Insgesamt 73.000 Besucher waren es in diesem Jahr. Ein neuer
Besucherrekord für das Hurricane-Festival, das trotz kleinerer Ungereimtheiten,
zweier Bandabsagen und dem Wetter am Festival-Sonntag auch sonst in jeglicher
Hinsicht als voller Erfolg gewertet werden kann. Mit Highlights wie The Cure
oder auch Noel Gallagher’s High Flying Birds, aber auch Überraschungen wie M83
oder Die Antwoord, war für jeden Musikfreund etwas dabei. Aber eins nach dem
anderen, begonnen mit Festival-Tag Nummer 1
Freitag, den 22.06.2012:
Bei der Ankunft in Scheeßel machte sich zunächst
Verwunderung ob der seltsamen Bändchen breit. Tatsächlich: Nachdem der an sich hervorragende
Plan der RFID-Bändchen in letzter Sekunde scheiterte, sah man viele Besucher
mit grünen und orangenen Plastik- und Papierbändchen,
ausgegangen waren. Dann also Bändchen ohne Aufdruck, dachte man sich, und ging
auf das Gelände. Zum Beispiel, um sich 16:25 Uhr Jennifer Rostock anzuschauen, die auf der Blue Stage spielte, eine
Art „Alternative Stage“, wenn man so will. Dass die Auftritte der Band um
Jennifer Weist stets ein ambivalentes Vergnügen sind, konnte man auch hier bei
bestem Sonnenwetter wieder sehen. Ansprechende deutschsprachige Rockmusik mit
gelegentlichem Hang zum Punk, eröffnet mit Meine
bessere Hälfte, konnte das textsichere, zahlreiche und überwiegend recht
junge Publikum von den ersten Tönen an begeistern. Es bedarf allerdings keiner
großen Prüdheit, um von den ständigen, längst nicht mehr provokationsfähigen
Ansagen über Schamlippen, Titten und sonst was, etwas genervt zu sein. Ob die
Band dies nötig hat, sei dahingestellt, aber dem Publikum wurde das geboten,
was es wollte. Ein insgesamt solider Auftritt!
Es blieb voll an der Blue Stage und ein bewährter Plan ging
auf: Spielte er schon 2009 am Freitagnachmittag der Blue Stage, so tat er es
auch 2012 wieder. Zwei Tage nach der mehr als ausverkauften Festival WarmUp
Show im Hamburger Knust, nur rund 80 Kilometer
Bühne und konnte von Anfang bis Ende begeistern. Druckvolle deutschsprachige
Rockmusik, die genau den Nerv der Zeit trifft und dabei zu Recht begeistern
konnte. Eröffnet mit Metropole zeigte
er gleich sein Erfolgsrezept: Es sind eben nicht nur gelungene Rock-Klänge,
sondern es steckt auch viel Gefühl darin. Dargeboten von einem Typen, dem man
das hundertprozentig abnimmt, was er da singt. Gänsehautmomente bei Stücken wie
3 Millionen waren da vorprogrammiert
und kamen folglich auch. Bosse suchte die Nähe zum Publikum und fand sie, sein
Set kam gänzlich ohne Schwachstelle aus. Wenn er dann auf einem Sommer-Festival
mit entsprechendem Wetter in Alter Strand
auch noch vom Strand mit dem besten Bier der Welt singt, ist die ganze Nummer
ein Selbstläufer. Das abschließende Frankfurt/Oder
setzte auch ohne Anna Loos den gelungenen Schluss einer Show, die man schon als
ein erstes frühes Highlight des Festivals ansehen kann.
Eindeutig: Es war der Tag der Blue Stage. Also gleich dort
geblieben, denn: Casper spielte auf.
Dass es eine gute Idee war, ihn zu diesem Festival einzuladen, zeigten die
riesigen Menschenmassen vor der Bühne.
auf der Blue Stage spielen zu lassen, zeigten – ebenso – die riesigen
Menschenmassen vor der Bühne. Dass der Auftritt diese Menschenmassen aber
verdient hatte, steht außer Frage. Casper, der hier vor allem sein Nummer
1-Album XOXO präsentierte, trat den
erfreulichen Beweis an, dass man es auch mit Rap mit intelligenten und
durchdachten Texten nach ganz oben schaffen kann. Mit Band-Besetzung inklusive
neuem Gitarristen, die für Indie-Einschlag in der Musik sorgte, vermochte er
es, die Zuschauer bis in die letzte Reihe zum Mitspringen zu animieren,
vertonte ein großes Gefühlsspektrum und war so etwas wie der Soundtrack einer
heranwachsenden Generation. Bei Mittelfinger
hoch zeigte er seine aggressivere Seite und sorgte für zehntausende
hochgetreckte Mittelfinger am Eichenring, mit So perfekt hingegen sorgte er für einen harmonischen Ausklang.
