaus deutlicher als gewohnt ihren Raum. Ich bin sehr beeindruckt.
Sicherlich eignen sich nicht alle Rome-Songs für dieses Arrangement. Einige hat der Künstler angepasst. Wir bekommen selbstverständlich ein Best-off zu hören: Da sind Celine In Jerusalem, The Spanish Drummer, Neue Erinnerungen, On Albion’s Plain, The Twain, Blighter (fantastisch!), One Fire, One Lion’s Roar, Who Only Europe Know, Uropia O Morte!, Ächtung, Baby!, Das Feuerordal (Das Beste zum Schluss, hach!) und vieles mehr. Ein festgezurrtes Set gibt es an diesem Abend nicht. Alles ist improvisiert. Zwischendurch fragt uns Jerome sogar, was wir gern hören wollen. Es folgen selbstverständlich Vorschläge von der Platte “Romes größte Hits”. Zum Teil auch noch aus der Zeit, als viele elektronische Elemente das Werk bestimmten. Darauf kratzt er sich am Kopf, hebt die Schultern, lacht und meint: “Oh, so viele Lieder. Das weiß ich jetzt gar nicht. Das hab ich gar nicht vorbereitet.” Dann hat er aber wieder eine Eingebung und spielt drei bis fünf seiner großartigen Lieder hintereinander weg. Allesamt so eindringlich, dass es einem Schauer über den Rücken jagt.
Ich muss zugeben, so etwas habe ich bei einem Konzert noch nicht erlebt. Soviel Einvernehmen mit dem Publikum. Soviel Entspannung. So eine traute Atmosphäre. So ein schöner Abend. Und immer wieder die Rückversicherung an den Veranstalter: “Ja, Michael? Das machen wir ab jetzt jedes Jahr. Versprochen?” Ich hoffe auch. Unter uns: Letztendlich haben wir die Zeit dann doch leicht überzogen, aber ich denke, alle haben es überlebt.
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