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Interview: LEICHTMATROSE

Fotos: LEICHTMATROSE

Leichtmatrose © Michael Gamon

Heile Welt? Klar, wer Leichtmatrose kennt, wird wissen: Da schwingen Ironie, Sarkasmus und Zynismus mit. Das dürften auch diejenigen schnell gemerkt haben, die die Band erst auf der Tour mit Peter Heppner und seiner Band kennengelernt haben. Nachdem Teil 1 der Tour so gut lief, wird die Band auch auf Teil 2 der Tour wieder mit Peter Heppner durch die Städte reisen. Zur Lektüre zwischen den beiden Tour-Teilen präsentieren wir Euch nun gerne das Interview, das wir im Rahmen der Show in Berlin mit Andreas Stitz, Thomas Fest und Rick J. Jordan geführt haben. Dabei ging es um die Tour, das Album, Themen wie Ausbruch und Exzess sowie viele weitere Dinge.

Lass Dir den Beitrag vorlesen:
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Ihr seid jetzt mit Peter Heppner auf Tour. Zum Einstieg gefragt: Wie kam es überhaupt zu der Tour?
­­­– Andreas Stitz: Gute Frage. Das war eigentlich schon immer mal im Gespräch, auch schon bei der ersten Platte Gestrandet, als ich sozusagen noch „solo“ war. Dann wieder bei der ersten Heppner-Solo-Tour. Aber irgendwie ist das nie zustande gekommen. Anfang 2018 haben wir dann mal vorsichtig angefragt. Verschiedene Leute aus dem Umfeld von Peter Heppner waren von der Idee angetan, dass das gut zusammenpassen würde.

Ihr habt die ersten Termine schon hinter Euch. Wie war es bisher denn?
– Rick J. Jordan: Hammer! Klar sind wir die Vorband, das Publikum kommt nicht wegen uns. Aber gerade da merkt man ja ganz ungefiltert, ob der Funke überspringt oder nicht. Wir haben Momente gehabt, wo die Hände oben waren, wo gejubelt wurde, mehr kann man als Support nicht erwarten.
– Thomas Fest: Wenn Du auf die Bühne kommst und die Leute teilweise schon applaudieren, bevor Du startest, dann weißt Du, dass Dich der ein oder andere offenbar tatsächlich schon kennt. Das gibt einem auf jeden Fall ein gutes Gefühl.
– RJ: Inklusive dieses tollen Teams hier läuft das echt gut.

Ihr habt jetzt ja gewissermaßen zwei Aufgaben auf dieser Tour. Zum einen habt Ihr ein Album zu promoten, aber zum anderen habt Ihr ja auch Euch selbst vorzustellen. Wie stellt man da die Setlist zusammen?
– AS: Natürlich promotet man als erstes immer das aktuelle Album. Dann nimmt man die gut funktionierenden Klassiker der letzten Alben mit ins Set auf, damit man ein stimmiges Programm hat.
– RJ: Viele Support-Acts, die ich so in meinem Leben gesehen habe, haben in meinen Augen den Fehler gemacht, dass sie einfach eine Liste von Titeln gespielt haben. Das ist ein Set und kein Programm. Wir haben uns bemüht, dass wir den Leuten 45 Minuten Show bieten, die einen Anfang, ein Ende und einen Spannungsbogen hat. Das haben wir bisher ganz gut hinbekommen.
– TF: Wir haben tatsächlich, so wie Andreas sagt, das neue und das vorherige Album miteinander verbunden. Nicht nur in der Songauswahl, sondern einige Songs fließen quasi ineinander über.

