SOUTHSIDE FESTIVAL 2016

Fotos: Southside Festival 2016
Anti-Flag, © Markus Hillgärtner
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Sommer ist Festivalsaison und vom 24.06.2016 bis zum 26.06.2016 sollte im Neuhausen ob Eck mit dem Southside das Schwesterfestival zum Hurricane stattfinden. Die Vorfreude war vorab schon groß und mit jeder neuen Ankündigung wuchs die Anspannung, zum Ende begann der ein oder andere schon die Tage zu zählen. Es war ein bisschen wie Weihnachten für kleine Kinder, die jeden Tag aufwachen und fragen, ob es schon losgeht. Dabei waren die Tickets schon seit Monaten ausverkauft, allerdings konnte bei solch einem bombastischen Line-Up und über 20 Jahren Expertise auf Seiten des Veranstalters FKP Scorpio ja eigentlich sowieso nichts mehr schiefgehen. Gut, es gab dieses Geschmäckle, einen unsagbar unwetterlastigen Sommer in Deutschland, ein abgebrochenes Rock am Ring-Festival und für das Wochenende waren auch Regenschauer angekündigt. Aber auf Seiten der Veranstalter wirkte die Vorbereitung mehr als genügend, man wollte Lehre aus den Fehlern der anderen ziehen. So hat man das Gelände vorher gut präpariert und vorab alle erdenklichen Kanäle gewählt, um die Besucher auf mögliche Evakuierungsmaßnahmen vorzubereiten. Nun denn, etablierte Größen wie Deichkind, Rammstein oder The Prodigy waren am Start, das Wetter phänomenal und von so ein bisschen Regen wollte sich keiner das Festival vermiesen lassen.

Zeitig öffnete das Southside am 24.06.2016 dann auch seine Schleusen, sodass man -wenn man wollte- pünktlich um 15:00 Uhr die Opener The Devil Makes Three auf der Green Stage und Vauu auf der Red Stage begutachten konnte, während eine halbe Stunde später DMA’s die Blue Stage und Barns Courtney die White Stage eröffneten. Zumindest wenn man nicht noch von der Warm-Up Party am Abend zuvor im Zelt schlief oder etwas das schöne Wetter genießen wollte. Wir begaben uns gegen 16:00 auf zum Gelände und durften uns daher zwischen Kvelertak auf der Green Stage und Ryan Bingham auf der Red Stage zu entscheiden. Nun gut, wann hat man sonst schon die Gelegenheit eine norwegische Metalband mit rein norwegischen Texten zu hören – Kvelertak wurde es also. Und da war sie, die Green Stage, eine der beiden großen Open Air-Bühnen des Festivals. Erstaunlich, wie viele Besucher sich schon so früh für so eine exotische Musik begeistern konnten, umso enttäuschender dass Vokalist Erlend Hjelvik mal seine ausgestopfte Eule gegen einen etwas weniger skurrilen und dennoch auffälligen Kopfschmuck ausgewechselt hat. Die sechs Jungs spielten mit Herzblut und so nahm es auch das Publikum auf, dem gut eingeheizt wurde. Für uns hieß es nach 15 Minuten allerdings erst mal eincremen, denn die Sonne brutzelte ordentlich und an Unwetter war wahrlich nicht zu denken. Also wurde Kiko King & Creativemaze auf der White Stage übersprungen und stattdessen ein Lager im Pressezelt aufgeschlagen um sich der Hitze zu erwehren. Etwas unplanmäßig wurde unsere kleine Pause dann verlängert, als der Auftritt von Twin Atlantic auf der Blue Stage, der zweiten großen Open Air-Bühne, wegen Stimmverlust des Sängers abgesagt wurde. Wenngleich dort der ein oder andere traurige Fan zu sehen war kam es Jamie Lawson eher zugute, durfte er doch deutlich früher und sogar eine Viertelstunde länger auf die Bühne. Und er wusste mit seinem eher ruhigen Popsound zu überzeugen, der Platz vor der Bühne war für diese Zeit schon mehr als gut gefüllt und die Stimmung weiterhin grandios. Jamie selbst schien die unplanmäßige Vorverlegung nichts auszumachen und er strahlte eine Energie auf der Bühne aus, die direkt aufs Publikum übersprang. Für uns ging es nach kurzer Zeit allerdings dann auch schon weiter zur Red Stage ins Zelt, immerhin wollte man ja auch über viel schreiben können. Auf dem Weg ins Zelt konnte man zum ersten Mal das wirklich abwechslungsreiche Food-LineUp des Festivals begutachten und neben dem klassischen Würstchengrill gab es auch Exoten wie Pommes am Stiel, es schien auf jeden Fall für jeden etwas dabei zu sein und man fing schon an zu überlegen, was man denn im Laufe des Wochenendes alles mal ausprobieren könnte.

