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Wave-Gotik-Treffen (WGT) 2011 – Leipzig (09.-13.06.2011)

Wave-Gotik-Treffen (WGT) 2011 - Leipzig (09.-13.06.2011)
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Pfingsten 2011 – in Leipzig treffen sich Fans, Freunde und Anhänger aus der ganzen Welt und aus jedem Winkel der Szene, um das 20. WGT zu zelebrieren. Eine wahre Feierlichkeit, die mit ihrem grandiosen Line- Up ihren letzten Schliff erhält! Natürlich wollen wir euch unsere Eindrücke nicht vorenthalten und geben euch einen kurzen Überblick über unser diesjähriges Programm in Leipzig und liefern die entsprechenden Fotos dazu.

Beginnen wir also am Anfang …

Donnerstag, 09.06.2011:

Natürlich haben sich die Veranstalter für das Jubiläum etwas Besonderes einfallen lassen. Denn in diesem Jahr fand die offizielle Eröffnung nicht erst am Freitag, sondern bereits am Donnerstag vor Pfingsten statt, so dass das WGT2011 ganze 5 Tage dauerte! Und die Bands für den Eröffnungstag waren handverlesen, denn in der Agra geben die Teilnehmer des ersten WGT-Festivals überhaupt ein erneutes Stelldichein.

Als erste stehen Das Ich [GALLERY] auf der Bühne, allerdings leider nicht komplett, denn ein kurz zuvor die Runde machendes Gerücht stellt sich nun zum Entsetzen vieler als wahr heraus: Stefan Ackermann, Frontmann der Band ist schwer erkrankt, liegt seit zwei Wochen auf der Intensivstation und die Aussichten auf eine vollständige Genesung sind noch unklar. Dies wird dem Publikum auf einer großen Leinwand mitgeteilt und kurz darauf wendet sich auch Das Ich Mitbegründer Bruno Kramm an das Publikum und erklärt, dass man sich trotz dieses traurigen Umstandes dazu entschlossen habe aufzutreten und versuchen möchte, Stefan mit allerlei positiver Energie von Band und Publikum zu beglücken und so eine Besserung seines Zustandes heraufzubeschwören. Die Gesangsperformance übernehmen heute Abend Gastsänger/innen, zum einen die Lettin Vic Anselmo, zum anderen die beiden Wave-Urgesteine Myk Jung (The Fair Sex) und Oswald Henke (Henke, Goethes Erben). Das Set besteht aus Hits der Das Ich Geschichte wie „Gottes Tod“ oder „Destillat“, sowie einem Instrumental, das Stefan besonders viel bedeutet, wie uns Bruno mitteilt. Auch wenn man eine Lichtgestalt wie Stefan Ackermann sicher nicht ersetzen kann, machen die spontan eingesprungenen Künstler ihre Sache richtig gut und dank der Musiker und der Fans, die durch laute Rufe immer wieder dem erkrankten Stefan gedenken, wird es ein fürwahr denkwürdiger Auftritt. An dieser Stelle wünschen wir Stefan Ackermann noch einmal alles Gute und eine baldige Genesung!

Als nächstes sind die etwas unbekannteren Sweet William [GALLERY] an der Reihe. Der Dreier aus Kerpen kann auf fast zwanzig Alben zurückblicken und stellte im letzten Jahr sein aktuelles, selbstvertriebenes Album „Brighter Than The Sun“ vor. Eine stilistische Eingrenzung ist bei Sweet William kaum möglich, zu abwechslungsreich war ihre musikalische Wandlung bisher und so bedient sich die Band beim WGT-Auftritt ebenfalls in allerlei Szenetöpfen. Leider ist die Performance selbst etwas statisch, die Musiker bewegen sich kaum, dafür aber ihre Fans, die ausgiebig vor der Bühne tanzen. Nicht besonders spektakulär das Ganze, aber es ist ein durchaus routinierter Auftritt, der uns zum nächsten Höhepunkt im heutigen Programm überleitet.

