KATLA – Mó∂urástin

KATLA - Mó∂urástin
Geschätzte Lesezeit: 3 Minute(n)

9

Gesamtnote

9

Katla ist wieder ausgebrochen!

Lass Dir den Beitrag vorlesen:

Mir liegt Módurástin noch gar nicht so lange vor und ich weiß jetzt schon nicht mehr, wie oft ich mir Dulsmál schon angehört habe. Der Song erzählt von Alpträumen, aber auch vom Versprechen, dass mit der Dämmerung ein neuer Tag beginnt. Eine unheimliche Stimmung liegt über Dulsmál, erzeugt von einem unheilvollen Dröhnen, welches das zentrale Thema des Songs anstimmt. Hinzu kommen Samples in isländischer Sprache, die sich fremd und archaisch anhören. Es sind Aufnahmen aus dem bäuerlichen Milieu, die bestreiten, dass es einen Gott gibt. Die Atmosphäre von Dulsmál ist so dicht, das Songwriting so abwechslungs- und facettenreich, man merkt gar nicht, wie schnell die gut zwölfeinhalb Minuten vorübergehen. Nach einem rasenden Inferno, dem Höhepunkt des Songs, breiten sich Keyboardflächen wie erlösende, warme Sonnenstrahlen aus und man beginnt unwillkürlich zu blinzeln. Einar Thorberg Gudmundssons Stimme, gerade noch hart kreischend, nimmt einen sanften, versöhnlichen Ton an.

Neben Einar Thorberg Gudmundssons (Fortíð, Potentiam), der Gesang und einen großen Teil der Instrumentierung übernimmt, komplettiert Guðmundur Óli Pálmason Katla. Dieser ist wahrscheinlich auch der Hauptgrund, warum Módurástin schon weit vor seinem Release mit allerlei Vorschusslorbeeren ausgestattet wurde. Denn Guðmundur Óli Pálmason ist vor allem dadurch bekannt, dass er bis 2015 Drummer und kreativer Impulsgeber bei einem der größten musikalischen Exporten Islands war. Gummi wurde geschasst. Offenbar traf es ihn unvorbereitet, denn er machte kurz darauf, lesbar noch unter Schock seinem Unmut und Unverständnis darüber via Social Network Luft.

Seitens der Fans und (weiten Teilen) der Musikpresse war der Schuldige sogleich ausgemacht. Sowas macht man eben nicht mit einem langjährigen Weggefährten, weiß der konservative Metal-Head und meint die Essenz dieses moralischen Fehlverhaltens auf Berdreyminn heraushören zu können. Inwiefern Módurástin davon profitiert und ob man Katla eventuell durch Zuweisung der Phoenix-aus-der-Asche-Rolle einen Bärendienst erweist, ist Mutmaßung. Eine neutrale, von Sólstafir unabhängige Betrachtung der Arbeit des Ex-Mitgliedes fällt schwer. Zum Glück spricht die Qualität und Eigenständigkeit des Albums für sich, so dass sich derlei Elegien schnell als überflüssig erweisen.

Guðmundur Óli Pálmasons eigenwilliger, wie genialer Drum-Stil wird wohl immer zu wiederzuerkennen sein. Davon kann man sich bereits im Opener Aska blind überzeugen. Auch weiß man schon nach den ersten Takten, wohin die Reise gehen soll: Módurástin zeugt von dichtem, atmosphärischem, rauem Songwriting, in dem sich jeder sofort selbst verliert, der auch nur halbwegs etwas mit der Musik Islands anfangen kann. Und diese ist bekannt für ihre ausufernden Introspektionen und himmelsstürmende Ausbrüche. Parallelen zur Insel selbst sind für Katla nicht nur nicht zufällig, sondern gewollt. Die bisweilen lebensfeindliche, spröde Schönheit, die Einsamkeit, die Stille, die Kälte, die Hitze, das Feuer erschaffen einen kulturellen Mikrokosmos und einen ganz speziellen Menschenschlag, dem die Ambivalenz seiner daraus resultierenden Exklusivität deutlich bewusst ist. Katla haben ihrer Insel und der Verwurzelung mit ihrer Insel mit ihrem Debütalbum, und auch damit sind sie wahrlich nicht die ersten, eine Liebeserklärung macht.