Nach Casper aus der Menschenmenge zu kommen, gestaltete sich
schwierig – gute 20 Minuten dauerte es, bis man rausgetrieben war, ohne dabei
wirklich selbst zu entscheiden, wo es hingehen soll. Daher wäre für Casper die
Green Stage die richtige Lösung gewesen. Dafür ist es nun zu spät. Die folgende
Geländerunde diente schon einmal der Suche nach einem Stand mit Fernseher, um
zwischenzeitlich mal bei Deutschland gegen Griechenland reinschauen zu können.
Und siehe da: Der Stand eines Fußballvereins bietet auch die
Fußballübertragung. Fernab persönlicher Fußball-Club-Präferenzen konnte man dem
Stand des FC St. Pauli hier nur dankbar sein.
Viel Zeit für die freitägliche Geländerunde war aber nicht,
denn – wo auch sonst? – auf der Blue Stage brachte sich die nächste Band in
Position, um den bayerischen Teil des Abends in die Wege zu leiten. LaBrassBanda traten zur besten
Sendezeit, um 20:15 Uhr, an, um die Meute… Ja, was eigentlich? Zu rocken? Zu
punken? Denn eins ist klar: LaBrassBanda machen einfach das, was sie wollen –
mit Blasmusik auf einem großen Rock-Festival zu punkten, ist schon eine große
Kunst. Erfreulich: Stefan Dettl und seine Mannen schafften es mit Bravour,
sorgten für grandiose Stimmung und brachten die Menge zum Tanzen.
Rock- und Punk-Einflüssen fühlt man sich gelegentlich gar wie auf einer
Techno-Party. Mit nebenher noch sympathischen Ansagen, original auf Bayerisch
gehalten, konnte man hier überzeugen.
Obgleich gerade Deutschland gegen Griechenland das
Viertelfinale ausspielten: Auf den Bühnen ging es munter weiter. Während
LaBrassBanda spielten, hatten auch All
Shall Perish auf der Red Stage, die in diesem Jahr erfreulicherweise
ebenfalls open air war und nicht mehr als Zirkuszelt auf dem Gelände stand,
eine beachtliche Zuschauerschar versammelt, um diese mit ihrem Deathcore zu
rocken. Druckvolle Sounds, die auch begeistern konnten, wenn man mit dem
anderen Auge gerade das Viertelfinalspiel verfolgte.
Dass dann ausgerechnet die Sportfreunde Stiller um 22:00 Uhr, während des noch laufenden
Fußballspiels, die Bühne betreten mussten, ließ sie vermutlich ihren eigenen
Vertrag verfluchen, gewährleistete aber auch für die anwesenden
zahlreichen – Zuschauer vor der Bühne, stets auf dem Laufenden zu sein, was den
Spielstand betrifft (bis zum Endstand von 4:2, den es bald zu feiern gab).
Haben sie vor einem guten Monat noch im sehr kleinen Rahmen das Hamburger
Molotow im Kampf gegen den Abriss unterstützt, so war heute wieder die große
Bühne auf dem Programm. Passend zum Rahmen eröffneten sie mit 54, 74, 90, 2010, allerdings umgemünzt
auf „2012 werden wir Europameister sein“. Wie die Realität aussieht, wissen wir
alle inzwischen, aber für die Stimmung war es ein Glücksgriff. Was folgte, war
ein Best Of-Set durch die inzwischen lange Bandgeschichte der Sporties, die mit
Stücken wie Wunderbaren Jahren, Fast wie von selbst und wie sie alle
heißen, brillieren konnten. Trotz der mächtigen Konkurrenz auf der Green Stage
blieben die Fans zahlreich vor der Blue Stage und bescherten den zweiten
bayerischen Vertretern des Abends einen gelungenen Abend.
Ab 22:30 Uhr dann auf der Green Stage einer der absoluten
Headliner des Festivals: The Cure.
Während das jüngere Publikum (soll heißen: unter oder Anfang 20) hier nicht
ganz so zahlreich vertreten war, fanden sich große Menschenmengen ein, die
ihren Idolen (oder teilweise auch: Jugendidolen) um Robert Smith huldigen
wollten.