Denn als nächstes beglückt uns Oswald Henke zusammen mit seiner aktuellen Formation Henke. Erst vor kurzem hatten wir Henke im Bochumer Zwischenfall live gesehen und waren vom Auftritt begeistert. Dort reicherte die Band das Material ihres aktuellen Albums „Seelenfütterung“ schon mit einigen Goethes Erben [GALLERY] Klassikern an, heute verzücken uns die Musiker ausschließlich mit Material der Neuen Deutschen Todeskunst Vorreiter. Oswald Henke lebt seine Musik und das stellt er auch heute wieder eindrucksvoll unter Beweis. Auch seine Begleitmusiker verstehen ihr Handwerk und hauchen den alten Songs neues Leben ein und die anwesenden Fans sind restlos begeistert. Sie singen die Texte aus voller Brust mit und setzen diese besonders anschaulich in Gebärden um. Es ertönt Klassiker auf Klassiker und Oswald gelingt, ganz der Auffassung eines Musiktheaters folgend, eine perfekte Symbiose aus Musiker und Schauspieler, dem sein Publikum beeindruckt zuschaut.

Im Anschluss verlassen wir die Agra, und damit leider auch die Auftritte von Age Of Heaven, The Eternal Afflict und Love Like Blood, um einer liebgewonnenen Gewohnheit weiter zu frönen: Der Donnerstagabend Besuch in der Moritzbastei, wo sich die WGT Elektro All Stars [GALLERY] zum EBM Karaoke versammeln. Auch wenn hier kein freies Karaoke geboten wird, ist es immer wieder ein Spaß den Künstlern bei ihren Neuinterpretationen von alten und neuen Hits zuzuhören und gerne auch mal selbst aus dem Publikumsbereich heraus mitzusingen. Neu dabei ist in diesem Jahr Haujobb-, Destroid- und Architect-Mastermind Daniel Myer, der ja auch mittlerweile fester Bestandteil von Covenant geworden ist und heute auch seinen dortigen Livepartner Daniel Jonasson (Dupont) begrüßen kann, mit dem er später gemeinsam Erasures „A Little Respect“ performt. Dies allerdings leider ohne Daniel Graves (Aesthetic Perfection), der seine Unterstützung laut Myer zuvor avisierte, im entsprechenden Moment aber nicht in der Halle war, um den Daniel-Index auf drei zu erhöhen. Mit von der Partie sind dafür (wieder) Torben Wendt (Diorama), Sven Friedrich (Solar Fake, Dreadful Shadows & Zeraphine), Boris May (Klangstabil), Kolja Trelle (Soman) und einige andere. Schnell wird deutlich, dass hier der Spaß klar im Vordergrund steht und so muss man beizeiten schon über gute Ohrstöpsel verfügen, will man das Dargebotene genießen, denn das ein oder andere Mal ist das in diesem Jahr wirklich eher Karaoke als All Stars 😉 Aber sei es drum, denn natürlich gibt es auch tolle Interpretationen und der Funke springt ohnehin von Beginn an auf das Publikum über, das bis in die frühen Nachtstunden eine ausgelassene Party mit den Künstlern feiert.

Freitag, 10.06.2011:

Der zweite WGT-Tag versprach stressiger zu werden, denn dieses Mal liegen die von uns eingeplanten Auftritte zeitlich eng, geographisch dafür weiter auseinander. Los geht es mit dem Besuch des Viktorianischen Picknicks [GALLERY Besucherfotos] im Clara-Zetkin-Park, bei dem es außergewöhnliche Roben und Aufmachungen zu bestaunen gibt. Steam-Punk-Anhänger und Liebhaber altertümlicher Kleider und Korsagen kommen hier voll auf ihre Kosten und über dem Park bricht ein wahres Blitzgewitter der beeindruckten Festivalbesucher und Einwohner Leipzigs los. Eine wirklich tolle Sache und für viele schon seit Jahren der Höhepunkt des modischen Treffens überhaupt.

Musikalisch beginnen wir unsere Tour etwas später im Werk II, wo Old-School Electro angesagt ist. Prager Handgriff [GALLERY] sind zurück und beweisen, dass ihre Musik und Texte auch heute noch brandaktuell klingen und die Fans sind erfreut, ihre Heroen endlich wiederzusehen. Schnell bildet sich vor der Bühne ein kleiner Moshpit und die Die Hard-Fans tanzen und singen was das Zeug hält und auch die ein oder andere Interaktion mit Frontmann Stefan Schäfer ist hier möglich. Prager Handgriff selbst sind auch sichtlich gerührt ob des tollen Empfangs und geben von Beginn an alles. Auch ihr größter Hit „Deutschland“ gehört zum Programm und so bleiben alle, als der Vorhang nach einer Stunde fällt und die Band die Bühne verlässt, erschöpft, aber überglücklich zurück.