Was macht Mónurástin aber trotzdem so eigenständig?

Vermutlich ist es der unverfälschte, geradlinige und tiefschürfende Ansatz, den die Künstler mit dem Album und seiner Umsetzung verfolgt haben. Im Titelsong Módurástin (Mutterliebe) ist beispielsweise die original Tonaufnahme einer isländischen Weise aus dem Jahr 1934 zu hören, die von Guðmundur Óli Pálmasons Großmutter gesungen wird. Thematisch wird ein dunkles Kapitel isländischer Geschichte aufgegriffen: der Aussetzungen von Säuglingen aus existenzieller Not, die wohl noch bis ins letzte Jahrhundert stattgefunden haben sollen. Aus drei Perspektiven wird man Zeuge von kaltblütiger Rationalität und unendlichem Leid: der Autorität (, die dem Hörer stakkatohaft und schneidend eingeprügelt wird), der Mutter (flehend und verzweifelt) und schließlich des Säuglings selbst (verloren und hilflos). Schnell wechseln einander die unterschiedlichen Perspektiven auch musikalisch ab. Black-Metal Elemente treten in diesem Song stark in den Vordergrund.

Diese findet man exponiert, erst schleppend, bald rasend und deutlich kälter auch in der zweiten Hälfte von Hreggur wieder. Hier können Katla dank Einar Thorberg Gudmundssons Erfahrungen aus seinem Soloprojekt Fortíð und Gummis präziser Drum-Arbeit aus den Vollen schöpfen. Vom Leben und Sterben auf Island erzählen auch die anderen Titel des Albums. Längst muss das alles aber nicht so finster bedrückend und düster rasend wie bei Hreggur oder Módurástin zugehen. So machen die Hooks des rockigen Nátthagi wirklich Spaß, während Kul einen ruhigen, erzählerischen Ton anschlägt. Dabei ist es immer wieder faszinierend, wie sich Einar Thorberg Gudmundssons gesanglich in jeden der Songs einfühlen kann und in die zu transportierende Stimmung durch Stimmfarbe und Ausdruck abbildet.

Zum gestalterischen Gesamtkonzept des Albums gehört auch nicht zuletzt das Artwork, welches sich zum großen Teil aus den handgeschriebenen Lyrics und bearbeiteten Fotografien zusammensetzt. Für Zweiteres zeichnet sich Guðmundur Óli Pálmason selbst verantwortlich, der neben seiner musikalischen Tätigkeit auch als Fotograf und Tour-Guide auf Island unterwegs ist. Motive bilden neben spröden und einsamen Landschaften auch Aufnahmen verlassener Höfe, Fischerboote und weitere Manifestationen aufgegebener Zivilisation. Perfekt wird dadurch die Stimmung und die Botschaft der Musik aufgenommen und zu einem stimmigen Gesamtwerk zusammengeführt. Ganz besonders wirkt dieses Gesamtkunstwerk durch die von Prophecy Productions herausgegebene Buch-Edition. Durch solche Sondereditionen gelingt es dem Label immer wieder, die künstlerische Arbeit noch einmal im Besonderen zu würdigen.

Katla ist ein raues und schnörkelloses Debüt gelungen, das naturalistische Urkräfte entfesselt und durch seine Authentizität bewegt.

Módurástin ist am 27.10.2017 bei Prophecy Productions erschienen.

Anspieltipps: Nátthagi, Dulsmál


Erst mit einem Klick auf das Vorschaubild wird das Video von YouTube eingebunden. Klicke nur, wenn du der Datenschutzerklärung zustimmst.

Tracklist KATLA – Módurástin:

01. Aska
02. Hyldypi
03. Nátthagi
04. Hvíla
05. Hreggur
06. Módurástin
07. Kul
08. Dulsmál

Weblinks KATLA:

Facebook: https://www.facebook.com/katla.band
Bandcamp: https://katlaiceland.bandcamp.com

More from Katja Spanier

BATUSHKA – Hospodi

Es gibt Dinge, die sind nur auf den ersten Blick kompliziert. Die...
Read More