Set auch allen Grund dazu. Spielte man zuletzt im Jahr 2004 auf derselben Bühne
und sorgte teilweise für Verstörung, weil nicht gerade viele Hits enthalten
waren, ging man die Sache anno 2012 dann ganz anders an: Sehr zur Freude des
Publikums spielte man ein Best Of-Set, das auf ganzer Linie überzeugen konnte
und sich durch sämtliche Schaffensphasen der Band zog. Spätestens als an
zweiter Stelle Pictures Of You
gespielt wurde, hatte Robert Smith, an diesem Abend außerordentlich gut
gelaunt, das Publikum voll im Griff. The Cure verbreiteten an diesem Abend eben
genau die Atmosphäre, die zu verbreiten ganz allein The Cure in der Lage sind.
Nummern wie Just Like Heaven sorgten
für viel Bewegung und Gänsehäute. Gar zu Friday
I’m In Love ließ er sich hinreißen, was naturgemäß auf einem Festival wie
dem Hurricane gnadenlos gefeiert wird. Aber auch die verzweifelten Momente
fehlten nicht: Kurz vor Schluss beispielsweise mit One Hundred Years, einem der verzweifeltsten Stücke, die je
geschrieben wurden. Dass mit Disintegration
Schluss sein sollte, wollte folglich keiner glauben. Auch Robert Smith selbst
nicht, sodass es mit The Same Deep Water
As You und dem finalen Boys Don’t Cry
noch einmal Nachschlag gab. Was für ein Auftritt!
Inzwischen 00:30 Uhr war aber dennoch kein Ende in Sicht.
Die wiedervereinten Stone Roses
enterten zu später Stunde noch die Blue Stage.
inzwischen leicht verblasst ist, zeigte die überschaubare Menschenmenge dann
deutlich. Bei ihrem Auftritt boten die Mannen um Ian Brown ein Best Of-Set,
bei dem sie gleich zu Beginn I Wanna Be
Adored zum Besten gaben, aber leider auch zeigten, dass ihr Sänger mit Band
genauso wenig tonsicher ist wie auf seinen Solo-Touren. Wie man nachfolgenden Generationen
nach diesem Auftritt erklären sollte, dass da gerade Legenden auf der Bühne
sind, blieb schleierhaft. Schade zudem auch, dass sie mit einem Fotovertrag aufwarteten, der nicht akzeptabel war und somit von den Fotografen durchweg ignoriert wurde. Anders machten es indes Pennywise, die um 01:00 Uhr noch einmal die „kleine“ Red Stage aus allen
Nähten platzen ließen und mit ihren bewährten Punk-Klängen dafür sorgten, dass
die Zuschauer die letzten Akku-Reste für den Freitag entleerten und glückselig
ins eigene Zelt, ins Partyzelt oder auch zum bierseligen Resümee des Tages zu
schicken.
Samstag, den 23.06.2012:
Es war Samstag, es war Tag 2 des Hurricane Festivals 2012 und
die Sonne zeigte sich direkt am Morgen erneut. Man kann Robert Smith also dankbar
sein, dass er am Vorabend bei seinem grandiosen Konzert darauf verzichtete, mit
seiner Band Prayers for Rain zu
spielen. Frische Dusche, frischer Kaffee, frisches Frühstück und frühzeitig frisch
ins Auto, um ein zweites Mal den Weg von Hamburg nach Scheeßel anzutreten. Nach
erfolgreicher Parkplatzsuche ein kurzer Fußmarsch zum Gelände… Und ab dafür!
14:05 Uhr spielen Band of Skulls.
Also mal munter geschaut, was die Band auf der Bühne so kann. Vor einer gerade
in Anbetracht der Uhrzeit ansehnlichen Zuschauermenge spielte das Trio
ansprechenden Indie-Rock mit Ecken und Kanten, die maßgeblich für den spröden
Charme der Sounds der Band verantwortlich sind. Die Songs können dennoch
mitreißen, lassen Gitarrenwänd entstehen, die sich in melodiösen Passagen
auflösen und begeistern dabei. Wenngleich die Teilnahme am Twilight-Soundtrack
und der ewige „next big thing“-Hype in der britischen Presse für manche böse
Vorzeichen darstellen mögen: Wer sich hier live vom Können der Band überzeugen
ließ, hatte die Gewissheit, dass all die Vorschusslorbeeren bei dieser Band
auch im Nachhinein noch zu bestätigen sind.
Die letzten Klänge der Band of Skulls begleiteten dann auch
schon den Weg eine Bühne weiter: Auf der Blue Stage spielten um 14:45 Uhr Everlaunch auf. Die Band hatte hier ein
Heimspiel, sind es von Rotenburg (Wümme) doch bloß 15 Minuten Anfahrt. Und sie
konnten auf ganzer Linie überzeugen.