Wir bleiben noch im Werk II, denn im Anschluss hat sich eine weitere Ikone angemeldet: Dance Or Die [GALLERY]. Die Band aus Berlin veröffentlicht dieser Tage ihr neuestes Album „Nostradamnation“ und viele Zuschauer haben sich ganz besonders auf diesen Auftritt gefreut. Unterstützung bekommen Dance Or Die auf der Bühne von Clan Of Xymox Keyboarderin Yvonne de Ray, die hier ebenfalls die Tasten bearbeitet. Frontmann Gary Wagner ist stilecht in einen langen schwarzen Ledermantel gehüllt und steht von Beginn an im Mittelpunkt des Geschehens, während Maschinist Andreas Goldacker sich etwas in Hintergrund hält. Neben vielversprechenden neuen Songs gehört natürlich auch ihr schon recht früh gespielter Hit „Psychoburbia“ zum Set. Das Konzert lässt sich gut an, wir machen uns nach einer Weile aber weiter auf den Weg zur Agra, um nachzusehen was dort bei einem weiteren Jubiläum geboten wird.

Denn Umbra Et Imago [GALLERY] feiern in diesem Jahr ebenfalls 20-jähriges Bestehen und haben sich für ihre Fans einiges vorgenommen. Und die von Mozart und seinen Mannen und Frauen vorgetragenen Songs bringen ihre Fans auch gleich in Stimmung. Leider versucht Mozart diese Stimmung nach fast jedem Song mit Seitenhieben auf die verkommende Szene anzuheizen und macht sich dabei bisweilen etwas lächerlich. Klar hat „die Szene“ Probleme, aber ob unbedingt eine selbstironisch immer nah am Rande des Klischees wandelnde Band da der richtige Ankläger ist, mag bezweifelt werden. Und das Haltbarkeitsdatum von Witzen über den Erfolg von Unheilig ist mittlerweile nun wirklich längst abgelaufen, zu leicht angreifbar erscheint hier das Opfer, so dass der x-te Hinweis eines Künstlers in diese Richtung fast mehr von „auf den fahrenden Zug aufspringen“ hat, als die Melodienverliebtheit des Grafen selbst. Musikalisch interessant wird es vor allem dann, wenn ihre Violinistin die Bühne betritt, optisch zieht hingegen Sängerin Madeleine Le Roy alle Blicke auf sich. Insgesamt ist das alles ordentlich, aber ich mache mich schnell wieder zurück ins Werk II auf, um rechtzeitig zum nächsten Auftritt dort zu sein.

Leider steht von Beginn an fest, dass ich heute nicht viel von Diorama [GALLERY] werde sehen können, denn der nächste Auftritt ruft schon und dementsprechend nervös werde ich, als sich der Soundcheck und damit auch der Auftritt des Quartetts verschiebt und die für mich verbleibenden Minuten immer weiter verrinnen. Mir bleibt leider nur ein Song („Child Of Entertainment“) um einige Fotos in den Kasten zu bekommen und muss zu meinem Bedauern danach sofort wieder los in die Kuppelhalle des Pantheons. Diorama zu verpassen war sicher einer der negativen Aspekte des WGT-Zeitplans, zum Glück spielt die Band aber auch noch beim Amphi Festival in Köln; dann sind wir mit Sicherheit wieder länger dabei.

Aber zurück zum WGT, wo es wie gesagt im Pantheon weitergeht, denn hier gibt es heute etwas ganz Besonderes zu sehen: Clock DVA [GALLERY] sind zurück und treten nach 17 Jahren endlich wieder live auf. Die Spannung beim Publikum steigt, denn in der Mitte der Kuppelhalle ist ein großer Cube aufgebaut, dessen Seiten mit weißen Tüchern verhüllt sind. Als die Musiker erscheinen, verschwinden sie sofort wortlos im überdimensionalen Würfel, begeben sich an ihre Instrumente und Regler und das Konzert oder besser die „Präsentation“ beginnt. Es ist kein Konzert wie jedes andere, denn die Musiker sind von nun an nur noch schemenhaft im Inneren des Cubes zu erkennen. Optisch stehen die auf den Tüchern projizierten Videos im Vordergrund, die die sphärischen Klänge der Briten perfekt untermalen und so für eine beeindruckende Stimmung in der nicht minder begeisternden Location sorgen. Doch auch diesen Auftritt können wir nicht ganz zu Ende sehen, denn der Agra-Freitags-Headliner wartet schon auf uns.

