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R.E.M. & ELBOW – Freilichtbühne Loreley (20.08.2008)

Konzert: R.E.M. & Elbow

Ort: Freilichtbühne Loreley, Rhein
Datum: 20.08.2008
Zuschauer: etwa 15.000 (vermutlich nicht ganz ausverkauft)
Dauer: R.E.M. 120 min, Elbow 40 min

Als hätte Elbow-Sänger Guy Garvey meine Gedanken lesen können, beschrieb er, wie es ihm ging, bevor er R.E.M. traf: "Das ist so eine Sache, wenn man seine Helden trifft, es kann furchtbar enttäuschend sein." Denn das war die Band aus Athens, Georgia für mich viele Jahre lang, meine ganz großen musikalischen Helden. Allerdings war das in den späten 80er und frühen 90er Jahren. Spätestens mit Monster hatten wir uns auseinandergelebt, mit Ausnahme der Sachen, die ich passiv im Radio aufschnappte, ist mir R.E.M. in den letzten zehn, zwölf Jahren fremd geworden. Nicht aus mangelnder Sympathie, nur aus Unkenntnis. Aber so richtig gestorben ist meine Zuneigung nicht, ich zögerte nämlich keinen Moment, eine der schrecklich teuren Karten für das Open Air Konzert auf der Loreley zu kaufen (obwohl ich für den Preis zehnmal die Indelicates sehen könnte).

Dann begannen irgendwann die Spekulationen über die Vorgruppe. Ich bekam eine sms, daß es vermutlich die Editors wären, ein Hauptgewinn – und die Hoffnung, an einem Abend zweimal das großartige Orange crush zu hören (das die Editors vorzüglich gecovert haben). Die Band aus Birmingham war aber leider nur bei einigen früheren Terminen Support, der "Ersatz" sollte dann auch alles andere als schlecht sein, es wurden Elbow aus Manchester bestätigt.

Also wollten wir pünktlich sein… Auch nicht ansatzweise sah es danach aus, als wir die Fährstation in Sankt Goar erreichten. Neben uns wollten etwa 100 andere Wagen von da nach Sankt Goarshausen übersetzen. In Kaub, etwas weiter rheinaufwärts erwischten wir den ersten Kahn und bekamen ungefragt die Auskunft, daß man so lange den Fährbetrieb aufrechterhalte, bis alle nach dem Konzert wieder über den Rhein geschiffert wären. Welch ein Service!

Wir hatten es also noch pünktlich auf den Parkplatz vor dem Felsen geschafft, die Kontrollen schnell passiert und waren genau zum richtigen Zeitpunkt im steinernen Amphitheater auf dem Loreleyfelsen. Mit diesem wirklichen eindrucksvollen Veranstaltungsort verbinden mich viele tolle musikalische Erinnerungen, vor allem an die Bizarre Festivals Ende der 80er Jahre. Der Rahmen stimmte.

Um 19.45 Uhr erklangen dann die ersten Gitarrentöne der Vorgruppe. Ich hatte Elbow leider bisher noch nie gesehen und wußte auch ehrlich gesagt gar nicht, wie die Band aussieht. Die erste Überraschung waren zwei Background Musikerinnen, die erst nur sangen und rasselten, später Geige spielten! Die eigentliche Band sieht aus, wie nordenglische Bands eben aussehen. Und sie machen die Musik, die nordenglische Bands spielen, was außerordentlich nach meinem Geschmack ist. Dabei haben Elbow sicher mehr Nähe zu I Am Kloot (deren erstes Album Guy produziert hat) als zu Oasis beispielsweise – oder zu Madchester Bands, obwohl Elbows musikalische Karriere genau in dieser Phase begann.

In ihrem 40 minütigen Auftritt spielten die Engländer Lieder von ihren letzten beiden Platten, vier vom in diesem Jahr erschienenen The seldom seen kid, drei von Leaders of the free world von 2005. Alle sieben Stücke waren wundervoll und passten perfekt in Kulisse und Rahmen des Abends, besonders toll war das Titelstück von Leaders of the free world! Auch die neuen Lieder, die ich noch nicht gut kannte, haben mich überzeugt. Was für eine großartige Band! Und wieder einmal die Frage, warum Leute aus Manchester nicht nur besser Fußball spielen, sondern auch Musik machen können, als Essener, Herner oder Bochumer…

Guy hatte sich zwischendurch nach der Übersetzung von "Cheers" erkundigt und beendete das Konzert viel zu früh mit einem "Great evening everybody. Prost!"