Im Zelt angekommen hieß es aber erst mal Balthazar angucken. Falls der Leser noch nie etwas von dieser Truppe gehört hat: Uns ging es genauso. Aber dafür sind Festivals ja quasi prädestiniert, sich etwas anzugucken und zu entdecken, was man in dieser Form vielleicht nie mitbekommen hätte. Die fünf Musiker aus Belgien spielten dann auf der Bühne eher verträumten, schon fast poppigen, Indie Rock, welchem die Atmosphäre des eher dunklen Zeltes sehr zugute kam. Im Publikum kam es gut an, war es doch auch schön einen etwas entspannten Kontrastpunkt zu einer sonst eher hektischen Veranstaltung zu erleben. Für uns war nun allerdings Skindred-Zeit. Die fünf Männer aus dem walisischen Newport, seit beinahe 20 Jahren im Geschäft, sind inzwischen ja wahre Festivalveteranen und mit Hits wie Rat Race und Kill the Power war es für sie kein Problem dem geneigten Konzertbesucher vor der inzwischen schon gut gefüllten Green Stage alle Energie zu entlocken – Newport Helicopter inklusive. Wenn auch für Skindred typisch hatte es an diesem Tag, wo morgens das Ergebnis des Brexit-Votums verkündet wurde, durchweg etwas Symbolisches mit dem Union Jack aufzutreten.

Pünktlich um 17:30 Uhr gönnten wir der Sonne dann mal eine kleine Pause und begaben uns ins Zelt zur White Stage, wo schon Lance Butters uns auf der Bühne erwartete. Feinster deutscher Gangsterrap und die genretypisch wichtigen Themen Sex und Kohle wurden lyrisch aufs Ausgiebigste ausgewertet. Wer Abwechslung suchte war hier falsch, für alle anderen Kopfnicker war der Act allerdings empfehlenswert. Aufgelockert wurde seine Show durch einen kleinen Stromausfall, insgesamt lieferte er jedoch das ab, was man von ihm erwartete. Da Jamie Lawson ja bereits vorgezogen wurde, hieß es für uns dann zunächst etwas pausieren und neue Sonnencreme auftragen, denn die Sonne schien wirklich unerbittlich und verwandelte schon die ersten Festivalbesucher in lebende Experimente wie rot Haut durch Sonnenbrand werden konnte.

Um 18:15 Uhr fanden wir uns dann an der Red Stage ein um uns Bear’s Den anzugucken, eine kleine Alternative Rock-Kombo aus London. Sonderlich im Gedächtnis geblieben sind die Jungs uns nicht, ihre entspannte Art kombiniert mit den beruhigenden Klängen kam im Publikum jedoch sehr gut an. Dennoch tat uns der Abschied von ihnen nicht sonderlich leid und wir wanderten gegen 18:30 Uhr zur Green Stage, wo wir Anti Flag unsere Aufwartung machten. Die Bühne war inzwischen prall gefüllt, genügend Anwesende waren inzwischen schon ordentlich alkoholisiert und so konnte die erste wirklich große Party des Tages steigen. Was die Truppe an ihren Instrumenten nicht aufbieten kann, werten sie mit einer Menge Charisma, Bühnenpräsenz und politischen Botschaften auf. So sah man die ersten Moshpits des Tages und bei eindeutigen Schlagthemen wie Polizeigewalt sah man mehr als nur ein paar Mittelfinger gegen Himmel gereckt. Die Stimmung war gut, der Alkohol floss und die Sonne brannte, soweit lief alles nach Plan.

