Das neue Architect Album hat den „egoistisch“ anmutenden Titel Mine.
In welchen Momenten im Leben bist Du eigentlich egoistisch?
Oha, also man hat mir schon einmal Arroganz nachgesagt, weil ich immer so still in der Ecke stehe. Egoistisch bin ich eigentlich nur wenn es um meine Musik geht, sonst bin ich doch sehr harmoniebedürftig.
Und diplomatisch?
Ja, auch diplomatisch.
Emese Stimme ist auf dem gesamt Album zu hören, ich habe ihre Stimme teilweise verändert bis auf den letzten Track, den singt der Comaduster.
Wir lernten uns vor zwei Jahren in Budapest kennen. Als ich noch bei Covenant spielte, supportete uns Emese mit ihrer Band Black Nail Cabaret. Ich war sofort fasziniert von ihrer Stimme, da sie live genau so klingt wie auf dem Album.
Ich empfahl dem Promoter meines Vertrauens ihre Band einmal nach Leipzig zu buchen und das hat er dann auch für einen seiner Events gemacht. Bei diesem Treffen kamen wir dann ins Gespräch und ich fragte Emese, ob sie sich einige meiner Sachen anhören wollte. Schnell hatte sie schon eigene Ideen dazu, was ich super fand. Ja, so kam es zustande. Es ging alles sehr schnell und fließend ineinander und ich war mit der Zusammenarbeit sehr zufrieden, weil Emese sehr, sehr gut ist und auch unheimlich auf die Musik eingegangen ist.
Da gebe ich Dir Recht, ihre Stimme passt sehr gut zur Musik, sie hat so ein schönes Timbre. Eine Stimme, die einen Wiedererkennungswert hat sowohl hoch als auch tief. Das schmiegt sich sehr gut in den Sound ein.
Du hast vorhin kurz über Covenant gesprochen. War die Zeit bei Covenant von Anfang an für Dich nur ein Gastspiel, oder warum hat Du die Band dann doch wieder verlassen?
Es hat damals als Gastspiel angefangen und nach einem Jahr wurde ich dann gefragt, ob ich nicht Mitglied der Band werden möchte. In den letzten Jahren hat sich das dann so entwickelt, dass mir mein Einfluss auf die Musik und das gesamte Geschehen zu gering war. Ich habe mich nicht wirklich als Bandmitglied gefühlt. Anderseits kann ich die Haltung der anderen nachvollziehen. Wenn es um meine eigenen Bands geht, bin ich selbst auch wenig kompromissbereit. So habe ich mich dann doch dazu entschieden, mich auf meine eigenen Sachen zu konzentrieren.
Auf Mine arbeitest Du mit einigen Leuten zusammen, unter anderen mit Paul Kendall, Comaduster und Felix Gerlach, der Cello und Gitarre gespielt hat. Wie muss man sich das vorstellen? Sitzt ihr gemeinsam im Studio und arbeitet an den Tracks oder geht das heutzutage alles via Internet vonstatten?
Also bei Paul war es tatsächlich so, dass ich ihn zweimal nach Leipzig eingeladen habe und wir dann gemeinsam im Studio gejamt haben. Paul hat dann die Ergebnisse unser Sessions mit nach Hause genommen und dort vereinzelt noch Kanäle nach seinem Gusto nachbearbeitet. Felix kenne ich durch meine Zusammenarbeit mit Diary of Dreams. Ich fand das, was er dort gespielt hat gut und fragte ihn, ob er Interesse hätte auf einiger meiner Stücke mitzuwirken. Ich habe Felix meine Songs zugeschickt und er schickte mir dann Audiodateien mit seinen Ideen, die ich eigentlich immer gut fand. Mit Comaduster lief auch alles übers Internet
Du hast gerade von Paul Kendall gesprochen, der unterstützt ja auch Alan Wilder aka Recoil auf der Bühne. Architect selbst haben 2010 Recoil in Nordamerika auf ihrer Tour begleitet. In einen Interview mit Alan sagte er mir, dass er völlig hypnotisiert von deinem Album consume, adapt create war. Da drängt sich natürlich die Frage auf, wann kommt das erste gemeinsame Musikprojekt?
Die Idee ist schon da, aber bislang haben wir noch nicht die Zeit gefunden zusammen arbeiten zu können. Er hat sogar zwei Songs von Mine zur Bearbeitung gehabt, aber Alan war sehr eingespannt durch seine Projekte und den Verkauf seines Hauses. Es gab einfach zu viel zu erledigen, die Idee ist aber nach wie vor da. Wir haben ja auch schon einmal gemeinsam einen Remix für Depeche Mode gemacht und haben beide Interesse an der Zusammenarbeit.
