Aber der Reihe nach. Steven Wilson ist begnadet. Wenn man sich mit ihm und seinem Œuvre auseinandersetzt, bekommt man das Gefühl, dieser Mann besteht von den Haarspitzen bis zu den Zehen nur aus Kreativität. Ob als Kopf von Porcupine Tree, bei No-Man, Blackfield oder als Produzent von Opeth oder King Crimson – die Liste von Steven Wilsons Projekten ist so lang, dass man sich schon fragen muss, ob dieser Mann auch mal schläft.
Mit seinem Soloprojekt stellt er nun auf einer Tour sein drittes Album The Raven That Refused To Sing vor. Mit diesem Album gelang ihm das Kunststück Platz 3 in den deutschen Albumcharts zu erreichen. Ob auf den Covern der Magazine Visions und RockHard oder einem Interview im Spiegel – plötzlich kommt man an Steven Wilson nicht mehr vorbei. Und das zu Recht. Das neue Album ist ein Meisterwerk.
Pünktlich um 20:00 Uhr geht es dann los. Luminol als Opener wie auch auf dem neuen Album klingt noch nicht so perfekt abgemischt, wie man es von Steven Wilson gewohnt ist. Aber spätestens beim zweiten Song Drive Home ist das vergessen. Ab diesem Song ist man gefangen in verschachtelten musikalischen Strukturen, abrupten Wandlungen von Rhythmik und Dynamik und geradezu epischen Klängen. Und plötzlich ist ein Sitzplatz doch nicht mehr so abwegig. Anstatt sich um eine gute Sicht auf die Bühne kümmern zu müssen, kann man sich den Details der Songs hingeben. Obwohl der Begriff Song eigentlich schon fast diffamierend ist. Nein, es sind Kompositionen, die Steven Wilson mit seinen phantastischen Musikern darbietet. ProgRock, Metal, Ambient, Jazz, die Grenzen sind fließend; Steven Wilson spielt mit den Musikstilen wie ein Maler mit Farben. Und man merkt ihm die ganze Zeit an, mit welcher Freude ihn die Zusammenarbeit mit Guthrie Govan (Gitarre), Marco Minnemann (Schlagzeug), Nick Beggs (Bass, Chapman Stick), Theo Travis (Querflöte, Saxophon, Klarinette)und Adam Holzman (Keyboard) erfüllt. Diesen Musikern gelingt es, seine Visionen perfekt umzusetzen. Mit einer Lässigkeit werden hier die Instrumente getauscht, gänzlich ohne Hektik. Es ist eine wahre Wonne zu sehen, was die Musiker an ihren Instrumenten können. Spielt Nick Beggs mal nicht den Bass und wechselt zum unglaublichen Spiel am Chapman Stick, übernimmt Steven Wilson den Bass-Part. Alternativ spielt Steven Wilson Akustik-Gitarre im Einklang mit Guthrie Govan an der rechten Gitarre und Theo Travis füllt das Klangbild an der Klarinette. Beim großartigen Song Insurgentes vom gleichnamigen Album übernimmt Theo Travis den Piano Teil an Steven Wilsons Arbeitspiano, an dem normalerweise Wilson während des Konzertes rumturnt, barfüßig – wie bei fast allen seinen Auftritten -, mal sitzend, mal auf dem Hocker kniend. Es muss nicht wirklich erwähnt werden, dass mit Marco Minnemann an den Drums eine erstklassige Besetzung vorhanden ist. Auch Adam Holzman liefert am Keyboard eine sehr souveräne Show ab.
Zum Gesamtbild passend wabern die Sucher der perfekt inszenierten Lichtanlage über die Bühne und tauchen diese zusammen mit künstlichem Nebel in eine abstrakte Welt. Auch die filmische Untermalung passt perfekt. Im Verlauf des Intros zu Watchmaker wird der schon aus früheren Touren bekannte Schleier herabgelassen, auf den für drei Songs teils morbide und verstörende Bilder projiziert werden, während die Musiker dahinter nur noch schemenhaft zu erkennen sind.
Bei Harmony Korine ist es dann so weit, Steven Wilson fordert die Zuschauer dazu auf, aufzustehen, so wie er es zu Beginn schon angekündigt hatte, wobei er betonte, dass die Sitzplätze nicht seine Idee waren 😉 Das tut gut und es wird gleich merklich lauter im Auditorium, wenngleich Steven Wilson hier den Einsatz verpasst und es mit einem „Ops“ quittiert, was vom Publikum mit großem Gelächter aufgenommen wird. Wer will es ihm nicht verzeihen?
Allerdings findet ein Großteil der Zuschauer die Idee mit den Sitzen scheinbar nicht so schlecht, denn beim folgenden No Part of me setzen sich die meisten wieder. Nur ein paar Vereinzelte bleiben stehen und verleihen ihrer Begeisterung auch durch Bewegung Ausdruck.
Die Zugabe beginnend mit Remainder the Black Dog vom Album Grace For Drowning, welches nahezu unmerklich in ein fulminantes Finale in Form von No Twilight Within the Courts of the Sun aus dem Album Insurgentes übergeht, machen das Konzert perfekt. 135 Minuten voller atemberaubender Klänge, leidenschaftlich und doch mit einer enormen Leichtigkeit, dargeboten von exzellenten Musikern, abgerundet von einer phantastischen Lichtshow, die die Melancholie und Dramatik der Musik noch intensiviert.
Steven Wilson lebt Musik und das merkt man jeder Tonfolge an. Hoffen wir, dass er uns an noch vielen seiner Ideen teilhaben lässt. Im dieser kleinen aber sehr feinen Nische von Progressive-Rock Musik scheint er derzeit das Maß der Dinge zu sein.
Setlist:
Raven Artwork Video in front of concert with a piece of Bass Communion stuff
01. Luminol
02. Drive Home
03. The Pin Drop
04. Postcard
05. The Holy Drinker (Steven Wilson on bass guitar)
06. Deform to Form a Star
Watchmaker Intro Video (Bass Communion song)
07. The Watchmaker
08. Index
09. Insurgentes
10. Harmony Korine
11. No Part of Me
12. Raider II (Without the outro)
13. The Raven That Refused to Sing
14. Remainder the Black Dog (first half, segued into "No Twilight…") (Z)
15. No Twilight Within the Courts of the Sun (second half) (Z)
Ljudet Innan (Storm Corrosion song)
Bilder des Konzerts befinden sich in unserer Konzertfotos Sektion (Bildkommentare sind durch Anklicken der Sprechblase möglich) oder direkt durch Anklicken der Fotos
Autoren: Diana Holländer & Dirk Wirtz
Fotos: Dirk Wirtz