Mit Deine Lakaien [GALLERY] haben die Veranstalter einen Act eingeladen, der trotz aller Eingängigkeit wie für das WGT gemacht zu sein scheint und dessen endgültiger Durchbruch in eine ähnliche Zeit fiel, wie die Gründung des WGT. Für viele waren Deine Lakaien eine Art „Einstiegsdroge“ in die Schwarze Szene und Frontmann Alexander Veljanov hat sicher auch optisch einige Szenegänger nachhaltig beeinflusst. Die Lakaien geben sich geehrt, hier auftreten zu dürfen und verzaubern ihr Publikum in den nächsten knapp 90 Minuten mit neuen und alten Hits aus ihrer schon über 25 Jahre andauernden Karriere. Und auch wenn die Akustik in der Agra sicher nicht die allerbeste ist, überzeugen Alexanders Stimme und die Arrangements von Ernst Horn, Tobias „B. Deutung“ Unterberg (Violoncello) und Yvonne „Ivee Leon“ Fechner (Geige) die anwesenden Fans und interessierten Festivalbesucher, die nach dem Auftritt noch ausreichende Gelegenheit zum Tanzen auf den verschiedenen Floors in der Agra, aber auch in diversen anderen Locations im Stadtgebiet bekommen.

Samstag, 11.06.2011:

Der WGT-Samstag gestaltet sich in diesem Jahr für uns entspannter. Klar, am Abend fordern wieder Überschneidungen ihren Tribut, aber insgesamt lässt sich der Tag gut an mit einem kurzen Einkaufs- und Erkundungstrip im Heidnischen Dorf [GALLERY Besucherfotos] und durch die Verkaufshallen der Agra.

Weitere Fotos des Events gibt es hier

Der erste durchweg musikalische Tagesordnungspunkt findet auf der Parkbühne im schönen Clara-Zetkin-Park statt, wo wir uns heute auch etwas länger aufhalten. Im schönen Rund der Parkbühne unterhalten uns Ikon [GALLERY] mit wunderschönen Wavemelodien und trotz des etwas zu schönen Wetters für solch düstere Klänge passt das sehr schön zusammen. Dazu trägt auch bei, dass Frontmann Michael Carrodus eine Gitarre umgeschnallt hat und auch optisch in keinster Weise morbid auftritt, sondern eher als einer wie Du und ich. Ikon treten derzeit als vollständige Band mit Liveschlagzeuger auf und das tut dem Sound der Australier sichtlich gut. Sogar eine eigene Fangemeinde aus dem Heimatland ist angereist und so wird es ein rundum gelungener Auftritt.

Gleiches kann man danach auch von Lacrimas Profundere [GALLERY] sagen, die immerhin schon zum fünften Mal beim WGT dabei sind und stets für ordentlich Stimmung sorgen. Mittlerweile besteht die Band bereits seit fast 20 Jahren und hat neun Alben veröffentlicht, das letzte Album „The Grandiose Nowhere“ stammt aus dem letzten Jahr. Auch wenn der Bandname es nahe legt, werden heute keine Tränen vergossen, und wenn dann nur vor Freude, denn Band und Publikum haben ihren Spaß am Auftritt der gewohnt routiniert, cool und unterhaltsam abläuft. Gerade die beiden Saitenzupfer Oliver Nikolas Schmid und Tony Berger animieren das Publikum, aber auch Sänger Roberto Vitacca lässt seine coole Hülle beizeiten fallen und treibt das Publikum an. So werden die versammelten Fans schon einmal perfekt auf den Tageshöhepunkt eingestellt, denn gleich gibt es ein Jubiläum.