Setlist Elbow, Loreley:

01: Station approach
02: The bones of you
03: The stops
04: Leaders of the free world
05: Grounds for divorce
06: The loneliness of a tower crane driver
07: One day like this

Die folgenden 40 Minuten Umbaupause waren auf der Loreley erträglicher als sonst. Es gab immerhin viel zu sehen, lustige Getränkemänner, die mit "lecker Bier und Cola" unterwegs waren zum Beispiel – oder ein ganz heterogenes Publikum, ganz anders als bei Indiekonzerten. R.E.M. ist seit vielen Jahren eine der größten Mainstreambands, steht für Radiohits wie Losing my religion und spielt in der U2- (aber nicht so eklig) und Coldplay- (aber älter) Liga. Also erreicht die Band ein sehr breites Spektrum. Es waren vor allem Leute über 30 da, viele aber auch ganz deutlich älter. Die meisten von ihnen erwarteten sicher ein grandioses Konzert einer Band, die sie lieben – ich war mir da weit weniger sicher. Eben dieses Treffen mit den alten Helden, das so schrecklich schiefgehen kann…

Ein paar meiner Lieblingslieder wollte ich hören, dann würde es sich gelohnt haben.

Auf den Videoprojektoren erschien: "Loreley, guten Abend". Wie nett!

Weil R.E.M. in meiner kleinen Musikwelt in den letzten Jahren nicht stattfand, kannte ich das erste Lied nicht. Living well is the best revenge vom aktuellen Album Accelerate. Das Stück war wohl ok, so richtig konnte ich mich aber noch nicht konzentrieren, weil ich erst einmal von unseren sichtbeschränkten Plätzen aus versuchte, etwas auf der Bühne zu erkennen. Michael Stipe trug einen Anzug und hatte sein Gesicht nicht albern bemalt. An der Rückseite der Bühne waren Displays angebracht, auf denen (so wie man das jetzt gerne macht) schnell geschnittene Live-Bilder der Gruppe, abwechselnd mit Animationen zu sehen waren.

Es folgte mit These days ein Uralt-Lied von Lifes rich pageant, an das ich mich nicht erinnerte. Irgendwie war der Abend wieder wie ein Klassentreffen. Man sieht all die Leute nach vielen Jahren wieder, ein paar von ihnen hat man immer wieder mal gesehen, an ein paar erinnert man sich aber nur noch sehr dunkel. Die nächsten beiden waren ehemalige Banknachbarn. What’s the frequency, Kenneth? und Drive waren sehr vertraut und sehr schön.

Dann wieder etwas Neues, Man-sized wreath von 2008, gefolgt von einem Schätzchen der ganz jungen R.E.M. von 1985 (Driver 8), Ignoreland und Hollowman (wieder neu). Ganz fabelhaft, wie R.E.M. ihre Bandgeschichte durchgewürfelt haben, ohne ein bloßes Best-Of-Konzert zu spielen mit all den abgenudelten Songs. Vermutlich machen einer Band, die so lange existiert, auf diese Weise auch nach 25 Jahren Konzerte noch Spaß. Es wirkte nämlich so (böse Unterstellung), als liebten R.E.M. in erster Linie ihre Musik und nicht dieses Angehimmeltwerden und Weltstargetue, das Bono so einzigartig macht. Die Songauswahl kam mir wirklich vor wie ein mp3-Player im Zufallsmodus, großartig! Aber natürlich steigerte das auch meine Angst, meine Lieblinge nicht zu hören. Wenigstens zwei oder drei dieser Songs (Perfect circle, Orange crush, Fall on me, World leader pretend, The one I love, It’s the end of the world…) wollte ich unbedingt erleben.

Und genau in dem Moment als ich darüber nachdachte, klimperten die ersten Töne von Fall on me los. Wie grandios! Fall on me ist eines der Lieder, die ich unbedingt einmal live sehen wollte. So wie Sit down von James, Panic von den Smiths, Blue Monday von New Order und und und…

Es war auch nicht schlimm, daß Fall on me schneller und etwas schiefer klang, als ich es kenne. Egal! Es war trotzdem der musikalisch schönste Augenblick des Abends!

Der charmanteste Moment folgte unmittelbar danach. Wir sollten unsere Handys hochhalten, bat Michael Stipe, und sie beleuchten. Von vorne sollte es dann so aussehen, als blicke man von den Hollywood Mountains runter auf Los Angeles. Wundervoll! Obwohl nicht viele mitgemacht haben. Hinterher sagte der Sänger leise, es habe eher nach Tulsa, Oklahoma ausgesehen…

Es kann enttäuschend sein, seine Helden zu treffen… Spätestens hier konnte ich den zweiten Satz des Elbow-Sängers unterschreiben. "But R.E.M. are amazing!" Oh ja, das sind sie!