Nach einer kurzen Verschnaufpause gönnten wir uns dann Tom Odell, welcher am Piano sitzend die Massen auf der Blue Stage verzauberte. Er lieferte ein solides Programm ohne großartige Überraschungen ab, im Zuge des Bandsammelns sind wir dann allerdings nach 15 Minuten schon zur Red Stage gegangen, um uns die Blues Pills anzusehen. Der Moment wo sie, trotz zunächst schlechter Abmischung, zu spielen begannen war wie eine kleine Zeitreise in die 70er, und mit ihrem vom klassischen Blues-Rock inspirierten Konzept wussten sie sofort zu überzeugen. Nachdem die zunächst zu laute Gitarre runtergeregelt war, fiel auf, dass man die Sängerin nicht hörte. Nach wildem Gestikulieren des Publikums und einer klaren Anweisung ihrerseits zum Tonmann, entfaltete sich dann auch ihre Stimme aus den Boxen und fegte über die Zuschauer druckvoll hinweg. Vielleicht war dies ja schon eine kleine Anspielung auf das, was an diesem Tag noch bevorstand, denn das Zelt wurde immer voller und als wir dann nach 15 Minuten unseren Weg zur White Stage wagten, wussten wir auch warum: Das Wetter war in einen relativ starken Regen umgeschlagen.

Doch vom Regen wollte sich nach wie vor Niemand seine Stimmung vermiesen lassen und so war der nächste Act den wir uns ansahen, Elliphant, vielleicht die Überraschung des Tages. Mit dem wohl druckvollsten und bombastischsten Sound des Tages, einer traumhaften Stageperformance und einer wirklich durchsetzungsfähigen Stimme konnte die Wortakrobatin das komplette Zelt in Bewegung setzen. Für mich persönlich ein Novum war der erste Moshpit, den ich bei einem HipHop-Konzert zu sehen bekam.

Nun denn, man lernt nie aus, dennoch schlug langsam der Hunger zu und so ging es wieder ab in den Regen zu einem der Imbissstände und danach ins trockene Pressezelt. Auf dem Weg sah man wie die Leute die nasse Situation auf verschiedenste Weise annahmen, so tanzten die einen mit Sonnenbrille und genossen die Abkühlung, während andere sich jede erdenkliche Möglichkeit zum Trockenbleiben ausdachten – mein persönliches Highlight war das Hocken unter Mülltonnendeckeln. Im Pressezelt bekamen wir dann mit, wie das Wetter deutlich schlechter wurde und auf den Bühnen schienen die Veranstalter das Festival unterbrechen zu wollen, um kein Risiko für die Besucher einzugehen. Wir packten also schon mal vorsorglich unsere Sachen zusammen und waren deswegen zumindest vorbereitet, als uns gegen 20:15 Uhr Mitarbeiter der Security aufforderten, das Zelt auf direktem Wege und schnellstmöglich in Richtung Auto zu verlassen. Dabei sollte insbesondere Acht auf die Leute genommen werden, welche selbst keinen Unterschlupf hatten.