Ihr habt das letzte und das aktuelle Album erwähnt. Natürlich seid Ihr vor allem für Heile Welt unterwegs. Was würdet Ihr sagen, ist neu und anders gegenüber dem Vorgänger?
– AS: Neu ist zu einem kleinen Ticken die musikalische Ausrichtung. Das liegt auch unter anderem an unserem neuen Mitstreiter Rick, der damals Scooter mitgegründet hat und da lange tätig war. Wir sind etwas mehr in Richtung Alternative Pop bis Rock gegangen, verbunden mit viel Pathos. Ich denke, wir sind insgesamt „pompöser“ geworden.
– TF: Als wir damals das Album Du, ich und die Andern fertig hatten war, waren wir mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Doch schon damals hatten wir uns vorgenommen, dass die neuen Sachen „organischer“ klingen. Das habe ich während der Zeit, an dem wir an dem neuen Album gearbeitet haben, immer im Hinterkopf gehabt. Beim Songwriting sind Andreas und ich immer wieder an den Punkt gelangt, an dem wir anderen Leuten im Rahmen der Endproduktion, erklären mussten, was wir darunter verstehen bzw. wie wir den Song sehen. Wir haben festgestellt, dass es vielen Produzenten schwer fällt, zu erkennen, was an einem Song wichtig ist und an welcher Stelle noch „Politur“ fehlt. Als Rick jetzt dazu kam, haben wir ihm die halbfertigen Sachen – quasi testweise – unkommentiert rüber gegeben. Er sagte „lass mich mal ein bisschen machen und ausprobieren“ und – schwupps – bekamen wir einen fertigen Track zurück, der nicht nur „stimmig“ war sondern einfach „passte“. Wir wussten „genau das ist es!“. Rick hat von Anfang an verstanden, worum es geht. Super!

Das Album heißt wie schon gesagt Heile Welt. Das wirkt bei Dir natürlich sehr zynisch, wenn Du ein Album so nennst.
– AS: Wie kommst Du denn darauf? (lacht)

Was steckt denn hinter dem Titel? Wie heile ist die Welt für Dich wirklich?
– AS: Das erübrigt sich ja schon fast mit der Frage. Klar, Du kennst mich textlich als Zyniker, der viel mit Ironie und Sarkasmus spielt. Wir haben damals überlegt, wie wir das nennen, welcher Songtitel das Album als Gesamtwerk repräsentieren könnte. Bei den Texten des Albums geht es am Ende ja immer darum, dass es diese „heile Welt“ nirgends gibt, außer in einer vagen Vorstellung. Bei Leichtmatrose geht es in den Texten ja oft darum, dass irgendwer kurz vor dem Abgrund bzw. irgendetwas auf der Kippe steht. Es geht um die Wunden der Gesellschaft und um die persönlichen Erfahrungen, die man damit gemacht hat. Darum, dass diese „heile Welt“ eigentlich immer nur eine Wunschvorstellung, ein Ideal ist, die es gar nicht gibt und die man wahrscheinlich auch gar nicht will. Selbst wenn man sie erreichen würde, würde man auch nicht zufrieden damit sein. Natürlich ist es auf der einen Seite eine schöne Vorstellung, einfach nur glatt durchs Leben zu laufen, aber ganz ehrlich: das wäre dann auch verdammt langweilig.

(Die Tür geht auf, Carsten Klatte betritt mit den Worten „Stör ich?“ den Raum.)

– AS: (künstlich empört) Hier ist ein Interview!

Das Album wird mit Jerusalem eröffnet. Was verbindet Ihr mit der Stadt? Worum geht’s?
– AS: Erst einmal habe ich eine persönliche Beziehung zu Jerusalem. Ich bin früher relativ viel gereist und Jerusalem ist für mich immer noch die schönste bzw. interessanteste Stadt der Welt. Ich war damals tierisch beeindruckt, auch wenn ich mit Religionen an sich nichts am Hut habe. Aber zu sehen, wie diese vielen Religionen da in einer kleinen Altstadt so aneinander vorbeilaufen, das ist eine interessante Erfahrung. Du fühlst Dich ein wenig wie im Mittelalter, kombiniert mit dem „Heute“ und das lebt alles zusammen. Natürlich gibt es die Konflikte, die auch in dem Song benannt werden, den Konflikt zwischen der jüdischen Bevölkerung und der von Palästina. Aber die Aussage des Songs an sich ist eigentlich viel persönlicher, denn gleichzeitig geht es darum, dass dieser Konflikt eigentlich weltweit und überall bei jedem selbst auftreten kann. Dass man eigentlich die eigene Liebe nicht zelebrieren kann und sich selber nicht wirklich liebt, wenn man nicht auch seine eigenen „Schattenseiten“ akzeptiert und annimmt. Die Kernaussage ist: Nur wenn Du Dich selbst liebst, kannst Du auch alle anderen lieben. Die wichtigste Zeile im Song ist „Ich werd Dich immer lieben, mein Feind. Das ist mein größter Sieg.“ Jerusalem ist da eher die Metapher für den persönlichen Konflikt, den vermutlich fast jeder in sich trägt.
– TF: Oftmals sind wir selbst unser größter Feind, weil wir uns selbst am meisten im Weg stehen.