Girls Under Glass [GALLERY] feiern heute ihr 25-jähriges Bestehen und versprachen im Vorhinein eine kleine Party mit Gästen zu geben. Reinstes Understatement wie sich herausstellte, denn die durchweg männlichen „Mädels“ fahren heute richtig auf. Los geht es in der regulären Besetzung und mit ein paar Girls Under Glass Stücken zum „warm machen“. Doch nach zwei Stücken ist dieser offizielle Teil bereits abgehandelt und man geht sogleich zur „Live-Aftershowparty“ über. Von nun an geben sich hochkarätige Gäste die Klinke oder besser das Micro in die Hand. Als erstes ergreift Jay Smith von Deviant UK das musikalische Wort und peitscht das Publikum nach vorne. Es herrscht schon jetzt Ausnahmezustand und jedem der Anwesenden wird spätestens bei den nachfolgenden Gästen klar, dass hier vielleicht der Höhepunkt des diesjährigen WGTs stattfindet. Nach und nach ergreifen langjährige Weggefährten wie Peter Spilles (Project Pitchfork, Santa Hates You), Oswald Henke (Goethes Erben, Henke), Rodney Orpheus (Cassandra Complex), Rascal Nikov (Rotersand), Carsten Klatte (Lacasa Del Cid, Carsten Klatte & Project Pitchfork) und Myk Jung (The Fair Sex) das Mikrofon und zugleich die Initiative und feiern mit einer gelungenen Mischung aus eigenen Songs und Klassikern der Girls Under Glass Historie dieses denkwürdige Ereignis. Als Zugabe stehen bei Project Pitchforks „Timekiller“ noch einmal alle gemeinsam auf der Bühne und wer jetzt keine Gänsehaut hat, der ist womöglich bereits tot. Ein Wahnsinnsauftritt und ja, ich lege mich fest, mein Highlight des WGT 2011!

Nun heißt es schnell sein, denn schon für 22:20 Uhr ist der Auftritt von Rome [GALLERY] im Felsenkeller angesagt. Zum Glück sind es bis dorthin „nur“ knapp 2km Fußweg quer durch den Park, aber auch die müssen mit schwerer Kameraausrüstung nach so einem begeisternden Auftritt erst einmal zügig zurückgelegt werden. Vor dem Felsenkeller ist es voll, sehr voll. Eine Menge Leute wollen noch ins Gebäude, während andere gleichzeitig versuchen nach einem starken Auftritt von Spiritual Front draußen wieder etwas Luft zu schnappen. Denn im Inneren des Felsenkellers herrschen Temperaturen nahe dem Siedepunkt und die Luft ist zum Zerschneiden. Man kann geradezu froh sein, dass Rome zwar für viel Leidenschaft, nicht aber für eine energiegeladene Show stehen und somit zumindest der bewegungsbedingte Schweißtrieb in normalen Bahnen verläuft. Die Luxemburger von Rome betreten als komplette Band die Bühne und präsentieren in der Folge Songs aus ihrer gesamten Bandgeschichte, aber auch einige vielversprechende neue Tracks. Leider herrscht im Publikum recht lautes Gemurmel und so hat Sänger Jérôme Reuter vor allem zu Beginn Mühe, dagegen anzusingen. Später dreht man die Anlage etwas mehr auf und endlich kommt „echtes Konzertgefühl“ auf. Die Fans feiern Songs wie „To Die Among Strangers“ und klatschen wohlwollend Applaus, bevor man uns in die dunkle Nacht entlässt.

Sonntag, 12.06.2011:

Der WGT Sonntag 2011 versprach wieder vor allem eins: lang zu sein. Wir am Vortag geht es zunächst in gemütlicher Atmosphäre im Heidnischen Dorf auf Motivsuche [GALLERY Besucherfotos] und insbesondere das Dresdener Handbrot entwickelt sich immer weiter zur Pflichtmahlzeit eines jeden WGT-Tages.

