Natürlich möchten wir gern die Unverständlichkeit unserer Tage mit Euch auskosten: Corona beschäftigt uns mindestens seit März – ob wir wollen oder nicht. Soziales Distanzieren sollte nur physisches Distanzieren meinen, Abstand gewinnen, aber bitte ohne Kontaktverluste (dem Internet sei Dank). Der Alltag möchte neu strukturiert werden und die Umgewöhnungsphase ist weitestgehend abgeschlossen oder gerade noch im Aufbau – so oder so schwingt die Zeit um die gesamtgesellschaftlichen Folgen der Pandemie. Wie jetzt damit umgehen? Wie können wir uns gegenseitig unterstützen ohne uns körperlich zu Nahe zu kommen? Wo führt das hin? Woran scheitern wir gerade? Was schätzen wir? Was macht die Lage mit uns? Was machen wir mit der Lage?
Folgenden vier Fragen werden uns in den nächsten Tagen widmen:
In den nächsten Tagen werden wir, als Team, die Fragen danach beantworten, was uns zur Zeit beschäftigt, lassen Euch daran teilhaben, wie wir mit der gegenwärtigen Situation umgehen, welche Rolle die Musik für uns zur Zeit spielt und geben Euch abschließend unsere Top 3 Alben an die Hand, die uns durch die Zeit der Pandemie gebracht haben.
Wir wünschen Euch auch weiterhin sehr viel Kraft, dass Ihr gesund bleibt und natürlich viel Spaß beim Lesen!
Euer Monkeypress.de-Team (Die Idee für das Corona-Redaktions-Special hatte Claudia Helmert – bearbeitet haben wir natürlich alle gemeinsam)
Los geht es mit Frage Nummer 1:
Was beschäftigt Dich zur Zeit?
Christian Daumann
Neben Dingen, die mich immer beschäftigen, machen sich dabei natürlich auch die Auswirkungen der Coronakrise bemerkbar. Vor allem die wirtschaftlichen. Die Krise hat Abhängigkeiten angesichts gesprengter Lieferketten schmerzhaft verdeutlicht, ganze Branchen sind am Boden und werden sich zumindest für die kommenden Jahre neu erfinden müssen. Wenn nicht für immer. Ausgangssperren und vom Gesetzgeber verordnete Ladenschließungen bedrohen und vernichten Existenzen. Wie lange soll es noch weitergehen? Halten sich Schutzmaßnahmen und wirtschaftliche Auswirkungen die Balance?
Dass Konzerte und vor allem Festivals bis Ende August und womöglich länger auf Träume beschränkt sind, ist hart. Ich vermisse Konzerte, ich vermisse all die Festivals, die seit Jahrzehnten meinen Sommer bereichern. Gleichzeitig wächst die Sorge, dass viele Bands und Veranstaltende ihrer Existenzgrundlage beraubt werden.
Meine Arbeitsweise ist von den Auswirkungen der Coronakrise bisher kaum betroffen. Sofern eine stabile Internetverbindung zur Verfügung steht, bin ich arbeitsfähig. “Homeoffice” ist für mich weder Ausweich- noch Ausnahmesituation, sondern Lebensqualität.
Wie bei fast allen wirken sich die aktuelle Pandemie und Ihre Eindämmungsversuche natürlich auch auf fast jeden Bereich meines Lebens aus. Ich habe das Glück, dass ich vielfach im Homeoffice fast gleichwertig arbeiten kann und so zumindest die Möglichkeit bekomme, meine Rollen im Privaten, im Beruf und mit Abstrichen auch im Magazin positiv auszufüllen. Neben der allgemeinen Frage, wie sich das Leben langfristig verändern wird, beschäftige ich mich insbesondere im Bereich Musik leider derzeit viel zu sehr mit den „Persönlichkeitsoffenlegungen“ so manches Künstlers in Krisenzeiten (und möglicherweise bereits davor) und sehe so manche Entwicklung sehr kritisch. Das betrifft sowohl die problematische Ausnutzung von Reichweiten durch Musiker wie Steve Naghavi oder Dero Goi (Xavier Naidoo findet bei uns allein aus rein musikalischen Gründen bereits seit jeher nicht statt), als auch die Reaktionen von deren Fans und ich versuche einen Weg zu finden, wie man damit am besten im Rahmen eines Magazins umgeht. Gerade bei den Fans stelle ich leider immer mehr fest, wie sehr der Ausdruck Fan auf seinen Ursprung des Fanatismus zurückgeht und bin immer wieder entsetzt, wie viel Fans ihrer*ihrem Lieblingskünstler :in durchgehen lassen und ihn verteidigen, oftmals nur, weil sie die Musik lieben. Die Trennung zwischen Kunst und Künstler:innen fällt mir hier von Tag zu Tag schwerer.
Was so danach kommt. Was wir für uns mitnehmen, was aber auch die Menschen aus meinem sozialen Umfeld mitnehmen, was mit der Gesellschaft passiert (oder ausbleibt) und ob zwischen all dem Wertschätzung eine größere Rolle spielt als zuvor.