Wir haben jetzt über den Albumtitel geredet. Ich fand den Titelsong auch sehr interessant. Ich musste über den „Mittelmaß-Django“ schmunzeln. Wo kam allgemein die Inspiration für den Song her?
– AS: Das ist – bezogen auf das Album – eher eine Ausnahme. Den Song hab ich mit meinem ehemaligen Manager Harry Gutowski geschrieben.  Er hat früher bei Witt Bass gespielt, war Produzent von Fräulein Menke. Harry hat in den letzten Jahrzehnten in vielen – teilweise sehr bekannten Produktionen – mitgewirkt. Was den Text angeht: Leichtmatrose hatte ja immer schon Außenseiter-Themen, oft aus der Perspektive des sympathischen Losers, der sein Umfeld und die Gesellschaft immer beobachtet, sich selbst auch nicht richtig wohlfühlt, aber sie auch gleichzeitig immer hinterfragt. Ich glaube, dass es viele gibt, viel mehr, als es zugeben würden, die Teile aus diesem „heile Welt“-Text in ihrer Schulzeit und Pubertät erlebt haben. Diese Konflikte noch gut in Erinnerung haben, etwa den Looser, der im Sportunterricht immer als letztes gewählt wird…

Ich fühlte mich auch leicht angesprochen…
(allgemeines Lachen)
– TF: Da bist Du nicht der einzige. (lacht)
– AS: Gleichzeitig ist es auch die Perspektive. Ich kenne das ja selber. Ich bin in einem relativ konservativen Haushalt aufgewachsen, sehr christlich angehaucht, und ich hab mich da immer irgendwie unwohl gefühlt und hatte immer das Bedürfnis, irgendwann auszubrechen. Solche Situationen, in denen ich mich damals sehr unwohl gefühlt habe, und aus denen ich ausbrechen wollte, werden in den kleinen Geschichten der „heilen Welt“ verpackt.

Wie wichtig ist Dir das Thema „Ausbrechen“ dabei. Ich finde, das taucht immer wieder auf, manchmal auch sehr exzessiv. Wie wichtig ist Dir das, aus „normalen Schemata“ auszubrechen?
– AS: „Ausbruch“ oder der „Drang zu neuen Ufern“ ist letztendlich die Energie, warum ich und wir Musik machen. Die Energie, sich eine eigene Welt zu erschaffen. Gerade Musik hat ja auch viel auch mit Generationenkonflikten zu tun. Was wären die Punks ohne den Generationenkonflikt? Wobei sich das mittlerweile irgendwie schon fast gedreht hat. Oft sind die Eltern cooler als die Kids. Da gibt es dann plötzlich einen ganz anderen, völlig neuen Generationenkonflikt, die junge Generation bricht ganz anders aus. Die brechen in eine Welt aus, uns vielleicht fremd ist und uns zuwider ist, die für die genau der richtige Weg ist.
– RJ: „Papa, Dein Tattoo find ich voll scheiße.“
– TF: „Und zieh Dir mal was ordentliches an, Papa.“ (lachen)
– AS: Wir alle brauchen unsere Reibungspunkte und letztendlich resultiert daraus auch eine Energie. Da gilt es, ein Ventil zu finden. Einerseits möchtest Du die Erwartungen von Mama und Papa erfüllen, andererseits hast Du ja einen eigenen Willen und ein eigenes Verständnis. Genau daraus entstehen die Konflikte. Wenn Du das in Dich rein frisst, kann Dich das krankmachen, wenn Du aber das richtige Ventil findest, kann das auch sehr befreien.