Musikalisch lautet unsere erste Station „Alte Messe – Halle 15“, die neue Location, die den Wegfall des ganz in der Nähe gelegenen Kohlrabizirkus kompensieren soll und auch tut. Das Fassungsvermögen dürfte ähnlich groß sein und auch die obligatorischen Besucherschlangen am Einlass sollten zu späterer Stunde noch folgen. Als erstes schauen wir uns hier Blind Passenger an, jenes Projekt von Nik Page, dass nicht von ungefähr stark an seine bekannteste Formation „Blind Passengers“ erinnert. Seit deren Auflösung 2005 hatte Nik zunächst „Songs Of Lemuria“ gegründet, nennt sich in neuer Besetzung nun aber Blind Passenger und veröffentlichte 2010 das Debütalbum „Next Flight To Planet Earth“. Live hat Nik aber natürlich auch einige Hits aus Zeiten mit nachfolgendem „s“ dabei und so feuern er und seine Mannen in futuristischer Aufmachung Songs wie „Absurdistan“ oder „Born To Die“ ins Publikum, bevor sie Platz für die Synthiepopper The Twins machen.

Wir entschließen uns aber kurzerhand doch noch gegen die Zwillinge und stattdessen für Megaherz [GALLERY], die sich zeitgleich anschicken, die Agra zu rocken. Seit 2007 schwingt hier Alexander „Lex“ Wohnhaas an Stelle von Alexander „Alexx“ Wesselsky (Eisbrecher) das Zepter und auch trotz des Frontmannwechsels steht die Fangemeinde fast durchweg weiter zu Megaherz. Die Agra ist sehr gut gefüllt und Lex dirigiert sein Publikum, während auch seine Mitstreiter sich immer wieder am vorderen Bühnenrand postieren und ordentlich abrocken. Die Setlist besteht zur Freude der Anwesenden vornehmlich aus alten Hits wie dem wohl bekanntesten „Miststück“. Highlight ist aber der „Freiflug“ von Sänger Lex beim gleichnamigen Song, zu dem er sich vom Publikum im wahrsten Sinne des Wortes auf Händen tragen lässt.

Nun aber schnell zur Parkbühne und damit zu Pouppée Fabrikk, der EBM-Legende aus Schweden, die aber leider bereits vor der geplanten Zeit loslegte, so dass ich die ersten Songs verpasse. Harte, treibende Sounds zum Mitstampfen regieren nun im Rund und Shouter Henrik Björkk treibt das Publikum zum Tanzen an. Seit Herbst 2010 hat man sich wieder einmal für einige Gigs zusammengetan und nun steht auch endlich wieder Deutschland auf dem Plan. Die Fans haben es lange gehofft, nun ist die Band da und hat mit Stefan Nilsson (Spetsnaz) auch gleich bekannte Liveverstärkung mitgebracht. Natürlich stehen die Klassiker im Vordergrund, doch man höre und staune, Pouppée Fabrikk haben auch neue Songs in petto, sogar ein neues Album soll bald erscheinen. EBM ist nicht tot, das beweisen Pouppée Fabrikk hier mit Nachdruck.

Im Laufschritt (und mit der Bahn) geht es wieder zur Alten Messe, denn endlich bekomme ich die Synthiepop-Helden Camouflage [GALLERY] mal live zu Gesicht. Bisher waren sie mir aus den verschiedensten Gründen immer wieder durch die Lappen gegangen, nun war es soweit: Frontmann Marcus Meyn betritt mit seiner Band die Bühne. Er ist ganz in weiß gekleidet und genau so rein und makellos ist dann auch das, was uns die Musiker in der Folgezeit präsentieren. Fast jeder Song ist ein Hit, jeder kann alles mitsingen und man merkt sofort, dass hier Profis am Werk sind. Es passt einfach und Songs wie „Love Is A Shield“, „Neighbours“ oder „The Great Commandment“ sind natürlich absolute Perlen und Eckpunkte einer gesamten Synthiepop-Bewegung geworden. Ein wirklich toller Auftritt und sicher auch ein Highlight des Wave Gotik Treffens 2011.

