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FTANNG!: Das große Interview zum lang erwarteten Debütalbum

FTANNG!: Das große Interview zum lang erwarteten Debütalbum

Gut Ding will halt des Öfteren auch mal Weile haben. So zogen mehrere Jahre ins Land, bis das Duo FTANNG! nun sein Debütalbum …And No One Seemed To Care fertiggestellt und veröffentlicht hat. Zunächst ist die Platte, die Elektronik mit deftigen Gitarrenriffs kombiniert, “nur” digital zu haben – aber das tut der Qualität der Songs natürlich keinen Abbruch. Viel Wissenswertes über das für Fans von Bands wie Nine Inch Nails oder Zeromancer interessante Album, eventuelle Tourpläne und die aktuellen Tätigkeiten in Quarantäne-Zeiten verriet uns Sänger und Multiinstrumentalist Dorian Deveraux.

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So manch eine(r) mag bei dem Anblick eurer Promofotos denken: „Mmh, den habe ich doch schon mal irgendwo auf einer Bühne gesehen.“ Magst du uns aufklären?

Die Chance, dass der ein oder andere mich vor geraumer Zeit einmal mit meiner alten Band auf einem der gängigen Festivals wie Mera Luna, WGT oder Amphi oder zum Beispiel auf Tour mit Eisbrecher, Dope Stars Inc. oder Letzte Instanz gesehen hat, ist relativ groß. Das war damals, in einem anderen Leben, als ich noch Sänger bei Jesus On Extasy war. Auch Peter (Vignold, der zweite Teil von FTANNG!, d. Red.) ist vorher in anderen Bands gewesen, zuletzt in Pzychobitch, davor war er bei The Eternal Afflict. In jüngerer Zeit kann es durchaus sein, dass uns jemand mit unserem Synthwave-Projekt L.A. Streethawk gesehen hat, mit dem wir vor allem live sehr aktiv waren und eigentlich im Mai mit KMFDM auf Tour gehen sollten.

Ist jetzt gerade ein besonderer Zeitpunkt, ein Album, noch dazu ein Debüt, zu veröffentlichen? Wie beeinflussen Kontaktsperre & Co. Eure Arbeit und das Leben?

Nun, wir hatten eigentlich geplant, das Album auf dem klassischen Weg über ein Label zu veröffentlichen und die Verhandlungen liefen auch bereits mit potentiellen Partnern. Aber letzten Endes gab es immer wieder etwas, das uns gestört hat oder das uns uninteressant für das jeweilige Label gemacht hat. Mitten in den Verhandlungen traf uns alle dann das Corona-Virus und ich selbst musste mich für zwei Wochen in häusliche Quarantäne begeben, weil ich Kontakt zu einer infizierten Person hatte.

In dieser Zeit habe ich gemerkt, wie privilegiert ich bin. Ich habe meine Wohnung und mein Studio, in dem ich sowieso Tag für Tag allein bin und es hat sich für mich eigentlich nicht viel geändert. Ich setze „Alleinsein“ auch nicht mit „Einsamkeit“ gleich. Gleichwohl habe ich, um mich zu informieren, in dieser Zeit viele Nachrichten konsumiert und gemerkt, wie sich nach und nach eine gewisse Beklommenheit in mir ausgebreitet hat, die mich gelähmt hat. Vor allem, als ich die ersten Bilder aus Italien gesehen habe, in denen das Militär in Lastern die Toten aus Bergamo abtransportiert hat. Ich hätte nie gedacht, einmal solche Bilder aus dem Herzen Europas zu sehen und unter dem Gesichtspunkt, dass es Menschen gibt, die vielleicht gerade zuhause sitzen und nicht sonderlich gut allein sein können, unter der Krise leiden, keine Arbeit haben, vielleicht auch mit einem gewalttätigen Partner in Quarantäne sind, habe ich in Rücksprache mit Peter dann die Entscheidung getroffen, das Album in Besinnung auf unsere DIY-Wurzeln in Eigenregie zu veröffentlichen. Wir wollten zumindest einen kleinen Teil dazu beitragen, dass die Menschen ein bisschen Ablenkung haben und sich besser fühlen. Auch wenn wir wissen, dass Entertainment vielleicht gerade bei niemandem wirklich hoch auf der Prioritätenliste steht.

Du merkst, so wirklich beeinflusst uns persönlich die Kontaktsperre gerade nicht. Auch unsere gemeinsame Arbeit, ob nun mit FTANNG! oder L.A. Streethawk, hat sich immer durch Online-Kollaboration ausgezeichnet. Wir schicken uns momentan mehrmals pro Woche gegenseitig Demos zu. Das läuft meistens so, dass einer von uns das Grundgerüst für einen Song fertig macht und dann an den anderen übergibt. Wir haben früher oft versucht, gemeinsam Songs im Studio zu schreiben, aber das war meistens nicht von Erfolg gekrönt.