Die Evakuierung des Geländes verlief koordiniert, die gute Vorbereitung zahlte sich aus

So gingen wir direkt zu unserem Parkplatz, auf dem Weg sahen wir wie die Besucher das Festivalgelände gezielt und gut koordiniert verließen. Leute die verletzt waren oder Probleme zu laufen hatten wurden getragen und auch sonst lief alles sehr kollegial und gut kontrolliert ab. Die Security wirkte nicht überfordert und auch sonst schien die Vorbereitung, gerade nach dem Unglück von Rock am Ring einige Wochen zuvor, gut zu greifen. Im Auto begann dann das lange Warten, während ein starker Regenguss mit vereinzelten Blitzen sich über das Gelände begab. Als gegen 21:00 Uhr dann etwas Ruhe aufkam und das Wetter sich beruhigte, war die Hoffnung groß, dass es bald weitergehen könne, doch sowohl im Festivalradio CampFM als auch in der Souhside-App wurde vor noch einem stärkeren Unwetter gewarnt, sodass man im sicheren Auto bleiben solle. Die Zeit wurde von einigen Ungeduldigen also genutzt um nochmal schnell zur Toilette zu gehen. Wer den Blick gegen Süden warf sah indes eine schwarze Wand heranziehen, die nichts Gutes zu verheißen schien. Und dann brach einer der schlimmsten Stürme, die die Region je gesehen hat, über das Gebiet herein. Bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 100km/h und einem Gemisch aus Regen und Hagel, so laut, dass man im Auto sein eigenes Wort nicht mehr verstand, schien die Fortsetzung des Festivalbetriebes am selben Tag unmöglich. Wie schlimm der Sturm jedoch tatsächlich war, ergab sich erst als man den Wagen wieder verlassen konnte. Ein Großteil der Zelte war beschädigt, Trocken waren selbst die unbeschädigten Zelte nicht mehr und auch sonst machten Bilder von Pavillons die sich um Transporter wickelten die Runde und wer bereits zu seinem Zelt konnte, war wie sein Zelt am Boden zerstört. Es ließ sich nur erahnen, wie schlimm es die Besuchercampingplätze und das Festivalgelände getroffen hatte, aber eine Fortsetzung des Festivals schien nicht mehr möglich, schon allein auf Basis dessen, dass es nicht mehr genügend trockene Schlafmöglichkeiten zu geben schien. So war gegen 2:00 Uhr zwar offiziell noch nichts verkündet und die Unwetterwarnung bestand weiterhin bis 3:00 Uhr, allerdings gönnten wir uns eine kleine Verschnaufpause und legten uns erst mal ins Auto schlafen. Als wir dann gegen 6:30 Uhr aufwachten waren bereits die ersten Besucher wieder zurück auf ihren Campingplätzen und sicherten was zu sichern war. Gegen 5:00 Uhr hatte der Veranstalter FKP Scorpio erwartungsgemäß das vorzeitige Ende des Southside 2016 verkünden müssen. Mit einer Mischung aus Fatalismus und Galgenhumor nahmen die Menschen den Zustand ihrer Lagerstätten und den Festivalabbruch auf. Immerhin beliefen sich die Personenschäden für ein derartiges Unwetter in einem niedrigen Bereich, wenngleich natürlich jeder Einzelfall bedauerlich ist. Zurückzuführen ist dies auf die gute Vorbereitung des Veranstalters und vermutlich auch auf die Vorsensibilisierung durch die Unglücke bei Rock am Ring wenige Wochen zuvor, wobei das dortige Unwetter nach Ansagen von RAR-Veteranen wohl eher mit dem ersten, im Vergleich eher leichten, Regenschauer gleichzusetzen sei.

Abschließend bleiben für die Besucher natürlich nun einige offene Fragen, die es zu klären gilt: Wird es eine teilweise Rückerstattung des Kaufpreises geben (Anmerkung: Diesbezüglich ließ FKP Scorpio bereits Positives durchblicken)? Gab es Plünderungen und wird es in diesem Kontext Aufklärung und Schadensersatz geben? Und schlussendlich: Wird man sich auf das Abenteuer Festival nächstes Jahr wieder so frei einlassen nach den Problemen die die laufende Saison 2016 schon heimgesucht haben? Diese Fragen werden sich im Laufe der nächsten Zeit klären – wir freuen uns auf jeden Fall auf ein dann hoffentlich sturmfreies Southside 2017.

Fotos: Markus Hillgärtner

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