Das letzte „Konzert“ des Abends ist dann aber wieder der Agra vorbehalten, wo nach den Fields Of The Nephilim noch das Midnight-Special ansteht: Recoil! Hinter Recoil [GALLERY] verbirgt sich niemand Geringeres als das ehemalige Depeche Mode Mitglied Alan Wilder, der hier gemeinsam mit Paul Kendall natürlich ein ganz anderes Feld beackert als der übergroße Bruder. Recoil ist ein wirklich starkes Projekt mit vielen tollen Soundideen etc., aber zu Sinn oder Unsinn solcher „Konzerte“ bei denen eigentlich Visualisierungen im Vordergrund stehen, die von „Nebenakteuren“ mit Musik aus der Konserve und nur leicht live bearbeitet präsentiert werden, habe ich mich schon an anderer Stelle geäußert und werde dies daher hier unterlassen. Womöglich stand für die meisten Besucher heute aber sowieso auch „nur“ die Möglichkeit Alan Wilder mal ganz nah zu sein im Vordergrund, trotzdem war die Agra überraschend dürftig besucht. Scheinbar sind Recoil nicht nur auf musikalischer Ebene ein Geheimtipp, sondern auch ihre Besetzung selbst, die dafür umso sympathischer daherkommt. Alan prostet seinem Publikum zu, lächelt den Fans entgegen und ist sichtlich glücklich hier zu sein. Mit ihren atmosphärischen Songs und Animationen lassen Alan und Paul das Publikum abtauchen in den Recoil-Kosmos, bevor der vorletzte Abend des WGT 2011 gegen 2 Uhr endet.

Montag, 13.06.2011:

Auf geht es in den letzten Tag des Mammut-WGT 2011. Der fünfte Tag steht auf dem Programm und somit die letzte Chance noch etwas von dieser speziellen Atmosphäre in sich aufzunehmen. Wir starten dieses Mal auf dem Mittelaltermarkt der Moritzbastei, schauen uns das dortige Unterhaltungsprogramm [GALLERY] und die aufgebauten Stände an, bevor es etwas weiter südlich ins Umfeld der Alten Messe geht.

Erster musikalischer Act sind die immer wieder atemberaubenden In The Nursery [GALLERY] aus dem englischen Sheffield. Leider hatte ich ihre Aufführung auf dem Völkerschlachtdenkmal 2007 verpasst, doch auch die Kuppelhalle im Pantheon stellt einen äußerst reizvollen Ort für ein In The Nursery Konzert dar. Das Quartett um die beiden Zwillinge Klive und Nigel Humberstone ist eine feste Größe in der Szene und perfekt aufeinander eingespielt. Jeder Ton, jeder Drumschlag stimmt und die Stimme von Sängerin Dolores erschallt mal erhellend, mal mysteriös durch die bedrohlich, tanzbare Atmosphäre der Keyboard- und Drumsounds. Halten sich Nigel und Drummer David Elektrik doch eher bedeckt, steht Dolores als Diva graziös in der Mitte der Bühne, während Klive im Hintergrund auf die Felle eindrischt und damit so Manchem den Atem verschlägt. Neben bekannten Hits wie „Bombed“ oder „Compulsion“ haben die vier auch bereits Tracks ihres aktuellen Albums „Blind Sound“ im Gepäck, die sich bestens dem Gesamtkonzept unterordnen. Wie immer ein beeindruckendes Erlebnis die sympathischen Briten live zu sehen und natürlich besonders auch zu hören.

Der Weg zum nächsten Auftritt ist nicht sehr weit. Nur etwas die Straße herunter liegt die Alte Messe Halle 15, wo Plastic Noise Experience [GALLERY] kurz darauf mit ihrem Gig beginnen. Die Geschichte PNE’s geht ans Ende der Achtziger Jahre zurück, als die Band erstmals durch Kassettenveröffentlichungen auf sich aufmerksam machte. Spätestens mit der Coverversion von Bronski Beats „Smalltown Boy“ waren sie endgültig angekommen und ihre Tracks wurden fester Bestandteil in den Clubs und das nicht nur in Deutschland. Seit 1999 ist Claus Kruse alleinverantwortlich für PNE tätig und beim heutigen Auftritt lässt er sich nur von Technoir Mitglied Steffen Gehring begleiten, der sich aber weitestgehend im Hintergrund hält. Claus hingegen marschiert eifrig über die Bühne, singt und schreit die Songs heraus, wobei ihm gerade bei letzterem auch ein Megaphon als Stütze gereicht. Die Stimmung in der Halle ist gut und auch der Auftritt an sich weiß zu überzeugen.