Es war zu lesen, dass die Produktion des Albums sich über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahren hingezogen hat. Wo liegen die Gründe dafür?

Dafür gibt es verschiedene Gründe, die auf der einen Seite wirklich ganz banal und auf der anderen Seite sehr profund sind. Als wir FTANNG! gestartet haben, hatten wir den Ansatz nur Singles veröffentlichen zu wollen, weil die Menschen im Zeitalter des Streamings eher einzelne Songs oder Playlists hören statt ganzer Alben. Dazu kam der Umstand, dass wir keinen Druck hatten, überhaupt etwas veröffentlichen zu müssen. Also haben wir jeden einzelnen Song so oft es ging überarbeitet, um das Maximum herauszuholen, sowohl aus dem Songwriting als auch der Produktion. Wir sind beide sehr perfektionistisch veranlagt und möchten auch in 20 Jahren noch stolz darauf sein. Irgendwann haben wir gemerkt, dass wir an einem Punkt angekommen waren, an dem wir so etwas wie ein Album in der Hand hatten. Also mussten wir uns Gedanken  um die Dramaturgie auf einem potentiellen Album machen, aber auch darüber in welche Richtung wir uns letzten Endes bewegen wollen. Letzten Endes haben wir uns doch für ein Album entschieden und hoffen, dass es immer noch genügend Musikliebhaber gibt, die sich Zeit nehmen und auf uns einlassen. Die ihre Kopfhörer aufsetzen, ihr Handy für 50 Minuten beiseite legen und einfach in der Musik verschwinden.

Habt Ihr alles selbst eingespielt und produziert oder gibt es Gäste?

Das meiste haben wir selbst eingespielt, nur vereinzelt gibt es Gäste an Gitarre oder Drums. Das war auch einer der Faktoren, die zu diesem langen Produktionszeitraum geführt haben. Ich spiele einige Instrumente, aber mein Hauptinstrument ist das Klavier. Aus diesem klassischen Hintergrund ergibt sich die Grundlage, also Musiktheorie oder Akkordverständnis. In den mehr als 20 Jahren, die ich jetzt Musik komponiere habe ich mir aber auch rudimentär andere Instrumente angeeignet. Und damit meine ich nicht, dass ich die besonders gut spiele, aber es reicht, um sie aufzunehmen und daraus zum Beispiel interessante Texturen zu designen. In den vergangenen Jahren habe ich mich immer mehr mit analoger Klangsynthese auseinandergesetzt und auch daraus ergibt sich wiederum eine Welt von Möglichkeiten.

Peters Arbeitsweise ist ähnlich. Er ist kein ausgebildeter Musiker im klassischen Sinne, aber ein fantastischer Arrangeur. Er hat ein Verständnis für Songstrukturen, das seinesgleichen sucht, und ist vor allem auf der technischen Seite immer weit vorne mit dabei. Aber grundsätzlich haben wir nichts gegen Gäste. Ich glaube sehr an die Macht der Kollaboration, aber sie muss für uns Sinn machen. Vor dem Hintergrund unseres Albums wollten wir in diesem Fall dann lieber für uns bleiben.

Die Platte kreiert verschiedene Stimmungen, bzw. spiegelt diese wider. Manches wirkt nachdenklich und melancholisch, anderes nervös, vielleicht schon zerbrechlich. Woher stammt die Inspiration für Texte und Musik?

Das ist im Grunde die Standard-Antwort eines jeden Künstlers, der nach seiner Inspiration gefragt wird: Aus dem täglichen Leben. Die fast zehn Jahre seit Bandgründung waren sehr ereignisreich mit vielen düsteren Momenten und auch einigen Lichtblicken. Beziehungen sind gescheitert, geliebte Menschen sind gestorben, wir beide sind durch Erkrankungen mit unserer eigenen Mortalität konfrontiert worden. Auch das Seelenleben, die innere Hölle sozusagen … All das fließt natürlich in das Schaffen ein, wenn man kreativ arbeitet. Ich beschreibe das Album gern als eine Art Tagebuch oder vielleicht sogar als Therapie. Deswegen fühlen sich die Songs auch persönlicher an, als viele meiner früheren Stücke.

“Jemand hat uns als Bindeglied zwischen Talking Heads und Nine Inch Nails beschrieben”

Könntet Ihr überhaupt auch „Gute-Laune-Songs“ aufnehmen?

Das ist eine Frage, die nur die Zeit beantworten kann. Aber dass wir anders als „schlecht gelaunt“ können, zeigen ja eigentlich schon die Songs unserer anderen Band, L.A. Streethawk.

Wäre ein „Clubhit“ wünschenswert/erstrebenswert?

