Das Problem beginnt eigentlich schon an der Stelle, an der man versucht, Kate Tempest wirklich in ein Genre einzuordnen. Rein musikalisch ordnet man sie als Rapperin ein, aber es wird ihr als alleiniges Merkmal nicht gerecht, die sie auch als Autorin und Lyrikerin gilt, die zudem auch im Theater und im Spoken Word-Bereich aktiv ist. Klar: Auch wenn sie rappt, war hier an diesem Abend kein Rap-Konzert zu erwarten, was auch der Zuschauer-Querschnitt zeigte, der zwar auch vereinzelt HipHop-Publikum beinhaltete, aber auch den Eindruck erweckte, dass viele dabei sind, die eher über die Feuilletons der großen Tages- und Wochenzeitungen zu der Künstlerin gefunden haben.
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So überraschte es auch wenig, dass das Storytelling im Vordergrund stand. Die Story hieß dabei Let Them Eat Chaos. So wie eben auch das aktuelle Album der Künstlerin, die das Konzert auch beinah nur mit diesem bestritt. Aber bevor Picture a Vacuum die Performance eröffnete, erst einmal eine Bitte von Seiten der Künstlerin, die nur selten bei Konzerten begegnet und noch viel seltener auch befolgt wird: Kate Tempest bat darum, die Telefone einfach mal in die Tasche zu stecken und dort auch bis zum Ende der Show zu belassen. Bei der Dame aus London wurde er befolgt und schon allein das nötigt einem einiges an Respekt ab. Das Publikum hing ihr in der Folge förmlich an den Lippen und ging dankbar mit ihr und ihren drei Musikern an Synthesizer, Keyboard und Drumpads mit.
Es war faszinierend, der Geschichte zu folgen, bei der immer wieder die Uhrzeit 04:18 Uhr im Mittelpunkt stand. Sieben Londoner Nachbarn, die sich untereinander nicht kennen, aber jeder in ihrem Haus die einzigen sind, die aus verschiedenen Gründen gerade zu dieser Zeit schlaflos in ihren Wohnungen sind. Selbstreflexion, Einsamkeit, Liebeskummer, Flucht aus dem Alltag… Jeder hat sein Schicksal, seine Gründe, sein Kreuz zu tragen. Auch der Weltschmerz hat dabei seine Rolle und man wundert sich beinah, was für einen vorausschauenden Charakter Zeilen wie „Europe is lost // America lost // London lost“ haben, wurde Let Them Eat Chaos doch schließlich bereits vor dem Brexit und der Wahl Donald Trumps aufgenommen. Kate Tempest reflektiert dabei und zeigt dies mit ihren sieben Charakteren, die mit ihren Themen und dem individuellen Umgang damit eben mitunter nicht so allein sind, wie es sich um 04:18 Uhr für sie anfühlen mag.
Als dann mit Tunnel Vision das Konzert zu Ende ging, war folglich auch niemand so wirklich irritiert darüber, dass hier ein Album in seiner Reihenfolge gespielt wurde. Denn es wurde nicht nur ein Album gespielt, sondern auch eine Geschichte erzählt. Als Zugabe wurde noch per gesprochenem Wort ein Gedicht geboten, aber nach dem Erlebten war dies vor allem eine angenehme Draufgabe. Vermutlich hätte es ihr auch niemand wirklich übel genommen, wenn sie auf die Zugabe verzichtet hätte, denn Let Them Eat Chaos ist eine in sich geschlossene Story, für die sich der Besuch an diesem Abend durch und durch lohnte.
Setlist KATE TEMPEST – München, Muffathalle (03.11.2016):
01. Picture a Vacuum
02. Lionmouth Door Knocker
03. Ketamine for Breakfast
04. Europe is Lost
05. We Die
06. Whoops
07. Brews
08. Don’t Fall In
09. Pictures on a Screen
10. Perfect Coffee
11. Grubby
12. Breaks
13. Tunnel Vision
Weblinks KATE TEMPEST:
Homepage: www.katetempest.co.uk
Facebook: www.facebook.com/katetempest
Twitter: www.twitter.com/katetempest
Bild: We Care a Lot PR