Natürlich die Frage, wie es weitergeht. Welche Schritte es zu nehmen gilt, wann es wieder so etwas wie eine Normalität geben wird. Wie diese Normalität aussehen wird. Ob wirklich alles wieder so wird wie vorher… Und in dem Zusammenhang auch: Wie sieht die Welt “nach Corona” aus? Werden die Menschen wirklich daraus lernen und sich anders verhalten? Oder bleiben die Menschen doch die, die sich im Geschäft um Toilettenpapier prügeln?
Dennoch: Auch die Dinge, die einen ohne Krise beschäftigen, bleiben. Während man sich auf der einen Seite um die großen Themen und die Zukunft sorgt, bleibt auf der anderen Seite die Frage, ob beispielsweise noch genug Brot da ist, weiterhin bestehen. Heißt: Irgendwie muss es ja dennoch weitergehen, auch mit und in der Krise.
Ich habe das ausgesprochene Glück von Natur aus ein introvertierter Menschen zu sein, der schon seit Jahren seine Version des Social Distancing praktiziert, und für mich bedeutet die aktuelle Situation kaum eine Veränderung in meinem alltäglichen Leben. Außer vielleicht, dass ich den Druck der Arbeit nicht mehr auf mir habe, denn als Einzelbetreuer in einer Sonderschule habe ich im Moment natürlich frei. Ganz ehrlich, dadurch hab ich so viel weniger Druck zu ertragen, dass es mir eigentlich sogar besser geht als vor der Pandemie.
Da ich auch keine Probleme damit habe mich an die noch so strengen Vorgaben zu halten, beschäftige ich mich auch nahezu gar nicht mit der aktuellen Situation. Ich bekomme schon mit, wenn es vorbei ist.
Dafür nutze ich die gewonnene Zeit um endlich all die tausend Projekte und privaten Arbeiten, die ich seit Monaten vor mir herschiebe, nachzuholen. Damit hab ich alle Hände voll zu tun. Ich bekomme endlich mal so richtig was geschafft! Das erfüllt mich natürlich mit einer enormen Befriedigung, was wiederum noch mehr zu meinem allgemein positiveren Zustand beiträgt!
Ich beobachte, wie Corona vielerorts und bei vielen Menschen wie ein Katalysator wirkt. Das habe ich auch bei mir selbst feststellen müssen. Berufliche Belastungen und Konflikte standen plötzlich mitten im Wohnzimmer, ein über Monate zurück gedrängter Burnout brach sich plötzlich bahn. Als Soziologin, Historikerin und Epidemiologin nehme ich sehr stark die undifferenzierte Rezeption der Gesamtsituation wahr. Unterkomplexe Vorverurteilungen, Wettläufe im individuellen Leid und Heldentum und besonders perfide: In den Dienst stellen von Schwachen, wenn es dem individuellen Heldentum grad Dienst tut. Grad erst deutet sich an, wie komplex und ganzheitlich die Situation in Wirklichkeit ist.
Auf der anderen Seite kann ich mich an keine Zeit erinnern, in der ich mich stärker an Crowdfundings, Spenden und dergleichen für Musiker:innen, Veranstalter:innen und Clubs beteiligt habe. Ich hab noch nie so viel Musik gekauft. Nun kann man sicher sagen, dass auch andere Bereiche der Unterstützung bedürfen, aber gerade dieser künstlerische Bereich ist meine Leidenschaft und auch und grad diesem steht das Wasser bis zum Hals.
Auch hier gibt es Künstler:innen, die beschlossen haben: “never waste a crisis”, Kampagnen (hier zu nennen z. B. die erste Bandcamp-Aktion im März) abgreifen, obwohl sie das Glück hatten, erfolgreiche Tourneen vor der Krise zum Abschluss gebracht zu haben, aber durch ihr Gebaren in dem Zusammenhang unangenehm zu Kolleg:innen in Konkurrenz treten. Seltsamerweise machen grad diese Bands neben dieser Art von Opportunismus eher wenig durch kreative Ideen sondern durch Haltungslosigkeit von sich reden. Die Zeiten sind zu schwer, als das ich Namen nennen möchte. Der Underground ist voll von großartigen Black-Metal Bands und krisenhafte Zeiten wirken bisweilen wie ein Entwicklerbad für das Sichtbarmachen dieser Art von “erhellenden” Kontrasten.
Wiederum andererseits bin ich vollkommen begeistert, von eben diesen unbändigen unterstützenswerten kreativen Ideen aus allen möglichen Richtungen. Ob das nun Streaming-Konzerte sind, die beinahe so atmosphärisch ablaufen wie ihre Live-Geschwister – so erlebt bei Disillusion (Ostermontag im Werk2). Oder die genialen Community-Masken von Near Earth Orbit. Oder die atemlose Spenden- und Crowdfunding-Aktion des Culthe-Collectives e.V. aus Münster, die einem nicht nur Respekt abnötigt, sondern auch zeigt wo einen echte Solidarität ohne Eigennutz hinbringen kann.
Mich beschäftigt natürlich die Frage, wie es nach der Krise weitergeht oder besser gesagt, ob die Krise jemals vorbei sein wird?
