Was passiert, wenn man Frei.Wild mit einer Prise Böhse Onkelz würzt?
Vor der Dortmunder Westfalenhalle macht sich ein Knistern breit, wie man es oftmals von den prickelnden Derbys im Pott kennt. Aus den geparkten Wagen dröhnen die Lieder ihrer Idole, vor dem Einlass grölen die wartenden Leute eine Mischung aus Stadiongesängen und Deutschrock-Hymnen.
Zunächst lassen Spitfire ihre musikalische Mischung aus Metal, Rockabilly und SouthernRock auf die bereits jetzt gut gefüllte Halle los. Devils Dance sowie Roll the Dice kicken gewaltig und schnell pogen die ersten Zuhörer in dem auf Sicherheit bedachten Innenraum. Der Rock ‘n’ Roll der Jungs aus München geht direkt ins Blut und in die Gehörgänge. Mitmachparts werden dankbar umgesetzt, ob Tanzeinlagen, Mitsingparts oder eine organisierte Wall of Death. Eine noch relativ junge Band, die man echt im Auge behalten sollte.
Es muss auch für Matt „Gonzo“ Roehr eine Zeitreise gewesen sein, als er nun in die schreiende, feiernde, strahlende, jubelnde und schlichtweg ausrastende Menschenmasse blickt. Was war schon damals? Ach ja, eine bis dahin unerreichte Deutschrock-Karriere mit seinen Frankfurter Bandkollegen von den Böhsen Onkelz. Ein Unterschied zwischen den guten alten Zeiten (Ende der Neunziger) und seinem Auftritt heute als Solokünstler ist nicht auszumachen. Und so brüllt er noch vor dem ersten gespielten Ton ein „endlich wieder zuhause“ ins Mikro. Mit Alles ändert sich und Das Feuer eröffnet er mit neuen Songs sein Programm. Immer wieder ertönen Chöre, die nach alten Onkelz-Liedern schreien. Und mit „es gibt echt Songs, die ich noch einmal hier in der Westfalenhalle hören möchte“ erlöst er die Neugier sämtliche Fans. Was bei Finde die Wahrheit im Innenraum abgeht, kann man nur als einen riesigen Pogo-Haufen bezeichnen, aus denen zwischendurch Hände gen Himmel gereckt werden und glückselige Gesichter die altbekannten Lieder grölen. Auch zu Auf gute Freunde geht der Wahnsinn in die zweite Runde und auch Gonzo kann dies nur mit „Leute, obergeil!“ kommentieren. Das Konzept aus neuen und alten Songs geht an diesem Abend sichtlich auf. Zwar werden die neuen Songs nicht wirklich textsicher mitgesungen, aber die Menge feiert ihren Matt „Gonzo“ Roehr ausgiebig und dieser scheint sich auch nur schweren Herzens von der Bühne und seinen Fans trennen zu können. Mit Mexiko gelingt es ihm, jedem Besucher eine Gänsehaut zu verschaffen.
Wer jetzt glaubt, dass dies nicht mehr zu toppen ist, der hat sich geschnitten. Ein hell angestrahlter Philipp Burger bringt mit einem langsam beginnenden wir reiten in den Untergang… schnell die Glückseligkeit zusammen mit den Schweißperlen zurück in und auf die Gesichter der Menschen. Eine Westfalenhalle Dortmund kennt an diesem Abend freilich keine Sitzplätze, sämtliche Ränge feiern stehend, wohl gleich gesitteter als der Innenraum. Ähnlich rasant wie die Stimmung rocken Frei.Wild durch ihr Programm. Ein sonst so gesprächiger Sänger ist ausnahmsweise sehr still zwischen den Songs und peitscht einen Riff nach dem anderen durch die Boxen. Keine Atempause für seine Fans, die sich ihrer Oberteile und gekaufter Getränke entledigen, eine nahezu unbeschreibliche Szenerie. Irgendwie kommen Frei.Wild dann doch irgendwann nicht drum herum inne zu halten und dem a cappella Chor zu lauschen, der sich mit dem Album-Titelsong Feinde deiner Feinde Gehör verschafft. Auch die letzten Tage und die damit sicherlich verbundenen Sorgenfalten