Indie-Klängen präsentierten sie Gefühl und Rock-Potenzial, mit dem sie die
ebenfalls schon sehr zahlreichenden Anwesenden nicht nur begeistern, sondern
auch zum Mitgehen und mitunter auch zum Mitsingen animieren konnten. Dabei
spielten sie ein gelungenes Set aus ihren beiden Alben, darin natürlich auch Run Run Run enthalten, das es einst bis
auf MTV schaffte. Aber auch die Stücke des Zweitlings Number One überzeugten, wie Hurricane
als Quasi-Titelsong zum Wochenende oder auch Fray Your Senses. Der Abschluss Setting
Sun sorgte dann noch für einen dieser Festival-Momente, von denen man gerne
erzählt… Es fiel mal eben die gesamte Soundanlage der Bühne aus und es war
nur noch der Bühnen-Sound zu hören. Ob die Band dies merkte oder nicht, ist
nicht ganz geklärt, aber dass sie einfach weitermachten, als sei nichts
gewesen, übertrug sich auch aufs Publikum. Ungeachtet des kaum noch vorhandenen
Sounds wurde die Band um Thorsten Finner von den Zuschauern frenetisch
weitergefeiert. Und das, man dürfte es nach diesem Absatz auch schon erahnen,
vollkommen verdient!
Die Frage, wie groß die Schädigung der Soundanlage war,
beantworteten Kakkmaddafakka als nächster
Act und die Band mit dem eigenwilligsten Namen auf der Blue Stage. Die
norwegische Indie-Band konnte klangtechnisch wieder aus dem Vollen schöpfen und
tat dies auch. Stücke wie Make The First
Move und Gangsta wurden dankbar
von der Fanbase angenommen. Dennoch aber stand auch mal ein Blick auf die Green
Stage auf dem Programm,
Death Metal um 16:30 Uhr anstanden. Die Band um Jesse „The Devil“ Hughes
hatte aber vor allem eines im Gepäck: Lautstärke. Wer die Band mochte, war
sichtlich begeistert davon, Titel wie Cherry
Cola live zu hören. Um neue Fans zu akquirieren, war dies aber eher der
falsche Rahmen.
Ein erneuter Blick auf den Zeitplan also für die
Alternativen-Suche. Da musste man jedoch nicht lange überlegen, sondern sich
lieber selbst beinah ohrfeigen, dass man es fast verdaddelte, dass ja Gus Gus auf der White Stage spielen.
Und der erste Besuch auf der White Stage, der einzig verbliebenen Zeltbühne des
Hurricane Festivals, sollte sich auf ganzer Linie lohnen. Zwar war das Zelt
nicht so richtig gut gefühlt, aber vor der Bühne war dann doch eine ansehnliche
Schar versammelt, die sich in ständiger Bewegung befand, während man sich im
hinteren Bereich des Zeltes fragte, ob da nicht doch noch etwas anderes als
Koffein in der Cola war. War es nicht, tatsächlich liefen dort ein
Obelix-Verschnitt, eine Banane und ein riesengroßer Affe herum. Das Hurricane
ist eben auch der Ort, auf dem die Menschen ihre Exzentrik ausleben. Allesamt
konnten sie bei Gus Gus feststellen: Die White Stage hat einen beeindruckenden
Sound, der den Klängen von Gus Gus sehr entgegenkam. Technoide Klänge mit
Innovation, Bewegung auf der Bühne und permanente gute Laune sowie so ein
Bewegungsdrang in den Beinen – das war es, was Gus Gus hier boten und bewirkten.
Eine wahrlich großartige Dreiviertelstunde der Isländer!
Verschnaufpause? Fehlanzeige! Weiter geht es, die Rückkehr
zur Blue Stage war an der Reihe. Einer der ganz Großen spielte auf: Thees Uhlmann und seine Band waren an
der Reihe. Ist er sowieso bei einer ganzen Generation höchstbeliebt,
Nähe dieses Auftritts zu Hamburg dann vermutlich noch ein weiterer Faktor, der
diesen Auftritt vor vollem Haus zu einem Selbstläufer werden lässt. Neben
seinen Songs sind auch die Bühnenansagen immer wieder ein Highlight seiner
Shows, zum Beispiel wenn er erzählt, wie ihn einst eine
Drogeriemarkt-Verkäuferin mit den Worten „Sie kenne ich! Sie sind doch der mit
dem Fischlied!“ begrüßte. Natürlich, besagtes „Fischlied“ fehlte auch nicht. Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse
den Fluss hinauf auf Hälfte des Sets hielt die Stimmung hoch, aber auch
Stücke wie & Jay-Z singt uns ein Lied
wurden vom Publikum dankbar aufgenommen. Gefolgt von XOXO, einem Casper-Cover, den Thees Uhlmann noch einmal lobend
erwähnte und sich erfreut dazu äußerte, dass neben Acts wie Bushido und Sido
eben auch noch intelligente Künstler wie Casper auf die Nummer 1 kämpfen
können. Die Toten auf dem Rücksitz
markierte anschließend den Schlusspunkt des Auftritts.