Super, klingt spannend. Wie erklärst Du Dir den doch recht starken Stilwechsel bei Architect? Die ersten Alben waren doch eher Drum and Bass, Industrial und jetzt geht es eher in Richtung Dark Ambient, so empfinde ich es zumindest?
Meiner Meinung nach hat das etwas mit der relativ großen Zeitspanne zwischen den Alben zu tun. Es sind circa drei Jahre die jeweils dazwischen liegen, in der Zeit ändern sich auch die Dinge, die Einfluss auf meine Musik haben – Meine Hörgewohnheiten oder beispielsweise die Tour mit Recoil, die großen Einfluss auf mich hatte. Während dieser Tour spielte ich jeden Abend einen neuen Song und ich habe mich sehr dem Sound von Recoil angepasst. Es war mir wichtig, den Fans von Recoil eine gute Show zu liefern und so habe ich versucht eine Brücke zu schlagen zwischen der Art von Recoil und meiner eigenen.
Ein anderer Grund findet sich in der Zusammenarbeit mit Emese. Nachdem wir die Gesangsspur aufgenommen hatten, habe ich die Musik ihrem Gesang sehr stark angepasst. Bei vielen Songs waren vorher noch Beats enthalten, beispielsweise bei Hummingbird, was vorher eine sehr technoide Nummer war. Mir ist schnell klar geworden, dass man die Stimme "featuren" muss und so hab mich dann der Stimme angepasst. So ist Mine daraus geworden.
Normalerweise weiß ich genau was ich mache. Bei den Architect Kompositionen war das jedoch anders. Ich begann vor drei Jahren mit dem Album und anfangs waren Songs dabei, die jetzt bei Radioactivist gespielt werden. Mehr und mehr habe ich mich darauf konzentriert, mit Emese zu arbeiten und die Songs in der Stimmung zu halten.
Ich weiß also immer genau wo es hingeht, ich setzte mich schon lange nicht mehr hin und komponiere einfach drauf los, so wie man es früher gemacht hat. Dafür mach ich das einfach schon zu lange.
Musik ist ja für viele Menschen der Soundtrack des Lebens, für welche Lebenssituation ist das Album Mine am besten geeignet?
Vielleicht sollte man nicht zu depressiv sein, weil man sonst noch weiter runter gezogen werden kann. Manche Menschen stehen vielleicht auf darauf. Ich persönlich mag sehr gerne depressive und melancholische Musik. Wenn ich mal in depressiver Stimmung bin, dann mag ich mich auch in meinem eigenen Elend wälzen, also das liebe ich. Wenn jemand Liebeskummer hat, dann hört er doch auch richtig melancholische Musik, um die Gefühle zu verarbeiten. Für so einen Augenblick ist dieses Album ganz gut geeignet.
Man sagt ja Künstlern, die leiden oder irgendetwas verarbeiten eine besondere Kreativität nach. Trifft das auch auf Dich zu oder bist Du eher der Typ, der seine Ideen bei strahlendem Sonnenschein hat?
Also bei mir kommen die Ideen meistens wenn ich unterwegs bin und ich bin durch die Musik sehr viel unterwegs. Ich stelle die Lieder zwar zu Hause oder im Studio fertig, aber der kreative Fluss spielt sich unterwegs ab. Vielleicht hat es was mit Heimweh zu tun oder der Verlust der Lieben, die man gerade nicht um sich haben kann. Ich nutze dann lieber die Zeit im Hotelzimmer und arbeite oder ich nehme den Rechner mit an den Strand. Ich arbeite sehr gerne.
Wie gehst Du denn heran an Deine Songs. Programmierst Du erst ein paar Beats und kümmerst Dich dann um die Harmonien oder hast Du vielleicht schon Melodie-Bögen im Kopf, die Du dann am PC oder Laptop umsetzt?
Oft sind es ein paar Beats, mit denen ich anfange, was daher rührt, dass ich selbst Musik höre, die beatlastig ist. Ich höre auch klassische Musik, aber zum größten Teil beeinflussen mich moderne Sachen, Breakbeat Geschichten, oder so etwas. Die passenden Harmonien entstehen dann im Laufe des Prozesses.