lassen sich nicht ausblenden. Mit den Worten „es ist das was wir träumen, es gibt keinen schöneren Trost“ geben Frei.Wild einen kurzen Einblick in ihr Gefühlsleben und lassen anschließend mit Wer weniger schläft, ist länger wach die Gedanken sowie den Pogo weiter tanzen. Nach dem altbewährten Klassiker Irgendwer steht dir zur Seite wird es gemütlich in der Westfalenhalle Dortmund. Barhocker, Akustikgitarren, Feuerzeuge und ein Händemeer – Herz, was willst du mehr? Richtig, Knicklichter und Schneeregen bringen fast eine romantische Stimmung auf. Bis es am Ende des Songs Unendliches Leben aus Philipp Burger herausbricht „leuchtende Strohhalme! Wer hat es erfunden? Rambo!“. Tja, wir befinden uns halt doch auf einem Rockkonzert. So werden schnell wieder die E-Gitarren von Guitar-Tech Markus zu ihren Besitzern gebracht, denn die Circle-Pits sollen schnell wieder kreisen. „Es wird Zeit für Susi“ schreit Philipp Burger durch die Boxen. Weil Du mich nur verarscht hast aka Susi endet mit über zehn Circle-Pits und einem gigantisch roten Konfetti-Regen. Diese kleinen Gimmicks sind sorgfältig ausgesucht, platziert und auch die rasant wechselnden Banner (Backdrops) erfreuen jeden Besucher, der sich – anstatt im Pogo gefangen zu sein – darauf konzentriert. Gegen Ende des Sets wird es dann doch noch einmal Ernst. Im Hinblick auf den ausgerollten Banner auf der Tribüne auf dem deutlich „Gemeinsam gegen Rechts“ erkennbar ist, erklärt Philipp Burger „es tut uns leid, dass ihr angegriffen worden seid. Wir dulden die Extremisten nicht.“ Diese Aussage endet mit lautstarken „Nazis raus“ Rufen aus dem Publikum. Nach Land der Vollidioten verlässt Frei.Wild mit einem „Danke, dass ihr so seid wie ihr seid“ die Bühne und lassen ausgiebig feiernde Menschen zurück, diese sehen es jedoch keineswegs ein, dass ihre Idole sich bereits jetzt in den wohlverdienten Feierabend verabschieden.
Dankbar über diese grandiose sorgenfreie Bühnenzeit, betreten Frei.Wild mit Matt „Gonzo“ Roehr erneut die Bühne. Auch hier zeigen die Fans wieder, warum sie am heutigen Abend wirklich in die Westfalenhalle gekommen sind. Nämlich um ihre Idole, sich und die Szene als solches ausgiebig zu feiern. Kurzerhand wird während der zweiten Zugabe noch „die härteste Sau überhaupt“ von Sänger Philipp Burger gekürt, denn dieser erblickt nach all diesen Stunden im ersten Drittel des Innenraums einen Mann mit dicker angezogener Lederjacke. Aus Respekt vor dieser Leistung spendiert er eine kühle Flasche Wasser.
Frei.Wild haben an diesem Abend das geschafft, was viele niemals für möglich gehalten haben. Sie wackeln nicht nur am Thron der Böhsen Onkelz, nein, durch ihre spezielle Würzmischung, mit der sie alte Deutschrockkonzepte abschmecken, landen sie auf Augenhöhe mit ihren einzigen Idolen.
Setlist Frei.Wild:
01. Intro
02. Wir reiten in den Untergang
03. Hoch hinaus
04. Frei.Wild
05. Wer nichts weiß wird alles glauben
06. Arschtritt
07. Allein nach vorne
08. Die Zeit vergeht
09. Südtirol
10. Feinde deiner Feinde
11. Wer weniger schläft, ist länger wach
12. Irgendwer steht dir zur Seite
13. Unendliches Leben
14. Weil du mich nur verarscht hast
15. Unser Wille, unser Weg
16. Mach dich auf
17. Mehr als 1000 Worte
18. Feuer, Erde, Wasser, Luft
19. Das Land der Vollidioten
20. Wir gehen wie Bomben auf euch nieder (Z)
21. Halt deine Schnauze (Z)
22. Sieger stehen da auf, wo Verlierer liegen bleiben (Z)
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