Was würdest Du denn sagen, ist das richtige Ventil? Ein Titel wie Chill Indianer ist da ja schon wieder sehr überspitzt.
– AS: Chill Indianer ist eine andere Herangehensweise. Das ist eine ironische Geschichte. Es beschreibt den klassischen Weg eines ehemals abgefeierten Rockstars, Schauspielers, ganz egal aus welcher Branche. Natürlich will er immer weiter hinaus und nutzt jede zweifelhafte „Chance“, wie in der alten Ziggy Stardust-Geschichte von David Bowie. Am Ende stürzt der „Held“ ab und landet da, wo er niemals sein wollte.
– RJ: Es geht auch um die fragwürdigen Abkürzungen auf der Karriereleiter, die viele nehmen wollen. Über Casting-Shows, die einen in fünf Minuten zum Mega-Star deklarieren.  Kaum jemandem ist bewusst, dass nach dem kurzen Ruhm der Absturz viel größer ist. Dass die Leute eigentlich an einem viel tieferen Punkt wieder aufwachen, als sie vorher mit ihrer Karriere und ihrem Talent waren. Das ist eine Beobachtung dieser ganzen Entwicklung.
– AS: Das ist die Schwierigkeit in unserer jetzigen Gesellschaft. Da geht es im Prinzip nur um Leistung und darum, etwas „werden“ und „sein“ zu wollen. Sonst ist man nichts. Sich in dieser Gesellschaft selbst treuzubleiben und sich nicht zu verkaufen ist verdammt schwierig.
– TF: Das ist die Kernaussage. In dem Moment, in dem man nicht das macht, was man selber ist und wohinter man selbst zu 100% steht, sondern stattdessen etwas nur für andere macht, um Anerkennung zu erlangen zu werden – in diesem Moment hat man schon verloren. Wenn ich nicht mehr ehrlich mir selbst gegenüber sein kann, wie soll ich das dann für andere sein? Der erste Schritt zum Absturz.

Ich musste dabei auch an Jonny denken, der bei den Sternen sein Glück fand. Kennen sich die beiden?
(lachen)
– AS: Jonny und Rudi? Ein guter Gedanke. Die hätten eine gute Zeit zusammen. Im Kindergarten haben die zusammen mit Jürgen gespielt, der ist dann zum Militär gegangen.
– TF: Jürgen, das war der, der die anderen beim Sport nicht gewählt hat.
– AS: Jürgen ist irgendwann nach Afghanistan gekommen und taucht dann bei Hier drüben im Graben auf, Rudi hat diese Musikkarriere versucht zu starten und Jonny war einfach der Typ, der immer nur feiern gegangen ist.
– RJ: Mit Jasmin. (lachen)
– AS: Unter anderem mit Jasmin. Der hat sich alles Mögliche reingepfiffen, hatte aber kein wirkliches Ziel. Das war „sein“ Weg zum Komplettabsturz. Rudi hat da einen anderen Weg genommen. Im Prinzip sind alle drei zwar unterschiedliche Charaktere, die Unterschiedliches gemacht haben, aber alle finden sich im Schicksal wieder zusammen, wie im Kindergarten – nur in der Gosse. Und scheitern. Da sind wir wieder beim Außenseiter, beim Looser, der Kreis schließt sich.