Auf derselben Bühne brachten sich nun Florence + The Machine in Position, die mit einem soliden Best
Of-Set für gute Laune sorgten und aktiv den Kontakt mit den Zuschauern suchten.
Ein Plan, der aufging. Dennoch: Die Neugierde war zu groß, was die mit vielen
Vorschusslorbeeren bedachten M83 auf
der Red Stage zu bieten haben. Deren Auftritt wurde durch die Absage von City
and Colour auf 20 Uhr vorverlegt, begann im Endeffekt aber bereits um 19:55
Uhr. Im Festivalprogramm als Shoegazer angekündigt, war dies ein eher falscher
Teaser für die Band.
DreamPop-Wurzeln, aber vielmehr zeigte sich an dieser Einstufung, dass
Shoegazing längst ein Modewort geworden ist für viel Musik, die mitunter mit
dem ursprünglichen Shoegazing wenig zu tun hat. Das jedoch nur am Rande und
damit zurück zur Show. Die war schließlich hervorragend! Indie-Rock-Klänge mit
Elektro-Einfluss, manchmal gar mit echten Bläsern auf der Bühne, was einen
hohen Party-Anteil aufwies. Tatsächlich: M83 feierten in ihrem kurzweiligen
Auftritt mit dem sich beständig größer werdenden Publikum eine riesige Party,
die auch wieder diese besagten besonderen Festival-Momente bot. Wann erlebt man
schon mal, dass die Graben-Security – berufsbedingt stets mit dem Rücken zur
Bühne – plötzlich das Publikum zum Mitklatschen animieren? Oder gar mit
Wasserpistolen in die Menge spritzen? Eben! Ein denkwürdiger Auftritt und eine
der großen Überraschungen des Wochenendes.
Auch weiterhin ließ der Zeitplan keine Lücken zu… Daher
gleich wieder zur Blue Stage zurück: Noel
Gallagher’s High Flying Birds spielten schließlich auf. Im Gegensatz zu
Liam spielt Noel auch noch Oasis-Stücke, was er gleich zu Beginn mit (It’s Good) To Be Free zeigte. So war
das Set dann eine gute Mischung aus Oasis-Nummern und Solo-Stücken. Everybody’s On The Run und Dream On zum Beispiel zeigten gut,
welche Stärken der ältere der beiden Gallaghers auch solo hat. Mal hymnisch,
mal trotzig stampfend, immer voll bei der Sache, so präsentierte sich Noel
Gallagher. Was dabei überraschte: Er war richtig zahm. Auf die Musik wirkte
sich das natürlich nicht aus, aber man hatte hier tatsächlich den Eindruck,
Noel Gallagher sei der freundliche Musiker von nebenan, mit dem man sich auch
gerne mal auf einen Kaffee trifft. Die Sympathien des Publikums waren ihm so
oder so sicher, sodass jedes Stück in frenetischem Applaus mündete. Ein
Highlight war dabei unter anderem seine Parade-Ballade Talk Tonight, die ja im Grunde auch bei Oasis schon eher ein
Solo-Stück von Noel war.
begeistern. Weiterhin ruhig bis rockig, zwischen Oasis und High Flying Birds,
spielte sich Noel Gallagher hin zum großen Finale, das er nach Little By Little mit Don’t Look Back In Anger bot. Da reicht
es auch, wenn er nur den halben Text singt, denn diese
generationen-übergreifende Hymne konnte hier jeder mitsingen. Gänsehäute, sich
in den Armen liegende Menschen, große Euphorie – ein grandioser Schluss. Alles
richtig gemacht, Herr Gallagher! Und dabei ein definitives Highlight des
Hurricane Festivals 2012 geboten.
Es folgte eine längere Umbau-Pause, die sich beispielsweise
gut mit den Hardcore- und Punk-Klängen von Rise
Against auf der Green Stage überbrücken ließ, die hier das Publikum voll im
Griff hatten. Auf der Blue Stage ging es dann erst um 22:30 Uhr weiter, mit
einer Band, die auf den ersten Blick überraschend diesen späten Slot innehatte:
Mumford & Sons waren zu sehen. Lange
ließen sie sich trotz Verletzung des Frontmanns auch nicht bitten, sondern
spielten gleich an zweiter Stelle mit Little
Lion’s Man einen ihrer großen Hits und traten den lebenden Beweis an, dass
man auch mit Folk-Klängen eine Bühne wie die des Hurricane Festivals zu später
Stunde bespielen kann und damit das Publikum in Verzückung versetzen. Mit
Rock-Einfluss und Spielfreude, häufig auch mit Streichern, präsentierten sie
ein gelungenes Set, das mal minimalistisch und mal mit den ganz großen Gesten
begegnete und es auch schaffte, gegen Blink-182 auf der Green Stage zu
bestehen. Ein überraschend guter Auftritt, der auch die späte Spielzeit durch
und durch rechtfertigen konnte.
