Ich weiß gar nicht, wo ich hier überhaupt anfangen soll. Bin ich doch, was The Toten Crackhuren Im Kofferraum angeht, eher parteiisch vorbelastet. Kenne und mag ich die Mädchenband um Frontfrau Luise “Lulu” Fuckface bereits seit ein paar Jahren. Doch seit dem letzten Longplayer Mama Ich Blute sind mittlerweile locker fünf Jahre ins Land gezogen, was in dem Genre Funpunk/Electroclash schon eine Ewigkeit bedeutet. In der Zwischenzeit war das Quartett mit Sicherheit nicht bitchmässig faul. Mehrmals in den letzten Jahren spielten die Crackhuren auf diversen Festivals, und einige Mädels waren mit Nebenprojekten unterwegs.
So sind in den vergangenen Jahren einige Stücke entstanden, die jetzt veröffentlicht werden sollten. War bei mir in der Vergangenheit eher der Funfaktor vorrangig, habe ich mich jetzt eher konservativ durch die Platte gehört und versucht, den Sinn und Zweck der Platte zu verstehen. Und siehe da, die Erleuchtung kam schon relativ früh. Und zwar schon bei der ersten Single Jobcenterfotzen. Wer schon einmal mit der Agentur für Arbeit zu tun hatte, wird wissen, welche Intuition hier am Werk war. Lustig und trashig verpackt könnte man meinen, dass die Crackhuren hier nur die Mitarbeiter aufs Korn nehmen. Doch weit gefehlt. „Es geht nicht darum, dass wir alle über einen Kamm scheren wollen. Aber auch wir waren schon einmal in der beschissenen Situation, Hilfe von der Arge zu beanspruchen. Du wirst da behandelt wie der letzte Dreck und von desillusionierten Sachbearbeitern abgefertigt. Natürlich sind bestimmt nicht alle da so, aber ich habe nun mal das Pech gehabt, an solche Jobcenterfotzen zu geraten, die mich so extrem von oben herab behandelt haben“, erzählte mir Lulu in einem Interview.
Lass Dir den Beitrag vorlesen:
OK Ciao ist ebenso ein Beispiel, wie Lulu die Dinge heute sieht. Die Wahrheit kommt ans Licht, wenn man die rosarote Brille absetzt. Auch wenn gerade der sehr tanzbare Refrain dahinplätschert, vollgepackt mit Naivität, ist die Warnung doch klar zu vernehmen. Die Menschheit hat sich an den Abgrund gebracht und es fehlt nur noch das Streichholz an der Lunte. Wer bis jetzt die Warnung nicht gehört hat, wird spätestens bei dem Gastspiel von Pöbel MC wachgerüttelt. “Die Welt ist am Arsch!” Auch wenn Lulu danach wieder versucht sich einzureden, dass heute ein schöner Tag wird, der bittere Beigeschmack bleibt.
Die Crackhuren spielen sich auf Bitchlifecrisis langsam warm, und wenn man jetzt so zwischen den Zeilen hört, ist die Party schon lange vorbei. Ob es nun darum geht, von seinem Partner verarscht worden zu sein (Behindert) oder die Möchtegern Poser in den grauen Großstädten. (Minus 1). Die Crackhuren halten gekonnt der Gesellschaft den Spiegel vor. Die Frage, die sich ergibt, kommt die Message denn auch an? Natürlich sind auch die Hörer der Crackhuren in den vergangenen Jahren älter und erfahrener geworden, so dass auch die zwischen den Zeilen lesen.
Und das zieht sich textlich durch fast durch das komplette Album. Keine Liebe, eine Offenbarung an die RTL2-Kultur, in der wir heute leben. Solange man sich besaufen kann, ist das Leben doch lebenswert und es gibt keine Gründe, etwas daran zu ändern. Auf einem Bett aus Pizzaschachteln hat eine klare Message. Man sucht es sich nicht aus, wen man liebt. Ein Statement oder auch eine Anklage, was besonders Frauen für den Traummann auf sich nehmen und wie Männer das für sich ausnutzen. Ist da ein wenig der Wunsch nach geordnetem Leben im Spiel?
Was ich besonders hervorheben möchte ist, wie die Crackhuren produktionstechnisch gewachsen sind. Bitchlifecrisis ist, mal ausgenommen von dem Finale bei Crackhurensöhne, bei dem eine Verlinkung zu Lulus Zweitband Lulu & die Einhornfarm unüberhörbar ist, eher ein Electroclash-Album geworden. Eine Gratwanderung zwischen Elektro und frühen NDW-Einflüssen, brillant kombiniert. Ein sehr gutes Beispiel ist dabei tatsächlich Hämatom. Dass mich trotz oder gar wegen des verstörenden Refrains schon vom ersten Moment an begeistert hat.
Man merkt, dass TCHIK sich vom Majordruck freischwimmen und ihr eigenes Ding durchziehen. Bitchlifecrisis hat für mich maximal einen Track, der theoretisch mainstreamgeeignet wäre. Aber das ist auch gut so. Die Crackhuren haben sich einen Status erarbeitet, der nur knapp über den Geheimtipp hinaus geht. Das große Fragezeichen, das bleibt, ist, ob es sich die Crackhuren noch einmal erlauben können, fünf Jahre bis zur nächsten Platte zu warten. Dafür dreht sich das musikalische Karussell inzwischen zu schnell. Die Haltwertzeit von Bitchlifecrisis dürfte dafür mehr als beschränkt sein. Der Kultfaktorjedoch wird bei den Fans sehr hoch sein. Der Mainstream wird leider keine Zeit haben, diese Platte zu schätzen.
Anspieltipps: OK Ciao, Hämatom, Keine Liebe, Ihr kriegt Mich Nicht
Bitchlifecrisis ist am 1. Februar bei Destiny Records erschienen.
Tracklist THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM – Bitchlifecrises:
01. Wir Sind Keine Band
02. Jobcenterfotzen
03. OK Ciao feat. Pöbel MC
04. Behindert
05. Minus 1 feat. Juse Ju
06. QVC Gegen Geilheit
07. Crackhurensöhne
08. Hämatom
09. Keine Liebe
10. Auf Einem Bett Aus Pizzaschachteln
11. Ihr kriegt Mich Nicht
12. Patschuliöl
13. Rumlaufen Stress Machen
14. Keine Von Uns Ist Krank
Termine THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM – Bichlifecrises-Tour 2019:
19.03.2019 Wiesbaden, Schlachthof
20.03.2019 Köln, Museum
21.03.2019 Hamburg, Hafenklang
22.03.2019 Dresden, Groovestation
24.03.2019 Berlin, Cassiopeia
29.03.2019 Lüneburg, Salon Hansen
30.03.2019 Weinheim, Cafe Central
31.03.2019 Leipzig, Naumanns
05.04.2019 Chemnitz, Atomino
06.04.2019 Rostock, Peter-Weiss-Haus
12.04.2019 München, Backstage-Club
13.04.2019 Stuttgart, Keller Klub
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