COPENHELL 2016 – DK- Kopenhagen (23.-25.06.2016)

COPENHELL 2016 - DK- Kopenhagen (23.-25.06.2016)
Black Sabbath, © Lunah Lauridsen
Geschätzte Lesezeit: 8 Minute(n)

Die letzten Meter zur schönsten Hölle Skandinaviens sind beschwerlich: durch feinen Kies, der teilweise knöchelhoch ist, waten oder staksen die Gäste zum Inneren Festivalbereich. Doch sie nehmen die Strapazen gerne insgesamt mindestens sechs Mal pro Jahr auf sich. Denn kaum haben sie die Tortur hinter sich, wartet auf sie das Paradies: drei Bühnen und jede Menge Nebenschauplätze, wo Metal und Rockmusik drei Tage lang die wichtigste Rolle spielen. Neben dem Bier. Nicht selten erhalten die Fans die Aufforderung von den Bands, dass sie erstmal austrinken sollen, bevor sie in den Moshpit kommen. Verschüttetes Bier? Nichts ist schlimmer…

Black Sabbath, The Scorpions, Megadeth, Blind Guardian, Clawfinger, Alice Cooper und viele andere sind in diesem Jahr für das Copenhell gebucht worden – zur Freude der Fans. Die Karten gingen schnell weg –und zum ersten Mal in seiner Geschichte konnte das junge Kopenhagener Festivals ein „Ausverkauft!“-Schild an den Eingang hängen. Und das schon zwei Wochen vor Festival-Start.

Lasse war bislang jedes Jahr beim Copenhell dabei. “Ich mag das Festival, weil die Besucher so viel Interesse an der Musik haben“, sagt der 32-Jährige. Und tatsächlich kann man den ganzen Tag beobachten, wie die meisten Menschen von einer Bühne zur Nächsten laufen, um ja nichts zu verpassen. Ein weiteres, typisches Copenhell-Merkmal, sind die netten und hilfsbereiten Menschen. Überall gibt es Umarmungen, Wiedersehensfreude, ein Bierchen – und selbst wenn man allein auf dem Festival ist, man bleibt es nicht lange. Jeder quatscht mit jedem, alle sind neugierig, wer die Menschen sind, die ebenfalls die vielen Konzerte genießen.

Donnerstag, 23.06.2016:

Bevor es auf den Kiesweg, den “Highway to hell”, geht, punktet Copenhell definitiv mit den Anreisemodalitäten. Wer ein oder zwei Tage früher in Kopenhagen ankommt, kann sein Festivalbändchen schon auf einer Pre-Party am Pumpehuset abholen, wo die ersten Bands spielen. Dann ist die Anreise ein Klacks, obwohl das Festival auf einer Halbinsel liegt. Und zwar genau auf der Halbinsel, auf der auch der Eurovision Song Contest ausgerichtet wurde. Traditionell geht es am einfachsten, wenn man das Auto stehen lässt und mit dem Boot kommt. Die normalen Wasserbusse pendeln verstärkt zwischen Festival und zwei Haltestellen in Kopenhagen, so dass niemand lange auf das nächste Schiff warten muss. Wer leicht seekrank wird, der sollte dann besser den Shuttlebus nehmen, der leicht an der Linien-Nummer 666 zu erkennen ist.