Genau das merkt man auch in all deinen Projekten. Deine Arbeit ist immer sehr ausgefeilt. In den Songs sitzt jeder Ton, jeder Drum-Sound. Musst du Dich im Studio oft selber bremsen, damit die Stücke auch irgendwann fertig werden?
(lacht) Ja, auf jeden Fall. Ehrlich gesagt finde ich das Album auch jetzt noch nicht fertig, aber es gab eine Deadline und die musste eingehalten werden. Am Tag der Abgabe hätte ich auch noch weiter machen können. Ich bin auch nicht hundertprozentig zufrieden, doch das bin ich nie. Eigentlich möchte ich immer weiter machen.
Ja, und das ist auch etwas, das einen Künstler ausmacht, immer noch etwas aus sich und dem Projekt rausholen zu wollen. Ich finde, das ist auch ein künstlerischer Anspruch, der der Sache gut tut.
Welche neuen Ausrichtungen oder Trends siehst Du zur Zeit in der elektronischen Musik?
Oh, da gibt es so viel. Vieles davon gefällt mir, aber auch nicht alles. Beispielsweise kann ich Dubsteb nicht mehr hören, aber es gibt immer noch Sachen aus dem Genre, die mir trotzdem gefallen. Footwork oder Slowfast, es gibt so viel in dem Strom, da ist immer etwas dabei, was mir gefällt. Eigentlich gibt es kaum eine Musikrichtung, die ich nicht mag. Bis auf Schlager oder Polka, und selbst da gibt es manchmal Sachen wo ich sag: „Ach, das ist doch eigentlich nicht so schlecht.“ Ich gehe sehr objektiv an fast jede Musikrichtung.
In der heutigen Zeit hat ja im Grunde jeder die Möglichkeit, mit seinem PC zu musizieren. Zu Deinen Anfangstagen sah das natürlich noch ganz anders aus. Siehst Du einen Fluch oder eher einen Segen in der heutigen Technik?
Es ist beides. Einerseits ist es ein Segen, weil sehr viele Talente da draußen sind. Es ist natürlich toll, dass talentierte Leute jetzt für wenig Geld ihre Kreativität ausleben können. Zum anderen ist es aber auch so, dass es auch sehr viele untalentierte Leute gibt, die einfach Sachen kopieren. Da gibt es so viel Mist leider auch auf diesem Markt! Zum Fluch zählt auch eindeutig, dass der Markt quasi überschwemmt ist mit Musik, die auch zu 90 Prozent schlecht ist.
Es gehen gegenwärtig dadurch leider auch Bands unter, die wirklich gut sind. Durch die modernen Medien wird so viel publiziert. Da entdeckt man beispielsweise auf Facebook ein Album, was drei Jahre alt ist und fragt sich, wie einem das durch die Lappen gehen konnte. Im Vergleich zu früher sammeln wir heute eine Flut an Mp3 auf unseren Rechnern und haben kaum noch Zeit, die alle mal in Ruhe anzuhören. Es erscheint mir, als könne man die Dinge gar nicht mehr wertschätzen.
Ja, genau. Früher erschien vielleicht ein Album pro Woche. Da ist man noch ein Mal im Monat in den Musikladen gekommen und hat sich seine drei bis vier Platten geholt. jetzt bekommt man jeden Tag drei bis vier Platten um die Ohren gehauen, bildlich gesprochen. Es ist echt heftig.
Ja, auf jeden Fall! Ich habe ja auch schon Musik für Videospiele gemacht und ich kann mir alles vorstellen. Ich mir sehr gut vorstellen, irgendeine Club-Szene in einem Hollywood-Film zu vertonen. Am Liebsten natürlich in einem Science-Fiction-Film, weil ich das am Liebsten mag – oder Dramen.
Wie sieht es mit neuem Haujobb-Material aus? Wird da bald was kommen? Das letzte Album ist ja von den Fans und der Presse sehr gut aufgenommen worden.
Richtig. Wir arbeiten derzeit an einer Single, die wir am Planet Myer Day vorstellen möchten. Im Frühjahr 2014 soll dann das neue Album kommen.
Zum Schluss bleibt noch zu sagen, das Daniel Myer mit Architect gerade als Vorgruppe von Projekt Pitchfork durch Deutschland tourt. Er wird sich darauf konzentrieren, dem Publikum das neue Album näher zu bringen.
Einen ausführlichen Konzertbericht über das Konzert vom 10.10.2013 im Eventschloss Pulp (Duisburg) gibt es hier!
Das Interview führte Frank Stienen mit Daniel Myer im Oktober 2013
Redaktion: Anna Michels