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Interview: LIZARD POOL

Fotos: NCN (Nocturnal Culture Night) 2020 Special – Amphibühne und Kulturbühne (05.09.2020)

Lizard Pool, © Thomas Bunge

Es war ein besonderes Festival, das NCN Special im „Corona-Jahr 2020“. Dies dürfte einem wohl jeder, der dabei war, bestätigen können. Mit von der Partie war auch die Leipziger Band Lizard Pool, die am zweiten Festivaltag die Kulturbühne des Festivals eröffnen durfte und dabei bereits zu früher Stunde mit ihren Stücken für Begeisterung sorgen konnte. Nach der Show fand sich die Gelegenheit, mit dem Trio über ihre Show, Veranstaltungen unter den aktuellen Gegebenheiten, ihren selbst als “Dark Indie mit Post-Punk- und Wave-Einflüssen” bezeichneten Sound, einen Ausblick auf das Kommende und vieles mehr zu sprechen.

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Ihr habt vorhin als Opener auf der Kulturbühne gespielt. Wie habt Ihr die Show empfunden, wie war es für Euch?
­– Vincent: Die Show war fantastisch. Eine großartige Geschichte. Wir sind ohnehin davon ausgegangen, dass alles anders sein wird. Dann sind wir dahin gekommen und spürten diesen belebten Charakter, das Festival-Feeling. Daran haben wir fast nicht mehr geglaubt. Plötzlich war alles da: eine nette Crew, ein toller Sound, viele Leute an der Bühne. Wir haben uns echt gefreut, in dieser Zeit ein Festival spielen zu können. Ob das nun am Mittag oder abends ist, das ist irrelevant. Hier zählt sozusagen jede Sekunde, die man wieder so eine Art von Kultur erleben kann. Das hat man auch gespürt.

Du meintest jetzt, dass es im Grunde egal ist, ob abends oder mittags. Aber wie geht man so eine Show an, wenn man weiß: Es ist ein Festival, es ist vielleicht auch nicht jeder explizit wegen einem da, man hat nur eine begrenzte Spielzeit… Geht man da anders ran als an andere Shows?
– Vincent: Das ist für uns genau das gleiche. Für uns ist jeder Auftritt immer so, als wäre es der letzte. (lacht) Es gibt Shows, bei denen man denkt: Gut, da müsste man jetzt nicht so viel Lampenfieber haben, aber im Grunde genommen nimmt sich da kein Auftritt und keine Zeit und keine Art von Auftritt gegenseitig etwas weg. Wir haben immer den Anspruch das Beste zu geben.

Du sagst, es nimmt keiner was weg. Es ist also auch für Euch kein Problem, dass die Bühnen immer beide parallel sind?
– Vincent: Das ist für uns kein Problem. Es gibt viele Bands, viele Projekte, die alle um die Gunst des Publikums buhlen und da werden Jahr für Jahr die Karten neu gemischt. Wenn du im einen Jahr dort gespielt hast, spielst du im nächsten Jahr vielleicht an einem anderen Slot und zu einer anderen Zeit. Wir haben vor ein paar Jahren auch schon auf der Amphibühne gespielt. Für uns war das jetzt ganz schön, das in diesem Rahmen zu eröffnen. Gerade morgens – also mittags, das ist ja für einen Festivalbesucher wie morgens – wenn noch nicht so viele aus ihren Zelten gekrochen sind, weil sie vielleicht noch im Delirium liegen, ist es dankbarer, auf einer kleineren Bühne zu spielen, weil man da die Leute gebündelt hat, die bereits wieder fit sind, als dass es sich auf einer großen Bühne verliert. Ich fand das einfach sehr schön!

Ihr meintet selbst schon: Man hat eigentlich schon gar nicht mehr dran geglaubt, dass sowas dieses Jahr noch irgendwie stattfinden kann. Das Thema ist schließlich allgegenwärtig. Wie habt Ihr als Musiker die letzten Monate erlebt?