Das kann ich ad hoc eigentlich gar nicht beantworten. Natürlich ist es immer schön, wenn die eigene Musik so von den Menschen angenommen wird. Und klar, wenn jemand Songs wie Some Distant Day oder Betray auf seiner Party auflegen will, immer gern. Aber wir würden zum Beispiel niemals Songs im Hinblick auf Clubtauglichkeit schreiben.

Bei Projekten wie dem Euren stets die fieseste Frage: Wo würdet Ihr Eure Musik genremäßig einordnen? Welche Hörer sollen sich vor allem angesprochen fühlen?

Ich würde uns irgendwo zwischen Synth-Rock, Industrial-Rock und Alternative-Rock einordnen. Aber solche Einordnungen sind immer sehr schwierig, weil mit den jeweiligen Genres natürlich direkt auch Erwartungen geschürt werden bzw. jeder etwas anderes damit verbindet und letzten Endes vielleicht enttäuscht ist, dass wir nicht so klingen wie Band xyz.

Unüberhörbar ist aber der Einfluss eines gewissen Herrn Reznor, nicht wahr? Gerade beim Titelstück denkt man ja schon zwangsläufig an das Nine-Inch-Nails-Stück Just Like You Imagined

Wie die meisten anderen Künstler auch haben wir natürlich Einflüsse, die man mal mehr, mal weniger stark hört. Hör dir beispielsweise Muse mit Madness oder United States of Eurasia an, wo du direkt den Eindruck bekommst, Queen- B-Sides zu hören. Jemand hat uns einmal als das Bindeglied zwischen Talking Heads und Nine Inch Nails beschrieben, was ich sehr charmant fand, weil ich beide Bands sehr gern mag. Andere Einflüsse, die du auf unserem Album hörst, sind HEALTH, A Place To Bury Strangers, Low oder ABC, vor allem die „Beauty Stab“, ebenso wie verschiedene Filmmusiken. Viele Musiker sind sofort sehr beleidigt, wenn sie mit anderen verglichen werden. Ich finde das gar nicht so schlimm. Der Mensch sucht halt nach etwas, das er kennt, das ist ein ganz natürlicher Prozess.

“Ich habe früher miese Konzerte gespielt”

Was macht Ihr denn noch so neben FTANNG!?

Peter arbeitet als Medien- und Filmwissenschaftler. Ich bin Komponist für Filmmusik und produziere auch andere Künstler, aber das nur, wenn ich gerade die Zeit habe. Wenn jemand mir schon das Vertrauen entgegenbringt, mit mir arbeiten zu wollen, will ich mich dieser Aufgabe auch so widmen, wie sie es verdient und keine halben Sachen machen.

Was ist mit FTANNG! in Zukunft geplant? Sind Live-Auftritte angedacht, wenn diese wieder möglich sind?

Über Live-Auftritte machen wir uns momentan mit keiner unserer beiden Bands bis Mitte 2021 keine Gedanken mehr. Was danach kommt, wird sich zeigen. Auch hier: Es muss Sinn machen, der Rahmen muss stimmen und wir brauchen ein schlüssiges Konzept. Ich habe früher einige wirklich miese Konzerte gespielt, was an verschiedenen Faktoren lag. Zum einen an der damaligen Einstellung zum Musikmachen. Die Vorbereitung stimmte einfach nicht. Damals war ich vielleicht einfach zu arrogant, um zu verstehen, wie wichtig ein Gig vor 12.000 Zuschauern im Vorprogramm von Nightwish oder beim Mera auf der Hauptbühne sein kann, habe meine eigenen Texte vergessen und so weiter. Zum anderen waren wir vielleicht auch einfach noch zu unerfahren, um eine solche Situation meistern zu können. Wir sind als komplett unbekannte Band damals von null auf 100 gestartet und – da kann ich aber nur für mich sprechen – ich wusste gar nicht, wie ich eine derart große Arena- bzw. Festivalbühne nutzen muss.

Aber all das sind Erfahrungen, aus denen man lernt. Das heißt, wenn wir mit FTANNG! mal live spielen wollen, wird das einiges an Vorbereitung kosten. Die richtigen Leute finden, die die Live-Band sein sollen, ein Konzept für die Background-Visuals, eine zuverlässige Live-Crew und und und. Denn wir wollen nicht noch eine Band sein, in der fünf Typen auf der Bühne stehen und ihr Ding machen. Das hat man so schon oft genug und das braucht es auch nicht noch mehr. Aber ich bin positiv gestimmt, dass uns das gelingen wird und wir mit FTANNG! etwas Besonderes auf die Bühne bringen können.

…And No One Seemed To Care ist digital unter anderem über die Bandcamp-Seite von FTANNG! zu erwerben.

Weitere Weblinks FTANNG!

Homepage: http://weareftanng.com
Facebook: www.facebook.com/ftanng
Twitter: https://twitter.com/ftanng
Instagram: www.instagram.com/weareftanng
Spotify: https://open.spotify.com/artist/58OJq7SADHu9YbDFumR999

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