Während Blink-182
auf der Green Stage einen Auftritt hinlegten, wie man ihn von der Band gewohnt
ist, eben punkig und mit viel Spaß an der Sache, waren um 00:30 Uhr auf der
Blue Stage Justice an der Reihe, die
vor allem eines wollten:
noch etwas: Garbage als heiß
ersehnte Band spielten auf der Red Stage. Ob es nun an der Haarfarbe der
Sängerin liegt, dass sie auf der Red Stage spielten, kann man nur vermuten,
aber man kann feststellen: Die Bühnenplanung war an dieser Stelle – ähnlich wie
am Vortag bei Casper – nicht ganz so optimal, denn es waren dann doch mehr als
zwei bis drei Leute, die Garbage sehen wollten. Um 01:00 Uhr eröffneten sie mit
Automatic Systematic Habit zunächst
mal mit dem Opener des aktuellen Albums Not
Your Kind Of People, zollten danach aber schnell der Tatsache Tribut, dass
die Fans eben auch die großen Hits hören möchten. Wie zum Beispiel das gleich
darauf folgende I Think I’m Paranoid.
Zwar wurde immer mal eines der neuen Stücke eingewoben, aber im Mittelpunkt
standen Klassiker wie Stupid Girl, Vow, Queer
und wie sie alle heißen. Natürlich sehr zur Freude des Publikums. Zum Abschluss
spielte die Band um Shirley Manson dann mit Only Happy When It Rains ihren
vielleicht größten Hit und ließ auch am zweiten Festival-Tag ein zufriedenes
Publikum zurück.
Sonntag, den 24.06.2012:
Ein Blick aus dem Fenster am frühen Sonntagmorgen und es
kommt der Gedanke: Verflucht sei Shirley Manson. Musste das sein mit Only Happy When It Rains als
Schlussnummer des gestrigen Garbage-Sets? Naja, vermutlich war dann doch eher
der Wettergott schuld an dem Schlamassel. Oder einige der Festivalbesucher
haben schlichtweg am Vortag nicht aufgegessen… Aber da es ja bekanntlich sowieso
nicht das falsche Wetter, sondern nur die falsche Kleidung gibt: Ein weiteres
Mal in den Wagen geschwungen und nach Scheeßel gereist, einen Parkplatz auf
Matschrisiko-befreitem Boden gesucht und es ging wieder los. Hurricane Festival
2012, Tag 3!
Wie schon die beiden vorigen Tage: Es begann erneut an der
Blue Stage. Zu früher Stunde, genauer gesagt um 13:25 Uhr, spielte bereits Selah Sue, die bei den niederländischen
und belgischen Nachbarn auf Platz 2 und Platz 1 charten konnte, hierzulande
aber noch nicht die Aufmerksamkeit erhielt, die ihr zusteht. Dass sie was kann,
zeigte sie in Scheeßel deutlich. Ihre vor allem Soul-geprägte Musik mit
funkigen Einflüssen und Reggae-Elementen funktionierte auch im Scheeßeler
Dauerregen gut.
Vibes als tanzbare Soul-Nummer sorgten für einen kurzweiligen Auftritt, bei
dem sich die junge Belgierin sicherlich auch einige neue Hörer erspielt haben
dürfte.
Kommen wir nun zur Verleihung der Goldmedaille in der
Disziplin „Abgefahrenheit“. Hierfür kann es an diesem Wochenende nur einen
Gewinner geben, der allerdings ab 14:15 Uhr auf der Red Stage zu beschäftigt
war, um diesen Preis persönlich entgegenzunehmen: Die Antwoord. Ninja, ¥o-Landi Vi$$er und DJ Hi-Tek aus Kapstadt
spielten einen Auftritt, der HipHop-Persiflage und grandiose HipHop-Show in
einem bot. Und sie feierten hier eine riesige Party. Zu knackigen Beats, großer
Bühnenshow mit viel Bewegung, Kostümwechseln und ¥o-Landis Schlumpfstimme hatte
man keine andere Möglichkeit, als begeistert mitzugehen bei Stücken mit Titeln
wie Fatty Boom Boom oder Wat Kyk Jy. Eines von vielen Highlights
auch: Ihre Enya-„Coverversion“ zu Sail
Away, ergänzt um pointierte Raps und die Antwoord-typische Ironie. Zum
Schluss dann mit I Fink U Freeky die
wohl bekannteste Nummer des Trios. Mögen vorher noch Fragen offen gewesen sein,
so wusste man spätestens jetzt: Hier ist Die Antwoord! Ein hervorragender
Auftritt im strömenden Mittagsregen.