Wir bleiben in der Alten Messe, wo mit Dirk Ivens Projekt Dive [GALLERY] ein echtes Highlight ansteht. Und der Wortbestandteil „light“ passt heute ganz besonders gut, denn sonst ist Dirk bei Dive auf der Bühne nur selten zu sehen, denn normalerweise dient nur ein Stroboskoplicht der Erhellung des düsterschwarzen Raums. Aber heute ist es anders, denn die Halle 15 verfügt über eine ganze Reihe von Oberlichtern und da es draußen noch hell ist, haben die Zuschauer die seltene Gelegenheit hinter „den Vorhang“ zu schauen. Nur wenige Posen benötigt Dirk um authentisch zu wirken und mit Hits wie „Bloodmoney“ oder „Snakedressed“ die Alte Messe zu beschallen. Gerade bei Dirk Ivens Projekten wie Klinik, Absolute Body Control und eben Dive wundert sich der geneigte Clubgänger oft, wie viele Tanzflächenfüller dieser erschaffen hat. Und so tanzt die anwesende Meute auch hier den gesamten Gig hindurch und erhebt den Dive-Auftritt so zu einem wirklichen Höhepunkt des Festivals.

Nun ist aber guter Rat teuer. Wie soll es weitergehen? Zeitgleich spielen jetzt die Mexikaner Hocico, die Horrorpunker The Other im Werk II und Chris & Cosey im Pantheon. Da The Other bereits angefangen hatten, Chris & Cosey meinen Plan durchkreuzen würden, später die Misfits zu sehen, entschied ich mich dafür kurz in die ersten Songs von Hocico [GALLERY] hineinzuhören und mich dann auf den Weg ins Werk II zu machen um den Misfits beizuwohnen. Draußen vor der Halle 15 hatte sich derweil eine lange Schlange gebildet und nicht jedem konnte noch Zugang verschafft werden, als Erk Aicrag auf der Bühne ordentlich loslegt. Nun tobt der Mob, denn jeder versucht es dem quirligen Mexikaner gleich zu tun. Es geht gewohnt energiegeladen zu, ich hingegen verabschiede mich nach einigen Tracks und mache mich auf den Weg zum Werk II, meiner letzten Station für heute.

Dort angekommen, hat sich auch hier bereits eine lange Schlange gebildet. Es gelingt mir noch ins Werk II hineinzugelangen, wo die letzten Vorbereitungen für das große Finale auf Hochtouren laufen. The Other hatten wohl überzeugt, soviel konnte man den Gesichtern aller Anwesenden bereits ablesen, nun kommen mit den Misfits [GALLERY] auch die Großmeister des Horrorpunks noch zu ihren Ehren. Von der Urformation ist allerdings nur noch der ehemalige Bassist Gerald Caiafa alias Jerry Only dabei, der kurz nach der Gründung 1983 zur Band stieß. Seit 2002 übernimmt er neben dem Bassspiel auch den Gesang der nicht gesellschaftsfähigen drei. Das Trio peitscht seine Hits aufs Publikum ein, aber so recht will der Funke nicht überspringen. Zu stark ist mittlerweile wohl auch die Konkurrenz in diesem Bereich geworden und auch das Publikum ist heute verwöhnt und schwelgt scheinbar mehr in Erinnerungen an alte Zeiten mit der Band, als noch Glenn Danzig oder Michale Graves den Gesang übernahmen. So ist es ein ordentlicher, aber sicher nicht perfekter Abschluss des WGT 2011 den ich hier miterlebe.

Das war es dann also, das WGT 2011 – und es hat richtig Spaß gemacht. Im Programm gab es viel Abwechslung, die Organisation hat weitestgehend perfekt funktioniert und auch sonst gibt es kaum etwas zu bemängeln. Selbst das Wetter spielte sehr gut mit, was man so nach den Vorhersagen erst nicht vermuten konnte. Danke Leipzig, wir sehen uns im nächsten Jahr wieder!

Die kompletten Fotosets zu den Bandauftritten erreicht ihr über die [GALLERY]-Links (Bildkommentare sind in der Gallery durch Anklicken der gelben Sprechblase möglich). Wer zudem Interesse an gedruckten Bildern hat, kann auch einen Blick in die Ausgabe 07-08/2011 des Orkus werfen, in der neben einigen unserer Fotos auch Fotos anderer Fotografen enthalten sind.

Autor & Fotos: Michael Gamon

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