Kann es sein, dass sich unser aller Leben ab jetzt völlig ändert? Oder zwingt die Pandemie die Menschen zum Umdenken?
Das wir nicht alles als selbstverständlich nehmen? Das wir schätzen, was wir mit unserer Familie, Partner:in, Freund:innen und Bekannten haben?
Das wir – falls es sie jemals wieder in alter Form geben wird – Livemusik und die Künstler:innen wertschätzen?
Was mich vor allem beschäftigt, ist die Aussichtslosigkeit. Dieses frustrierende “nichts tun können außer zu Hause rumsitzen und warten”-Gefühl. Die große Sorge, dass zahllose geliebte und gebrauchte Clubs und Konzertlocations für immer dicht machen müssen, weil es keinerlei Perspektive für sie gibt.
Ganz schlimm auch und maximal anstrengend: Die “Diskussionskultur” rund um Lockerungen. Wirklich überraschend kommt das nach den letzten Jahren und all den Flüchtlingskrise-Debatten (alle sind entweder sofort “linksgrünversifft” oder Nazi, dazwischen gibt’s offenbar nichts mehr) nicht. Es gibt anscheinend nur noch Schwarz oder Weiß. Kaum einer denkt um die Ecke und über den eigenen Tellerrand. Entweder man hält sich ausschließlich an Zahlen/Statistiken und huldigt bedingungslos Drosten/Lauterbach/MaiThi oder man hat ausschließlich “Die Wirtschaft”s-Brille auf – die für eine Demokratie doch so wichtigen Grauzonen scheinen nicht mehr zu existieren.
Cynthia Theisinger
Vor allem die Frage, wie lange das Ganze noch so weitergeht, ob mein Job erhalten bleibt, wie es mit Konzerten und Festivals weitergeht, wie viele Clubs für immer schließen müssen, wie viele Festivals und Bands es nicht mehr geben wird. Natürlich habe ich Angst, mich anzustecken – auf der anderen Seite wäre ich aber mittlerweile auch irgendwie froh, es “hinter mir zu haben”- dann könnte ich mich solange ich es habe komplett isolieren und müsste danach keine Angst mehr haben, jemanden der mir wichtig ist zu gefährden…. vielleicht… denn auch das ist ja nicht sicher, also das man danach wirklich immun ist. Die allgemeine Unsicherheit macht mich rastlos. Ich sehe die Lockerungen sehr kritisch – ich weiß nicht, ob es zu früh ist und man so auf eine zweite Welle zusteuert. Ich bin immerhin froh, das ich momentan noch fast normal arbeiten kann und dass ich meine beiden Liebsten um mich habe, und daher nicht allein bin – aber meine Freund:innen, andere Kontakte und das ausgehen, Konzerte und Festivals fehlen mir sehr arg. Ich mache mir Sorgen, dass mir im Sommer richtig übel die Decke auf den Kopf fällt. Genauso mache ich mir Sorgen um einige Freund:innen, die es viel schlimmer getroffen hat als mich. Ich hoffe, dass ich hier bald helfen kann.
Ich bin seit ungefähr sechs Wochen im Homeoffice, arbeite also dem Grunde nach völlig normal weiter. Allerdings ohne meine sonst üblichen sozialen Kontakte. Früher dachte ich immer, ich würde mit dem Homeoffice nicht klar kommen, meinen Tagesablauf und meine Struktur verlieren, aber dem ist gar nicht so. Viel mehr verliere ich die Lust auf Menschen, nicht nur beruflich, sondern teilweise auch privat. Ich komme gut mit mir alleine klar, da ich alleine lebe, derzeit ein großer Vorteil. Mir macht nur Angst, dass ich, je länger das alles dauert, gar keine Lust mehr auf andere Menschen haben könnte. Das wäre für meine Konzertleidenschaft natürlich fatal. Vermutlich ist das aber nur meine Anpassung an diese Zeit, um klar zu kommen. Mir fehlen meine Konzerte, die derzeit wie Pilze aus dem Boden sprießenden Autokinokonzerte sind für mich leider nichts. Ich freue mich aber für die Veranstalter:innen und vor allem die Künstler:innen, die so wenigstens Einnahmen generieren können, die sie sonst derzeit nicht hätten. Ansonsten stelle ich fest, wie viele Menschen in meinem Umfeld dubiosen Quellen ihre Aufmerksamkeit schenken, so als ob sich die Politiker:innen von mittlerweile 187 Staaten abgesprochen hätten, diese Pandemie zu inszenieren.
Mir werden Reisen und Konzerte fehlen, aber ich bin irgendwie derzeit höchst pragmatisch unterwegs. Möchte ich mich der Gefahr einer Ansteckung aussetzen? Nein, definitiv nicht! Wie kann ich dem am besten entgehen? So wenige soziale Kontakte wie möglich und vor allem räumliche Distanz zu Allen, inklusive Maske beim Einkauf und Hände waschen, Hände waschen, Hände waschen. Wann wird das Ganze für mich enden? Wenn es einen verlässlichen Impfstoff gibt oder ein Medikament, welches dieses fck Virus zu einer banalen Erkältung werden lässt. Wann rechne ich damit? Auf jeden Fall nicht in 2020.