Lizard Pool, © Thomas Bunge

– Vincent: Es war für alle eine sehr spezielle Situation. Die ist es auch immer noch. Eine sehr undurchsichtige Situation. Als das los ging, dachte ich, im September wird das alles wieder normal laufen, ich war da einer der Optimisten. Aber man sieht, es ist immer noch nicht so. Eventuell zieht sich das auch noch bis in den nächsten Sommer. Es sind viele Konzerte weggebrochen und dann kamen – was sehr schön war – die ganzen Initiativen, die versucht haben, diesem Verlust etwas entgegenzusetzen: Live-Stream-Konzerte zum Beispiel. Wir haben auch welche durchgeführt und das war eine ganz spannende Erfahrung für uns. Die Menschen hätten diese Live-Streams vermutlich nicht geschaut, wenn sie andere Möglichkeiten gehabt hätten. Aber so kam man mal in den Genuss eines Experiments, das eigentlich ganz gut gelungen ist, wie z.B. auch zum Darkstream-Festival. Das kann natürlich nicht den wirklichen Live-Auftritt ersetzen, aber es war das Beste, was wir in dieser Situation daraus machen konnten.
Ganz am Anfang, als das losging und der Lockdown beschlossen war, wurden plötzlich alle Einrichtungen geschlossen. Ich arbeite auch in einem kleinen Musikclub in Leipzig, da war plötzlich Sense und die Lichter gingen aus. Man hatte die Bilder aus Italien im Kopf und fragte sich: Trifft es einen jetzt vielleicht selbst und es war zunächst nicht sicher, ob man noch länger als 14 Tage zu leben hat. Dadurch bin ich aber dann auch ein Stück weit geistig davon befreit gewesen, in die Zukunft zu planen und habe mich nicht mehr von so Imperativen wie ökonomische Absicherung und Karriere usw. beeindrucken lassen. Es war ein kleines bisschen menschlicher. Ich habe gehofft, dass das auch über die Krise hinweggerettet wird und man nicht direkt zur Tagesordnung übergeht, sondern auch die positiven Aspekte mitnimmt: Zum Beispiel dass man sich durch das unmittelbare Gewahr werden über die Endlichkeit des eigenen Lebens wieder anderen Werten als denen der kapitalistischen Verwertungslogik zuwendet.

Würdest Du sagen, dass Kunst und Kultur zu wenig gefördert würde? Man hört immer, der Branche geht es schlecht und ich habe jetzt gesehen, dass z.B. auch das Darkflower jetzt temporär geschlossen hat.
– Vincent: Es gibt große Fördertöpfe wie „Neustart Kultur“, da sind ja Milliarden locker gemacht worden von der Bundesregierung. Da kommt der größte Teil bei der Hochkultur an und ein kleiner Teil bei den Clubs. Es ist nicht so, dass nichts gemacht wird, aber ich denke, für die Relevanz, die Musikkultur für die Menschheit hat, reicht das noch nicht aus. Es geht eben nicht nur darum, dass man weiter an der Werkbank steht und für Export und Konsum produziert, sondern das, was die Gesellschaft im inneren zusammenhält, ist nun mal die Kultur. Da kann man nicht genug fördern und unterstützen, damit das überlebt. Keine kulturelle Institution sollte durch Corona die Segel streichen müssen. Das wäre eine große Tragödie.

Du meintest selbst schon, die Krise ist endlich. Euer aktuelles Album ist inzwischen auch eine Weile draußen. Seid Ihr schon aktiv dabei, neue Songs zu schreiben?
– Vincent: Dahingehend war die Krise dann nicht ganz so krass. Da wir Auftritte verloren haben, haben wir diese Zeit 2020 zum Songschreiben für das neue Album genutzt. Das war ohnehin auch so geplant. Wir sind gerade mittendrin, der kreative Prozess läuft. Wir hoffen, Anfang kommenden Jahres ins Studio gesehen zu können und spätestens nach der Sommerpause 2021 mit einer neuen Veröffentlichung am Start zu sein.