Blauer Himmel, leichter Wind und das Glitzern des Wassers zaubern schon während der Überfahrt ein Lächeln auf die Lippen der Besucher. Kaum setzten sie einen Fuß auf die Refshaleøen, eine ehemalige, gigantische Werft, wird das Grinsen breiter. Direkt am Wasser liegt der Campingplatz – und die Festivaleigene-Badeinsel. Nun sind es noch fünf Minuten zu Fuß, okay, manchmal auch zehn, weil man überall anhält und nochmal ins Quatschen gerät. Blöd, wenn man es eilig hat, weil man unter keinen Umständen die Band aus seiner Heimatstadt verpassen will: Blind Guardian sind seit drei Minuten auf der Bühne. Auf dem Kiesweg sprinten? Eher schwierig. Aber trotz Affenhitze zu meistern. Ein kurzer Schlenker zur Bierbude und los geht es: Der Platz vor der Hades-Bühne ist für einen Donnerstagnachmittag gut gefüllt. Viele waren schon um 9 Uhr auf der Halbinsel, um als erstes Einlass in die Hölle zu bekommen, während manch andere um Viertel vor Drei noch auf der anderen Seite des Wassers standen und ungeduldig mit dem Fuß wippten, bis endlich der gelbe Wasserbus auftaucht, der die Metalfans zum Festival befördern soll. Zwischendrin, ein paar zunächst etwas verschreckte Touristen, die im falschen Bus gelandet sind, sich aber sehr freuen, als ihnen ein Bier angeboten wird. Zurück zu Blind Guardian. 20 Jahre waren sie nicht mehr in Dänemark und dennoch haben sie viele treue Fans. “Hansi, Hansi” Sprechchöre mit typisch-dänischem Akzent sind zu hören. Und auch die Mitsing-Aktionen klappen wunderbar: The Bard’s Song wird fast komplett vom Publikum gesungen. Während das Set auf dem Rock Hard eher langweilig war, gibt es diesmal so richtig auf die Zwölf. Und diesmal ohne Hall von der riesigen Betonmauer auf der rechten Seite – die Bühne ist 15 Meter weiter nach links gerutscht, die Soundprobleme sind gelöst. Als Hansi Kürsch ankündigt, dass es längst noch nicht dunkel genug sei, um Nightfall zu spielen, gab es massive Kritik vom Publikum –und die Band beugte sich schließlich dem Willen der wilden Menschen vor der Bühne. Valhalla bildete schließlich den Abschluss des Konzertes – und noch lange war der Chorus vor der Bühne zu hören. Wieder und wieder sangen die Fans in der Hoffnung Blind Guardian nochmal auf die Bühne locken zu können „Valhalla, deliverance/ why’ve you ever forgotten me.“ Und bescherte selbst den härtesten Rockern eine Gänsehaut. Fazit: wunderbares Konzert, aber viel zu kurz.

Nur wenige Minuten später, gibt es einen lauten Knall, eine Feuerfontäne schießt in den Himmel – die nächste Band geht auf die Bühne. Der Knall ist immer gewaltig, die Fontäne meterhoch – und ich erschrecke mich selbst nach drei Tagen noch jedes Mal fürchterlich. Etwas erstaunt schaut auch der große, langhaarige Typ an der Bar, der seinen Augen kaum traut, als er eine Flöte auf der Bühne entdeckt. „Ist das Irish Folk?“ will er wissen. Eine Antwort bekommt er nicht mehr. The Boys are back… schallt es schon von der Bühne. „…looking for trouble…“ Ärger finden sie nicht, sondern viele zufriedene Festivalgäste, die Dropkick Murphys als willkommene Abwechslung ansehen und zu den punkigen Tönen fröhlich durch die Gegend springen. Viele von den Menschen sind rothaarig, mit schneeweißer Haut und leichtem Sonnenbrand im Gesicht. Untypische Copenhell-Besucher, aber treue Dropkick-Fans. Die werden belohnt: mitten im Set entscheidet die Band, zwei neue Nummern von ihrem kommenden Album zu spielen. Und dann liegen sie sich alle in den Armen, als You’ll never walk alone erklingt. Besonders die Träger von St. Pauli Shirts, von denen es hier viele gibt, bekommen sich vor Freude nicht mehr ein. Und ich, ebenfalls in Pauli-Tracht, habe plötzlich zwei frisch gezapfte Becher Bier in der Hand.

Flüssigbrot sättigt gut, aber auch wer sich nicht ausschließlich von Bier ernähren will, der hat eine reelle Chance nicht zu verhungern. Das Essen ist bei Weitem nicht so gut, wie auf anderen dänischen Festivals, aber immer noch besser, als auf den Deutschen. So gibt es Gourmet-Restaurants, die ihre Buden auf dem Festival haben, zu bezahlbaren Preisen. Aber die Auswahl ist weitaus überschaubarer und bei weitem nicht so experimentell, wie zum Beispiel in Roskilde. Burger, Pommes, Schweinebraten-Sandwich, Kebab und Falafel, Pizza und Nachos bilden den Grundstein der Versorgung.