Zu Chill Indianer wurde auch ein Video veröffentlicht. Wie kam die Idee zu diesem Clip? Ist ja schon sehr surreal…
– RJ: Wir haben uns einfach mal beim Feiern ein bisschen gefilmt. (lacht)
– TF: Wir wollten mal zeigen, wie es wirklich ist. (lacht)
– AS: Da kamen verschiedene Ideen zusammen. In dem Song geht es ja darum, dass Rudi letztendlich das macht, was er eigentlich nie machen wollte. Wir haben überlegt, wie man das am besten darstellen kann. Ich hatte das alte Video zu „Da da da“ von Trio im Kopf, was in dieser Kneipe gedreht wurde. Da dachte ich mir, dass wir das noch überspitzter machen und mit Leuten, die nichts mit Rock’n’Roll zu tun haben, sondern eher das Gegenteil von Rock’n’Roll ausdrücken. Die feiern zusammen ab. Und Rudi ist dann in dieser Szene, in die er eigentlich nie rein wollte, der gefeierte Star. Das zeigt diesen heftigen Absturz von Rudi, der vom Typen im Goldanzug dargestellt wird.

Wie wichtig ist Euch generell der visuelle Aspekt? Das ist ja schon das vierte Video jetzt von dem Album.
– RJ: Ich finde es unheimlich wichtig, dass man die eigene Persönlichkeit auch visuell unterstreicht. Andreas hat das noch nicht ganz so drauf, aber wir arbeiten dran. (lacht) Das ist halt cool:  als Musiker kann man sich Dinge erlauben, die man sonst erklären müsste. Sonst würde man gefragt: „Warum läufst Du denn so rum?“ So ist es einfach nur „geil, das sieht cool aus.“
– TF: Für uns ist gerade das Medium Musikvideo natürlich eine Art, uns zu präsentieren. Eine der wenigen Möglichkeiten, viele Leute zu erreichen, die einen noch nicht kennen. Mit Ronny Zeisberg haben wir außerdem einen sehr guten Kameramann und Regisseur und Fotografen gefunden, mit dem wir das Ganze auch weiter so durchziehen möchten. Er begleitet uns oft und ist über die Jahre ein guter Freund von uns allen geworden ist. Wenn wir mit ihm zusammensitzen und überlegen, was wir als Nächstes machen, kommen doch immer ziemlich verrückte Ideen raus. Das, was finanzierbar ist, wird gemacht. (lacht)

Das Album ist jetzt schon eine Weile draußen. Wir habt Ihr bisher die Reaktionen darauf empfunden?
– RJ: Die Resonanzen waren richtig gut. Wir haben ganz wenige Daumen nach unten, ganz viele nach oben. Wir haben gute Kritiken bekommen.
– AS: Es läuft für heutige Verhältnisse auch einigermaßen gut.

Es ist auch das erste Album, bei dem Du, Rick, mit dabei bist. Wie würdet Ihr das beurteilen? Was ist Dein und sein Anteil am Sound?
– TF: Das ist immer so schwierig zu sagen. Es ist irgendwas zwischen 30 und 100 Prozent, und zwar bei jedem von uns. Rick hat das „fehlende Drittel“ reingebracht.
– RJ: Das Schöne für mich: Ich bin kein großer Komponist. Ich kann etwas inszenieren. Ich kann etwas in die Hand nehmen, was es schon existiert und das weiterentwickeln. Da ist es natürlich unheimlich schön, dass Thomas und Andreas in Kombination miteinander sehr gute Songs schreiben können und man dann schon Material hat, mit dem man arbeiten kann. Ich sehe mich da ein bisschen als denjenigen, der versucht, ein bisschen mit der Erfahrung, der Vergangenheit, die Sache weiterzutragen. Ich stehe auch sehr auf Gitarren-lastige Sachen, obwohl ich viel im Synthie- und Techno-Bereich gemacht habe. Ich fand, dass dieser „Move“ zum Gitarrenlastigen es genau das war, was der Band noch fehlte. Und das traf auf breite Begeisterung. Das Schöne ist, auch im Live-Bereich: Wenn man in diese Band einen Impuls reinbringt, wird das aufgenommen, fast aufgesogen. Als wenn Du auf einen frisch gedüngten Acker etwas pflanzt. Das geht sofort auf, man muss da nicht irgendwie schieben, das läuft alles. Das ist geil, das macht echt Spaß.
– TF: Ich glaube, bei keinem von uns kann man wirklich differenzieren, wer in welchem Bereich wieviel macht. Tatsächlich ist es immer ein Teamwork, bei dem am Ende keiner mehr weiß, wer nun zu welchen Anteilen dafür verantwortlich ist, sondern es funktioniert super im Team.
– AS: Dazu kommt auch noch der junge Mitstreiter hier (zeigt auf Tom Günzel), der die Drums zum größten Teil eingespielt hat.
– TF: Gerade die Livedrums (auch im Studio) sind für mich ein wichtiger Aspekt. Ich hab Thema „organisch“ ja schon angesprochen. Dazu gehören einerseits die Gitarren. Aber Organisch wird es nicht, wenn ich den Drum-Computer benutze. Wenn die Drums live eingespielt werden, ergibt sich einfach ein ganz anderes Feeling.