Lizard Pool, © Thomas Bunge

Kann man schon sagen, wo die musikalische Reise hingehen wird? Ich hab gesehen, dass zwischen den ersten beiden Alben beispielsweise die Sprache komplett auf Englisch umgestellt wurde.
– Vincent: Da sind wir immer noch am Experimentieren. Es wird nicht wie die ersten beiden Alben klingen, aber es wird trotzdem noch die Lizard Pool-Signatur behalten. Wir werden den wavigen, elektronischen Part noch mehr reinbringen und dann wird sich zeigen, was an Experimenten wirklich auf dem Album landet. Wir haben unter anderem mit Trap experimentiert. Da entstand eine coole Mischung in Kombination mit Post-Punk, aber da müssen wir erst einmal schauen, wie sich das alles ins Gesamtbild einfügt. Einen deutschsprachigen Song gibt es auch bereits wieder. Da sind wir nicht festgelegt.
– Mika: Da kämpfst du auch immer mit dir selbst ein wenig, ob du wieder ein deutsches Lied machst. Oft fühlt es sich so an, dass Englisch einfach besser zu dem Song passt und dass die Texte als letztes entstehen. Da ist es in letzter Zeit so gewesen, dass es immer ein englischer Text war, weil es musikalisch einfach besser passte. Jetzt hat es sich in der Vorproduktion aber so ergeben, dass schon ein Song dabei ist, bei dem der Vincent gesagt hat, „hier hab ich mal wieder was Deutsches“. So kommt dann mal wieder ein deutscher Song dazu.

Ihr erwähntet gerade die Lizard Pool-Handschrift. Was ich ganz interessant, war eine Beschreibung, die ich über Euch gelesen hab, die besagte, es sei eine Mischung aus Post-Punk, Rebellion und Weltschmerz (Quelle). Würdet Ihr damit übereinstimmen?
– Vincent: Post-Punk ist die Wurzel, wenn man da die klassischen Post-Punk-Bands nimmt von Joy Division und frühen The Cure und so, die mit Boys Don’t Cry ja noch etwas in der punkigen Richtung unterwegs waren. Weltschmerz bezieht sich auf die individuelle Färbung in unseren Seelen. Obwohl es uns in unserer ersten Welt gut geht, tragen wir dieses typisch deutsche Phänomen vom Weltschmerz in uns. Wir gehen immer noch mit einem melancholischen Blick an das ran, was um uns herum geschieht. Aber auch der Indie-Aspekt, den hast du jetzt nicht mit genannt, zählt stark zu unseren Einflüssen. Daher würde ich das jetzt eher als Dark Indie mit Post-Punk- und Wave-Einflüssen.

Wie würdet Ihr inhaltlich die Einflüsse beschreiben? Über das Musikalische haben wir gesprochen. Ist es Euch auch inhaltlich wichtig Stellung beziehen? Hintergrund der Frage: Ich habe in einem Video-Interview gesehen, in dem es beispielsweise viel um Gentrifizierung ging. (Quelle)
– Vincent: Im Text schwingt immer auch Kritik an der Gesellschaft mit, auch an einem selbst – ich gehe mit mir selbst auch in die Kritik, aber auch schöne und hoffnungsgebende Momente werden gewürdigt, es wird nicht immer nur kritisiert. Es geht auch mal um ein Paradox, eine Tragödie… Die Höhen und Tiefen, die uns manchmal zerreißen, die einen mitnehmen, die werden thematisiert.
Politisch gesehen haben wir schon eine klare Meinung, aber ich denke mir, man sollte zuallererst mit der Musik überzeugen und wenn dann ein gewisser Status erreicht ist, dann kann man sich auch politisch umfassend äußern. Aber ich würde lieber erst die Musik sprechen lassen und dann die politische Äußerung anstatt zuerst durch politische Äußerungen aufzufallen und dann im Nachgang kommt irgendwann hinten die Musik.
Henning May von AnnenMayKantereit beispielsweise wurde für seine Polizistenkritik in die Mangel genommen. Er kann das mit seinem Status machen, da weiß man genau, dass das der Sänger von AnnenMayKantereit ist, der schon mit der Musik überzeugt hat. Aber wenn man sich als Band im Aufbau darüber profiliert, finde ich das schon ein bisschen überzogen. Das kann man natürlich machen, aber es ist nicht mein Ansatzpunkt.

Lizard Pool, © Thomas Bunge

Du meintest gerade: „Band im Aufbau“. Würdet Ihr Euch noch als solche sehen?
– Vincent: Ich sag mal so: Es gibt zwei Kategorien. Es gibt den musikalischen Aspekt und die Wahrnehmung bei Publikum und Medien. Bei letzteren sind wir auf jeden Fall noch eine Band im Aufbau. Letztendlich ist es aber auch musikalisch so, dass wir uns von Werk zu Werk weiterentwickeln. Es ist bis jetzt nie so gewesen, dass wir auf der Stelle stehen. Wir haben uns immer so gefühlt, dass es bei einer neuen Veröffentlichung eine Stufe höher geht. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir noch nicht so unter Druck stehen, den man als populäre Band vielleicht hat, dass man beständig veröffentlichen muss. Wir können uns noch ein bisschen Zeit lassen, um an den Songs zu arbeiten. So lange wir noch keine Europa-Tour machen und weltweit touren, würde ich uns immer noch als Band im Aufbau sehen.

