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AUTUMN MOON FESTIVAL, Hameln (Freitag 18.10.2019)

Fotos: AUTUMN MOON FESTIVAL 2019 - Freitag

YE BANISHED PRIVATEERS © Dietmar Grabs

Das fünfte Autumn Moon Festival startet mit einem stürmischen Schauer, der sich nach den vergangenen Alterweibersommertagen glatt wie Eis auf unseren Gesichtern anfühlt. Das kann ja eigentlich nur besser werden, denken wir, als wir hektisch über den beinahe menschenleeren Mystic Moon Market stolpern. Die Besucher haben sich erst einmal in Sicherheit gebracht. Wir sind vernünftig und tun es ihnen gleich. Erst mal raus aus der Kälte. Die Weser und das pitoreske Postkartenambiente muss noch etwas warten, wir statten uns fürderhin mit dem notwendigen Presseequipment aus, um unsere Arbeit aufzunehmen. Davon gibt es die nächsten Tage ein wahres Füllhorn voll. Seit es das Autumn Moon gibt, hat das Festival jedes Jahr einen ordentlichen Satz nach vorn gemacht und sich so zu einem wichtigen Programmpunkt innerhalb der Düster-Landschaft gemausert. Terminlich günstig als Ausklang der Festival-Saison und Antipode zum Hildesheimer Mera Luna positioniert mit seinem gediegenem und familiären Ambiente, einem bunten Mix im (leicht chaotisch zusammengestellten) Line-Up, allerlei Kunst und Krempel rundherum und dem Mangel an Konkurrenzveranstaltungen ist der Erfolg des Autumn Moon nachvollziehbar.

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Rattenfängerhalle

Die Mehrzweckhalle ist das Herzstück des Festivals und für die großen Namen reserviert. Klar, hier passen die meisten Leute rein und hier steht auch das Piratenschiff. Festivals ohne Piratenschiff, so weiß man, sind einfach nichts mehr. Links und rechts von der Bühne ragen in Schwarzlicht getränkte blasse Äste weiß gestrichener toter Bäume empor. Unwillkürlich fragt man sich, ob die schon immer Teil der Inneneinrichtung waren, als stumme Zeugen von manch zünftigen Schützenfest oder eigens für die Schwarzkittel dorthin geschoben wurden. Für Getränke und Merch ist ebenfalls gesorgt, die Damen vor den Klos sind herzlich und immer für einen Schwatz zu haben.

FROZEN PLASMA (D)
Einer muss der erste sein. Und Frozen Plasma machen nun nicht grad den Eindruck, als ob sie mit ihrem Schicksal als Opener am doch noch recht frühen Nachmittag hadern würden. Die Halle ist schon sehr voll und wahrscheinlich nicht nur wegen des überraschenden Regengusses. Wie bei einem Raketenstart werden die letzten Sekunden vor dem Auftritt der agilen, umtriebigen Synth-Popper runtergezählt, deren aktuelles Album Pakt vor einem halben Jahr erschienen ist. Es geht eingängig vorwärts. Es scheint, dass Felix Marc und Vasi Vallis nicht ohne Grund den “Eisbrecher-Slot” bekommen haben. Fröhliche Melancholie und erwartungsvolle Party-Stimmung macht sich breit. Felix kann man einfach nur als entspannt sympathisch beschreiben. 60 Minuten solide Elektronik-Unterhaltung nicht weniger, aber auch nicht mehr.

UNZUCHT (D)
Weiter geht es mit Dark Rock aus Hannover oder sagen wir mal so: Mindestens einer aus dem Quartett hatte heute sogar ein Heimspiel. Die stecken grad mitten in den Arbeiten am neuen Album: Jenseits Der Welt. 2020 soll es erscheinen, das sechste in der Reihe der Studioalben wird es sein. Nun kann man ja ein Fan der Musik von Unzucht sein oder es lassen. Was mich aber dermaßen beeindruckt, ist die unbändige Energie, die von der Band ausgeht und auf das Publikum übertragen wird. Sänger Daniel Schulz ist ein echter Poser (im besten Sinne) und ein nahezu furchtloses Energiebündel (der Wahnsinn blitzt in seinen Augen^^), das auch gern mal mit einem beherzten Ausfallschritt die Grabenbegrenzung überwindet, um den Fans direkt ein Ständchen zu singen. Wohltuende rockige Düstertöne mit viel Up-Tempo, eine gut durchdachte Set-List. Ja, mei. Des war goat.