Da wird Alice Cooper wahrscheinlich bessere Verpflegung gehabt haben, im Backstage-Bereich. Er tobt über die Bühne, sein Alter kann man nur weit unterschätzen. Die Bühnenshow ist ein wichtiger Bestandteil seiner Konzerte, für einige sogar wichtiger, als die Songs. Er bedient sich aus den Mitteln des Theaters und der Zauberei, um die Zuschauer ins Staunen zu versetzen. Dennoch äußern einige Bedenken, dass er wirklich live singt, aber er beweist, dass er immer noch eine kraftvolle Stimme hat und diese auch nutzt. Zuerst ist die Stimmung zwar freundlich, aber so richtig ins Konzert gezogen werden die meisten erst, als er Poison anstimmt. Eine Nummer, die wirklich jeder mitsingen kann. Cooper verwandelt sich in Frankenstein, wird geköpft –und zollt schließlich seinen verstorbenen Kollegen Keith Moon, Jimi Hendrix, David Bowie und Lemmy Killmister Respekt. Einige Zuschauern rollen ein paar Tränen über die Wangen. Schließlich tauchen Hillary Clinton und Donald Trump auf der Bühne auf. Sie streiten sich, kämpfen, Clinton gewinnt, wird aber schließlich von Alice Cooper vertrieben, der seine eigene Wahlkampagne hat: ”Vote for Cooper, Make America Sick Again!”.

Kurz bevor die Scorpions schließlich auf die Bühne sollen, ändert sich das Wetter. Blitze zucken am Himmel, Donner ist erstmal nicht zu hören. Dann, ein ohrenbetäubender Knall, im Backstage-Bereich wird es stockfinster und das bleibt es auch erstmal. Einer der Generatoren ist aus, aber die Helviti-Bühne hat es, zum Glück, nicht erwischt. Und so bekommen die Besucher das Scorpions-Konzert mit einer extravaganten, wahrscheinlich von Thor kreierten Lichtshow, geboten. Lichtblitze erhellen den Himmel, unterbrochen oder geräumt wird nicht.
Und die Scorpions? Ja, die wissen das dänische Publikum zu begeistern. Im Hintergrund der Bühne hängen Flaggen und Klaus Meine begrüßt seine Fans auf perfektem Dänisch und fragte freundlich nach deren Wohlbefinden. „Nass!“ war die einstimmige Antwort – es hörte gar nicht mehr auf zu regnen während des Konzertes. Die Band zeigte sich solidarisch und wagte sich immer wieder auf den langen Catwalk – raus ins Gewitter. Die großen Hits durften nicht fehlen, die Dänen sangen alles mit, feierten die vielen Soli und ignorierten mit einem hohen Grad an Sturheit das elendige Wetter. Und wie sollte es auch anders sein, spielte die Band, passend zum Wetter, Rock You Like A Hurricane. Zum Glück war es nicht ganz so schlimm und die Bootsfahrt zurück in die Innenstadt war ruhiger als zuvor angenommen.

Freitag, 24.06.2016:

Einerseits ist es enorm schön und praktisch, dass das Festivalgelände zentral liegt. Manchmal ist es aber auch äußerst unpraktisch, weil man leicht von anderen Vergnügungen in der Stadt abgelenkt wird. Und dann eben auch mal solche Kracher wie Solstafir, Amon Amarth, Epica und Entombed A.D. verpasst – und erst zu Megadeth auf dem Festival ankommt. Aber was für ein Auftakt! Die Männer um Dave Mustaine hasteten durch ihr Speed-und Trashmetal-Programm, als hätten sie noch einen wichtigen Termin. Aber das mit Herz und Seele –sie gingen absolut auf in ihrer Musik. Und das Publikum war von der ersten Nummer an, absolut begeistert- schon bei Hangar 18 war der erste Crowdsurfer Richtung Pit unterwegs Symphony of Destruction gröhlten sogar noch die mit, die es sich auf dem grünen Hügel bequem gemacht haben, von dem man die ganze Bühne aus sehen kann.

Leider endete der Abend nicht ganz so gut, wie er angefangen hatte. King Diamond vertrieb uns schnell mit seiner Falset-Stimme und so schafften wir es noch, zu den Klängen von seinem Abigail-Album von 1987, schnell überzusetzen, bevor das nächste Gewitter die Kopenhagener Halbinsel traf. Interessanterweise flüchteten viele Dänen und so drehten sich die Gespräche auf dem Boot in erster Linie darum, dass keiner so recht weiß, warum King Diamond es bis zum Headliner auf dem Festival geschafft hat. Oder überhaupt, wie er solch einen Erfolg in all den Jahren haben konnte.

