So zumindest könnte man den Abend deuten, wenn man es drauf anlegte – und einem Künstler viele Hintergedanken zugestünde. Belle & Sebastians Stuart Murdoch hat die Frage nach "geheimen Botschaften" in Setlisten einmal lachend damit beantwortet, dass Fans Bands viel zu viel zutrauten. Das Programm eines B&S Konzerts entstehe spontan, je nachdem, auf welche Songs er gerade Lust habe, ganz ohne System. Bei Noel Gallagher scheint dieser Prozess noch etwas pragmatischer abzulaufen: auf der ganzen Tour spielt der Sänger die gleichen Lieder, lediglich die Reihenfolge der Zugaben variiert. So war auch die Reise von der Befreiung von der Vergangenheit bis zum Vorsatz, nicht verbittert zurückzublicken Zufall, andere Konzerte endeten mit Little by little. Der schönste Beweis dafür, daß die Abfolge vollkommen egal ist, ist die Anordnung der Lieder der neuen Platte: Noel spielte alle Songs des Albums (bis auf das letzte Stück Stop the clocks, das im Programm fehlte) in exakt der Reihenfolge, in der die Lieder auf der CD sind, dazwischen ein paar Oasis-Hits, eine B-Seite, ein neues Stück, voilà, so geht Setlistenbau.
Das Konzert des Engländers war ursprünglich im E-Werk angesetzt, nach wenigen Minuten allerdings ausverkauft und wurde auf die andere Straßenseite verlegt. Unter Kölner Konzertgängern ist das Palladium die meistgehasste (größere) Bude, leider häufig allerdings unvermeidbar, weil es in dieser Größe eben nichts anderes gibt, will man nicht nach Düsseldorf ausweichen. Glücklicherweise galt das auch für die Kölner Oper, die wegen ihres Umbaus ein Ausweichquartier suchte, und vermutlich freudestrahlend den Fabrikbau in der Schanzenstraße wählte. Wegen des umfangreichen Opernspielplans bleibt dem U-Musikgänger des Palladium seit einiger Zeit erspart, nur Lücken im Opernprogramm bedeuten Konzerte auf der falschen Straßenseite. Heute beispielweise.
Der Abend in der Oper begann mit The Electric Soft Parade aus "Brrrr in England", so stellte jedenfalls Sänger Tom White seine Band vor. "Brrrr" ist Brighton und The Electric Soft Parade eine Gruppe, die mich in vielerlei Hinsicht an Teenage Fanclub erinnerte, allerdings ohne die Pullover. Die Stücke der Musiker, die alle wie vermeintlich typische Lehrer aussahen, klingen auf den ersten Blick ein wenig lieblich und harmlos (liegt am Gesang), lassen es aber meist gegen Ende richtig scheppern. Von Teenage Fanclub unterscheidet sie nur (neben den Pullovern) der fehlende ganz große Hit, die gute halbe Stunde machte aber auch ohne diese viel Spaß. Eine gute Vorgruppenwahl.
Punkt neun begann dann das Konzert des ehemaligen Schwagers von Patsy Kensit ("I’m not scared"). Noel, im hellblauen Hemd und mit gewohnt toller Frisur, eröffnete mit zweimal Oasis. Auch wenn wir nichts mehr in Setlisten interpretieren, ist das ein Statement. "Oasis ist meine Musik, also spiele ich die auch!" Schwer vorstellbar, daß Mama Gallaghers Wunsch von der Versöhnung der beiden Jungs unterm Weihnachtsbaum funtioniert.
Das erste post-Oasis Stück war Everybody’s on the run. Ich kannte das Album vor dem Konzert noch nicht, ich hatte nur zwei oder drei Lieder schon gehört. Im Prinzip ist Noel Gallagher’s High Flying Birds aber so, wie man es erwarten würde (und wie eine achte Oasis Platte weitestgehend geklungen hätte). Einige der Songs sind Knüller (If I had a gun… und vor allem das neue, bislang unveröffentlichte Freaky teeth), andere nur nett (dieses Kirmeskarussell-Keyboard in ein oder zwei Liedern braucht niemand!). Wenn zwei nur nette Stücke dicht an dicht kamen, hatte der Abend kleinere Hänger, das bleibt aber eben nicht aus, wenn Künstler ihr ganzes Album spielen. Wenn man ein Set allerdings in so Momenten mit Oasis Gassenfegern bestücken kann, garantiert das einen guten Konzertabend – und das war er natürlich.
Die Oasis Songs waren alle prima, nur die runtergerotzte Wonderwall-Version war unnötig. Aber wer will Noel das verdenken. Wonderwall ist vermutlich ein der meistgecoverten Stücke eines lebenden Künstlers (u.a. von Paul Anka, Jay Z und jedem Straßenmusiker der Welt verwurstet). Er muß es wohl spielen, aber er muß das nicht mögen. Andere Oasis Lieder (Little by little, Supersonic, Half the world away und Don’t look back in anger!) funtionierten da unglaublich viel besser. Auch wenn Don’t look back in anger ähnlich totgenudelt ist, kann ich mir nicht vorstellen, wie man sich dem Livecharme des Stücks entziehen könnte!
Es war ein guter Konzertabend, der ziemlich genau meinen Vorstellungen entsprach. Ich hatte weder Desaster noch Konzert des Jahres erwartet. Ich hatte mir gewünscht, einen sehr guten Abend zu verleben, und genau so war es dann auch. Cheers.
Setlist:
01. (It’s good) to be free (Oasis)
02. Mucky fingers (Oasis)
03. Everybody’s on the run
04. Dream on
05. If I had a gun…
06. The good rebel
07. The death of you and me
08. Freaky teeth (neu)
09. Wonderwall (Oasis)
10. Supersonic (Oasis)
11. (I wanna live in a dream in my) record machine
12. AKA… What a life!
13. Talk tonight (Oasis)
14. Soldier boys and Jesus freaks
15. AKA… Broken arrow
16. Half the world away (Oasis)
17. (Stranded on) the wrong beach
18. Little by little (Oasis) (Z)
19. The importance of being idle (Oasis) (Z)
20. Don’t look back in anger (Oasis) (Z)
Autor: Christoph Menningen