 Und wieder passierte etwas… Stipe übergab an Bassist Mike Mills, der (Don’t go back to) Rockville sang. Er hatte den Song irgendwann für seine Freundin geschrieben. Urprünglich hat wohl Michael Stipe Rockville gesungen, in dieser Loreley Version klang es mehr nach Country und war ein Erlebnis! Michael Stipe hatte in der Zeit nichts zu tun. Sänger, die kein Instrument spielen, wissen ja oft nicht, was sie mit ihren Händen tun sollen, der R.E.M. Mann stand klatschend am linken Bühnenrand und sah seinem Bassisten zu.

Danach das erste Lied von keiner der Studioplatten, The great beyond vom Soundtrack von Man in the moon – kannte ich nicht. Offenbar brüllte zwischendrin jemand eine Liebeserklärung nach vorne, der Frontmann antwortete nach dem Lied mit einem "We love you, too, Peter!"

Um einen anderen Peter ging es nach Country feedback. Stipe lobte da Gitarristen Peter Buck. "Ich liebe Dich, Peter" – um dann The one I love zu beginnen. Auch wenn das tausendfach einstudiert ist, es funktionierte bei mir… Hach…! Während des Lieds (Top 5!) lief der Sänger zum Publikum vorne.

Let me in von Monster spielten R.E.M. in einem Kreis, links hinten auf der Bühne stehend, so als hätten sie gerade mal vergessen, daß sie vor 15.000 Leuten spielten. Nach einem neuen Lied und der 85er Single Bad day, die auf keinem Album ist, folgte dann das nächste Lieblingsstück, Orange crush, immer mal wieder mein ganz großer Allzeit-Favorit und auch live ganz wundervoll.

Nach Imitation of life endete der Hauptteil des Konzerts. Mittlerweile waren die Wolken weg und Sterne zu sehen… Die anderthalb Stunden bis dahin waren extrem kurzweilig. Daß der Auftritt schon so lange dauerte, merkte man aber Michaels Stimme an, die ab und zu wegkippte. Mich störte das nicht weiter, auch nicht die Tatsache, daß R.E.M. eine solide aber keine herausragende Liveband sind. Das Sympathische ihres Auftretens macht das locker wett. Es kann eben nicht jeder live so brillant wie Interpol oder zuletzt die Editors sein.

Die Videoleinwände fragten nach "Encore?" Wir wollten und bekamen. Zunächst Supernatural superserious, dann das unvermeidbare Losing my religion (neben Imitation of live war dabei die Stimmung am besten). Den Refrain ließ Michael Stipe Zuschauer in den ersten Reihen singen!

Das mit Abstand spektakulärste Lied des Abends kam dann aber erst im Anschluß. Michael stellte den zweiten Gitarristen Scott McCoy vor, der uns dann etwas mitteilen wollte. McCoy stimmte dann erstaunlich akzentfrei Heines Loreley an und sang "Ich weiß nicht was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin; ein Märchen aus uralten Zeiten, das kommt mir nicht aus dem Sinn. Die Luft ist kühl und es dunkelt, und ruhig fließt der Rhein; der Gipfel des Berges funkelt im Abendsonnenschein." Wundervoll! Nicht vorstellbar, daß selbstverliebte Megastars so liebevolle Einlagen darbieten würden!

Offenbar hatte die einzigartige Lage des Areals die Band kräftig inspiriert. Auch Michael Stipe erzählte, daß der Blick auf den Rhein einer der schönsten Ausblicke sei, den er je gesehen habe. Wie wahr…

Man on the moon war dann das endgültig letzte Lied des Abends. Nach ziemlich genau zwei Stunden verschwanden die Helden aus Georgia im Trichter der Bühne. Schön war es, gar keine Frage. Mein Verhältnis zu Monster und später konnte ich zwar nicht klären, R.E.M. haben mir aber deutlich gemacht, warum ich sie einmal so sehr geliebt habe. Was kann so ein Abend Besseres bringen?


Setlist R.E.M. Loreley:

01: Living well is the best revenge
02: These days
03: What’s the frequency, Kenneth?
04: Drive
05: Man-sized wreath
06: Driver 8
07: Ignoreland
08: Hollowman
09: Fall on me
10: Electrolite
11: (Don’t go back to) Rockville
12: The great beyond
13: Walk unafraid
14: Begin the begin
15: Country feedback
16: The one I love
17: I’ve been high
18: Let me in
19: Horse to water
20: Bad day
21: Orange crush
22: Imitation of life
23: Supernatural superserious (Z)
24: Losing my religion (Z)
25: 7 Chinese bros. (Z)
26: I’m gonna DJ (Z)
27: Man on the moon (Z)

Autor : Christoph (http://www.konzerttagebuch.de/). Vielen Dank!

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