MERCIFUL NUNS (D)
Wer nicht tanzen will am Schluss, weiß noch nicht, dass er tanzen muss.
Wer hätte gedacht, dass Merciful Nuns, so kurz vor Ende ihrer Karriere und ihrem definitiv letzten (und besten) Album Anomaly X in diesem Jahr mit Black Halo noch einmal eine EP herausbringen würden. So ganz kann sich Artaud Seth von seinem Projekt wohl doch nicht trennen bzw. mag es ihm noch viel schwerer fallen als uns. Denn es ist nun definitiv Schluss mit den Nonnen. Gründe dafür hat er Meister ja zuhauf bekannt gegeben. Mag sein, dass der gute alte Goth-Rock vielleicht wirklich tot ist. Weg sind die Seths mit dem Ende aber auf keinen Fall, wie das meiner Meinung nach noch viel zu weit unter dem Radar fliegende und absolut innovative Projekt Near Earth Orbit zeigt. Doch nun zum Wesentlichen: zum Ende. Seit über einem Jahr prangt es in riesigen weißen Lettern auf dem Rücken seiner Bühnen-Jacke. Heute ist der Tag gekommen. Zehn Alben, beinahe zehn Jahre und eine unauslöschliche Fußspur im dunklen Garten dieses dunkles Genres. Sie spielen noch einmal die Hits. Sie tragen ihre Sonnenbrillen, obwohl es dunkel ist. Sie sind die Definition der schwarzen Unterkühltheit, unfassbar cool. Sie haben den Goth-Rock weiterentwickelt, sind aber nie an die Wurzeln gegangen und haben sich nie irgendwelchen blöden Düstermoden angebiedert. Und es scheint auch ein völlig normales Konzert zu sein, ein bisschen wehmütig vielleicht, aber sonst. Aber dann, dann muss Mister Cool, der oberster Zeremonienmeister einen Schritt aus sich heraustreten und improvisieren. Denn was ich noch nicht erwähnte: Merciful Nuns haben auf dem ganzen Globus Fans, deren Begeisterung beinahe schon an Ergebenheit grenzt. Zwar vermissen wir heute Hauptprotagonisten der Nunhood schmerzlich Dafür steht nun plötzlich ein anderer glühender Verehrer auf der Bühne. Und … und … wird sogleich zum Teil des Gesamtprogramms gemacht. Bassistin Jawa Seth und Gitarrist Jón Tmoh scheinen ungerührt, aber Artaud wagt ein Tänzchen. Nach ein paar Minuten verlässt der (doch sehr glückliche) Mann wieder die Bühne. Unverhofft kommt oft und manchmal eben erst bei The END. Danke Merciful Nuns für dieses letzte großartige Konzert! Wir sehen uns in weiteren Inkarnationen wieder!

LORD OF THE LOST (D)
Die Absage von Sólstafir war sicher ein herber Schlag für das Autumn Moon Festival, denn die Progressive-Rocker hätten nicht nur ein ordentliches Quäntchen an musikalischer Varianz und Internationalität mitgebracht, sondern auch unbestreitbar Qualität. Inwiefern ein weiterer Dark-Rock Act der Sparte Children Of The Dark aus dem Standardprogramm des Copy-Paste-Line-Ups diverser Festivals da den Ausgleich bringen kann, ist fraglich. Aber die Münchner springen spontan ein, sichern sich einen Headliner-Slot und die Hamelner stellen Organisationstalent und Nervenstärke unter Beweis. Die Stunde ist weit voran geschritten und der Blick in den Spiegel zeigt ein verfeiertes Antlitz. Da sind Lord Of The Lost grade richtig, will sagen wie ein willkommener Tritt in den Arsch. Wach machen die Jungs, obwohl die heute nicht mal vollständig antreten. Geritt Heinemann, der Mann an den Tasten, hat heute andere Verpflichtungen, denn er tourt mit (kein Witz) David Hasselhoff. Dafür muss er einiges durchmachen und wird in Abwesenheit von seinen Bandkollegen erst einmal gebührend verspottet. Auf seinem angestammten Platz steht nun ein Bademeister mit den charakteristischen roten Short, Six-Pack und seinem aufgeklebten Gesicht. Der Papp-Aufsteller muss während des Sets eine Menge einstecken, wird zum Stagedive geschickt, abgeknutscht und anderweitig dem Spott anheimgestellt. Lord Of The Lost spielen in etwa das Set vom WGT. Die Bühnenshow ist fett, die Stimmung ist fett, die Riffs sind fett. Was will man mehr?