Schon ging es mal wieder rüber zur Blue Stage, um zu
begutachten, was Frank Turner & The
Sleeping Souls dort so treiben. Und das konnte sich gut sehen und hören
lassen:
Band hervorragend. Peggy and the Blues
zum Beispiel ging nicht nur unter die Haut, sondern versetzte das Publikum in
seinen verschiedensten und teils in höchstem Maße kreativen Regenoutfits
ordentlich in Bewegung. Dass er auch zünftig rocken kann, bewies die
Rock-Version von Long Live The Queen.
Trotz des hohen Tempos und der Tatsache, dass Frank Turner sich gelegentlich
die Seele aus dem Leib schrie, blieb das Feeling des Stücks erhalten und war
einer der Höhepunkte des kurzweiligen Sets. Frank Turner zeigte sich erneut als
einer dieser Musiker, mit dem man bei einem Festival kaum etwas verkehrt machen
kann. In diesem Sinne: „Netter Kontakt, gerne wieder! Aber bitte bei trockenerem
Wetter.“
Fiel es schon Freitag und Samstag auf, so musste man sich am
Sonntag dann endgültig eingestehen: Manche Bühnenplanungen sind einfach alles
andere als optimal, manche gar völlig fehl am Platz.
diesem Jahr kein Zelt mehr ist: Kraftklub
hätten mit ihrer großen Anhängerschaft auch locker die Green Stage ausgefüllt.
Stattdessen standen die Menschen bis in die Händlermeile hinein, weil die
Kapazität der Red Stage mehr als gesprengt war. Der Party tat dies keinen Abbruch,
nur dass eben nicht alle teilnehmen konnten. Die Stücke von Mit K sorgten für kollektive
Party-Stimmung, die das Wetter völlig vergessen ließ. Die Berlin-Persiflage Ich will nicht nach Berlin überzeugte da
genauso wie Songs für Liam mit seinem
immens hohen Tempo. Aber auch die Stücke, die bisher nicht als Single
ausgekoppelt wurden, schienen dem Publikum weitestgehend bekannt gewesen zu
sein. Kein Wunder, ist es doch schließlich ein Nummer 1-Album. Im Endeffekt ein
sehr guter Auftritt einer Band, die genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort
war, hier jedoch leider auf die falsche Bühne gelegt wurde.
Auf der Red Stage geblieben, folgte dann Kontrastprogramm.
Die beiden jungen Damen von Boy
waren an der Reihe.
ist zwar nicht gescheitert, aber mit ihren teils intimen Klängen konnten Boy
nicht auf ganzer Linie überzeugen. Dabei war ihr Auftritt keineswegs schlecht.
Sonja Glass und Valeska Steiner haben ihren ur-eigenen Charme, eine versierte
Band im Gepäck und wirklich hochkarätige Songs, die sie hier ebenso gekonnt wie
gut gelaunt präsentierten. Gerade treibendere Nummern wie Little Numbers konnten das Publikum für sich einnehmen. Das
einzige, was diesem Auftritt schlussendlich fehlte, war das gewisse Etwas, das
die Stimmung auf den richtigen Pegel brachte. Aber es sind schließlich auch die
ersten Festival-Auftritte, die Boy derzeit spielen. Da ist noch viel Luft nach
oben!
Schnell mal rüber zur Green Stage, um ein großes Comeback zu
feiern… Nein, Kettcar haben
natürlich nicht pausiert. Die Sonne aber, die sich nun auf einmal zeigte,
hingegen schon. So trafen Kettcar und das
gemeinsam einen schönen Auftritt zu zelebrieren, bei dem die Mannen um Marcus Wiebusch
die Variante „Nummer Sicher“ wählten: Ein Hit-lastiges Best Of-Set. Keine
schlechte Idee, wie die Publikumsreaktionen belegten. Zum Beispiel gleich an zweiter
Stelle Deiche, das druckvoll nach
vorne ging und das Kettcar-typische Feeling verbreitete. Oder auch 48 Stunden, das in etwas ruhigerer
Manier ebenso erfreut vom dankbaren Publikum angenommen wurde. So spielten sie
sich durch das Repertoire ihrer inzwischen auch schon langen Laufbahn bis hin
zum Evergreen und Klassiker Landungsbrücken
raus. Ganz Schluss sollte damit dann aber noch nicht sein: Marcus und Lars
Wiebusch beendeten das Set in Duo-Besetzung mit Balu und rundeten balladesk einen sehr gelungenen Auftritt ab.