Schade, dass Carsten wieder rausgegangen ist, da Du auch gerade die Gitarre erwähnt hast. Eigentlich seid Ihr ja inzwischen eine Bandbesetzung, nur die Gitarre ist immer ein Thema. Ich habe im Booklet gesehen, Hilton ist verzeichnet, Ihr seid verzeichnet, live spielt Carsten…
– TF: Das hat sich so ergeben. Die Songs sind ja über vier Jahre entstanden. Der erste produktionsfähige Song war Jasmin, da hat Hilton im Rahmen der Produktion auch die Gitarre eingespielt. Je nachdem, ob gerade Zeit war, hat er auch bei anderen Songs die Gitarren ergänzt. Ansonsten kennen wir ja alle irgendjemanden, der Gitarre spielt oder gerade mal passend war für einen bestimmten Song. Stephan Sundrup z.B. hat auch bei ein oder zwei Sachen mitgemacht, außerdem der Harry… Zu guter Letzt haben Rick und ich uns auch noch einmal an einige Stellen mit unserem eher semi-professionellen Gitarren-Können (lacht) herangewagt und so dem einen oder anderen Stück eine gewisse Note verliehen. Carsten ist jetzt momentan derjenige, den wir live immer dabei haben (und haben wollen). Alles andere ist bei ihm einerseits ein Entfernungs-Thema und – da er in vielen anderen Projekten tätig ist – natürlich auch ein zeitliches Thema. Aber wir schauen mal, wo die Reise hingeht.

Plant Ihr denn, die Stelle mal für Studio und live fest zu besetzen?
– TF: Das muss sich ergeben.
– AS: Und hängt davon ab, ob es wen gibt, der das live mittragen kann. Viele Gigs zu spielen und auch im Studio eine Ergänzung zu sein. Man muss nur den passenden finden.
– TF: Das stellt man sich gerade bei Gitarristen immer einfacher vor, als es ist. Ohne ins Schubladendenken zu verfallen hat man entweder Gitarristen, die eher auf das Rockige und Bluesige stehen, oder eben Metal bevorzugen, oder aber man hat eher klassischen Gitarristen. Jemanden für die Welt „dazwischen“ zu finden, ist schwierig. Für Gitarristen ist der große Bereich Popmusik immer ein Stück weit ein rotes Tuch. Viele meinen, da können sie gar nicht so viel machen, wobei genau das Gegenteil der Fall ist, es ist nur ein „anderes“ Spielen. Es muss sich halt jemand damit anfreunden können.
– AS: Wir brauchen jemanden, der sich komplett damit identifiziert. Der dann auch bereit ist, mit auf Tour zu gehen.
– TF: Und uns im Studio aushält. (lacht)

Ist das so schwierig?
– TF: Nee, aber speziell. Rick hat das sicher auch gemerkt, als er dazugekommen ist. Nach sieben Jahren engster Zusammenarbeit sind Andreas und ich wie ein altes Ehepaar. Oder wie die beiden Muppet-Opas.
– RJ: Es gibt immer so Momente, wo ich sagen muss „Ruhe, ich spiele jetzt was vor, dann könnt Ihr weiter diskutieren.“ (lacht)
– TF: Das ist natürlich logisch. Wenn man ständig aufeinanderhängt, dann entwickelt sich eine Eigendynamik. Wenn dann jemand „neu“ dazu kommt, muss diese Person sich schon durchsetzen können. Wer da Schwierigkeiten hat und länger „warmlaufen“ muss, fühlt sich vielleicht im ersten Moment ein bisschen auf den Schlips getreten.