Sumpfblume

Die Rattenfänger für dicken Acts, die Sumpfblume für die dicken Bretter. So, oder so ähnlich war es wohl gedacht. Auf jeden Fall sollte dort der Fokus mehr auf künstlerische Qualität und Underground-Bezug gelegt werden, als auf das, was Masse zieht. Dass das nicht ganz aufging, zeigt ein Blick auf Line-Up und Running Order. Wir können uns darauf einigen, dass in der Sumpfblume vor allem kleinere Acts auftraten. Zum Teil waren Juwelen dabei, zum Teil. Die Reihenfolge auf allen Bühnen war chaotisch und schien einzig diesem Ordnungsprinzip untergeordnet.

SYSTEM NOIRE (D)
Eigentlich hatten mit Illuminate ein paar echte Urgesteine der Neuen Deutschen Todeskunst den Eröffnungsslot des Autumn Moon Festivals auf der Künstler-Stage inne gehabt und auch überhaupt, dann davor war wirklich noch keiner dran. Die mussten aber sehr kurzfristig tags zuvor absagen. Und somit geht der Orden der Flexibilität und Spontanität an System Noire, obwohl man es auch Hannover nicht allzu weit bis nach Hameln hatte. Und so gibt’s zusammen mit Frozen Plasma eben gleich zweimal Synth-Pop und Dark-Elektro direkt am Anfang. Ein Genre, das ich persönlich musikalisch nicht allzu spannend finde, sich aber ungebrochener Begeisterung erfreut. System Noire freuen sich darüber und nutzten die Gelegenheit, Material ihrer aktuellen EP Throw The Dice vorzustellen.

FORGOTTEN NORTH (D)
Eben noch Synth-Pop und nun ist die Luft schon Met-geschwängert. Aus Glückstadt in Schleswig Holstein kommen die starken Männer von Forgotten North, die grad die Titelmelodie von Skyrim im Soundcheck anstimmen. Fantasie-Wikinger-Rock ist das, was sie tun. Daran kann auch schlicht kein Zweifel bestehen, denn die fünf Bärbeißer sehen aus, als hätte sie jemand aus ner Folge Vikings gepellt und quer übers Spectaculum geschleift. Ungefähr so zünftig maskulin geht es dann auch los. Es ist rockig und schalmeiig mit einer Sangesstimme, die frappierend an den berüchtigten Eric Fish erinnert. Forgotten North haben viel Spaß und das macht den Anwesenden viel Laune.

KRAYENZEIT (D)
Mittelalterlich rockig bleibt es auf der Sumpfblumenbühne und das einzige Mal habe ich nicht das merkwürdige Gefühl auf dem Autumn Moon ständig durch ein fahrlässig in Kauf genommenes Wechselbad der Gefühle geschickt zu werden. Es wird eng auf der Bühne. Krayenzeit sind ein großer Spielmannszug bestehend aus fünf Männern und einer Frau, ausgestattet mit allerlei zeitgenössischem und historisch anmutendem Musizierwerkzeug, angetan mit Gewandungen irgendwo zwischen Motorradladen, Mittelaltermarkt und LARP. Die Band hat ihr taufrisches Album W.I.R. – Wir, Ihr, Rock’N Folk mit dabei und kredenzt und eine Stunde lang Mittelalter-Rock der Marke Met-Im-Horn und Hoch-Das-Bein. Kurzweilig und nicht weiter schmerzhaft.