19:15 Uhr, die Trockenheit hat nicht wirklich angehalten,
und es geht mal wieder rüber zur – trotz der einen oder anderen Überfüllung –
liebgewonnenen Blue Stage, um dem Auftritt von Katzenjammer beizuwohnen. Zwar waren auch Katzenjammer zu
beschäftigt,
entgegenzunehmen, aber auch sie boten einen gelungenen und abgefahrenen
Auftritt. Die vier norwegischen Multi-Instrumentalistinnen, die hier mit
zweistelliger Instrumentenzahl angereist waren (neben den üblichen
Rock-Instrumenten auch Akkordeon, Geige, Mundharmonika, Banjo, Ukulele,
Glockenspiel und viele weitere), sorgten auf ganzer Länge für eine
hervorragende Laune und erzeugten eine atmosphärische Mischung aus Jahrmarkt,
Hafenkneipe, Rockabilly-Club, Polka-Session und mehr. Was dabei auch nicht
fehlen durfte: Ihre charmant-eigenwillige Genesis-Coverversion zu Land of Confusion. Ein Cover, das sich
im Mittelteil der Show gut ins gesamte Set einfügte, bevor man nach Nummern wie
A Bar in Amsterdam und Der Kapitän mit Ain’t No Thang den Auftritt beendete. Schade, denn da hätte man
gerne noch länger zugesehen und zugehört.
hinwill, lohnte sich noch ein Besuch auf der Red Stage, wo die australischen
Durchstarter von The Temper Trap
einen gefühl- und druckvollen Auftritt hinlegten. Man merkte, dass die Herzschmerz-getränkten
Stücke der aktuellen selbstbetiteln Platte durch das Ende der Beziehung von
Sänger Dougy Mandagi stark beeinflusst sind, aber wie wir alle wissen: Für
große Musik ist das oft die beste Inspiration. So stark der vorige Schmerz, so
groß die hinterher entstehende Begeisterung bei den Zuschauern. Man möchte
meinen, der Regen hätte hier sogar gepasst – sofern man bei einem Open Air
überhaupt das Wort „passend“ mit Regen in Verbindung bringen möchte.
Während vorwiegend die jüngeren Besucher nun zur Green Stage
pilgerten, um Die Ärzte zu sehen,
die auf Festivals eigentlich immer eine sichere Sache sind, entschieden sich
vorwiegend diejenigen, die schon ein wenig länger dabei sind, zum Abschluss noch
einmal zur Blue Stage,
Freitag die Sportfreunde Stiller ihre Auftrittszeit aufgrund des parallel
stattfinden Fußballspiels verflucht haben dürften, ging es Bernard Sumner
vermutlich ähnlich: Er „durfte“ parallel zum Spiel der Engländer gegen Italien
auf die Bühne. Dennoch ging er konzentriert zur Sache und spielte mit seiner
Band nicht nur ein Best Of-Set, sondern wob auch ein bisschen Joy Division mit
in den Auftritt ein. So zum Beispiel nach Ceremony,
als sie Isolation spielten. Was
hierauf folgte, waren dann die großen Hits, vom Publikum dankend angenommen. Bizarre Love Triangle, True Faith, Blue Monday – das Programm, wie man es sich erwünscht hat und
glücklicherweise auch bekam. Der Abschluss dann noch einmal ein großer Moment
für die Musikhistoriker: Love Will Tear
Us Apart! Kann man den Abschluss besser begehen? Nicht nur ein gelungener
Abschluss für New Order, sondern auch ein gelungener Abschluss des Hurricane
Festivals 2012.
Zeit, glückselig nach Hause zu fahren, zu trocknen, die
versaute Kleidung zu waschen und in Erinnerungen an ein schönes Wochenende in
Scheeßel zu schwelgen. Die nächste Runde findet dann vom 21. bis 23.06.2013
statt.
Wir haben für euch Galerien mit
Bildern der einzelnen Festivaltage zusammengestellt, die ihr hier oder durch
Anklicken der Bilder erreichen könnt:
Galerie Hurricane Festival Tag 1 (Freitag, den 22.06.2012)
Galerie Hurricane Festival Tag 2 (Samstag, den 23.06.2012)
Galerie Hurricane Festival Tag 3 (Sonntag den 24.06.2012)
Autor: Marius Meyer
Fotos: Michael Gamon
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