Samstag, 25.06.2016:

An einem Samstagnachmittag zu Clawfinger die Sau rauszulassen – damit hatte ich im Leben nicht mehr gerechnet. Doch die Schweden schafften es, ihr Publikum von Null auf Hundert zu bringen. Und zwar schon während des ersten Songs. Immer wieder sind es die Bands, die keiner auf dem Zettel von Copenhell erwartet, die den größten Punktesieg mit nach Hause nehmen. Clawfinger können nämlich nicht nur ihre harten Crossover-Nummern wie Nigger oder Catch me spielen, sondern sorgen auch für jede Menge Unterhaltung. Selbst bei denen, die kein oder nur wenig Schwedisch verstehen. Crowdsurfer zeigten sich auch schon früh und das animierte den Frontmann im Leoprint-Anzug, selbst einige Klettertouren zu unternehmen.  Seine waghalsige Kletterei gipfelte schließlich in einem mutigen Sprung ins Publikum, wo er crowdsurfend Catch me zu Ende sang. Agressive Vokals und Gitarrenriffs, ein hämmernder Bass – weder Band noch Fans wurden müde –und so überzog die Band weit ihre Zeit. Zweimal sagten sie bereits ihre letzte Nummer an, nur um immer wieder noch eine dranzuhängen.

Weiter ging es schließlich mit den Old-School-Rockern Rival Sons aus Kalifornien, die meiner Meinung nach dem lang ersehnten Hauptact Black Sabbath die Show stahlen. Jay Buchanans Stimme und Mike Mileys präzise Arbeit am Schlagzeug bringen den Bluesrock auf eine ganz andere Ebene. Das Publikum war sofort voll mit dabei – egal, ob sie die Band zum ersten Mal sahen oder ob sie diese schon einmal vorher bewundern durften. Hier konnte das Copenhell-Publikum mal wieder voll zeigen, dass sie nicht nur das netteste, sondern auch das stimmlich beste Publikum sind. Doch nach und nach stiegen die Zuschauer weiter und weiter aus – viele wollten entweder ihre Kräfte für das große Finale sparen oder waren nach drei Tagen Metal einfach schon am Ende ihrer Kräfte angelangt.

Und plötzlich wurde es auf dem Platz richtig voll. So voll, wie es selbst bei Iron Maiden und Slipknot in den Vorjahren nicht gewesen ist. Alle hatten nur ein Ziel: das dänische Abschlusskonzert von Ozzy Osbourne und seinen Mannen mitzuerleben. Und dem einsetzenden Regen zu trotzen. Um 23 Uhr ist es dann endlich so weit. Unbeschreiblich lauter Jubel ertönt, Bierbecher fliegen durch die Luft. Die Dänen vergessen für einen kurzen Moment alle Hemmungen. Und zwar genau bis zu dem Moment, bis der Gesang einsetzt. Sorry, ich weiß Black Sabbath sind Götter, aber das war alles, aber nicht gut. Ozzy suchte nach den Tönen, wie kleine Kindern an Ostern nach den (Schokoladen-)eiern. Seine Band spielte sich den Arsch ab, die Musik war wunderbar, zielgenau und gänsehautschaffend. Aber der Gesang zerstörte wirklich alles. Nach ein bis zwei Nummern setzte somit die große Wanderung ein. Während einige stur geradeaus auf die Bühne starrten, um das zu feiern, für das sie schließlich bezahlt hatten, packten viele zusammen und machten sich auf den Weg Richtung Wasser- und Shuttlebusse.

Ich bin eine von denen, die erstmal noch stur stehen bleibt und nicht fassen kann, dass das der Höhepunkt des Festivals und der Abschied einer Legende sein soll. Zwar wirkt Ozzy fitter und frischer als noch vor geraumer Zeit, dennoch schafft er es nicht, die großen Songs der Band, auf die wir alle gewartet haben, auch voll umzusetzen. Das Intro von War Pigs lässt dann den ersten Gänsehautschauer einsetzen, der sich aber schnell wieder zurückzieht. Ein Blick in die Menge: enttäuschte Gesichter allerorts, sehr lange Schlangen an den Bierbuden und ein stetiger Strom Richtung Ausgang. Es könnte aber doch besser werden? Vielleicht braucht seine Stimme ja nur ein wenig Zeit zum Aufwärmen… Bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt.
Zu retten ist sie in den Fall nicht mehr. Wir setzen über aufs Festland, mit all den schönen Black Sabbath Songs im Ohr, die uns noch auf den Weg bis zur S-Bahnstation in Oersterport begleiten.

Eins ist aber ganz klar – auch wenn der letzte Act eher für die Tonne war, geht es nächstes Jahr auf jeden Fall wieder auf die Insel zum schönsten und gemütlichsten Festivals Skandinaviens. Copenhell hat einfach ein Händchen für die perfekte Bandmischung und einfach das netteste Publikum. Wirklich!

Photos: Lunah (http://www.photosbylunah.nethttp://www.metalmoments.net) – Thank You!

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