Ich habe gesehen, dass Ihr schon relativ viele Support-Touren gemacht habt, beispielsweise für Phillip Boa und für She Past Away. Ist das ein Status, bei dem Ihr erst einmal sagt „Ja, das ist super so“ oder ist auch der nächste Schritt angedacht?
– Vincent: Der nächste Schritt ist immer im Auge. Wir wollen nicht als die ewige Support-Band in die Geschichtsbücher eingehen, sondern durch dieses Shows mehr Menschen für unsere Sache begeistern. Das ist ein Wunsch, der mitschwingt.

Im Moment ist es noch viel Support und es gibt recht frühe Auftritte wie heute. Was würdet Ihr denn selbst sagen: Warum sollten Zuschauer sich trotzdem unbedingt um 12 aus dem Zelt schleppen, um Euch zu sehen? Was macht Eure Shows aus Eurer Sicht besonders?
– Mika: Unsere Musik spricht ein gewisses Lebensgefühl an.
– Justus: Es ist nicht nur das eine Genre, es sind unterschiedliche Einflüsse, die es speziell und interessant machen.
– Mika: Wir sind ganz oft der Underdog, den viele gar nicht so auf dem Schirm haben. Und wenn sie uns dann live hören und sehen, finden sie es ziemlich gut und es beeindruckt sie. Deswegen sollte man sich auf jeden Fall die Chance geben, sich von unserer Musik berühren zu lassen. Wir haben mit ganz vielen unterschiedlichen Publikumsgruppen Schnittpunkte durch die vielschichtigen Ansätze, die in unsere Musik einfließen.
– Justus: Ich denke, das ist das Schöne daran, dass man kein homogenes Publikum hat, sondern dass es immer gut gemischte Veranstaltungen sind.
– Mika: Wobei das auch ein zweischneidiges Schwer ist. Dadurch, dass wir nicht wirklich die Gruftie-Band sind und auch nicht wirklich die Pop-Band sind, schwimmen wir zwischen den Genres und sind nirgendwo richtig zuzuordnen. Das macht es uns vielleicht manchmal auch ein bisschen schwerer, wahrgenommen zu werden oder auch auf so einem Festival einen Slot zu kriegen, der zu einer späteren Zeit ist.

Da passt eigentlich die Support-Tour mit Phillip Boa ganz gut. Auf den können sich ja auch viele aus den unterschiedlichsten Richtungen einigen.
– Mika: Als wir mit Boa unterwegs waren, haben wir auch von seinem Publikum extrem positive Reaktionen bekommen. Nicht nur verbal – wir haben es auch an unseren CD-Verkäufen gesehen, die wir an den Abenden hatten.
– Vincent: So war es auch bei She Past Away. Als wir in Leipzig gespielt haben, war das Album auch schon länger draußen, aber bei She Past Away haben wir so etwas wie eine zweite Record Release-Show gehabt, weil da ein ganz anderes Publikum war, das aber eine riesige Schnittmenge mit unserer Musik hatte. Das war auch toll.

Das waren auch schon meine Fragen. Ein bisschen klang es schon an, zum Schluss noch einmal direkt gefragt: Wie ist der Ausblick bei Euch? Wie geht es weiter, was kommt?
– Vincent: Wir spielen auf jeden Fall im November noch ein paar Shows. Wenn alles gut geht, hoffentlich auf dem Weekender von unserem Label Out of Line im Berliner Lido. Ein geplantes Konzert in einer Leipziger Kirche am 7. November wurde nun leider auch Coronabedingt abgesagt und ganz frisch reingekommen ist gerade das Blackwater Festival in Saarbrücken.. Ansonsten sind wir gerade voll im Schaffensprozess.
– Mika: Es kann auch immer mal noch etwas durch Zufall dazu kommen, dann ist man gut informiert, wenn man uns bei Facebook oder auch auf Spotify folgt.

Weblink LIZARD POOL:

Facebook: www.facebook.com/lizardpool

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