Hast Du das so empfunden, Rick?
– RJ: Es wird bei Leichtmatrose sehr viel diskutiert. Das finde ich aber gut! Bei Musik geht es nicht um Recht haben, sondern was die coolste Idee ist, die einen Song am weitesten voranbringt. Das kenne ich von meinem alten Musikpartner auch, da haben wir große Erfolge erzielt. Manchmal ist es so, dass Diskussionen ein bisschen ins Detail ausarten. Aber das ist normal, Du kannst nicht immer den Abstand wahren, sondern musst auch reingehen und sagen „ne, der Schlag von der Hi-Hat muss jetzt nicht sein“ und solche Sachen. Aber das ist ja gut, dass Musik in der Band auf so einem Niveau gemacht wird, dass man sich über solche Details unterhält. Das macht dann auch Spaß.
– TF: Diskutiert wird ja vor allem konstruktiv. Es ist nicht so, dass wir uns da gegenseitig mit dem Messer an die Kehle gehen. Meistens zumindest nicht. (lachen) Dazu gehört natürlich auch die Fähigkeit, eigene Fehler zu erkennen und einzugestehen.
– RJ: Ich merke jetzt immer mehr, wo so die Schwerpunkte der Einzelnen liegen. Andreas, ganz klar, der macht die Gesangsmelodie und den Text. Wenn man dann mal eine Idee dazu hat, dann trägt man sie vor und er findet sie entweder gut oder eben nicht, aber das ist völlig normal. Man merkt, wo bei den Leuten die Stärken liegen. Bei Thomas ist es die musikalische Komposition, er arbeitet vor allem erstmal mit Harmonien und Melodien. Wir haben uns eine Woche auf Mallorca auf die Tour vorbereitet. Da haben wir Sessions gemacht. Die beiden haben einfach losgelegt und das klappt sehr gut. Ich sehe dann zu, dass ich das Ganze hinterher zu einer richtigen CD mache.

Das war es fast mit meinen Fragen. Zum Schluss gefragt: Zwischen Album eins und zwei lagen sechs Jahre, zwischen Album zwei und drei dann drei Jahre. Sind es jetzt nur noch anderthalb Jahre bis zum nächsten Album oder wie ist die Planung für die Zukunft?
– AS: Wahrscheinlich nicht einmal. Die Abstände werden immer kürzer, da wir jetzt eine eingespielte Band sind.
– RJ: Wir haben viel Gas gegeben, uns für den Live-Sektor und auf die Tour vorzubereiten. Da haben wir auch mal ein paar neue Wege probiert, die super funktionieren und jetzt gucken wir nach der Tour mal, was da bei rausgekommen ist und wie wir weitermachen.
– TF: Eine Sache ist sehr entscheidend und auch sehr beschleunigend für das Ganze: Bei den vorherigen zwei Alben mussten wir die Sachen schon fast fertig vorproduzieren. Jetzt ist es so, dass wir Rick das Grundgerüst mit ein paar Ideenansätzen vorbereiten. Dann können wir Rick erst einmal machen lassen, was uns natürlich enorm viel Zeit erspart. Wir fahren dann (einzeln oder zusammen) zu ihm und bauen auf seinen Ergebnissen weiter auf. Dadurch kommt eine unheimliche Geschwindigkeit in die Sache. Wir nehmen wir uns gegenseitig sehr viel Arbeit ab, und jeder übernimmt bestimmte Sachen dafür aber auch viel „differenzierter“ und detaillierter. Das nächste Album wird also wesentlich schneller kommen!

Weblinks LEICHTMATROSE:

Facebook: www.facebook.com/derleichtmatrose
Twitter: www.twitter.com/leichtmatrose02

Bilder: Michael Gamon

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