ROME (L)
Jerome Reuter ist zum ersten Mal beim Autumn Moon und zum ersten Mal in diesem Jahr müssen Leute vor der Sumpfblume warten. Die macht nämlich wegen Überfüllung dicht. Ich kann es ja verstehen, zählt die Diskographie von Rome nicht nur für mich zu den Ausnahmewerken innerhalb des Neo-Folk bzw. Chanson Noir, wie der Künstler sein Tun selbst beschreibt. Mit nervenzerfetzender Akribie bringen Rome jedes Jahr zur selben Zeit ohne Qualitätseinbußen neben weiteren Veröffentlichungen ein neues Studioalbum auf den Markt (das aktuelle heißt Le Ceneri Di Heliodoro) und touren ohne Unterlass. Man fragt, wann dieser Mensch die Zeit für all das findet. Heute Abend fühlt er sich wohl. Er hat ja immer die Tendenz, jede Location zu betreten, als sei sie sein Wohnzimmer und alle Anwesenden wie Kumpels zu behandeln, mit denen er nur eben ein Bier trinkt und über die Welt philosophiert. Das kann er, wie kein anderer. Bis in die Schuhspitzen in dunkle kluge Melancholie getränkt, zurückgenommen so voller Sehnsucht und Zorn *seufz*. Schickt mit The West Knows Best einen Gruß an die einsam kämpfenden Kurden. Die Botschaft trifft von hinten nach vorn, wie das Messer des Verrats. Das Set ist viel zu klein. Deswegen gibt’s von Jerome, dem das hier alles sehr, sehr gut gefällt Zugaben, die es wegen der Zeit eigentlich gar nicht mehr geben darf.

PRIEST (S)
Eine Ledermaske mit Spikes, schwere Lederjacke mit Nieten, darunter ein konventioneller Priesterkragen: Das ist Priest, himself. Seine Bandkollegen tragen Pest-Masken, ebenfalls aus Leder. Einer steckt in einem formellen schwarzen Anzug und sieht in summa wie ein seltsamer schwarzer Vogel aus, der hinter seinem Pult schnell mal die Steuererklärung erledigt. Das Projekt aus Schweden, zu dem auch Ex-Mitglieder auch dem Ghost-Personal gehören hat sich dem Dark Elektro und Synth-Pop verschrieben. Frei nach Philipp K. Dick soll es inhaltlich um das Erreichen einer neuen Evolutionsstufe durch das verschmelzen von Menschen mit Maschinen gehen. Die Bühnenshow verspricht mehr als die Musik halten kann. Die Stücke, vornehmlich von New Flesh (2017), wirken sehr homogen. Hin und wieder blitzen etwas Nine Inch Nails heraus, allerdings irritiert mich die Stimme etwas. Nach dem Gig habe ich Gelegenheit, mich mit ein paar Leuten zu unterhalten, die Priest und ihren Auftritt für das bisher Beste halten, das heute auf dem Autumn Moon gelaufen ist.

GOD MODULE (USA)
– ist die Inkarnation von Jasyn Bangert. Und obwohl man beim Eigenlabeling ganz unschuldig Elektronic Dance Music schreibt, sollte man sehr vorsichtig sein, bei dem, was da auf einen zukommt. Aber was sag ich, God Module sind ja keine Neulinge mehr und haben so manchen Headliner-Slot auf einschlägigen Veranstaltungen gemeistert. Rorschach-Make-Up, Fetish-Deko (ein Manns-großer Puppentorso) harsh Beats, harsh Vocals, verstörende Videoinstallationen, immer mit einem Arm in der Zwangsjacke machen ein Konzert der Amerikaner aus. Heute gibt es von all dem aber nur eine Sparversion. Allein bei den schneidenden, nihilistischen Beats lässt sich Bangert nicht lumpen. Etwas lethargisch und weltuntergangs-mäßig schleift er seinen Körper über die kleine Bühne. Als Headliner bekommt er ein volles 90-Minuten Set, viel Platz für Neues und Altes. Bei mir zündet der artifizielle Alptraum heute nicht so wie sonst, dafür aber bei vielen Fans.

YE BANISHED PRIVATEERS (S)
Die schwedischen Freibeuter hatten heute gleich mehrere Wetten laufen, die sie nach ihrem 60-minütigen Auftritt allesamt für sich entscheiden konnten. Ja, wer lässt sich auch mit Piraten auf Wetten ein? Zum ersten: Wer schafft es zur nachtschlafenden Zeit (wir haben 1:00 Uhr) noch so viele Menschen ausgelassen zum schreien und tanzen zu bringen? Dann: Wer schafft es so viele Akteure auf die Mini-Bühne in der zierlichen Sumpfbühne (ZWÖLF!) zu stapeln, die dann auch noch (mit Requisiten) spielen und ausgelassen performen? Und: Wer treibt das Facility Management (Stichwort: Kunstblut!!!) am ehesten an seine Grenzen? Check, Check, Doppel-Check. Was für eine Sause! Sowas gab es seit The Curse Of Monkey Island nicht mehr. Darauf schnell noch einen Grog und ab in die Heia!

Fotos: AUTUMN MOON FESTIVAL 2019 - Freitag

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